Magazinrundschau

Ein Neuntel eines Weißen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
31.01.2017. The Atlantic sagt eine populistische Koalition in den USA voraus. Argentinien wählt seinen ersten "normalen" Präsidenten, da spielt der Rest der Welt verrückt, klagt Ideas. Outlook erzählt, wie gut indische Politiker und Polizisten mit Prostitution verdienen. Neon reist mit pi-news nach Israel. Der New Yorker stellt im Laufe des Prozesses gegen Dylan Roof eine absurde Mathematik der Rasse auf.  Alle reden wieder von Gramsci, bemerkt Slate.fr. Die New York Times begutachtet das Ende des Rechts-Links-Denkens in Frankreich.

Outlook India (Indien), 23.02.2017

Das Geschäft mit der Prostitution blüht in Indien. Dabei ist Prostitution zwar erlaubt, doch das Geschäftemachen drumherum verboten. Und Menschenhandel sowieso. Und doch wird mit beidem unendlich viel Geld verdient, berichten Anoo Bhuyan, Prachi Pinglay-Plumber, Dola Mitra in ihrer Reportage: "Genau die Kräfte, die diese moderne Sklaverei eigentlich bekämpfen sollen, stecken oft mit Kidnappern, Mittelsmännern und Bordellbesitzern unter einer Decke, um weit mehr einzustecken als nur kostenlose sexuelle Gefälligkeiten. Gruppen von Bordellen in Delhi, Mumbai und Kalkutta sind die Quellen großer Einkünfte für korrupte Polizisten, Politiker und Beamte. In diesem gutgeölten System ist die Misere der Sexarbeiterinnen völlig unwichtig und wird mit von den Behörden ignoriert. Man nehme nur die Hauptstadt als Beispiel. Delhis Rotlichtbezirk, GB Road, prosperiert weniger als einen Kilometer von der Polizeistation Chandni Chowk. 'Das funktioniert nicht ohne die aktive Duldung von Polizei, Politikern und Lokalbehörden', sagt Swati Maliwal, Vorsitzende der Frauenkommission von Delhi. Sie schätzt, dass sich auf der GB Road etwa 90 Bordelle befinden, mit 5000 Frauen und 800 Kindern."
Archiv: Outlook India

Ideas (Argentinien), 28.01.2017

"Wenn das Normale anormal wird." Claudio Jacquelin bilanziert das erste Regierungsjahr des neuen argentinischen Präsidenten Mauricio Macri: "Vor einem Jahr wurde mit Macri in Argentinien zum ersten Mal ein Politiker Präsident, der weder dem Peronismus noch dem Radikalismus entstammte, sondern einer erst im 21. Jahrhundert gegründeten Partei. Außerdem der erste, der nicht Anwalt ist, genauso wenig wie seine Vizepräsidentin, sein Kabinettschef und sein Innenminister. Der erste ohne Wirtschaftsminister. Und der erste, der bei Amtsantritt mehrfacher Millionär war und nicht erst bei seinem Ausscheiden. Aber dieser Präsident, dessen größtes Ziel es war, aus einem Land der ständigen Ausnahmen ein normales Land zu machen, hat es heute mit einer Welt zu tun, die kaum noch an die vor einem Jahr erinnert. Das gilt nicht nur für Europa beziehungsweise England und die USA, sondern auch für Länder wie Brasilien oder Chile - ja selbst im benachbarten Uruguay, dem letzten Shangri-La progressiv-liberaler Argentinier, wird inzwischen eines der Identitätsmerkmale des Landes infrage gestellt, der Laizismus - Bischof Daniel Sturla forderte dort, durchaus erfolgreich, die Leute sollen an ihren Balkons Plakate anbringen, auf denen sie sich zum katholischen Glauben bekennen."
Archiv: Ideas

The Atlantic (USA), 01.03.2017

Zu Beginn seines grandiosen Artikels über Trumps und Amerikas möglichem Weg in die Autokratie entwirft David Frum ein Szenario der Wiederwahl Trumps in vier Jahren und einer Öffentlichkeit, die längst abgestumpft ist - und er schildert, mit welchen Mechanismen Trump mögliche Widerstandsnester gefügig machen wird: Auch die Medien werden eines Tages freundlicher zu Trump, weil er wirtschaftlichen Druck auf sie ausüben kann. Und die Sicherungen im Kongress und Senat werden schlecht greifen, weil die republikanische Partei, zu der Trump keinerlei Loyalität empfindet, so schwach ist, dass die Abgeordneten angreifbar sind: "Das größte Risiko für all ihre Pläne und Projekte ist der selbe 'X-Faktor', dem sie ihre Wahl verdanken: Donald Trump und seine berüchtigt unberechenbare Person. Was Trump erregt, sind seine Zustimmungsraten, sein Reichtum, seine Macht.  Der Tag könnte kommen, an dem er die Republikanische Partei wie einen Ballast abwirft zugunsten einer populistischen Koalition, die Nationalismus mit generösen Sozialausgaben kombiniert  - ein Mix, der auch in anderen Gefilden des Autoritarismus wie in Polen funktioniert hat. Wer zweifelt daran, dass Trump so etwas tun könnte?" Die einzige Hoffnung sieht Frum letztlich in den individuellen Bürgern, die - etwa über Telefonanrufe bei ihren Senatoren - Druck auf ihre Repräsentanten machen.
Archiv: The Atlantic

HVG (Ungarn), 30.01.2017

Neben Paris und Los Angeles, kandidiert Budapest für die Austragung der XXXIII. Olympischen Sommerspiele. Gegenwärtig sammelt eine frisch gegründete, olympiakritische Organisation Unterschriften für eine Volksentscheidung über die Austragung in Budapest. Regierung und Medien ignorierten den Protest, bis ein Gericht jetzt die Unterschriftensammlung genehmigte. Seit einer Woche werden nun die Gründer der Organisation in den regierungsnahen Medien angegriffen. Ein führender Publizist bezeichnete die Unterzeichner in einer Fernsehsendung als "Landesverräter". András Hont von HVG verteidigt die Unterschriftensammler: "Eigentlich möchte ich, dass mein Land ein "cooles, trendy, sexy und fancy" Weltereignis, wie die Olympischen Spiele ausrichtet. (...) Eines, das die Gesellschaft wirklich bewegt und nicht nur monumentale, doch schnell verwesende Mahnmale aus Beton herstellt. Dafür gibt es jedoch keine Chance. Nicht nur, weil die Zuständigen klebrige Finger haben, sondern auch weil ihr Geschmack fragwürdig ist und damit würden die Olympischen Spiele unsere derzeitigen entsetzlichen kulturellen Zustände wohl konservieren, ökonomisch würden sie das Land in eine aussichtslose Lage bringen. Und so will ich das Ganze halt doch nicht. (...) Aber es kann ernsthaft gefragt werden, welches Verhalten einem in seiner Bedeutung ausgedehnten Begriff wie 'Landesverrat' am ehesten entspricht: Eines, das zur Abwehr eines angenommenen Schadens arbeitet und Risiken eingeht, oder die Unterstützung einer Politik, die mit einem Federstrich unsere besten Denker und Künstler aus der Nation tilgt, die Anerkennung unserer besten Schriftsteller verweigert, NGOs als ausländische Agenten bezeichnet und ganzen Generationen den Zugang zu grundlegendem Wissen versperrt, dafür aber niveaulose Kneipenraufer füttert und auszeichnet."
Archiv: HVG
Stichwörter: Ungarn, Olympische Spiele, Ngos, Hvg, Ngo

Frontline (Indien), 03.02.2017

Der indische Bundesstaat Tamil Nadu wurde in den letzten Monaten von einer verheerenden Dürre heimgesucht, berichtet T.S. Subramanian in einer Reportage, die in Erinnerung ruft, in welches Elend man stürzen kann, wenn man auf die Natur angewiesen ist: "Schlangenhaargurke, Flaschenkürbis, Wintermelone und andere Kürbisgewächse sind verwelkt. Medizinische Pflanzen, die im Bezirk Nagapattinam angebaut werden, sind verwelkt. Jasmin und Ringelblumen blühen nicht. Trinkwasser fehlt und das Vieh findet kein Futter mehr. Die Luft ist von Verzweiflung erfüllt. Die umfassende Not hat dazu geführt, dass sich zwischen dem 4. November 2016 und dem 8. Januar 2017 102 Bauern umgebracht haben oder an einem Herzinfarkt gestorben sind. Die, die sich umgebracht haben, haben sich entweder erhängt oder Pestizide geschluckt. Einige sind auf den Feldern zusammengebrochen und zwischen ihren verwelkten Pflanzen gestorben."

Tatsächlich begehen in Indien jährlich tausende Bauern Selbstmord. In Himal erzählt Rianna Pauline Starheim, was aus ihren Frauen wird.
Archiv: Frontline

Neon (Deutschland), 30.01.2017

Das Pegida-Leitmedium pi-news, kurz für "politically incorrect", gehört mit 100 .000 Lesern pro Tag zu den einflussreichsten rechtsgerichteten Blogs Deutschlands - und bietet Leserreisen nach Israel an. Unter falscher Identität hat Marco Maurer daran teilgenommen und schildert beklemmende Szenen: "Unser Sonntag beginnt mit einer Busfahrt durch einen muslimisch geprägten Stadtteil von Tel Aviv, Hatikva. Mr. Merkava deutet auf einen schwarzen Einwanderer und sagt: 'Den Stadtteil haben die Eindringlinge bereits übernommen. Er zeugt davon, was Deutschland erwartet.' Unser Reiseablauf scheint einer ausgeklügelten Dramaturgie zu folgen: In Hatikva wird der 'Feind' in den Fokus genommen, rund drei Stunden später, ganz nah an den Palästinensischen Autonomiegebieten, wird auf ihn geschossen: 'Caliber 3 - Academy for Counter Terror and Security' ist auf dem Schild vor dem Militärlager zu lesen. Ein sonnengegerbter Soldat in Militärkluft mit Kurzhaarfrisur und Spiegelsonnenbrille erwartet uns. Immer nah bei ihm: sein Schäferhund und sein Maschinengewehr. Viele der Reiseteilnehmer versuchen, auf den Erinnerungsfotos ähnlich entschlossen zu schauen wie er. In der inneren Zone des Lagers spielen die PI-Leser mehrere Szenarien durch: Terroristen, die versuchen, einen Markt zu erobern, und zur Strecke gebracht werden; per Kopfschuss oder mittels einer Schäferhund-Attacke. Am Ende schießt jeder selbst auf den fiktiven Feind. Gewehrsalven."
Archiv: Neon

New Yorker (USA), 06.02.2017

In der neuen Ausgabe des New Yorker berichtet Jelani Cobb vom Prozess gegen den rassistischen Massenmörder Dylann Roof, der 2015 in Charleston, South Carolina neun Mitglieder der African Methodist Episcopal Church tötete. Und meditiert dabei über Todesstrafe und Rasse: "In einer landesweiten Umfrage bevorzugten zwei Drittel der Afro-Amerikaner Roofs Verurteilung zu lebenslangem Gefängnis, während vierundsechzig Prozent der Weißen glaubten, dass die Todesstrafe gerechtfertigt sei. Das Ergebnis spiegelt die allgemeine Trennung zwischen Schwarzen und Weißen in der Frage der Todesstrafe wider, die zumindest zum Teil dadurch zustande kommt, dass sie unverhältnismäßig oft gegen schwarze Angeklagte ausgesprochen wird. Es ist anzunehmen, dass Roofs Entfernung aus der Welt nur wenig an der Sicht der schwarzen Einwohner von Charleston auf das, was in der Kirche geschah, ändern wird. Ihre weißen Mitbürger waren indes darauf bedacht, Roofs Verbrüderungsversuche zurückzuweisen. Joe Riley, damaliger Bürgermeister der Stadt, betonte, der Verdächtige stamme nicht aus Charleston, was Rileys Nachfolger John Tecklenburg bestätigte, ebenso wie andere Weiße. Auch wenn Rasse eine Übereinstimmung zwischen Roof und der weißen Bevölkerung darstellte, so ermöglichte die Geografie doch eine Distanzierung. Bedeutsam war auch die Tatsache, dass in den letzten 40 Jahren 81 Prozent aller Todeskandidaten in South Carolina wegen der Tötung Weißer verurteilt wurden. Die Todesstrafe für Roof böte eine Art von ausgleichender Gerechtigkeit. Lebenslang würde bedeuten, wie auch immer die undurchsichtige Mathematik der Rasse aussehen mag: Das Leben eines Schwarzen ist weniger wert als ein Neuntel eines Weißen." Roof wurde am Ende vom Gericht achtzehnmal zum Tode verurteilt. Ob der Richter dem Urteil eine "Mathematik der Rasse" zugrunde legte oder vielleicht doch eher die Abscheulichkeit des Verbrechens, wissen wir nicht.

Außerdem: Luke Mogelson begleitet einen Trupp ehemaliger irakischer IS-Gefangener, der sich anschickt, Mosul zurückzuerobern. Und Rivka Galchen erklärt, wie der Kinderbuchautor Mo Willems Kinder mit Witz auf das Scheitern vorbereitet.
Archiv: New Yorker

Corriere della Sera (Italien), 29.01.2017

Antonio Ferrari e Alessia Rastelli haben für die Online-Ausgabe von La Lettura, einer Beilage zum Corriere, eine Webreportage zusammengestellt, die von einem düsteren Ort im Kellergeschoss des gigantischen Mailänder Hauptbahnhofs handelt. Dort gibt es eine Gedenkstätte für die Mailänder Juden, die hier -  verborgen vor den Blicken ihrer Mitbürger - in Güterwaggons verladen und nach Auschwitz verfrachtet wurden. Heute steht an der Wand des riesigen Raums ein einziges Wort: "L'indifferenza" - und doch ist er heute ein sehr belebter Ort, weil die Leitung der Gedenkstätte hier Flüchtlingen aus Syrien und Äthiopien eine provisorische Bleibe gegeben hat. Die Autoren zitieren Roberto Jarach von der Leitung der Gedenkstätte: "Die Gedenkstätte liegt unterhalb der Gleise. Die Räume dienten ursprünglich der Beladung von Postwaggons, die dann mittels eines riesigen Fahhrtuhls nach oben gebracht wurden, wo man sie an die Züge hängte. Dieses für die damalige Zeit höchst moderne System aus dem Jahr 1931 diente tragischerweise keine zehn Jahr später dazu, Hunderte von Personen zu deportieren. Hier unten waren die Schreie nicht zu hören, und man konnte im Geheimen agieren. Zeugen sprechen von großer Gewalt." 21 Transporte sollen von hier abgegangen sein. Von 774 bekannten Personen kehrten 27 zurück.
Stichwörter: Mailand, Holocaust, Ferrari, Äthiopien

Elet es Irodalom (Ungarn), 27.01.2017

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán pries in der vergangenen Woche in zwei Reden (in Brüssel bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und in Budapest bei der Lamfalussy Conference) die Politik des neugewählten US-Präsidenten Donald Trump. Außerdem griff er die föderalistischen Idee der Europäischen Union an und sprach sich für ein "Europa der Vaterländer" aus. In der kommenden Woche wird in Budapest der russische Präsident Putin zum Staatsbesuch erwartet. Zoltán Kovács, Chefredakteur von Élet és Irodalom meint dazu: "Abgesehen von der Negierung der gesamteuropäischen zivilisatorischen Werte, ist selbstverständlich nichts zu Ende gedacht. Beim Pochen auf die Freiheit der Nation wird außer Acht gelassen, dass die Selbstbestimmung der Nation nicht bedeutet, dass sie nirgends hingehört, sondern dass sie darüber entscheiden kann, wo sie hingehören will. Ungarn wollte in den neunziger Jahren zur Europäischen Union gehören. Heute will sich Orbán befreien, doch das Land erhält von der EU Unsummen von Geldern, sodass es seine Austrittsabsichten nicht einmal zu formulieren wagt. Orbán weiß genau, dass die EU kein unterdrückendes, sondern ein Regeln folgendes System ist, darum erhält das Land den Geldregen, der von den Zuständigen teilweise zweckentfremdet wird. Der nationalen Selbstbestimmung betreffend: Gegenwärtig wird daran gebastelt, der weltweit ersten Macht im Hinblick auf Okkupationsabsichten und militante Gedanken Einfluss auf Ungarn zu geben: Russland."

London Review of Books (UK), 02.02.2017

Patrick Cockburn prangert die seiner Ansicht nach einseitige Berichterstattung der Medien über die Kämpfe in Aleppo an, die natürlich vor allem der Tatsache geschuldet ist, dass das Assad-Regime keine Journalisten nach Syrien lässt, während die islamistischen Rebellen mehrere Reporter ermordeten. Trotzdem: "Dass die mit al Qaida verbundenen Gruppen ein Monopol auf die Verbreitung von Nachrichten aus dem Osten Aleppos hatten, heißt gar nicht mal, dass die Berichte über die verheerenden Bombardements nicht stimmten. Die Bilder von zerstörten Gebäuden und Zivilisten im Zement waren nicht fabriziert. Aber sie waren selektiv. Wir sollten uns daran erinnern, dass sich laut UN-Angaben 8.000 bis 10.000 Rebellen im Osten Aleppos befanden, aber kein einziges Video im Fernsehen zeigte bewaffnete Männer. Westliche Sender bezeichneten die Gruppen, die Ost-Aleppo verteidigten als die Opposition, ohne al Qaida und ihre Verbündeten zu erwähnen. Auch herrschte die implizite Annahme, dass die Bewohner im Osten Aleppos gegen Assad sind und die Aufständischen unterstützen, doch am Ende wollte nur ein Drittel - 36.000 - in das von den Rebellen evakuierte Idlib evakuiert werden. Die meisten - 80.000 - bevorzugten die von der Regierung gehaltenen Gebieten im Westen Aleppos. Nicht dass sie erwarteten, dort gut behandelt zu werden - sie glaubten nur, dass das Leben unter den Rebellen noch gefährlicher wäre. Im syrischen Bürgerkrieg gibt es nur die Wahl zwischen dem kleineren und dem größeren Übel."
Kaum ein Wort verlieren die Medien dagegen über Mossul, das irakische Truppen und ihre westlichen Alliierte bereits seit vier Monaten vom IS zurückzuerobern versuchen: "Am 11. Januar erklärte die UN-Gesandte Lise Grande, die Stadt erlebe einen der heftigsten Häuserkämpfe seit dem Zweiten Weltkrieg."

John Lanchester ahnt, warum die Sprachassistenten Siri, Alexa und Echo das neue große Ding geworden sind: "Es ist kaum vorstellbar, dass wir noch mehr Zeit als bisher an Bildschirmen und Tastaturen verbringen, aber es gibt noch so viel mehr Stunden am Tag, und die Tech-Konzerne würden auch gern in dieser Zeit Geld machen." Tim Cross erklärt zudem im Guardian, dass Moores Gesetz, nach dem Prozessoren ihre Leistung verdoppeln alle zwei Jahre, ausgereizt ist.

Weiteres: Hilary Mantel schreibt über Margaret Pole, englische Adlige und Gegenspielerin Heinrich VIII. John Lahr liest Bruce Springsteens Memoiren.

Slate.fr (Frankreich), 24.01.2017

Seit einigen Monaten tauche in den Medien ebenso wie in den sozialen Netzwerken ständig der Name Gramsci auf. Gael Brustier geht deshalb der Frage, was es mit diesem italienischen Journalisten und marxistischen Philosophen auf sich hat, der plötzlich so häufig zitiert wird. Möglicherweise liege es am Erstarken des Neoliberalismus, der eben nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine ethische und moralische Angelegenheit sei. Brustier fasst die Grundzüge von Gramcis Denken zusammen und meint abschließend: "Der italienische Denker gehört zum europäischen Erbe. Er hat die Werkzeuge geschmiedet, die für eine Analyse der Welt heutzutage nützlich sind, um zu verstehen, wie die Menschen sie sehen und am sozialen Leben teilhaben, wie Individuen und Medien interagieren, wie sich Repräsentationen und Identitäten auf magmatische Weise ständig neu formen."
Archiv: Slate.fr

Himal (Nepal), 31.01.2017

In einem Essay verteidigt Jai Arjun Singh mit vielen Beispielen und Shakespeares "Macbeth" die oft extravaganten Gesangs- und Tanznummern im Bollywoodfilm: "Regisseure und Kameramänner haben sehr oft mit stilistischen Fanfaren in Musicalsequenzen experimentiert - vielleicht weil diese Szenen in der Regel völlig unrealistisch sind - während sie sich in den prosaischen Passagen zurückhielten. Konsequenterweise wirkt es manchmal, als habe der Film zeitweise ein magisches Reich betreten, jenseits der gewöhnlichen Routine eines auf die Handlung konzentrierten Erzählens. Man betrachte nur zwei unter zahllosen Beispielen für diese visuelle Dynamik. Der Film 'Aashirwaad' von 1986 hat eine berühmte Nummer, 'Rail Gaadi', gesungen von Ashok Kumar in einem Schnellfeuerstil, der dem Song den Ruf eines Ur-Rap eintrug. Aber effektvoll ist auch der Gebrauch der superschnellen Zooms in der Szene: Während der rasantesten Passagen des Songs schnellt die Kamera in einem Fingerschnippen von einem mittleren Zoom zu einem extremen Close-up und wieder zurück."



Außerdem: In einer Reportage erzählt Neha Dixit, wie rechte Hindugruppen mit ihrer "Liebesjihad"-Theorie in Delhi brutale Angriffe auf Muslime rechtfertigen: Sie behaupten, "muslimische Männer würden einen Jihad führen, indem sie Hindufrauen dazu bringen sich in sie zu verlieben und sie zu heiraten, damit sie zum Islam übertreten".
Archiv: Himal

New York Times (USA), 29.01.2017

Für die aktuelle Ausgabe des New York Times Magazines begibt sich James Angelos in die Industrieregionen Frankreichs. Denkt er an die bevorstehenden Wahlen, hört er selbst dort, in den Arbeiterhochburgen, die Totenglocken für die Sozialdemokratie läuten: "Indem sich die Mitte-Links-Parteien von ihren Mitte-Rechts-Gegnern immer weniger unterscheiden, verschwimmt auch die klassische liberale Vision einer gut informierten Politik, die demokratische Entscheidungen auf Grundlage eines Links-Rechts-Kontinuums trifft. Die Links-Rechts-Dichotomie hat ihre Wurzeln in der Französischen Revolution, als Mitglieder der Nationalversammlung tatsächlich räumlich voneinander getrennt waren in Mitglieder, die mehr königliche Autorität wollten, auf der rechten Seite und diejenigen, die sich dagegen aussprachen, auf der linken Seite der Kammer. Obwohl sich die Bedeutung der Links-Rechts-Aufteilung seither weiterentwickelt hat und das Konzept oft nicht in der Lage war, komplexe politische Bewegungen zu verinnerlichen, hat es seither die demokratische Politik geprägt. Mehr und mehr aber orientieren sich Wähler auf einer anderen Achse, nicht von links nach rechts, sondern von einem Lückenfüller von einer gemäßigten Partei bis zu einer populistischen, radikalen. Eine Wahl zwischen zwei Parteien, deren eine die vorherrschenden Verhältnisse neu justieren möchte, während die andere sie einzureißen gedenkt."

Außerdem: Jenna Wortham erklärt, inwiefern der private elektronische Assistent Alexa (bei uns bekannt als Echo, d. Red.) Amazons Firmenphilosophie voll erfüllt. Carina Chocano denkt über den Bedeutungswandel des Begriffs der Demütigung nach. Und Dale Russakoff schreibt über die Ängste illegaler Studenten in der Ära Trump.
Archiv: New York Times