Magazinrundschau

An die eigenen Prügel gewöhnt

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
12.06.2018. Der New Yorker will nicht mehr über Privatsphäre reden, wenn es um Datenschutz geht, sondern über Freiheit. Binge-Watching funktioniert auch umgekehrt, lernt das New York Magazine beim Datenfresser Netflix. In Ceska pozice ahnt Mark Lilla, warum Amerikas Linke an Kraft verliert. Und La vie des idées blickt auf die Justiz als Schauertheater. epd-Film denkt über politische Korrektheit im Kino nach. Und Le Monde diplomatique lernt beim Truppenbesuch in Mali, dass die Welt aus einem Panzerfahrzeug weder Unschuld noch Anmut besitzt.

New Yorker (USA), 18.06.2018

In der aktuellen Ausgabe des New Yorker fragt Louis Menand anlässlich neuer EU-Datenschutzegeln, warum wir eigentlich über "Privatsphäre" sprechen, wenn es um den gebrauch persönlicher Daten geht: "Vielleicht handelt es sich um den falschen Begriff. 'Privatsphäre' ist ein komisches Wort für das durch kommerzielle Ausbeutung und staatliche Überwachung bedrohte Gut. Es suggeriert, dass das, worum es geht, niemanden etwas angeht, und das ist nicht wirklich, worum es sich bei den EU-Regelungen dreht. Das wahre Anliegen ist die Freiheit. Die Freiheit, über seinen Körper zu entscheiden, wer unsere persönlichen Daten sieht, unsere Bewegungen und Anrufe - einfach wer unser Leben überwacht und zu welchem Zweck. Die Gefahr des Datensammelns durch Online-Firmen besteht nicht darin, dass sie es benutzen, um uns etwas zu verkaufen, sondern darin, dass die Daten so leicht in die Hände von Leuten gelangen können, die weniger harmlos agieren, eine Regierung etwa … Es könnte sein, dass wir alle unsere Anfälligkeit für Verfolgung unterschätzen. Vielleicht sprechen wir ja nur über Bodenbeläge (wie jenes Paar in Oregon, dessen privates Gespräch Amazons Echo aufzeichnete und willkürlich versendete). Aber Behörden, die auf die Gnade des Präsidenten oder ein desinteressiertes Justizministerium hoffen, könnten sich ermutigt fühlen und ihre Hemmungen verlieren, wenn es um anderer Leute Privatangeleiten geht, sobald diese Leute einer Gruppe angehören, die die Regierung als unpatriotisch oder unerwünscht gebrandmarkt hat. Derzeit haben wir eine Regierung, die genau das macht."

Außerdem: George Packer porträtiert Obamas Redenschreiber Ben Rhodes. D. T. Max schaut "Skam" eine neue Teen-TV-Serie, die auf Facebook-Posts basiert. Und Rebecca Mead berichtet von den Färöer Inseln, wo es ungeahnte Gaumenfreuden zu entdecken gibt.
Archiv: New Yorker

New York Magazine (USA), 10.06.2018

In der aktuellen Ausgabe des Magazins schildert Josef Adalian, wie Netflix gerade Hollywood leerkauft und mehr produziert als jeder andere Sender und auch, warum das so prima funktioniert: Big Data heißt das Zauberwort: "Netflix nennt die Gruppierung ähnlicher Programme 'Vertikale' - superspezifische Genres wie Comedies für junge Erwachsene oder Romanzen aus bestimmten Epochen. Traditionelle Sendeanstalten, die auf ein breites Publikum zielen, versuchen ihr Programm auch mit Shows verschiedenster Kategorien zu füllen: HBO bringt alles, von der Comedie-Satire bis zum Sci-Fi-Thriller. Was Netflix davon unterscheidet, ist die Menge an Kategorien, die dort mit Inhalten gefüllt werden. Um den Erfolg einer Sendung zu beurteilen, prüft Netflix die Menge der Zuschauer und ob die Sendung kosteneffektiv ist, aber auch, ob sie sich gut über verschiedene Vertikale verkauft. Letzteres bedeutet, die Serie erreicht ein größere Zahl an 'Bestandsgruppen'. Wenn Vertikale bei Netflix ausschlaggebend dafür sind, was produziert und eingekauft wird, helfen Geschmacksgruppen herauszufinden, wie Mitglieder mit der Programmgestaltung interagieren … Anstatt Mitglieder nach Alter oder Aufenthaltsort zusammenzufassen, verfolgt Netflix ihre Sehgewohnheiten und konnte so 2.000 Mikro-Cluster identifizieren. Geschmacksgruppen sind Netflixes Äquivalent für die demografischen Erhebungen werbefinanzierter Sender, nur weiter entwickelt. Weil ihr Geschäftsmodell auf der Befriedigung der Werbekunden basiert, verlassen sich Sender wie NBC oder Lifetime auf die Demografie - Frauen unter 35, Männer von 25 bis 54, Afroamerikaner zwischen 18 und 49 - um sicherzustellen, dass ihre Sendungen auch mit der vom Werbekunden begehrten Zielgruppe korrelieren."

In einem anderen Artikel erzählt Reeves Wiedemann vom fantastischen, aber schwindenden Erfolg des Vice-Magazines und seines Gründers Shane Smith: "Während die enorme Wertsteigerung des Magazins Smith ein Luxusleben erlaubte, sah es für die Angestellten anders aus … Eine Führungskraft des Magazins fasst es so: Bei Vice verfahren wir nach Regel 22: Stelle nur 22-Jährige an, zahle ihnen 22.000 Dollar Jahresgehalt und lasse sie 22 Stunden am Tag schuften."

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 15.06.2018

Reporterin Charlotte Wiedemann berichtet von ihrem Besuch bei der Bundeswehr in Mali, wo sie nicht nur Einblicke in die Bürokratie von Camp Castor bekam, sondern auch lernte, die Welt aus den Fenstern eines Militärfahrzeugs wahrzunehmen: "In einem solchen Gefährt, hochrädrig und tonnenschwer, wird alles draußen zur potenziellen Gefahr, alles hat Unschuld und Anmut nur auf Vorbehalt; die Teichrosen mit weißen Blüten auf langgereckten Hälsen, die zierlichen Wasservögel. In den Reisfeldern stehen Vogelscheuchen, bekleidet mit zerrissenen Bubus; wem drohen sie? Die Route der Patrouille führt entlang von Bezeichnungen, die den Menschen, die hier leben, unbekannt sind. Das Militär legt seine eigene Kartografie über fremde Erde, macht daraus ein Gebiet, das sich erfassen und kontrollieren lässt. Point X und Point Y sind codiert mit ihrem jeweiligen Grad an Gefährlichkeit."

Comic und Film waren von Anfang an die Medien des demokratischen Kapitalismus, schreibt Georg Seeßlen in einer kurzen Geschichte der niederen Kultur, und beide tragen das Wild-Anarchische wie das Disziplinierende in sich: "Eine vielleicht nicht allzu verwegene These: Die kapitalistisch-demokratische Moderne benötigt noch vor den Inhalten die Wahrnehmungstechniken von Comic und von Film zur Einübung der notwendigen Dynamik. Comics und Filme entsprechen nicht nur der zweiten Industrialisierung, dem Fordismus, sie schaffen auch eine ästhetische Grundlage dafür. Donald Duck und Laurel & Hardy bekommen nicht nur Prügel, wie Theodor W. Adorno missmutig anmerkt, damit sich das Publikum an die eigene Prügel gewöhnt, sie lernen auch, sich im Tempo der neuen Zeit zu bewegen, oder zeigen, wie man dabei scheitern kann, um sogleich wieder aufzustehen und weiterzumachen. Comics und Filme waren auch deshalb so notwendig, weil sich die bürgerliche Kunst der technischen und ökonomischen Modernisierung der Lebenswelt weitgehend entzog. Sie erstarrte, zum Beispiel in der Abstraktion, auf grandiose Weise, sie löste sich von Konventionen und Traditionen, aber der Teil von ihr, der den Blick auf Fabriken und Maschinen, auf Verkehr und Massen, auf Kaufhäuser und Straßenszenen, auf Proletariat und Entwurzelte richtete, wurde vom klassischen bürgerlichen Publikum hochnäsig abgewertet."

Weiteres: Tigrane Yegavian blickt auf die Protestbewegung in Armenien, die den charismatischen Nikol Paschinjan an die Regierung gebracht hat. Jean-Arnault Dérens und Laurent Geslin erzählen vom großen Exodus aus dem westlichen Balkan. Und mehrere Texte befassen sich mit Donald Trump, seiner Sanktionspolitik und dem Gipfeltreffen mit Kim Jong Un.

Ceska pozice (Tschechien), 10.06.2018

Der Linksliberalismus verzettelt sich in Demonstrationen und Protestbewegungen (darunter #BlackLivesMatter und #MeeToo), anstatt konkret um die politische Macht zu kämpfen, befürchtet der Ideengeschichtler Mark Lilla in einem spannenden Gespräch mit Přemysl Houda über das zerrisene Amerika. Die Spaltung sei keine der sozialen Klassen, sondern eine kulturelle Spaltung: "Es ist tragisch, dass die Liberalen im Grunde fast nichts über die Konservativen wissen. Sie wissen nicht, wie die Leute leben, die regelmäßig in die Kirche gehen, was diejenigen denken, die ihre Kinder zur Armee schicken. Das interessiert sie auch gar nicht." Den Einwand des Interviewers, auch die Konservativen wüssten doch nichts über die Liberalen, lässt Lilla nicht gelten. In den Medien etwa seien die Liberalen wesentlich präsenter: "Was glauben Sie, wie oft Sie in amerikanischen Fernsehsendungen einen Südstaatenakzent hören? Fast nie - dabei lebt jeder vierte Amerikaner im Süden. Und wie viel erfahren Sie in Film und Fernsehen über die Evangelikalen? Im Grunde nichts, und doch ist jeder fünfte Amerikaner ein Evangelikaler." In den USA würden sich derzeit zwei Revolutionen gleichzeitig abspielen: "Die eine ist politisch und wird von Donald Trump und den Anhängern seiner populistischen Politik verkörpert. Die andere ist kulturell und vollzieht sich in Kämpfen um Toleranz, Gleichberechtigung und so weiter." Das Problem der Liberalen sei, dass sie nicht erkennen, dass sie nur kulturell siegen können, wenn sie auch politisch siegen. Protestmärsche und andere gesellschaftliche Aktionen hätten vielleicht einen Effekt, wenn die Demokraten in der Regierung säßen, aber Republikaner interessierten sich dafür kein bisschen.

 

Archiv: Ceska pozice

epd Film (Deutschland), 12.06.2018

Für epdFilm umkreist Georg Seeßlen das Thema "Political Correctness im Kino" (beziehungsweise im Diskurs über das Kino) und fügt Thema einige wichtige Ambivalenzen und Schattierungen hinzu: Seeßlen ist gleichermaßen Fürsprecher wie Kritiker gesellschaftlich-achtsamer Rhetorik und Gesten. Unter anderem kommt er auch auf den Jubel zu sprechen, der allenthalben ausbricht, wenn sich ein Blockbuster gesellschaftlich geläutert zeigt: "Ein bloßes Umschreiben von Heldenrollen funktioniert nicht. Aus den 'Ghost Busters' Frauen zu machen, zeugte hauptsächlich davon, dass der Witz der ursprünglichen Geschichten nicht verstanden werden konnte. Umgekehrt kann ein 'Ocean's'-Film mit weiblicher Besetzung eine gute Idee sein, weil es eine ganz eigene Geschichte zu erzählen gibt. Weibliche (Super-)Helden sind okay, wenn sie wie 'Wonder Woman' ihre eigene Geschichte haben, einen weiblichen James Bond aber braucht man so dringend wie eine männliche Version von 'Buffy the Vampire Slayer' ... Hollywood ist nicht politisch korrekt, Hollywood ist marktorientiert. Wenn der Markt nicht mehr von weißen heterosexuellen angelsächsischen Männern dominiert wird, dann ändern sich auch die Inhalte. Die Frage ist nur, tun sie es allein auf der Besetzungsoberfläche (ein chauvinistischer Held ist ein chauvinistischer Held, egal welche Hautfarbe und welches Geschlecht er oder sie hat), oder tun sie es in einer emanzipatorischen Form, also im Hinblick auf eine je eigene Geschichte. Disney will mit den neuen 'Star Wars'-Filmen nicht die Welt besser machen, Disney will Actionfiguren auch an Mädchen und an dunkelhäutige Kids verkaufen. Auf der anderen Seite geht der Wandel in den Disney-Filmen tief genug, um wirkliche Veränderungen der Heldenrollen zu gewähren. Nur mit PC hat das alles eher wenig zu tun, it's the economy, stupid."
Archiv: epd Film

Lidove noviny (Tschechien), 10.06.2018

Einer der großen Collage-Künstler des letzten Jahrhunderts war Jiří Kolář, der immer auch Strömungen der tschechischen Avantarde wie des Surrealismus und des Poetismus verkörperte. Die Prager Nationalgalerie widmet ihm jetzt die große Ausstellung "Die Fratze des Jahrhunderts" im Palais Kinský.Jiří Machalický bewundert die Vielfalt von Kolářs Techniken: Er schlachtete Bücher aus, zerschnipselte Landkarten und schuf aus den verworfenen Gedichten in seinem Papierkorb wahre Knüllschöpfungen. Beeindruckend sei auch Kolářs künstlerische Verarbeitung des Jahres 1968 (das mit dem Prager Frühling und dem Einmarsch der Russen bei den Tschechen ganz andere Erinnerungen heraufbeschwört als in westlichen Ländern). Mit den "Transparenten" reagierte Kolář etwa auf die Vorwürfe offizieller Stellen, sein Werk sei nicht "engagiert", indem er an Stöcken Textilien wie Herren- und Damenunterwäsche zusammenstückelte und sie mit aufgestickten Slogans versah. Die ganze Ausstellung, so Machalický, zeige wunderbar einen von Kolářs wesentlichen Grundgedanken, dass nämlich alles sich durchdringe und überschneide und dass jede Zeit auf gewisse Weise mit der vorhergehenden oder nachfolgenden zusammenhänge.
Archiv: Lidove noviny

La vie des idees (Frankreich), 11.06.2018

Fanny Arama stellt eine Studie der Historikerin Anne Carol vor, die sich mit der Todesstrafe in Frankreich beschäftigt: "Au pied de l'échafaud. Une histoire sensible de l'exécution". Carol will darin zeigen, dass die öffentliche Vollstreckung der Rechtsprechung lange Zeit als großes Schauertheater diente. "Au pied de l'echafaud' nimmt die Todesstrafe in ihrer rituellen Dimension in den Blick, die mit psychologischer Wucht zur moralischen Erbauung der ganzen Gesellschaft beitragen sollte. Aber auch und vor allem in ihrer ganz pragmatischen Dimension: Anne Carol analysiert den Ablauf minuziös und von Seiten aller Beteiligten, um sich der Realität der Hinrichtung sinnlich zu nähern, ihre Dauer erfahrbar zu machen, ihr Tempo, ihre entscheidenden Momente. So rekonstruiert sie die Komplexität der Bewegungen, die Manipulationen, die Spannung und die physische Belastung, die eine Exekution mit sich brachte, und bewertet dann die körperlichen und emotionalen Auswirkungen auf alle Beteiligten. Keiner der Momente, den der Verurteilte durchmachen muss, bleibt dem Leser erspart. Ziel ist, diese 'menschliche Krisenerfahrung, die eine Exekution ausmacht, zu teilen."

The Nation (USA), 02.07.2018

Schon ab den 1940er Jahren wurden im Süden der USA über Multikulturalismus diskutiert, lernt der Historiker Robert Greene von Anders Walkers Geschichte "The Burning House: Jim Crow and the Making of Modern America". Dabei machte es einen großen Unterschied, ob schwarze Schriftsteller Schriftsteller wie Zora Neale Hurston und James Baldwin aus einem emanzipatorischen Ethos heraus argumentierten oder liberale Weiße wie William Faulkner und Robert Penn Warren: "Das galt besonders für Warren, der in der kulturellen Kraft des Südens den Beweis sah, dass die Region ihr Jim-Crow-System nur reformieren müssten, um es zu überwinden, und nicht komplett revolutionieren. Andere Schriftsteller wie Faulkner vertraten ähnlich die Auffassung, dass der Süden dem Rest des Landes überlegen war, eben wegen seines Systems zweier Kulturen, das aus Jim Crow resultierte. Walker ist nicht besonders zimperlich, wenn es um diese weißen Intellektuellen geht. Ihre Argumente für eine zweifache Kultur diente letztlich den weißen Südstaatlern, nicht den schwarzen, und Walkers Geschichte dreht sich um genau die Unhaltbarkeit dieser Position. Weiße liberale Südstaatler mussten sich entscheiden zwischen Bürger- und Menschenrechten auf der einen Seite und einem weißen Herrenmenschen-System auf der anderen, dazwischen gab es nichts. Indem Autoren wie Warren versuchten, den bikulturellen Charakter des Südens in einem Kontext zu bewahren, in dem schwarze Amerikanier nicht gleichberechtigt waren, halfen sie am Ende nur, diesen ungleichen Status im Süden zu verstärken."
Archiv: The Nation

New York Review of Books (USA), 28.06.2018

Jeremy Waldron sieht keineswegs die Meinungsfreiheit auf dem Campus in Gefahr. Denn es geht ja nicht nur darum, 'Schneeflöckchen' vor anderen Standpunkten zu schützen, sondern die Auftritte von Rassisten oder Alt-Rightern zu verhindern. Und es könne ruhig immer ein bisschen laut werden, wenn junge Leute protestieren. Dennoch fragt er sich, ob die Universitäten ein Ort demokratischer Bildung sein können, als der sie oft so feierlich beschworen werden: "Gemeinschaftskunde mag ihren Platz an weiterführenden Schulen haben, aber sie gehört nicht ans College. Sigal Ben-Porath schreibt, dass 'StudentInnen ans College kommen, um zu lernen, und das gemeinsame Lernen - von Geschichte, Biologie oder Französischer Literatur - erfordert die Einhaltung von wissenschaftlicher Praktiken'. Im Chemie-Labor gibt es nicht viel zu diskutieren über Meinungsfreiheit. Aber Ben-Porath belässt es nicht dabei, sie fügt hinzu, dass es immer ein Element demokratischer Erziehung gebe, weswegen es sinnvoll sei, Dozenten am College zu haben, die StudentInnen auf ein politisches Leben vorbereiten. John Palfrey sagt Ähnliches über das College: 'Wir lehren nicht nur Mathematik, Wissenschaft, Lesen und Schreiben, Sprachen, Künste und andere akademische Fächer an unseren Universitäten. Wir lehren auch Charakter und moralische Entwicklung.' Die Idee dahinter ist eher, dass der demokratische Charakter aus der Art erwächst, wie ein Fach unterrichtet wird. Aber ist das eine realistische Erwartung? Warum sollte Toleranz die Tugend sein, die aus dem intensiven Studium der Trigonometrie erwächst? Warum nicht Skepsis oder Selbstvertrauen, eine Art angelernte Überlegenheit oder der Anspruch auf Privilegien? Man muss nicht aufs College gehen, um ein guter Bürger zu werden."

In der heutigen Türkei leben Trans-Menschen gefährlich, unter den Osmanen jedoch waren sie weithin akzeptiert erinnert uns Kaya Genc. In der osmanischen Dichtung wurden schöne Jungen, Muezzine und Schlachter besungen, ohne Rücksicht auf Klasse oder Geschlecht: "Der Osmanische Hof, der Frauen das Tanzen auf der Bühne verbot, ließ sich von männlichen Crossdressern unterhalten, Köçeks genannt, die am Hof des Sultane aufgezogen wurden, um in weiblichem Ornat aufzutreten, bis sie ihre jugendliche Schönheit verloren... Nach Reşat Ekrem Koçu, einem bekannten Stadthistoriker, hatte jede Taverne ihren eigenen Köçek. 'Einige kamen von den griechischen Inseln, vor allem von Chios; andere waren Zigeunerjungen, die in Derwisch-Klöstern aufgezogen wurden.' Die Namen der Jungen sind heute vergessen, doch ihre Künstlernamen haben überlebt. Der bekannteste von ihren war Ismail der Sommersprossige. Andere hießen Ägyptische Schönheit, Kanarienvogel oder Mondlicht."