Magazinrundschau

Quellen der Andersartigkeit

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
12.09.2017. Die NYRB staunt über die Folgenlosigkeit der aufgedeckten Korruption in der Fifa. MicroMega staunt über die Unveränderlichkeit der Korruption in Italien. Der Guardian lernt von den Großgrundbesitzern Londons, was reich wirklich ist. Der New Yorker analysiert die Möglichkeit eines Nuklearkriegs mit Nordkorea. In Lapham Quarterly erklärt Suki Kim, warum man gerade als ängstlicher Mensch in Nordkorea überlebt. Granta beleuchtet die bedrückende Situation der Rohingya in Birma. In En attendant Nadeau erklärt Kamel Daoud, warum in muslimischen Ländern Häresie Pflicht ist.

Granta (UK), 19.06.2017

Das Granta Magazine hat einen Artikel des UNHCR-Mitarbeiters Keane Shum online gestellt, der bereits im Juni die bedrückende Situation der Rohingya umfassend beleuchtete. Shum berichtet, dass die muslimischen Rohingya im mehrheitlich von Buddhisten bewohnten Myanmar nie anerkannt wurden und daher als größte staatenlose Bevölkerungsgruppe der Welt systematisch ausgeschlossen und der Willkür der myanmarischen Regierung ausgesetzt sind. Zudem wird vor allem mit Kindern und Frauen seit Jahren Menschenhandel getrieben, sie werden von triadisch organisierten Schmugglern ausgebeutet und teilweise monatelang auf Booten im Meer oder in Camps im Dschungel festgehalten: "Basierend auf Interviews mit den Geflüchteten erfuhr der UNHCR von Massenvergewaltigungen, einschließlich der von Babies und Kleinkindern, brutalen Misshandlungen, dem spurlosen Verschwinden von Menschen und weiteren schweren Menschenrechtsverletzungen durch birmanische Sicherheitskräfte; außerdem waren hunderte von Häuser, Schulen, Märkte, Läden und Moscheen von der Armee, der Polizei und wütenden Mobs aus Zivilisten niedergebrannt worden.' Die Regierung von Myanmar leugnet jegliches Fehlverhalten. In einem KFC in Penan diskutierten meine Kollegen und ich, was das für die Rohingya bedeutet. Es war eine düstere Unterhaltung. Saw Myint und ein anderer Rohingya wechselten einige Worte in ihrer Sprache, der Dolmetscher übersetzte für uns: 'Die Tamarinde schmeckt immer sauer', sagten sie, 'was sauer ist, wird niemals süß'."
Archiv: Granta

Ceska pozice (Tschechien), 03.09.2017

Einen interessanten Besuch stattet Přemysl Houda im Prager Stadtteil Holešovice der NGO Paralelní polis ab, auf deren Website sich auch Schlagwörter wie "Anarchokapitalismus" und "Transhumanismus" finden. Zu Kommunismuszeiten wurde der Begriff der "Parallel-Polis" von Václav Benda im Dissidentenumfeld geprägt - was aber hat diese heutige Organisation, die auch einen Coworking-Space mit Café bietet, für Ziele? Mitbegründer Martin Leskovjan klärt auf: "Es geht darum, Leute im Bereich Technologien und Dezentralisation auszubilden, ihnen zu zeigen, wie alles funktioniert, und die gesellschaftliche Diskussion gerade zu rücken. Noch vor kurzem stieß man, wenn man das Wort Bitcoin googelte, vor allem auf Drogen oder schmutzige Geldwäsche. Die Kryptotechnologien waren und sind bisher auf fast schockierende Weise negativ konnotiert. Das wollen wir ändern und die Leute darüber aufklären, wozu diese Technologien gut sind." Man informiere auch darüber, wie NGOs oder künstlerische Organisationen ohne staatliche Subventionen funktionieren können, "denn öffentliche Förderungen werden oft zum Begleichen politischer Rechnungen benutzt". Private Förderung sei dagegen in Ordnung.
Archiv: Ceska pozice

New York Review of Books (USA), 28.09.2017

In der aktuellen Ausgabe der New York Review of Books schaut sich Simon Kuper David Conns "The Fall of the House of FIFA" genauer an, eine Rekapitulation des Multimillion-Dollar Korruptionsskandals im Weltfußball, und stellt fest: "Blatters Abgang war kathartisch, so wie der Niedergang Saddams im Irak 2003. Aber die alten Pfade der FIFA sind weiterhin intakt. Im Februar 2016 wurde mit Gianni Infantino ein weiterer Schweizer Bürokrat zum Präsidenten gewählt, nachdem er vor 209 nationalen Federations-Präsidenten verlauten ließ: 'Das Geld der FIFA gehört Ihnen'. Ein Satz, der laut Conn spontanen Applaus bekam. Vieles an Infantino lässt an Blatter denken: Seine Begabung in der Vetternwirtschaft, seine multilinguale Bonhomie und sein Anspruchsdenken. Nach Blatter hat die FIFA nur wenige Reformen angestrengt, aber die Verträge der beiden Vorsitzenden des Ethikrates nicht verlängert. Das klingt vertraut. Der Rat hatte Infantino mit verschiedenen Fällen von Misswirtschaft in Verbindung gebracht. Und Infantino hatte Kritik an seiner Person als 'fake news' abgetan. Trotz der in diesem Herbst anstehenden Verfahren in den USA und in der Schweiz - der Fall FIFA ist merklich abgekühlt. Kaum ein Journalist befasst sich regelmäßig mit der Organisation."

Fintan O'Toole denkt über die irische Frage nach, die mit dem Brexit wieder hochkommt: Denn das Belfast Abkommen versöhnte den irischen und den britischen Nationalismus. Doch Britannien gibt es so nicht mehr: "Jede einzelne Region von England-ohne-London stimmte für den Austritt aus der EU, von den Cotswolds bis Cumbria, von den sanften Hügeln bis zu zerklüfteten Bergbautälern. Das war ein genuin nationalistischer Aufstand, eine Nation überwand ihre soziale und geografische Spaltung und versammelte sich hinter dem Ruf 'Take back control'. Doch die Nation, um die es hier geht, ist nicht Britannien. Es ist England."

Weitere Artikel: David Cole besteht auf der Meinungsfreiheit, auch angesichts der Hassreden von Trump-Anhängern. Geoffrey O'Brien liest Jonathan Goulds Otis-Redding-Biografie "An Unfinished Life".

Elet es Irodalom (Ungarn), 08.09.2017

Der Schriftsteller und Hochschullehrer Gergely Péterfy nimmt ebenfalls an der Diskussion über die staatlich dotierte Schriftstellerakademie (mehr hier und hier) teil. "In diesem Paralleluniversum des Systems der nationalen Kooperation wird die Gültigkeit jener Diskurse, die der gescheite Teil der Welt pflegt, durch ein Netzwerk von Akademien, Universitäten, Forschungsinstitute und Zeitschriften aufgehoben. Die zur Verfügung gestellten üppigen Geldquellen erwürgen langsam tatsächlich die traditionell demokratischen und europäischen Institutionen. (...) Das Diebestempo tut dem Alltag des Schreibens nicht wirklich gut: vergebens sitzt du in einem kalifornischen Villa auf der Terrasse mit Meeresblick, es wird dich jenes gottverdammte weiße Blatt anstarren, wie den, der sich in einer verschimmelten Untermietswohnung darüber beugt. Entscheidend ist, was aufs Papier gelangt. Geld hilft beim Spiel Schriftsteller vs. Papier - leider - nicht. Zum Leben braucht man Geld, zum Schreiben nicht."

New Yorker (USA), 18.09.2017

In der aktuellen Ausgabe des Magazins erwägt Evan Osnos das Risiko eines Nuklearkrieges mit Nordkorea: "Wie sehen Amerikas Optionen aus? Viele Strategen in Washington favorisieren eine Verstärkung der Drucktaktik: Die USA würden das Cyber-Hacking forcieren um die militärische Entwicklung zu bremsen und die Regierung in Nordkorea nervös zu machen. Oder Nordkorea mit eingeschmuggelten Memorysticks voller Unterhaltung und Information überschwemmen. Die USA würden auch versuchen, die Handelsnetzwerke zu schließen, indem sie Sanktionen gegen chinesische Firmen erlassen und Konten einfrieren würde … Kritiker dieser Strategie behaupten, Nordkorea habe seine Fähigkeit, Schmerz zu ertragen perfektioniert, und der Plan sei nicht neu … Darüber hinaus gibt es Unterstützung für eine weniger konfrontative Lösung, einen kurzftristigen Handel bekannt als 'Stop-für-Stop'. Nordkorea soll seine Waffenentwicklung stoppen, die USA ihre Militärübungen in Südkorea. Befürworter halten diese Lösung nicht für perfekt, aber besser als alles andere. Kritiker meinen, dass dergleichen bereits probiert wurde, ohne Erfolg, und dass es Amerikas Bund mit Südkorea beschädigen könnte … Der Umgang mit einem nuklearen Nordkorea wird jedenfalls nicht billig. Eine stärkere Raketenabwehr in Südkorea, Japan, Alaska und Hawaii wäre nötig, ebenso geheimdienstliche Investitionen, um Nordkoreas Waffenarsenale aufzuspüren, damit sichergestellt ist, dass wir ihnen mit der nötigen Gegenmacht begegnen."

Außerdem: John Lanchester überlegt, ob es unsere Vorfahren als Jäger und Sammler nicht doch besser hatten als wir. Und Anthony Lane sah im Kino Frederick Wisemans Doku über die New York Public Library, "Ex Libris". Lesen dürfen wir außerdem Edwidge Danticats Erzählung "Sunrise, Sunset".
Archiv: New Yorker

Lapham's Quarterly (USA), 05.09.2017

Angst hatte sie schon in Nordkorea, wo sie monatelang undercover gelebt und als Englischlehrerin gearbeitet hat, schreibt die amerikanisch-koreanische Autorin Suki Kim. Aber Angst habe sie ihr Leben lang gehabt, darum kam sie überraschenderweise ganz gut klar. Verdrängung ist in diesem Fall alles, weshalb sie auch überrascht über die Fragen war, die nach der Reise gestellt wurden, zum Beispiel, "ob die Menschen in Nordkorea unter dem Großen Führer nicht hirngewaschen sind. Diese Frage fand ich immer sehr herablassend. Menschen sind ja nicht einfach Roboter. Sie können etwas glauben und nicht glauben - zur selben Zeit. Meine nordkoreanischen Studenten würden unisono das imperialistische Amerika und seine Puppe Südkorea als ihren schlimmsten Feind beschimpfen und erklären, dass sie, bräche ein Krieg aus, ihre Feinde ohne zu zögern töten würden. Aber als ich sie fragte: 'Und was ist mit mir? Ich bin sowohl amerikanische wie südkoreanisch', lachten sie verlegen und murmelten: 'Aber du bist unsere Lehrerin, du bist anders.' Ist das nicht genau die Art von Paradoxie, mit der der menschliche Geist arbeitet? Es gibt in uns allen einen Ort, der es uns erlaubt, etwas zu glauben und gleichzeitig zu wissen, dass es nicht wahr ist - oder ruhig im Klassenzimmer mit Studenten zu sprechen, während man gleichzeitig entsetzliche Angst hat, man könne von den Behörden enttarnt werden. Für mich ist es eine Art blinder Fleck."

MicroMega (Italien), 11.09.2017

Oft ist schon gesagt worden, dass sich die Mafia fundamental verändert hat. Im Gespräch der Staatsanwälte Nino Di Matteo und Roberto Scarpinato in Micromega wird erklärt, wie dieser Wandel abgelaufen ist. Die italienische Mafia verzichtet heute auf Gewalt - alles läuft über Korruption. Dabei sieht Scarpinato, Staatsanwalt in Palermo, einen "fundamentalen Unterschied" zwischen der Ersten Republik bis zur Krise von 1994 und der Zweiten Republik. "In der Ersten Republik, als der italienische Staat noch Geld drucken und Anleihen ausgeben konnte, finanzierte er die öffentlichen Ausgaben unbegrenzt und damit auch die Korruption. Nach dem Ende der Ersten Republik und mit den Verträgen von Maastricht und und den rigorosen Bilanzregeln der EU ist es nicht mehr möglich, die Korruption mit öffentlichen Ausgaben zu finanzieren. Aber die Korruption ist geblieben, sie finanziert sich jetzt über die Beschneidung von Sozialleistungen. Einer der berühmtesten Korruptionsfälle ist das Mose-Projekt von Venedig, das die Stadt vor Fluten schützen soll. Es wurde auf zwei Milliarden Euro geschätzt und ist bei sechs Milliarden gelandet - vier Milliarden Euro sind der Korruption geschuldet. In der Ersten Republik hatten diese vier Milliarden Euro Staatsausgaben entsprochen, in der Zweiten bedeuten sie Einschnitte bei Krankenhäusern, Schulen und Renten."
Archiv: MicroMega

Guardian (UK), 11.09.2017

Unfassbar, wie unangreifbar sich die britische Aristokratie gemacht hat. Pochen auf ihren Sitz im Oberhaus und gehen nicht mal zu den Sitzungen. Chris Bryant rechnet vor, wie die Herren und Damen Großgrundbesitzer Millionen von EU-Geldern für sich abstauben, aber nicht mal richtig Steuern auf ihren über Jahrhunderte zusammengeklaubten Besitz zahlen. Ein Drittel des Landes gehört ihnen, in Schottland sogar die Hälfte: "Viele der älteren Ländereien gehören zu den vornehmsten und wertvollsten der Welt. Abgesehen von seinen 390 Quadratkilometer Wald, dem hundert Quadratkilometer großen Anwesen Abbeystead in Lancashire und dem 50 Quadratkilometer großen Eaton in Cheshire besitzt der Herzog von Westminster in London große Teile von Mayfair und Belgravia. Earl Cadogan gehören Teile des Cadogan Square, der Sloane Street und der Kings Road, der Marquis von Northampton ein Quadratkilometer in Clerkenwell und Canonbury, die Familie des Barons Howard de Walden hält den Großteil der Harley Street und der Marylebone High Street. Die Besitztümer gehören zu den einträglichsten der Welt. Es hat sich wenig geändert sein 1925, als der Journalist WB Northrop eine Postkarte veröffentlichte, auf welcher der Krake des Grundbesitzes seine Tentakel über London streckte."

In einem - allerdings schon älteren - Artikel aus dem Evening Standard erfährt man, was die Herren 2004 so wert waren (inzwischen sind sie sicher noch reicher). Earl Cadogan zum Beispiel 1,275 Milliarden Pfund (eineinhalb Milliarden Euro). Der Mann kann im teuersten Viertel der teuersten Stadt der Welt zu Fuß vom Sloane Square zu Harrod's gehen - das sind laut Google 11 Minuten - ohne seinen eigenen Grund und Boden zu verlassen.

Weiteres: Helen Macdonald schreibt zudem über Vogelnester, die für sie ein Sinnbild geworden sind, wie wir "die Landschaft zwischen Kopf und Auge, Herz und Hand halten".
Archiv: Guardian

En attendant Nadeau (Frankreich), 29.08.2017

Natalie Levisalles unterhält sich mit dem algerischen Schriftsteller Kamel Daoud über sein neues (noch nicht ins Deutsche übersetzte Buch) "Zabor ou les psaumes" sowie über das Schreiben jenseits einer religiösen Sprache. Religiöse Mythen faszinieren ihn, er habe Lust, über sie nachzudenken, sie zu hinterfragen, aber auch sie zu "pervertieren". "Diese Idee, den heiligen Text umzudrehen, um ihn zu zerstören und ihn zu überwinden, ist notwendig für mich … Der heilige Text ist im Moment eine Frage von Leben und Tod. Ich spreche hier über Häresie. Wenn man einen Roman über Häresie schreibt, kann er in Ihrer Kultur nicht unmittelbar verstanden werden, weil Ihnen die Vorstellung fehlt, dass man getötet werden kann, wenn man nicht gläubig ist. Doch in der Weltgegend, in der ich lebe, ist das eine Frage auf Leben und Tod. Den heiligen Text zu zermalmen, ihn auf den Kopf zu stellen, ihn zu unterlaufen und über ihn hinauszugehen, ist dabei keine ästhetische, sondern eine lebenswichtige Frage."

The Atlantic (USA), 01.10.2017

Auch wenn der Titel von Ta-Nehisi Coates' neuem Buch - "We Were Eight Years in Power" - ironisch gemeint sein mag, er zeigt doch, dass auch die neumodischen "Antirassisten" nicht anders können als in den Kategorien des Rassismus zu denken. Der Atlantic druckt einen Auszug aus dem Buch, bei dem einem ebenfalls unbehaglich wird, weil Coates die Geschichte ausschließlich in den Kategorien "weiß" und "schwarz" denken zu können scheint. Trumps einziges Streben sei, "nigger health care, nigger climate accords, and nigger justice reform" einzukassieren. Auch die anderen Präsidenten mit Ausnahme Obamas seien zwar aufgrund ihrer "Whiteness" ins Amt gekommen, aber Trump macht "dieses grauenhafte Erbe explizit". Trump gehe es im wesentlichen um "White supremacy", und der Punkt dabei sei, "sicherzustellen, dass weiße Leute (insbesondere weiße Männer) das, wofür andere sich extrem anstrengen müssen, ohne Qualifikation erreichen können. Barack Obama lieferte schwarzen Menschen die nüchterne Botschaft, dass alles möglich sei, wenn sie doppelt so hart arbeiten wie weiße Leute. Aber Trumps Konter ist überzeugend: Arbeite halb so hart wie schwarze Menschen, und es ist sogar noch mehr möglich."
Archiv: The Atlantic

Slate.fr (Frankreich), 11.09.2017

Ariane Bonzon berichtet über den französischen Fremdenlegionär Gabar, der an der Seite der Kurden in Syrien gegen den IS gekämpft hat. Den Entschluss fasste er nach dem Anschlag im Pariser Club Bataclan, weil er vom Alter her zu den Opfern hätte gehören können, und deshalb "so viele von diesen Schweinehunden wie möglich umbringen" wollte. Sechs Monate müssen die Freiwilligen vor ihrem Einsatz in einer "Akademie" bleiben, wo man ihnen Grundkenntnisse der kurdischen Sprache und des Kämpfens beibringt sowie sie in einem Kurs über die politischen Ziele der Kurden informiert. "Doch Gabar weigert sich daran teilzunehmen. 'Als sie mir mit Ideologie kamen, habe ich ihnen gesagt, sie sollen auf der Stelle damit aufhören. Ich bin ausschließlich hier, um gegen den IS zu kämpfen.'" Zitiert wird auch ein Journalist, der sich mit dem Thema Fremdenlegionäre auskennt: "Die alten Legionäre sind zweifellos am verfügbarsten und schnell einsatzbereit. Ihre Aktivitäten entgehen dem französischen Auslandsnachrichtendienst DGSE nicht mehr, wie man es während der Balkankriege beobachten konnte, als manche von ihnen für die kroatischen Kräfte sehr wertvoll waren."
Archiv: Slate.fr

New Republic (USA), 07.09.2017

Als Science-Fiction-Autorin hat Ursula K. Le Guin in den Sechzigern die Grenzen des bis dahin stramm männlich dominierten Genres gesprengt und es unter anderem für feministische Themen geöffnet. Mit über achtzig Jahren hat sie sich vor wenigen Jahren als Autorin im Ruhestand ins Abenteuer des Bloggens gestürzt - jetzt liegt eine Auswahl ihrer Postings auch als Buch vor, das Robert Minto sehr gern gelesen hat. Insbesondere die Passagen, in denen die Autorin den Alltag ihrer Katze mit wachsamen Augen dokumentiert, haben ihn hingerissen. "So viel Zeit und Interesse der Beobachtung einer Katze zu widmen, könnte man als kleinsten gemeinsamen Nenner der Internetkultur und des Verhaltens alter Leute auffassen. Doch wie stets betritt Le Guin ihr neues Genre, um es zu vertiefen und zu erweitern. ... Selbst noch in der vertrauten Beziehung zwischen einer alten Frau und einer Katze findet Le Guin ein Feld für herausfordernde moralische Einsichten und eine Angelegenheit, die Neugier entfacht, die tiefe Zeit der Evolution zu erforschen. Sie stellt eine von Alter und Ruhm unbeeinträchtigte Künstlerin dar. Auch weiterhin sucht sie nach Quellen der Andersartigkeit in ihrem Leben und gestattet uns Einblick in die Andersartigkeit, die sie selbst behaust. Le Guin brauchte eine halbe Karriere als veröffentliche Autorin, um zu lernen, wie man in einem von Männern dominierten und Männer glorifizierenden Genre über weibliche Protagonistinnen schreibt. Und jetzt lernt sie, aus der Perspektive eines alten Menschen in einem Medium wie dem Internet zu schreiben, das die Jugend glorifiziert."

Außerdem: Jean H. Lee stellt Carl De Keyzers Fotografien aus Nordkorea vor. Rachel Syme schreibt über "The Deuce", die neue Serie von "The Wire"-Schöpfer David Simon, der sich darin der Pornoindustrie im New York der frühen 70er widmet. Christian Lorentzen bespricht den neuen Film der Dardenne-Brüder.
Archiv: New Republic

HVG (Ungarn), 09.09.2017

Im Interview Péter Hamvay skizziert der Theaterregisseur Róbert Alföldi die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Ungarn: "Heute sind wir so weit, dass Menschen dafür arbeiten, dass ihre Kinder ins Ausland ziehen können. Ein ganzes Land arbeitet dafür, dass seine Zukunft von hier verschwindet. (…) Wir hätten es nur glauben müssen, dass wir unser eigener Herr sind und dass wir niemand anderem die Schuld geben können, wenn die Sachen um uns herum nicht funktionierten. Dass wir unsere Arbeit gewissenhaft ausüben müssen, und unsere Taten Konsequenzen haben. Stattdessen hatten wir immer eine Ausrede und akzeptierten dieses Verhalten auch von unseren Politikern. Wir wollten ihnen auch die irrationalsten Versprechen glauben. Dann kam einer, der keine Hemmungen hat und um uns und um sich herum eine virtuelle Realität aufbaute. Dort sind alle dumm, nur wir sind klug, die Wirtschaft brummt, Bildung, Forschung und Lehre sind exzellent, und das ungültige Referendum ist gültig."
Archiv: HVG

New York Times (USA), 10.09.2017

Die New York Times schaut bekümmert auf verlassene italienische Dörfer. Deborah Needleman sieht mit ihnen auch alte Handwerkskünste und gar Italiens bäuerliche Seele in Gefahr: "Obwohl diese Dörfer das Herz der italienischen Geschichte und der bäuerlichen Tradition ausmachen, hat die Regierung bisher wenig unternommen, um sie zu bewahren. Das 2017 initiierte 'Jahr des Dorfes' hat Bewohner und Bürgermeister immerhin dazu angespornt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und gelegentlich geniales wie witziges Erfindertum hervorgebracht. So preisten sich Weiler wie das mittelalterliche Pratariccia auf eBay als 'gebraucht' zum Verkauf an, und der Bürgermeister von Bormida, Ligurien, offerierte jedem, der in sein Dorf zieht, 2000 Dollar. Inzwischen musste er die Offerte zurückziehen, so viele meldeten sich … Der Bürgermeister von Sutera auf Sizilien öffnete sein nahezu verlassenes Dorf den Opfern einer Schiffskatastrophe vor Lampedusa. Um den afrikanischen Flüchtlingen die Integration zu erleichtern, wurden sie mit ansässigen Familien zusammengebracht und von Einwohnern mit Italienisch-Kursen versorgt. Anfangs gab es Widerstand, doch der ebbte ab angesichts der Energie, die die Neuankömmlinge in die Region brachten. Heute sieht man junge Nigerianer zusammen mit Alteingesessenen beim Espresso, und die Dorfkinder haben neue Mitspieler beim Fußball. Jeden Sommer gibt es ein Festival mit traditionellen Speisen, Musik und Tanz aus der Heimat der Migranten."
Archiv: New York Times