Magazinrundschau

Frischfleisch!

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
02.01.2018. In 168 ora sucht Peter Nadas nach Gründen für die Brutalität Budapests. Für Literary Hub suchen Margaret Atwood und Andrew O'Hagan die Realität im Internet. Bloomberg recherchiert die Realität der Reinigungskräfte in amerikanischen Fleischfabriken vor Ort. Die New York Times recherchiert die Realität von Frauen in den Werkstraßen des Autobauers Ford. Jacobin outet die Gangster im ANC. Der New Yorker resümiert, wie sehr China die USA als Weltmacht bereits verdrängt hat.

New York Review of Books (USA), 18.01.2018

Der palästinensische Autor und Anwalt Raja Shehadeh erzählt ausführlich, wie das Land in Palästina zunächst von der britischen Kolonialverwaltung und dann vom israelischen Staat palästinensischen Bauern weggenommen und dann dem Staat beziehungsweise Siedlungen in der West Bank zugeschlagen wurde. Diese Entwicklung hat sich laut Shehadeh, der in der West Bank lebt, in den letzten Jahren nochmals verschärft: "Straßen sind gebaut worden, die Palästinenser nicht benutzen dürfen. Wenn ich heute in der Hügeln der Westbank umherstreife, gelte ich in den meisten Fällen als einer, der das Land unerlaubt betreten hat. Die Einzäunung des Landes führt zu einem System der Diskriminierung in Bezug auf die natürlichen Ressourcen Land und Wasser, das der Apartheid nahe kommt. Wo früher eine Interaktion zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen möglich war, leben diese nun komplett getrennte Existenzen in dem kleinen Raum, der für sie ungleich aufgeteilt ist."

168 ora (Ungarn), 21.12.2017

Der Schriftsteller Péter Nádas denkt im Neujahrsinterview über die Stadt Budapest und den schwierigen Prozess der Modernisierung in Ungarn nach: "Die Vielfältigkeit Budapests spiegelt die Brutalität der Stadt wider. Budapest wurde so gebaut, brutal. Es gibt sanfte und brutale Städte. New York ist brutal, Amsterdam zum Beispiel nicht. Budapest ist immer noch eine konfuse, aggressive Stadt. Das liegt daran, dass in den fünfziger Jahren ihre natürliche soziale Schichtung eliminiert und diese seitdem nicht wieder hergestellt wurde. Die Stadt hat keine Bürger, nur Einwohner. (...) Das tiefe Modernisierungsbedürfnis, welches die ungarische Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert kennzeichnet, war ohne Bürgerschaft nie ausführbar und so konnte keiner der Modernisierungsprozesse abgeschlossen werden. In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends erlitt die Modernisierung erneut, zum dritten Mal Schiffsbruch. (…) Sicherlich wollte sich eine Mehrheit der Staatsbürger und der politischen Parteien der Nato und später der Europäischen Union anschließen. Modernisierung aber bedarf vor allem des Kapitals und erfahrener Investoren. Ohne Bürger, die über Eigentum und Investitionserfahrung verfügen, kann nirgends eine lebensfähige liberale Demokratie aufgebaut werden. Und wenn es keine Demokraten gibt oder sie in der Minderheit sind, wird die Rechtsordnung der Demokratie zusammenbrechen."
Archiv: 168 ora

Literary Hub (USA), 21.12.2017

LitHub dokumentiert ein langes Gespräch, das die Autoren Margaret Atwood und Andrew O'Hagan beim Vancouver Writers Festival führten. Thema war "Der Schriftsteller in der Welt" und es ging um Trump, die Zukunft und - vor allem - das Internet. O'Hagan, geboren 1968, ist einfach geschockt, in welchem Ausmaß es die jüngere Generation bereits geprägt hat: "Als ich in London lehrte stellte ich fest, dass meine Studenten absolut kein Interesse hatten mit dem Bus zu fahren und den Gesprächen der Leute zu lauschen oder überhaupt im hergebrachten Sinne zu recherchieren. Ihre Vorstellung von Recherche war, Ereignisse zu googeln. Sobald man sie bat etwas zu überprüfen, holten sie ihre Laptops raus. Die Vorstellung, mit Frauen über spezielle Probleme zu reden oder in eine Fabrik zu gehen und mit den Gewerkschaftern zu reden, war ihnen fremd. Sie wussten nicht, warum sie das hätten tun sollen. Jemand hatte doch bereits darüber geschrieben und es ins Netz gestellt. In die Augen der Menschen zu gucken und nach Schattierungen und Unterschieden zu suchen, kam ihnen nicht in den Sinn. Ich finde das seltsam. Für sie ist die Realität nicht so wirklich wie für mich."
Archiv: Literary Hub

La vie des idees (Frankreich), 22.12.2017

Das Thema ist nicht ganz neu, aber in dieser Ausführlichkeit doch selten resümiert. Um so deprimierender liest sich angesichts all der Zahlen die Ahmet Insel auch liefert, wie massiv und unrevidierbar die Säuberungen Tayyip Erdogans besonders im türkischen Bildungssystem sind. Diese Säuberungen haben sich seit dem Putschversuch von 2016 verschärft - sie hatten zwar schon vorher eingesetzt, doch seit 2016 hilft der nach wie vor geltende Ausnahmezustand, den "die Regierung auch dazu ausnutzt, ihre konservative Politik im Bildungswesen voranzutreiben. Das Projekt der Reislamisierung des öffentlichen Raums und des Bildungswesens schlägt sich seit 2012 vor allem in der Einrichtung von Gebetsstätten in allen Universitätseinrichtungen nieder, oft auf (ferngelenkte) Forderungen von Studenten. Sie setzt sich fort in einer Vervielfachung von kulturellen Aktivitäten an den Universitäten, die religiösen Charakter haben. Die Regierung widmet sich nunmehr deutlich offener der islamisch-nationalen Umgestaltung des Gymnasial- und Universitätswesens. Flankiert wurde dieses konservative Projekt von der Niederschlagung sämtlicher Sympathie- oder Unterstützungsveranstaltungen für die pro-kurdische HDP und die Aufgabe aller Bestrebungen einer Integration in die EU."

London Review of Books (UK), 04.01.2018

Die Demokratische Partei in Amerika verrennt sich mit ihrer Fixierung auf russische Hacker-Angriffe, meint der Historiker Jackson Lears. Zum einen ist ihm die plötzliche Verehrung von CIA, NSA und FBI suspekt, die auch bisher keine Beweise, sondern nur eine "Einschätzung" erbracht hätten. Zum anderen findet er es politisch fatal: "Indem die Führung der Demokraten ausländische Dämonen für Trumps Aufstieg verantwortlich machen durfte, konnte sie die Schuld an ihrer Niederlage abschieben, ohne ihre eigene Politik in Frage zu stellen. Inmitten des allgemeinen Abscheus vor Trump gerierten sich demokratische Politiker als Dissidenten - nur wenige Tage nach den Wahlen gaben sich Clintons Anhänger das Label #the resistence. Mainstream-Demokraten nennen ihre Plattform jetzt progressiv, obwohl sie wenig mehr fordert als den Erhalt von Obamacare, etwas mehr Einkommensgerechtigkeit und den Schutz von Minderheiten. Dies ist eine recht zaghafte Agenda. ... Russiagate eröffnet den Partei-Eliten einen Weg, die Einigkeit der Partei gegen Trump voranzutreiben und die Anhänger von Bernie Sanders aus der Partei."

Patricia Lockwood sichtet Neues von und über Joan Didion. Griffin Dunnes Dokumentation "The Centre Will Not Hold" ist ihr zwar zu hagiografisch, aber sehenswert findet sie sie doch: "Es wirkt ganz wie eine Dokumentation, die ein Neffe über eine Tante machen würde, die nicht Joan Didion ist... Doch man merkt natürlich immer wieder, wie außergewöhnlich sie als Sujet ist. An einer Stelle fragt Dunne, was sie fühlte, als sie in Haight-Ashbury das fünfjährige Kind auf Acid sah. Es arbeitet erst in ihrem Gesicht, und man erwartet von ihr zu sagen: 'Es war furchtbar.' Stattdessen strahlt sie und sagt: 'Das war Gold wert.'"

Ganz hinreißend findet es Ferdinand Mount, von Craig Browns Band "Ma'am Darling" an die grässliche Prinzessin Margaret erinnert zu werden, die auch bei anderen Menschen nur das Schrecklichste zutage förderte: "Ihr Snobismus konnte barocke Ausmaße erreichen. Als ihr Mann einmal beinahe ihr Kleid in Brand gesteckt hätte und sagte: 'Das wäre nur gut gewesen. Ich hasse dieses Material', erwiderte Ihre Königliche Hoheit scharf: 'Ein Wort wie Material benutzen wir nicht. Wir sagen dazu Stoff.'"

Wired (USA), 02.01.2018

Werden künftig Algorithmen Schriftsteller dabei unterstützen, bessere Geschichten zu schreiben? Wired hat den Versuch gewagt und Stephen Marche eine SF-Kurzgeschichte unter den wachsamen Augen eines von den Forschern Adam Hammond und Julian Brooek entsprechend gefütterten Algorithmus schreiben lassen. Als Grundlage überreichte der Autor den beiden Forschern eine Sammlung von 50 SF-Kurzgeschichten, die sie mit dem Programm abglichen: "Dann schickten sie mir ein Set von 14 Regeln, die in einem Prozess namens 'Topic Modelling' erstellt wurden. Diese Regeln würden die Hauptthemen und -motive meines Texts bestimmen. Jetzt musste ich nur noch mit dem Schreiben beginnen. Hammond und Brooke richteten mir eine Online-Benutzeroberfläche ein, durch die mir ihr Algorithmus, genannt SciFiQ, bis in atomische Textbestandteile hinein mitteilen konnte, wie dicht jedes einzelne Detail meines Schreibens dem meiner 50 Lieblinge entsprach (ich spreche hier von Angaben wie 'Menge von Hauptwörtern pro 100 Wörter"). Wenn ich ein Wort oder einen Satz eintippte, der etwas zu weit von dem entfernt war, was SciFiQ vorschwebte, leuchtete die Benutzeroberfläche rot oder violett auf. Sobald ich den Stein des Anstoßes umformulierte, wechselte sie zurück zu grün."
Archiv: Wired

Novinky.cz (Tschechien), 27.12.2017

Der renommierte tschechische Fotograf Ivan Pinkava erzählt im Gespräch mit Igor Malijevský von seiner Begegnung mit Allen Ginsberg, den er 1990 porträtierte. "Er war zwar schon damals kein richtiger Beatnik mehr - als wir zusammen im Restaurant saßen, sorgte er sich zu meiner Überraschung vor allem darum, dass man ihm keine chemisch behandelte Zitrone in den Tee tat -, aber natürlich war es trotzdem ein tolles Erlebnis, mit ihm den Nachmittag zu verbringen. Er hatte auch Angst, jemand könnte ihm aus meinem Auto die Koffer stehlen, die wir dort drin gelassen hatten und in denen er einfach alles hatte. Später brachte ich ihn vom Atelier zurück ins Hotel, und beschwingt von dem schönen Tag fuhr ich ihm völlig zerstreut mit den Koffern davon. Erst am Abend gelang es ihm irgendwie, mich aufzutreiben. Ich sage mir, dass ich ihn damit ungewollt in die Zeit zurückversetzt hatte, in der alle immer irgendwo on the road waren und nichts als ein Päckchen Joints und ein Notizbüchlein bei sich hatten."
Archiv: Novinky.cz

Bloomberg Businessweek (USA), 25.12.2017

In den Fleischfabriken der USA häufen sich Arbeitsunfälle jener Sorte, die man eigentlich in arbeitsrechtlich überwunden geglaubten Phasen des Kapitalismus verorten würde: Reinigungskräfte ziehen sich bei ihrer Arbeit immer häufiger schwere Verletzungen zu - bis hin zum Verlust ganzer Gliedmaßen. Das hat unter anderem mit dem immer schnelleren Arbeitsrhythmus zu tun, dem Outsourcing an hausfremde Firmen und damit, dass immer mehr nachts gearbeitet werden muss. Betroffen sind vor allem illegale Einwanderer, haben Peter Waldman und Kartikay Mehrortra herausgefunden: "Zwar prüfen Fleischverarbeiter die Papiere derjenigen heute sehr genau, die sie in der Produktion anstellen. Immigranten geben jedoch an, dass es auch für Arbeiter ohne Papiere leicht sei, einen Job in der dritten Schicht zu ergattern - und dies vor allem bei kleineren Fabriken oder bei Firmen, die auf die Reinigung solcher Fabriken spezialisiert sind. Zwar müssen in den USA alle Arbeiter einen Ausweis und eine Arbeitserlaubnis vorlegen, doch die Arbeitgeber sind nicht dazu verpflichtet, die Authentizität der Dokumente zu überprüfen. Sie sind nur dafür verantwortlich,möglichen Unstimmigkeiten nachzugehen, wenn die Regierung sie dazu anhält. Und am wichtigsten vielleicht: Alle Beteiligten wissen, dass die Ordnungskräfte nachts keine Razzien durchführen. Die Reinigung outzusourcen, 'hat einzig mit Profit zu tun', sagt Tim Cox, der in North Carolina eine Beraterfirma leitet, die sich auf die Reinigung von Fleisch- und Geflügelfabriken spezialisiert hat. 'Es kostet einfach weniger Geld, jemanden ohne Papiere anzuheuern, der von seinen Arbeitsrechten keine Ahnung hat, als jemanden, der sich damit auskennt.'"

Facebook greift direkt ins politische Geschehen ein, schreiben  Lauren Etter, Vernon Silver und Sarah Frier. Dies geschieht mittels einer eigens eingerichteten Abteilung, die Politikern aus dem ganzen Spektrum gezielt Hilfestellung dabei leistet, das eigene Anliegen effizient zu lancieren oder eben auf die politische Meinungsbildung manipulativ einzuwirken. Geleitet wird diese Abteilung von Katie Harbath, einer ehemaligen Strategin der Republikaner, die zuvor bereits Rudy Giulianis erfolgreiche Kampagne 2008 leitete. "Seit Facebook sie drei Jahre später angestellt hat, reist ihr Team rund um den Globus, um politische Kunden dabei zu unterstützen, die mächtigen digitalen Tools der Firma zu nutzen. In einigen der größten Demokratien der Welt - von Indien über Brasilien bis nach Deutschland und dem UK - sind diese Mitarbeiter de facto Kampagnenarbeiter geworden. Und wenn ein Kandidat erst mal gewählt wurde, springt die Firma mit auf den Zug auf, um Angestellte der Regierung zu unterrichten oder technische Hilfestellung bei Livestreams offizieller Staatsevents anzubieten." (Etter hat erst vor wenigen Wochen detailliert beschrieben, wie Facebook-Mitarbeiter dem heutigen Präsidenten der Philippinen, Rodrigo Duterte, im Wahlkampf halfen)

Jacobin (USA), 21.12.2017

Bestürzendes berichtet Benjamin Fogel  für das linke Jacobin-Mag aus Südafrika. Das Land ist vom Präsidenten Jacob Zuma an den Rand es Abgrunds geführt worden. Einer der wichtigsten Faktoren der Korruption, bei der auch wichtige westliche Konzerne mitmachen, ist die indischstämmige Gupta-Familie. Nun ist Cyril Ramaphosa Präsident des ANC geworden, der mit verantwortlich ist für das Marikana-Massaker an Minenarbeitern im Jahr 2012 mit 34 Toten. Eine Ebene darunter sieht es nicht besser aus: "Zuma mag zurecht die Parteipräsidentschaft verloren haben, aber die korruptesten und gefährlichsten Elemente des ANC haben die Partei nach wie vor unter Kontrolle. Zum Teil wird der ANC jetzt von der sogenannten Premier League kontrolliert, ein Spitzname, der auf eine Seilschaft von Gouverneuren (Premiers) der wichtigsten südafrikanischen Provinzen verweist. Sie ähneln eher Mafiabossen als Politikern in einem demokratischen Rechtsstaat. Zwei von ihnen haben jetzt Positionen im Parteivorstand, David Mabuza (Premier von Mpumalanga) und Ace Magashule (Premier der Provinz Freistaat). Sie sind zwei der gefährlichsten Gangster Sudafrikas und haben ihre beiden Provinzen in private Pfründe umgebaut. Mabuza wird mit verschiedenen politischen Morden in Verbindung gebracht und scheint gewillt, seine Rivalen auszuschalten. Magashule bezahlte für die Hochzeit einer Gupta-Nichte in bar, und der ANC schloss seine Provinz zweimal wegen gravierender Verstöße gegen demokratische Verfahren von den Wahlen aus."
Archiv: Jacobin

Ceska pozice (Tschechien), 31.01.2018

Im Gespräch mit Přemysl Houda erklärt der russische Dichter, Musiker und Oppositionsaktivist Kirill Medwedew, warum er auf seine Autorenrechte verzichtet: "Indem ich das Copyright abgebe, befreie ich mich in gewissem Sinne. Dadurch lasse ich mich weder ins politische noch, sagen wir, ins konsumistisch-kapitalistische System zwängen. Zwar erleichtere ich damit potentiellen Verlegern das Leben, da sie mir für die Veröffentlichung meiner Texte kein Honorar zahlen müssen und sie ohne mein Einverständnis herausgeben können, auf der anderen Seite übernehmen sie dafür auch jegliche Verantwortung, was mir entgegenkommt."
Archiv: Ceska pozice

New Yorker (USA), 08.01.2018

Für die erste Ausgabe des New Yorker im neuen Jahr reist Evan Osnos nach China, um zu ermessen, inwieweit Xi Jinping Amerikas Rückzug aus der Weltpolitik für sich nutzbar machen könnte: "In den vergangenen Jahren hat China seine Macht ausgeweitet wie keine andere Nation seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Investitionen sind vergleichbar denjenigen, mit denen die USA ihre Autorität im letzten Jahrhundert festigen konnte: Auslandshilfe, Sicherheits- und Interessenpolitik in Übersee und neue Technologien wie Künstliche Intelligenz. China wurde einer der maßgeblichen Geldgeber für die UN und seine Friedenstruppen, und es beteiligt sich an der Diskussion globaler Probleme wie Terrorismus, Piraterie und Verbreitung von Kernwaffen. Außerdem beteiligt sich China an dem bisher teuersten Auslands-Infrastruktur-Plan, baut Brücken, Eisenbahnstrecken und Häfen in Asien, Afrika und anderswo. Wenn die Kosten dafür eine Billion Dollar erreichen wie angenommen, wird der finanzielle Rahmen den des Marshall-Plans um das Siebenfache übersteigen. China nutzt auch ganz unmittelbar die Möglichkeiten, die ihnen Trumps Politik bietet. Kurz vor dem Rückzug der USA aus der Transatlantischen Partnerschaft, sprach Xi Jinping auf dem World Economic Forum in Davos, bekräftigte seine Unterstützung des Klimaabkommens und erklärte den Protektionismus für aussichtslos. Nach Jahrzehnten des Protektionismus ein Auftritt mit Symbolcharakter. China ist in Verhandlung mit 16 Staaten aus der 'Regional Comprehensive Economic Partnership', einer riesigen Freihandelszone, ohne die USA. Andere Teile von Chinas neuer Größe sind nicht ohne weiteres sichtbar. So besuchten chinesische Delegierte nahezu jede Sitzung des WTO-Treffens in Marrakesch vergangenen Oktober. Der Vertreter der Trump-Regierung dagegen reiste gleich nach seiner Rede wieder ab."

Dana Goodyear überlegt, ob es Hollywood nach den jüngsten Skandalen gelingen wird, sich neu auszurichten. Die Ausgrenzungspraktiken gegenüber Frauen, die sie beschreibt, lassen das kaum vermuten. Und doch - es hat sich was verändert: "'Die ganze Stadt spricht nur darüber', sagte mir eine altgediente Fernsehautorin. 'Bei jedem Meeting, jedem Mittagessen, wo man auch hingeht. Ich war auf einer Geburtstagsparty im schicken Haus eines angesagten Serienautors, und ging in die Küche, wo sechs weiße Kerle - Drehbuchautoren, Schauspieler, Agenten - in einem Kreis standen und einen Saulus-Moment hatten, wie in: Ich blickte in meine Seele und fragte mich, ob ich etwas falsch gemacht hatte?' ... Niemand weiß mehr, wie er sich verhalten soll. Die Regeln haben sich verändert."

Außerdem: Siddhartha Mukherjee berichtet über den körperlichen Verfall seines Vaters. Anthony Lane sah Paul Thomas Andersons Film "Phantom Thread" mit Daniel Day Lewis in seiner angeblich letzten Rolle. Louis Menand liest Bücher zu den amerikanischen Wahlkämpfen 1968. Und Carrie Battan hört traurigen Rap von Lil Xan und anderen.
Archiv: New Yorker

New York Times (USA), 19.12.2017

Die Welt staunt immer noch, dass einige der bestbezahlten Menschen auf dieser Welt - Hollywoodstars! - den krudesten sexuellen Belästigungen ausgesetzt waren und darüber schwiegen. Wie mag es da erst den Frauen gehen, die in einer Fabrik arbeiten? Susan Chira und Catrin Einhorn haben das für eine Reportage recherchiert. Der Chicagoer Zweig des Autokonzerns Ford war in den 90ern schon einmal zu 22 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt worden, im August musste er sich wegen derselben Vorwürfe wieder vergleichen, diesmal für zehn Millionen. "Von Anfang an sind die Frauen Zielscheiben. Die erste Warnung kommt oft schon während der Einführung, wenn die Neuankömmlingen durch die Werkstraßen geführt werden. Shirley Thomas-Moore, eine Lehrerin, die zu Ford ging, um mehr Geld zu verdienen, erinnert sich an diese Szene in den Achtzigern: Ein Mann schlug mit seinem Hammer aufs Geländer, um die Aufmerksamkeit auf die Frauen zu lenken. 'Frischfleisch!', brüllten die männlichen Arbeiter."
Archiv: New York Times