Magazinrundschau

Bis zur Kinnkante

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
12.07.2016. Frauen, die allein leben, sind die besseren Maler, lernt die NYRB am Beispiel von Agnes Martin. In HVG erklärt der Filmregisseur Szabolcs Hajdu, warum Freiheit zum Fürchten ist. Der Guardian erinnert an die ermordeten Schüler Beethovens in China. In Pais Semanal erklärt die mexikanische Autorin Valeria Luiselli den Unterschied zwischen ihr und Karl Ove Knausgard. The Daily Beast warnt vor dem Opus Dei Japans.

New York Review of Books (USA), 14.07.2016


Agnes Martin: Friendship (1963). Museum of Modern Art, New York

In einem sehr schönen Porträt beschreibt Hilton Als die faszinierende Malerin Agnes Martin, die in einer Reihe beachtlicher Ausstellungen in London und Los Angeles gerade wiederentdeckt wird. Sie gehörte zum Umkreis des Abstrakten Expressionismus, wurde jedoch in dieser von schwulen Männern dominierten Welt nicht glücklich. Der Ruf der Natur, aber auch schizophrene Schübe führten sie in die Prärie: "Wäre Martins tiefe Einsamkeit so bemerkenswert gewesen, wenn sie nicht eine Frau gewesen wäre? Hätte es so viel unnütze und letztendlich romantische Spekulation gegeben? Elizabeth Hardwick brachte die üblichen negativen Reaktionen auf einen gewissen Typus unabhängiger Frauen zum Ausdruck, 'wenn sie in ihrer schrecklichen Freiheit umherziehen, unversorgt wie zurückgelassene alte Ochsen'. Martin hatte nichts davon. 'Mit aller Macht werden wir gegen Einsamkeit konditioniert', beobachtete sie. 'Das Alleinsein wird als ernster und gefährlicher Zustand betrachtet... Ich glaube, dass Menschen, die gern allein sind, ernste Arbeiter auf dem Felde der Kunst werden.' In der Kunst zu arbeiten sei ein Privileg, glaubte sie, doch niemand könne sagen, wie lang die Lehrzeit dauere: Kunst sei kein Rennen. 'Um wahr und wirksam zu leben, muss die Idee der Leistung aufgegeben werden', schrieb sie 1981 in einem offenen Brief an das Whitney Museum. Folge Deiner inneren Stimme, kehre der Welt den Rücken zu und mach das Beste draus."

David Cole hat seinen Text über den amerikanischen Waffenwahnsinn als Reaktion auf Orlando, aber noch vor Dallas geschrieben. Er fasst alles zusammen, was man über Lobbyarbeit, künstliche Mythen und die bitteren Zahlen wissen muss: "Wie so vieles bei uns sind auch Waffengewalt, Mord und Totschlag nicht gerecht verteilt. Für schwarze Amerikaner ist es sechs Mal wahrscheinlicher als für weiße, getötet zu werden, und sieben bis acht Mal wahrscheinlicher, selbst zu töten (die Mehrheit der Tötungsverbrechen werden mit Schusswaffen von Schwarzen an Schwarzen begangen). Für Männer ist es 3,6 Mal wahrscheinlicher getötet zu werden als für Frauen. Bei schwarzen Männern zwischen fünfzehn und vierunddreißig Jahren sind Mord und Totschlag die häufigste Todesursache. Die meisten Verbrechen mit Waffen werden in den Städten begangen, und besonders in denen mit hoher Kriminalität und einer schwarzen Bevölkerung. Daher sind es die jungen schwarzen Männer in den Innenstädten, die den Großteil der tödlichen Kosten des Rechts auf Waffen trafen. Wenig überraschend haben Schwarze daher weniger übrig fürs Waffenrecht als Weiße. Nur 24 Prozent der schwarzen Amerikaner befürworten das Recht, eine eigene Waffe zu besitzen, dagegen 57 Prozent der weißen."

New Yorker (USA), 18.07.2016

Auf den Seiten des New Yorker äußert sich Alicia Garza, die Mitbegründerin der Bewegung "Black Lives Matter", im Gespräch mit Jelanie Cobb zu den Polizisten-Morden von Dallas: "Wenn es um Waffenkontrolle geht, wird es kompliziert. Sowohl Alton Sterling als auch Philando Castile (die beiden Schwarzen, die vergangene Woche von Polizisten getötet wurden, d. Red.) trugen legalerweise Waffen bei sich. Doch das Recht, eine Waffe zu tragen, scheint nur für Weiße zu existieren. Wenn Schwarze legal eine Waffe tragen, laufen sie Gefahr, deswegen von der Polizei getötet zu werden. Es scheint töricht, angesichts solcher Polizeigewalt Waffenbeschränkungen zu fordern, solange Schwarze die Verlierer sind. Zugleich ist es traurige Realität, dass wir mehr Waffen als Menschen haben in diesem Land. Die Dynamik müsste dringend verändert werden … Der Täter von Dallas war mental nicht gesund. Und er litt an einem emotionalen Trauma, genau wie der Rest der schwarzen Bevölkerung, der gerade zwei Exekutionen live im Fernsehen mitansehen musste."

Und Julie Hecht ist der Meinung, David Letterman darf nicht aufhören. Schon, weil er so ein konsequenter Stylepolizist war: "Dass er zeigen kann, wenn ihm was nicht gefällt, gehört zu seinen Stärken. Ich erinnere mich an eine schockierende Szene. David sprach mit irgendeinem Hollywood-Schauspieler. Es war zu einer Zeit, als man Sportjacken mit hochgeschobenen Ärmeln trug. David ging zu dem Schauspieler hin, griff nach den Ärmeln und zog sie herunter. Der Schauspieler schaute überrascht. Er gehörte zu diesen sanften Naturen und verstand nicht, was geschah. Er begriff nicht, dass man dieses Hollywood-Ding nicht mögen konnte. Ich fand den Stil auch schlimm, aber ich hätte nie gedacht, dass jemand so einen Angriff starten und diese Ärmel herunterziehen könnte. Im Fernsehen! Man konnte David für so was lieben und zugleich fürchten. Es war unglaublich. Das war bevor er anfing zu meditieren und zu lernen, mit seinen Aggressionen umzugehen."
Archiv: New Yorker

HVG (Ungarn), 10.07.2016

Szabolcs Hajdus Film "It's not the time of my life" wurde in diesem Jahr mit dem Kristallglobus ausgezeichnet, dem Hauptpreis des 51. Internationalen Filmfestivals von Karlovy Vary (mehr hier und hier). Als Low-Budget-Produktion wurde der Film ohne staatliche Förderung verwirklicht. Hajdu (auch als bester Schauspieler ausgezeichnet) sprach vor der Ehrung mit Rita Böszörményi über das Erleben von Freiheit in osteuropäischen Gesellschaften: "Es ist schwierig ohne Klischees über Dinge wie Freiheit zu sprechen. Dem Zeitgenossen, der als Kind oder Enkel eines repressiven Systems aufwuchs, erscheint sie unnatürlich und fremd. Wenn über einen solchen Menschen plötzlich die Freiheit einbricht, ist seine erste Reaktion - je nach Charakter -, dass er entweder anfängt Befehle zu erteilen oder jemanden sucht, vor dem er sich verbeugen kann. So erging es der ungarischen Gesellschaft während der Wende und so ist es bis zum heutigen Tage. Die ehemaligen osteuropäischen Länder sind in einem infantilen Stadium gefangen, das Erwachsenwerden ist ins Stocken geraten oder ganz zum Erliegen gekommen. Erst wenn ein Mensch fähig ist, seine Freiheit zu leben, ist er erwachsen."
Archiv: HVG

Guardian (UK), 11.07.2016

In Schanghai gab es nach der Kulturrevolution kein einziges Klavier. Heute werden in China 80 Prozent aller Klaviere weltweit produziert. Madeleine Tien blickt auf die Geschichte der klassischen Musik in China zurück, die oft auf unreflektierte Aneignung stieß, noch häufiger aber auf totale Ablehnung oder tiefe Bewunderung: "Eine der ersten Schmutzkampagnen zielte auf die Musik Debussys, die als der zurückgelassene Schund des westlichen Imperialismus angeprangert wurde. Sie griff sich He Luting heraus, den Direktor des Konservatoriums in Schanghai und großen Verehrer des franösischen Komponisten. He Lutings standhafte Weigerung, auch unter seelischer und körperlicher Folter, ein Verbrechen zu gestehen, war ein Akt unvorstellbar heldenhaften Widerstands. In seiner Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert, 'The Rest is Noise", bemerkt Alex Ross: Kein Musiker hat sich jemals mutiger gegen den Totalitarismus gestellt.' Der Dirigent des Schanghai Sinfonie Orchesters, Lu Hongen, wurde ebenfalls verhaftet. Einige Tage vor seiner Hinrichtung sprach er zu seinen Zellengenossen: 'Fahren Sie nach Österreich, in die Heimat der Musik. Gehen Sie zu Beethovens Grab und legen Sie einen Strauß Blumen nieder. Und sagen Sie Beethoven, sein Schüler lebt in China."
Archiv: Guardian

El Pais Semanal (Spanien), 09.07.2016

Die von der deutschen Kritik gefeierte mexikanische Schriftstellerin Valeria Luiselli macht sich Gedanken zur Wahrnehmung der Kultur ihres gequälten Heimatlandes: "Alle Lateinamerikaner - und jetzt auch die Spanier: Herzlich willkommen! - reisen mit der Last durch die Welt, dass sie unglaublich kaputten Ländern angehören, die, was ebenfalls kaum zu glauben ist, trotz allem noch nicht verschwunden sind. Kein Wunder, dass sich die anderen da fragen, wie es sein kann, dass in unseren Ländern die kleine 'Hoch'-Kultur neben und trotz einem derart katastrophalen politischen und gesellschaftlichen Zustand existiert. Darum ist es auch nur normal, dass beispielsweise norwegische Schriftsteller bei Lesungen gefragt werden, ob sie morgens Müsli frühstücken oder sich mit der rechten oder der linken Hand die Zähne putzen, während ein Lateinamerikaner unweigerlich erklären soll, wieso es in einem Land, das Kokain, Favelas, Korruption, den Zika-Virus, Telenovelas oder einen Mariano Rajoy hervorbringt, auch Literatur gibt. Auf diese so berechtigte wie gutgemeinte Frage gibt es immer nur die gleiche, ein wenig entnervte Antwort: Tja, meine Damen und Herren, wir sind nun mal komplexer, raffinierter und widerstandsfähiger als man denkt."
Archiv: El Pais Semanal

Daily Beast (USA), 10.07.2016

Am vergangenen Sonntag gewann der japanische Premierminister Shinzo Abe die für eine Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit bei den Nachwahlen in Japans Oberhaus. Einen Tag vor den Wahlen berichtete Jake Adelstein im Daily Beast über ein Buch mit dem Titel "Nippon Kaigi No Kenkyu" (Recherche über die Japan-Konferenz), in dem der Journalist Tamotsu Sugano über die bis dato geheime Gruppe der Nippon Kaigi, ihre Ursprünge, Ziele, ihren Einfluss und die Gefahr, die von ihr ausgeht, aufklärt: "Die jüngsten Ziele der Sekte: Japans pazifistische Nachkriegs-Verfassung demontieren, sexuelle Gleichberechtigung beenden, Ausländer los werden, nervige 'Menschenrechte' aufheben und Japan zu seiner einstigen imperialen Herrlichkeit zurück führen." Sowohl Shinzo Abe als auch ein Großteil der regierenden LDP gehören der konservativen Sekte an, die teilweise auch von den Medien unterstützt wird. Adelstein hatte in seiner Reportage befürchtet, was nun Realität geworden ist: Mit der erreichten Mehrheit seien Abe und die Nippon Kaigi "ihrem Traum näher als je zuvor - die Verfassung zu ändern, um Japan wieder zu einer militaristischen Feudalgesellschaft zu machen, in der Frauen, Kinder, Jugendliche und Ausländer keine grundlegenden Menschenrechte haben, außer dem Recht, die Klappe zu halten."

Wertvolle Hintergrundinformationen über die Gruppe und ihre Aktivitäten in der Vergangenheit liefern The Japan Times, The Economist und die New York Times: In letzterer warnt Norihiro Kato (schon 2014) vor dem gefährlichen EInfluss der Nippon Kaigi.
Archiv: Daily Beast

Times Literary Supplement (UK), 12.07.2016

Einige Hardcore-Antizionisten der britischen Labour-Party sind davon überzeugt, dass Linke niemals Antisemiten sein können, weil Ressentiments per definitionem reaktionär seien. Ian Buruma empfiehlt ihnen dringend Michele Battinis etwas struppige, aber interessante Studie "Socialism of Fools" über die Geburt des modernen Antisemitismus aus dem Geist des Antikapitalismus: "Mit dem Zusammenbruch des Ancien Régime, dem Aufkommen einer sich selbst regulierenden Marktwirtschaft und dem Aufstieg einer neuen urbanen Bourgeoisie fühlten sich etliche Gruppen benachteiligt. In katholischen Ländern haderten Kirche und Aristokratie mit dem Verlust ihrer Pivilegien. Auch die Zünfte und Gilden verbitterten, da sie keine Rolle mehr in der kapitalistischen Wirtschaft spielten. Und die nicht länger durch alte Patronage geschützten Bauern fühlten sich ausgeschlossen in der neuen Ökonomie, die liberale urbane Eliten privilegierte: Bankiers, Finanziers, Geschäftsleute. Die Gewinner des säkularen Republikanismus und ökonomischen Liberalismus waren ausgerechnet jene, die zuvor benachteiligt waren. Das gilt auch für Protestanten, doch hinter denen standen, in den Augen der Gegenrevolutionäre, die machthungrigen Juden."

Lidove noviny (Tschechien), 11.07.2016

Petra Procházková unterhält sich mit der russischen Menschenrechtlerin Zoja Svjetova, die von niederschmetternden Verhältnissen in russischen Gefängnissen berichtet. "In einem speziellen Moskauer FSB-Gefängnis habe ich zum Beispiel einige ukrainische Bürger entdeckt, von denen niemand etwas wusste, nicht einmal der ukrainische Konsul. Wenn ich sie nicht gefunden hätte, wer weiß, was mit ihnen geschehen wäre. Oder das furchtbare Gefängnis Matrosskaja Tischina. Dort sitzen keine politischen Häftlinge, nur Verbrecher. Es gelten dort besondere Regeln, die die Häftlinge selbst bestimmen. Da war ein Bandit, der Mithäftlinge foltern ließ, um ihnen und ihren Anghörigen Geld aus der Tasche zu ziehen. Wenn sie nicht zahlten, ließ er sie zum Beispiel brutal vergewaltigen. Der Gefängnischef hat mit ihm kooperiert." Was politische Inhaftierungen betrifft, beschreibt Svjetova, wie strategisch geschickt Putin den Wechsel von (willkürlichen) Verhaftungen und gelegentlichen Freilassungen einsetzt, um sich auch immer wieder zugänglich zu geben: "Am Ende gewinnen sogar westliche Politiker den Eindruck, dass sich mit Putin doch ganz gut verhandeln lasse. Eine perfekte Taktik." Und die Opposition? "Die wurde von der Regierungsmacht mittels Repressalien besiegt. Was haben sie zum Beispiel mit dem aussichtsreichen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny gemacht? Hätten sie ihn inhaftiert, hätten sie ihn dadurch zum Helden und Märtyrer gemacht. Deshalb gingen sie schlauer vor - sie haben seinen Bruder inhaftiert und erpressen ihn dadurch, halten ihn in Schach. Nemzow haben sie umgebracht. Andere in die Emigration getrieben. Wer geblieben ist, wird schikaniert. Eine Opposition existiert heute in Russland nicht mehr."
Archiv: Lidove noviny

The Atlantic (USA), 29.06.2016

Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen oder den buchstäblich nahe liegenden Forschungsgegenstand vor lauter Tipparbeit am Rechner nicht. Dem Literaturwissenschaftler Matthew Kirschenbaum ist es glücklicherweise aufgefallen, dass die Literaturgeschichte der digitalen Textverarbeitung bislang auffällig unterbeleuchtet geblieben ist. Im Gespräch mit Robinson Meyer gibt er ausführlich Auskunft über sein großes Forschungsprojekt und spart auch nicht mit tollen medienhistorischen Anekdoten: Ausgebuddelt hat er beispielsweise den seinerzeit immens erfolgreichen Thrillerautor Len Deighton, der sich Ende der 60er Jahre einen frühen Word Processor von IBM leisten konnte: "Das Gerät, der MT/ST, hatte keinen Bildschirm. Alle Anschläge wurden auf Magnetband gespeichert. Dieses Material konnte dann von kundiger Hand überarbeitet werden, so wie wir es heute mit einer Textverarbeitung machen. In Zusammenarbeit mit seiner Sekretärin, einer Frau namens Ellenor Handley, schrieb Len Deighton also den 1970 veröffentlichten Roman 'Bomber' auf einer MT/ST. Diese Anordnung war auch sehr typisch. Oft war es die Sekretärin, meistens eben eine Frau, die lernte, das Gerät zu bedienen. Wenn man so will, war sie diejenige, die den Text eigentlich verarbeitete. ... Der 'Bildschirm' war das Stück Papier in der Selectric-Schreibmaschine. Man schrieb darauf - vom Gerät her dieselbe Schreibmaschine, die man beispielsweise in 'Mad Men' sieht, ein sehr berühmtes Exemplar aus den 60ern - und wenn man sich vertippte, drückte man einfach die Rücktaste. Auf dem Papier in der Maschine sah das scheußlich aus, aber auf dem Magnetband wurde die richtige Buchstabensequenz gespeichert. Im Anschluss steckte man ein frisches Blatt Papier in die Schreibmaschine und wie ein mechanisches Piano druckte sie dann den eigentlichen Text aus."

Hier der von IBM 1967 in Auftrag gegebene Werbefilm für die MT/ST von Jim Henson:


Archiv: The Atlantic

New York Magazine (USA), 28.06.2016

Christopher Paynes Geschichte über Jeff Bezos und die Washington Post liest sich paradoxer Weise interessant und abtörnend zugleich. Interessant, weil Payne Zugang zu allen Hierarchen der Zeitung hatte, auch zu Marty Baron, dem Vorbild für den Chefredakteur in dem Film "Spotlight". Abtörnend, weil all der Innovation Speak mit Ausnahme des Clinches, den die Zeitung gerade mit Donald Trump hat, nicht von publizistischen, sondern ausschließlich von technologischen Strategien handelt, die die "Konsumerfahrung" der Leser immer nur noch glatter und intransparenter machen sollen. So etwas wie journalistische Distanz lässt Bezos-Fan Payne dabei nicht walten: "Daten stehen nun im Zentrum fast aller Strategie-Diskussionen. Letztes Jahr baute die Post ein Analyse-System namens Loxodo, das so gut wie alle Rezeptionsweisen der Leser tracken kann. Es testet, welche Überschriften und Fotos die größte Leserschaft bringen - ein Service den auch die weithin benutzte Mediensoftware Chartbeat bietet. Aber der Loxodo-Algorithmus publiziert automatisch die Testsieger, so dass die Redakteure nicht permanent darüber wachen müssen." Und die von Payne begeistert zitierten siegreichen Überschriften lauten dann: "As a Trans Muslim, I Used to Feel Vulnerable All the Time" und "Low Testosterone Makes You a Better Dad".

Nepszabadsag (Ungarn), 10.07.2016

Der neue historische Roman "Egy piaci nap" (Ein Markttag, Magvető, 2016, 222 Seiten) von Pál Závada (mehr) über ein in Vergessenheit geratenes Pogrom im Jahre 1946 wurde vor kurzem veröffentlicht. Aus diesem Anlass sprach Sándor Zsigmond Papp mit dem Schriftsteller u.a. über gegenwärtige Entwicklungen auf dem Kontinent und die Aussichten Ungarns, die Zavada wenig optimistisch beurteilt: "Es ist möglich, dass Fremdenfeindlichkeit, der Abbau internationaler Kooperationen, das Abstandnehmen von der europäischen Werteordnung und verschiedene Formen des Auseinanderfallens weiter zunehmen werden. Was unser kleinstaatliches Elend betrifft, das deformierte ungarische Wesen, unsere Geschichte und unsere erneute Sackgasse, so wird der Kopf unserer Regierung weiterhin an der Spitze dieser Entwicklung marschieren. Solange, wie wir es zulassen."
Archiv: Nepszabadsag

New York Times (USA), 10.07.2016

Das ist mal was Praktisches! Im aktuellen Magazin der New York Times erklärt Taffy Brodesser-Akner, wie wir endlich unsere Bude aufgeräumt kriegen: Einfach Marie Kondos Buch "The Life-Changing Magic of Tidying Up" lesen oder einen ihrer Workshops besuchen: "Die Teilnehmer bekommen ein Bändsel mit ihren persönlichen Daten und der Option 'Aufräumen erledigt!' oder 'Aufräumen nicht erledigt!' Um erfolgreich zu sein, muss man Kondos Methode folgen. Sie beinhaltet den 'Einmal-im-Leben-Aufräum-Marathon', bei dem fünf Kategorien von Besitz aufgestellt werden: Kleidung, Bücher, Papiere, Verschiedenes und Sentimentales, also Fotos und dergleichen. Dann wird untersucht, wie groß die jeweilige Menge ist. Dann wird jedes Teil in die Hand genommen, um zu entscheiden, ob Freude damit verbunden ist. Wenn ja, darf es bleiben. Wenn nicht, wird es großzügig verabschiedet, tatsächlich mit wohlmeinenden Worten! Das ist der schwerste Moment. Kondo wird oft falsch verstanden, als würde sie wollen, dass wir nichts besitzen. Doch das ist falsch. Wir sollen besitzen, so viel wir wollen, es muss uns nur glücklich machen."

Außerdem: Jon Gertner berichtet aus Tangier Island, Virginia, wo den Bewohnern das Wasser bald bis zur Kinnkante steht. Sollte die Regierung solche vom steigenden Meeresspiegel bedrohten Orte retten oder nicht? Und Ryan Gabrielson und Topher Sanders beklagen, dass die Drogentests der Polizei nicht verlässlich sind und reihenweise Unschuldige in den Knast bringen.
Archiv: New York Times
Stichwörter: Island, Kleidung