Magazinrundschau
Sprengen sich zwei Termiten in die Luft
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
26.10.2021. The Atlantic beobachtet, wie der Hedgefonds Alden Global Capital ungeniert Lokalzeitungen aussaugt. So mutig kann ungarisches Theater sein, staunt HVG über die neue Inszenierung von Béla Pintér. In Eurozine erklärt Myroslaw Marynowytsch den Unterschied zwischen russischen und ukrainischen Dissidenten. In der NYRB zeichnet Alma Guillermoprieto ein vernichtendes Porträt von Nicaraguas Daniel Ortega. Die London Review lernt, warum die Regierung im Libanon Auswanderer liebt. Der New Yorker bewundert Ohrwürmer mit zwei Penissen.
The Atlantic (USA), 01.11.2021

HVG (Ungarn), 26.10.2021

Eurozine (Österreich), 25.10.2021
Timothy Snyder
unterhält sich mit Myroslaw Marynowytsch, der gerade die "Memoiren eines ukrainischen Dissidenten" veröffentlicht hat. Sechs Jahre verbrachte er unter Breschnew in Lagerhaft. Dissident sein in der Ukraine war nicht ganz das gleiche wie Dissident sein in Moskau, erzählt er unter anderem. Zwar gab es überall Helsinki-Gruppen, aber in der Ukraine oder in den baltischen Staaten war mit der Dissidenz auch der Wunsch nach Souveränität verbunden. Eine Szene macht deutlich, warum: "Jedes Bestreben, das Ukrainische zu bewahren, wurde als die schwerste Sünde nationalistischer Ukrainer angesehen. Wenn zwei junge Männer - ganz zu schweigen von einer größeren Gruppe von Menschen - offen und ohne Hemmungen Ukrainisch sprachen, wurde das an sich schon als Rebellion empfunden. Ich kann mich noch gut an die strengen Blicke meiner Kiewer Mitbürger in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der Straße erinnern. Sie versuchten, sich von uns zu distanzieren, weil sie Angst hatten."

New York Review of Books (USA), 25.10.2021

Aktualne (Tschechien), 24.10.2021

London Review of Books (UK), 25.10.2021

New Statesman (UK), 21.10.2021

Elet es Irodalom (Ungarn), 22.10.2021

Tablet (USA), 21.10.2021

Science (USA), 14.10.2021

New Yorker (USA), 01.11.2021

Elizabeth Kolbert berichtet über das Insektensterben und was es für uns bedeutet. Der Insektenforscher David Goulson hat mit "Silent Earth: Averting the Insect Apocalypse" das Buch zum Thema geschrieben: "Goulson beklagt, dass viele Menschen Insekten für Schädlinge halten. Er möchte, dass die Leser erkennen, wie erstaunlich sie wirklich sind, und beginnt seine Kapitel mit Profilen sechsbeiniger Wesen. Die männlichen Vertreter vieler Arten von Ohrwürmern haben zwei Penisse. Werden sie während der Paarung gestört, knicken sie den in Verwendung einfach ab und flüchten. Weibliche Juwelenwespen stechen ihre Beute - große Kakerlaken -, um eine zombieartige Trance hervorzurufen. Dann kauen sie die Antennenspitzen der Kakerlaken ab, führen die verblüfften Kreaturen an den Stümpfen zurück in ihre Höhlen und legen ihre Eier darin ab. Ältere Termiten der Art Neocapritermes taracua entwickeln an ihrem Hinterleib Taschen, die mit kupferreichen Proteinen gefüllt sind. Gewinnt ein Eindringling im Kampf die Oberhand, sprengen sich die Termiten in die Luft, um die Kolonie zu schützen, eine Praxis, die als selbstmörderischer Altruismus bekannt ist. Die Proteine reagieren mit Chemikalien, die in ihren Speicheldrüsen gespeichert sind, und werden zu hochtoxischen Verbindungen … Aber Insekten sind auch lebenswichtig … Sie unterstützen einen überwiegenden Teil der terrestrischen Nahrungsketten, sind die fleißigsten Bestäuber des Planeten und wichtige Zersetzer."
Und in einem anderen Artikel untersucht Parul Sehgal, wie Amazon und Kindle Direct Publishing (K.D.P.) den Roman zur Instant-Ware degradieren: "Die Plattform bezahlt den Autor nach der Anzahl der gelesenen Seiten, was einen starken Anreiz für dauernde Cliffhanger schafft und dafür, möglichst schnell möglichst viele Seiten vollzuschreiben. Der Autor wird dazu gedrängt, nicht nur ein Buch oder eine Serie zu produzieren, sondern etwas, das einem Feed gleicht - was Mark McGurl (in seinem Buch 'Everything and Less: The Novel in the Age of Amazon', d. Red.) eine 'Serienserie' nennt. Um die Werbealgorithmen von K.D.P. vollständig nutzen zu können, muss ein Autor laut McGurl alle drei Monate einen neuen Roman veröffentlichen. Um bei dieser Aufgabe zu behilflich zu sein, gibt es schon Regalmeter von Lehrbüchern, darunter Rachel Aarons '2K to 10K: Writing Faster, Writing Better, and Writing More of What You Love', das dazu anleitet, einen oder zwei Romane pro Woche auszuspucken. Obwohl sich K.D.P. vor allem um Quantität sorgt, stellt es auch gewisse idiosynkratische Standards auf. Amazons 'Guide to Kindle Content Quality' warnt den Autor vor Tippfehlern, 'Formatierungsproblemen', 'fehlenden oder enttäuschenden Inhalten' und nicht zuletzt vor 'Inhalten, die kein angenehmes Leseerlebnis bieten'. Literarische Enttäuschung hat zweifellos immer gegen den vermeintlichen Vertrag mit dem Leser verstoßen, doch in Bezos' Welt ist das buchstäblich gemeint. Der Autor ist tot, es lebe der Dienstleister."
Weitere Artikel: Olufemi O. Taiwo macht Kolonialismus und Kapitalismus für den Klimawandel verantwortlich und fragt, warum die Politik so wenig dagegen tut. Peter Schjeldahl schwärmt von der Surrealismus-Ausstellung im Metropolitan Museum in New York. Anthony Lane sah im Kino Wes Andersons "The French Dispatch". Alex Ross hörte Jonas Kaufmann in der Carnegie Hall.
Kommentieren