Magazinrundschau
Flieg erst mal los
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
The Atlantic (USA), 01.02.2021
Weitere Artikel: Arun Venugopal erzählt, wie Inder in Amerika von einer Problemminderheit zu einer Vorbildminderheit wurden - und das nicht nur durch eigenes Zutun: "Einwanderer aus Indien, bewaffnet mit Hochschulabschlüssen, kamen nach dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung und profitierten von einem Kampf, an dem sie nicht teilgenommen oder ihn gar miterlebt hatten. Sie bahnten sich ihren Weg nicht nur in die Städte, sondern auch in die Vorstädte und wurden im Großen und Ganzen leichter akzeptiert als andere nicht-weiße Gruppen." Und Ed Yong schildert die Arbeit der Wissenschaft in der Coronakrise, die viele Missstände aufgedeckt hat.
En attendant Nadeau (Frankreich), 26.12.2020
Es gibt ein sehr lesenswertes Interview mit Soltész in Jadu, einem Online-Magazin des Goethe-Instituts. Soltesz erzählt da im Gespräch mit Nataša Holinová die tragische Geschichte seiner ungarisch-slowakisch-jüdischen Familie und, wie er kurz vorm Mauerfall Asyl in Deutschland bekam und einen recht positiven Eindruck hatte: "Nach ungefähr einem halben Jahr hat die Polizei meine Hauswirtin furchtbar erschreckt. Eines Abends standen sie vor der Tür und fragten nach mir. Ich sah schon vor meinem inneren Auge, wie sie mich abschieben, aber sie kamen, weil irgendein ungarischer Tourist einen Autounfall hatte und sie ihn befragen wollten. Sie hatten gehört, dass ich Ungarisch spreche und auch ganz gut Deutsch und baten mich höflich, ob ich nicht dolmetschen kommen könnte. Wunderlich war, dass sie mir nach dem Dolmetschen ein relativ hohes Honorar zahlten. Ich sagte, dass ich Asylbewerber sei und nicht arbeiten dürfe. Die Polizisten lachten und sagten: 'Für uns schon'."
London Review of Books (UK), 07.01.2021
Meehan Crist erklärt, wie sich James Lovelock, der Begründer der Gaia-Hypothese, die Bewahrung der Welt vor der Klimakatastrophe vorstellt. Lovelock zufolge ist die Erde ein sich selbst regulierender Organismus und im "Novazän" wird Gaia, so seine neueste Theorie, einen dritten evolutionären Sprung vornehmen - nach der Entwicklung der Photosynthese und der Erfindung der Dampfmaschine: "Superintelligente Cyborgs werden die Kontrolle über den erhitzten Planeten übernehmen und ihn herunterkühlen, so dass Leben auf der Erde gesichert wird. Dafür muss Gaia eine weitere Wandlung erleben... Im Novazän wird Solarenergie in Information umgewandelt. Diese Konversion von Sonnenlicht in Bits wird von Cyborgs ausgeführt."
168 ora (Ungarn), 26.12.2020
Merkur (Deutschland), 04.01.2021
Im Heft schreibt zudem Aleida Assmann einmal mehr über den Streit um Achille Mbembe und die BDS-Resolution des Bundestags, aber auch über die erweiterte Antisemitismus-Definition, die die Bundesregierung von der International Holocaust Remembrance Alliance übernommen hat, und zwar in einer Fassung, die auch Kritik an Israel mit einschließen kann, wie Assmann moniert: "Insgesamt hat die Verlagerung des Schwerpunkts der Antisemitismus-Bekämpfung durch BDS und IHRA dazu geführt, dass das Bedrohungspotential inzwischen weniger im rechtsradikalen Spektrum als im Milieu von linken und liberalen Intellektuellen gesucht wird." Assmann antwortet in dem Artikel auch auf einen Essay von Perlentaucher Thierry Chervel zur Mbembe-Debatte.
Mit dem in jeder Hinsicht an Selbstbetrug grenzenden Humboldt-Forum wird der Historiker Jürgen Große nicht so bald seinen Frieden machen, wie er in einem Rückblick auf dreißig Jahre Rekonstruktionsdebatte deutlich werden lässt: "Nähert man sich dem Schlossbau von Osten, dann stößt man auf andere, wohl ähnlich ungewollte Macht-Kultur-Ambivalenzen. 'Humboldt Forum' ist dort in prekärer Orthografie zu lesen. Doch ausgerechnet die östliche, angeblich zu Stadt und Bürgerschaft 'geöffnete' Fassade huldigt mit ihren schießschartenartigen Fenstern dem italienischen razionalismo. Dieser typische Stil der faschistischen Epoche kontrastiert dem wilhelminischen Neubarock des Berliner Doms, der nördlich anschließt. Funktionalität moderner Machtstaatlichkeit neben flügelschlagendem Engelsvolk! Schweift der Blick weiter südwärts, ergibt sich baustilistisch ein harmonischer Effekt. Dort nämlich zeichnen sich die Umrisse des einheitsdeutschen Außenministeriums ab. Einer der Hausherren hatte die gewaltstaatliche Vergangenheit des Amts erforschen lassen. Dessen steinerne Hülle jedoch zeigt eines der klarsten Bekenntnisse zu Albert Speer, die im neuen Berlin entstanden sind."
Grubstreet (USA), 28.12.2020
Dass Nudeln ab März 2020 kaum mehr zu haben waren, ist weder eine neue Erkenntnis, noch sonderlich erstaunlich. Dass De Ceccos Bucatini-Nudeln - also die etwas dickere Spaghetti-Variante, die dank eines Lochs in der Mitte wahre Saucensauger sind - in den USA auch nach der triumphalen Rückkehr der Nudeln in die Supermarktregale weiterhin vermisst wurden, hat Rachel Handler dann aber doch aufmerken lassen. Ihre Recherchen waren hartnäckig, lesen sich äußerst kurzweilig und decken schließlich eine Posse aus der Nudelwelt auf: Wie sich zeigt, müssen Nudeln in den USA - anders als in der EU - mit zusätzlichen Nährstoffen angereichert werden und die importierten Bucatini reißen den geforderten Eisenwert mal geradeso um Haaresbreite, was die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel zum Äußersten trieb. Hat die mitten im Stress mit den Corona-Impftests denn nichts besseres zu tun als irgendwelche Nudeln zu testen und aus dem Verkehr zu ziehen? Eine Quelle namens Carl erklärt, dass Nudeln in den USA schon immer ein schwer umkämpftes Produkt waren: "Etwa zur Zeit des Zweiten Weltkriegs war die etablierte Nudelindustrie (im folgenden 'Big Pasta' genannt) 'besorgt' über die Martkeintritt von Nissins Ramen-Nudeln, die 'völlig jenseits der Spezifikationen' dessen liegen, was die USA als Nudeln anerkannte. ... Big Pasta drängte darauf, dass sämtliche Nudeln gewissen Spezifikationen entsprechen müssen, um als 'angereicherte Maccaroni-Produkte' und damit für den US-Handel anerkannt zu werden." Was De Cecco, die Behörden und die Bucatini-Nudeln betrifft, hat Carl "eine faszinierende Theorie: 'Das klingt alles so, als ob irgendwer unglücklich damit ist, dass De Ceccos Produkt auf dem Markt ist. Also hat er es sich genauer angesehen und bemerkt, dass es den Standards nicht entspricht. Die Behörden halten nach so etwas üblicherweise nicht Ausschau. Die haben besseres zu tun.' Aufgeregt von diesem ganzen 'There will be Blood'-Drama kontaktierte ich eine Quelle mit Einblick in die rechtlichen Abläufe und genauem Wissen, was sich hinter den Kulissen von Big Pasta abspielt. Die Quelle, die ich Luigi nennen will, aber völlig anders heißt, bekräftigte Carls Verdacht: 'Die Behörden sind ziemlich lahm, wenn es darum geht, gerissenen Standards nachzugehen. Ich vermute, dass ein Mitbewerber erheblichen Druck ausgeübt hat. Zwar kann so etwas auch auf andere Weise geschehen, aber damit die Behörden tatsächlich Ressourcen für so etwas aufwenden, muss schon jemand erheblichen Einfluss spielen lassen.'"
La vie des idees (Frankreich), 04.01.2021
Quillette (USA), 03.01.2021
Cesky rozhlas (Tschechien), 03.01.2021
New Yorker (USA), 11.01.2021
Ferner: Anthony Lane stellt uns Andrei Kontschalowskis Film "Liebe Genossen!" über das Massaker von Nowotscherkassk vor. Und Lawrence Wright untersucht die Versäumnisse im Umgang mit der Pandemie.