Magazinrundschau
Ökonomie des Schmerzes
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
14.03.2023. The Point beschreibt, wie wir aus der Phase der Postpolitik in eine der Hyperpolitik glitten. Die LRB balanciert mit der Dirigentin Alice Farnham auf dem schmalen Grat zwischen Macht und Ohnmacht. Die NYRB begibt sich in das Herz des neuen Narco-Staats Syrien. Osteuropa untersucht das Versagen der russischen Geheimdienste. Atlantic ahnt, dass gerechte Sprache vor allem die Gefühle derjenigen schonen soll, die sie benutzen. The Nation wirft die blutigen Ballettschuhe in die Ecke.
The Point (USA), 22.02.2023

London Review of Books (UK), 16.03.2023

John Lanchester liest Chris Millers Geschichte des Mikrochips und ihm eröffnet sich damit eine Erzählung von sublimer Technologie und ökonomischer Kriegsführung: Nur eine niederländische Firma, ASML, beherrscht überhaupt das Verfahren, Silizium mithilfe ultravioletter Lithografie auf die Chips zu ätzen, nur Intel, TSCM und Samsung können Hochleistungschips herstellen. Das von Präsident Joe Biden verhängte Exportverbot trifft China hart, denn einen Kalten Krieg haben die USA mithilfe der Mikrochips schon gewonnen: "Die Sowjetunion verfügte über mehr Männer und Material, so dass die USA sich darauf verlegten, diese Vorteile durch überlegene Technologie auszugleichen: Sie haben mehr Männer und mehr Material, aber unsere Waffen treffen das Ziel - das war die Idee, und das erste Mal konnte man sie im Golfkrieg 1991 in der Praxis sehen. Dieser erste erstaunliche Schwall von Bomben und Marschflugkörpern beim Angriff auf Bagdad, den niemand, der ihn live im Fernsehen verfolgt hat, je vergessen wird, beruhte auf einer enormen technologischen Überlegenheit, die wiederum auf dem allgegenwärtigen Mikrochip beruhte. Wie Miller es ausdrückt, 'war der Kalte Krieg vorbei; das Silicon Valley hatte gewonnen'. Das wäre nicht passiert, wenn die Sowjetunion in der Lage gewesen wäre, mit der amerikanischen Chipproduktion gleichzuziehen. Dass ihr dies nicht gelang, lag zum Teil daran, dass die Sowjetunion seit William Shockleys erstem Durchbruch auf Industriespionage angewiesen war, um mit den USA Schritt zu halten. Eine ganze Abteilung des KGB war auf das Stehlen und Kopieren von US-Chips spezialisiert. Das Problem war, dass die Fortschritte in der Mikrochip-Industrie so rasant waren, dass man, wenn man einen bestehenden Chip erfolgreich kopiert hatte, weit hinter dem Stand der Technik zurücklag. Gordon Moore hatte vorausgesagt, dass sich die Leistung von Chips alle achtzehn Monate verdoppeln oder ihr Preis halbieren würde, und obwohl es sich dabei nicht um ein Gesetz, sondern um eine Vorhersage handelte, bewahrheitete sie sich. Das Mooresche Gesetz verlieh der Chipindustrie einen besonderen Charakter. Nichts anderes, was die Menschheit je erfunden oder geschaffen hat, verdoppelt seine Leistung kontinuierlich alle achtzehn Monate. Dies war das Ergebnis eines unerbittlichen, fanatischen technischen Einfallsreichtums." Zum Vergleich: Im Vietnamkrieg brauchten die USA noch 638 Bomben, um die Thanh-Hoa-Brücke einmal zu treffen.
New York Review of Books (USA), 23.03.2023

Osteuropa (Deutschland), 13.03.2023

Außerdem: Der Politikwissenschaftler Hans-Henning Schröder umreißt, wie Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland aussehen könnten. Er selbst hält sie nur im größeren Rahmen einer europäischen Friedensordnung für möglich und sinnvoll, aber dass Russland bisher kein Interesse gezeigt hat, versteht er gut: Putin hat politisch schon längst verloren.
Eurozine (Österreich), 14.03.2023

HVG (Ungarn), 09.03.2023

The Atlantic (USA), 01.05.2023

The Nation (USA), 04.03.2023

Viel Ehrgeiz hat die Journalistin und Krankenschwester Aviva Stahl in gerichtliche Auseinandersetzungen mit amerikanischen Gefängnisbehörden gesteckt, um Zugang zu Videos zu erhalten, die die Zwangsernährung von Häftlingen nach einem Hungerstreik in Hochsicherheitsgefängnissen zeigen. Als grausam, unmenschlich und schmerzhaft wertet sie die Behandlung: "Die Videos sind der Beweis dafür, dass die Gefängnisbehörde auf amerikanischem Boden heimlich Menschen foltert. Und was wir auf Video sehen, ist nur ein geringer Teil dessen, was im Hochsicherheitstrakt vor sich geht. Die speziellen Maßnahmen machen Transparenz und Verantwortung so gut wie unmöglich. Diese Videos mögen die Bedingungen im Trakt vielleicht nicht verändern - und wenn, würden wir das erst nach Jahren erfahren. Aber der Rechtsstreit darum, sie zu bekommen, wird ein wichtiges Präzedenzurteil werden."
Vanity Fair (USA), 13.03.2023

New York Magazine (USA), 14.03.2023

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