Magazinrundschau

Leben wie die alten Damen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
06.10.2015. The Nation porträtiert den libyschen Schriftsteller Alessandro Spina, der nicht universal, sondern einzigartig sein wollte. In Elet es Irodalom erklärt der krebskranke Peter Esterhazy seine Liebe zur Literatur. Die LRB freut sich über offene Grenzen in Europa: endlich sind die Schlepper arbeitslos. Roads & Kingdoms besucht Batumi, das georgische Las Vegas. Open Democracy besucht die zeltenden Demonstranten im moldawischen Chișinău. Harper's versteht in Thailand, was Royalisten und Linke eint. Ceska pozice stellt die vergessene Avantgarde-Künstlerin Toyen vor. Der Merkur untersucht den subtilen Aufbau von Hierarchien im Wissenschaftsbetrieb.

The Nation (USA), 19.10.2015

Bei The Nation hat jemand eine große Schwäche für den 2013 verstorbenen libyschen Schriftsteller Alessandro Spina, dessen Romanzyklus "The Confines of the Shadow" gerade ins Englische übersetzt wird. Letztes Jahr stellte Übersetzer André Naffis-Sahely den Zyklus vor. Jetzt porträtiert Ursula Lindsey den Autor, der 1927 als Sohn einer wohlhabenden christlichen Familie in Bengasi geboren und 1979 aus Libyen vertrieben wurde. Von da an lebte er in Italien. "Spina gehörte zu einer Gruppe privilegierter, wandernder, handeltreibender Minderheiten, deren Identitäten nicht auf ihre Nationalitäten reduziert werden können, und die von Xenophobie, kriegerischen Konflikten und ethnischen Säuberungen aus dem Nahen Osten gefegt wurden. Spina strebte nach Kosmopolitismus, drehte dessen üblichen Polaritäten aber um: Er schockierte gern seine italienischen Freunde, indem er ihnen sagte, er habe sich "entprovinzialisiert" als er von Mailand [wo er studiert hatte] wieder nach Benghazi zog. Sein Einflüsse und Referenzen reichten von Proust bis zu Tausendundeine Nacht, den griechischen Philosophen des fünften Jahrhunderts und dem Bischof Synesios von Kyrene. Trotz all seines Kosmopolitismus war Spina nicht interessiert am Universalismus. Was er schätzte, mehr als alles andere, war einzigartig zu sein."
Archiv: The Nation

Elet es Irodalom (Ungarn), 05.10.2015

Bei der diesjährigen Göteborger Buchmesse stand die Literatur aus Ungarn im Mittelpunkt, das Land war Schwerpunktgast. Die Messe sollte von Péter Esterházy eröffnet werden, eine schwere Krankheit verhinderte jedoch seine Teilnahme. Élet és Irodalom veröffentlichte die geschriebene (aber nicht gehaltene) Eröffnungsrede des Schriftstellers. "Was Literatur ist, das könnte ich auch nach fünfundvierzig Jahren (so lange ist die Feder in meiner Hand) schwer sagen. Ich ahne, was sie nicht ist (eine Namensliste werde ich jetzt nicht verlesen) und wie sie funktioniert. Zauberhaft und geheimnisvoll. Darüber könnte ich viel reden, über den Zauber und das Geheimnis. Und wie enthusiastisch und inspiriert sie sein kann. Denn das füllt ja mein Leben aus. (Klammer. Das änderte sich ein wenig, auch darum bin ich nicht persönlich anwesend, jetzt versucht etwas anderes mein Leben auszufüllen, aber so könnte ich über den Bauchspeicheldrüsenkrebs enthusiastisch und inspirierend erzählen, wovon ich das geschätzte Publikum jetzt verschone, doch es soll sich keine Hoffnungen machen, früher oder später werde ich auch darüber länger erzählen, I am afraid.) Ich fahre außerhalb der Klammer fort, als wäre nichts geschehen."
Stichwörter: Esterhazy, Peter

London Review of Books (UK), 05.10.2015

Ghaith Abdul-Ahad hat sich unter die Flüchtlinge begeben, die über die Türkei, Griechenland und Serbien nach Europa kommen, unter Kommandeure der syrischen Rebellen und kurdische Kämpfer aus Kobane, aber auch Hipster aus dem Irak, Afghanistan und Pakistan. Sehr spannend beschreibt Abdul-Ahad, was sich in diesem Jahr geändert hat: Zum einen sind Grenzen nicht mehr dicht, die Türkei lässt Leute raus und Griechenland lässt sie rein. Zum anderen aber brauchen die Leute keine Schlepper mehr. Jetzt reichen 2.500 Dollar und ein Smartphone: "Die Mobilisierungstechniken des Arabischen Frühlings, die Tausende von Demonstranten an einen bestimmten Platz brachten, werden nun dafür genutzt, die Wellen der Migration zu organisieren. Das ist nicht mehr der Exodus der Unterdrückten und Unglücklichen - auch wenn viele es noch immer sind -, sondern eine Pilgerfahrt der Jungen und Ausgebildeten aus der Mittelschicht. Der Zusammenbruch der europäischen Grenzen ärgert besonders zwei Gruppen von Leuten, die nichts lieber als die alte Ordnung wiederherstellen würden: die EU-Politiker und die Schlepper."

(In der New York Review of Books sieht Hugh Eakin dagegen das Geschäft der Schlepper florieren und die Preise steigen, beruft sich jedoch auf Zahlen von 2014: "Während Libyen nach der Revolution von 2011 in Chaos und Gewalt versank, wurde es zu einem Hort der Schlepper, die sich darauf spezialisierten, Asylsuchende nach Lampedusa zu verschiffen. Die Schlepper werden im Voraus bezahlt und steuern die Boote nicht selbst; sie haben jeden Anreiz, so viele Menschen wie möglich in die kleinen Holzkähne zu verfrachten und es der italienischen und europäischen Küstenwache zu überlassen, die Menschen zu retten, wenn sie kentern.")

Weiteres in der LRB: James Meek erzählt von den sehr mysteriösen Umständen, unter denen der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky in London einen Film über den sowjetischen Physiker Lew Landau drehte. Colm Tobin liest neue Bücher zur Geschichte der Kastraten und lernt etwa von Martha Feldmans, dass meist die zweitgeborenen Söhne italienischer Familie eine Laufbahn als Sänger einschlagen mussten, wenn sie dies nicht im Militär oder in der Kirche tun wollten.

MicroMega (Italien), 02.10.2015

Der Blogger Asif Mohiuddin aus Bangladesch hat in Ferrara einen nach Anna Politkowskaja benannten Preis erhalten. Liest man seine Preisrede in Micromega, kann man nur konstatieren, das er ihn verdient hat: Von 84 Bloggern auf einer "!Hitlist" der Islamisten sind in diesem Jahr neun ermordet worden. Er selbst wurde mit einer Machete angegriffen: "In Bangladesch sind 89 Prozent der Menschen muslimisch. Bangladesch hatte sich von Pakistan als ein laizistisches Land abgesetzt, aber nach und nach ist es immer massiver islamisiert worden, vor allem durch das System der Madrasa, der islamischen Schulen, über die ich sehr häufig schreibe. Diese Schulen produzieren Jahr für Jahr Millionen Fanatiker." Der junge Filmemacher Shaheen Dill-Riazhat vor einigen Jahren eine bemerkenswerte Dokumentation zum Thema Madrasa in Bangladesch gemacht, "Korankinder", mehr hier.
Archiv: MicroMega

Roads & Kingdoms (USA), 05.10.2015

Der georgische Badeort Batumi wäre gern das europäische Las Vegas am Schwarzen Meer. Mit fantastischen Hotels und einem Brunnen, dessen Fontaine einmal die Woche Chacha sprudelt, den georgischen Brandy. Doch statt stinkreicher Russen zieht es halbgare deutsche Unternehmer in die Stadt und nicht ganz so reiche Türken, die sich hier gefahrlos amüsieren können: mit Wein, Weib und einarmigen Banditen, erzählt Tara Isabella Burton, die dem künstlichen Charme der Stadt schnell erliegt. "Es wäre so einfach, Batumi zu hassen. Es wäre einfach, die Neonfontänen, türkischen Bäder, glitzernde Seepromenade und die verfallene Ali-und-Nino-Statue zu hassen. Und doch tue ich es nicht. Am Ende meiner Zeit dort habe ich mit in Batumi verliebt, in seine Eigenartigkeit, in sein idealistisches Bestehen darauf, sich immer und um jeden Preis amüsieren zu wollen. Wenn es das ultimative Ziel eines Ferienortes ist, dem Reisenden eine Art Grenzort zu bieten, eine Flucht aus der realen Welt, dann ist Batumi vielleicht der surreal erfolgreichste Ferienort der Welt: eine wilde, selbstreferentielle Kreation, in der jede Straße, jedes Schild, jeder Swimmingpool in Beziehung zu einem anderen Hotel, einer anderen Stadt, einem anderen imaginierten Paradies zu existieren scheint." (Bild: Der Alphabet-Turm in Batumi)

Außerdem: Martin de Bourmont schildert die Situation der in Zelten campierenden Flüchtlinge in Paris, von denen etwa 500 am Quai d"Austerlitz campieren, zwischen der Terrasse des Nachtclubs Wanderlust und dem Schiffsrestaurant Playtime.

Open Democracy (UK), 01.10.2015

In Moldawien hat die Opposition der Regierung ein Ultimatum gesetzt, berichtet in einer Reportage Maria Levcenco. Sie fordern den Rücktritt von Präsident Nikolae Timofti und Aufklärung über den Verbleib von etwa einer Milliarde Euro, die verschwunden sind. Derzeit kampieren sie in Zelten auf dem zentralen Platz der Hauptstadt Chișinău. Zu den Protestlern gehören die prorussischen Sozialisten, Mitglieder der inoffiziellen Nasha Partiya (Unsere Partei), die von dem Geschäftsmann und Bürgermeister von Bălți Renato Usatii angeführt wird, Befürwortern eines Anschlusses an Rumänien und Bürgern, die sich einfach von der Politik betrogen fühlen. "Ich spreche mit Aurel, 48, der seit fünf Jahren in Moskau lebt und arbeitet. Er kam zurück nach Chișinău, sobald er von den Protestaktionen hörte. "Ich bin kein Mitglieder der Kommunistischen Partei, ich habe von den Protesten auf Facebook gehört. Seit 25 Jahren, seit dem Fall der Sowjetunion, geht das so: Sie versprechen uns ein besseres Leben, aber sie bleiben immer die alten Diebe. Ich habe noch keine einzige Partei gesehen, die etwas für unser Land getan hat. Es gibt nur leere Versprechungen." Aurel will im Camp bleiben, bis die Regierung zurücktritt. "Ich will, dass sie leben wie die alten Damen, die 600 bis 700 Leu im Monat (20 Pfund) bekommen. Ich will nicht mal, dass sie ins Gefängnis gehen. Ich will nur, dass sie wissen, wie es ist, zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre von so wenig leben zu müssen.""
Archiv: Open Democracy
Stichwörter: Moldawien, Rumänien, Camp

Boston Magazine (USA), 29.09.2015

Mit einer Facebook-Statusmeldung ist es Leonard Campanello, dem Polizeichef in Gloucester, Massachusetts gelungen, in den eine weite Kreise ziehende Debatte über den Krieg gegen Drogen anzustoßen: Und zwar versprach er jedem Heroinsüchtigen, der sich mit seinem Drogenbesteck bei der Polizei in Gloucester meldet und um Hilfe bittet, dass er nicht angeklagt, sondern behandelt wird. Im Boston Magazine bietet Chris Sweeney einen ausgiebigen Einblick in die Hintergründe, die zu dieser unorthodoxen Entscheidung - zu der er eigentlich nicht befugt ist - geführt haben und welche Folgen sie hat: "Einige Kritiker fragten Campanello, was er tun würde, wenn jemand mit vier Kilogramm Heroin in seine Wache käme und nach einer Behandlung verlangte - würde er ihn denn wirklich nicht festnehmen? ... "Was juckt"s mich", schoss Campanello zurück, "Wir werden die vier Kilo an uns nehmen und damit von der Straße fernhalten und den Kerl in Behandlung geben."... Was das Gesetz betrifft, wenn es nach ihm ginge, verlangen die Reaktionen auf seine Ankündigung - Millionen Views auf Facebook, ein Stapel ermutigender Briefe auf seinem Schreibtisch und eine wachsende Zahl von Freiwilligen - dringend danach, den Krieg gegen Drogen in seiner bisherigen Form zu beenden. Überdies ist er überzeugt, dass weitere Polizeiwachen ihm massenhaft folgen werden, wenn es ihm gelingt, die Basis dafür zu legen, dass die Polizei Sucht wie eine Krankheit und weniger wie eine rechtliche Angelegenheit auffasst."
Archiv: Boston Magazine

Merkur (Deutschland), 01.10.2015

"Auch Wissenschaftler performen Wissenschaft", proklamiert Thomas Etzemüller in einem provokanten Text über Selbstdarstellung im Wissenschaftsbetrieb: Wo ein Körper ist, da ist ein Auftritt, meint Etzemüller und plädiert dafür, die Person von Wissenschaftlern kenntlich zu machen und nicht länger verdruckst hinter dem "Vf.", dem entpersonalisierten Verfasser, zu verbergen: "Dabei schweigen sie ja nach wie vor - selbst wenn sie tatsächlich ihr Ego immer mehr in den Vordergrund rücken. Was sie übergehen, das ist der Alltag im Wissenschaftsbetrieb, die Aushandlung widerstreitender Interessen in Instituten, die Überwachung impliziter Normen, der subtile Aufbau von Hierarchien oder die Semiotik von Kleidung, Gesten und Körperhaltungen. Gerade das aber, so behaupte ich, spielt eine entscheidende Rolle für die Genese wissenschaftlicher Erkenntnis. Für Wissenschaftssoziologen sprechen Wissenschaftler also nicht zu viel, sondern falsch über sich."

Simon Rothöhler erkundet anhand von Tom Cruise die Gesetze des Megastartums.
Archiv: Merkur

Harper's Magazine (USA), 01.06.2015

Am 22. Mai 2014 brachte ein Militärputsch die Regierung von Premierministerin Yingluck Shinawatra in Thailand zu Fall. Shinawatra und ihrem Bruder Thaksin wurde Korruption vorgeworfen, dies vor allem von der Elite in Bangkok - den Militärs, Royalisten und dem gehobenen Bürgertum - die Shinawatra beschuldigte, ihre Wähler unter den Armen im Norden gekauft zu haben. Es ist nicht der erste Putsch in Thailand. Ian Buruma sucht nach Gründen, warum das Land nicht zur Ruhe kommt, und besucht den Fotografen Manit Sriwanichpoom in dessen Galerie in Bangkok. Dessen berühmteste Kunstfigur ist der Pink Man, der im Supermarkt seinen pinkfarbenen Einkaufswagen durch die Straßen schiebt, eine Satire auf die moderne Konsumgesellschaft. ""Alles was die Thais machen", sagt er, "ist einkaufen, bis zum Exzess essen, fett werden und sterben." Thaksin, sagt er, hatte jedem ein Auto versprochen. "Und jetzt sehen Sie sich unseren Verkehr an." Thaksin "will nur immer reicher und reicher werden und lockt die Menschen mit Geld." Diesen Vorwurf hört man häufig: die Landbevölkerung wähle Thaksin, weil er sie dafür bezahle. Ich erinnerte mich an General Prayuths zwölf Kernwerte, einer handelte davon, "eine Philosophie der selbstgenügsamen Wirtschaft zu praktizieren". Thailands Militär und die royalistischen Propaganda forderten dies immer wieder: das gewöhnliche Volk solle bescheiden sein und sich vor gierigen Geschäftsleuten in Acht nehmen, die es korrumpieren wollten. Als ich Manit zuhört, verstand ich, wie diese Botschaft sich mit seinem linken Antikapitalismus vertragen konnte: Thaksim war der Pink Man."

Hospodarske noviny (Tschechien), 03.10.2015

Der tschechische Ökonom Tomáš Sedláček staunt angesichts des VW-Skandals über die Zielrichtung des deutschen Betrugs: "Vergleichen wir ihn mit tschechischer Korruption (der nachkommunistischen Zeit), so läuft das bei uns völlig anders: Wird bei uns geklaut oder bestochen, dann in der Regel für den persönlichen Profit, nicht für den der Firma, zumindest solange der betreffende Betrüger sie nicht selbst besitzt (bzw. seine Verwandten oder Bekannten). In Deutschland hat jemand zum Nutzen des Unternehmens betrogen (VW) und nicht zugunsten eines betrügerischen Individuums."
Stichwörter: Sedlacek, Tomas, VW-Skandal

New Yorker (USA), 12.10.2015

In der neuen Ausgabe des New Yorker erklärt Nicholas Lemann, was Politik und Wirtschaft von sozialen Netzwerkern wie Reid Hoffman von LinkedIn lernen können: "Alles an Hoffman, sein Business, seine politischen Aktivitäten, seine Philanthropie, sein soziales Leben, ist auf eine kommende Wirtschaftswelt ausgerichtet … Er ist überzeugt, dass stagnierenden Löhnen und Ungleichheit mit Internet basiertem Networking begegnet werden kann. Arbeit ist heute bereits eher temporärer, sporadischer und informeller Natur, ein Umstand, der Hoffman gefällt. Mehr und mehr Menschen werden unternehmerisch tätig sein oder selber zu Unternehmern. Der Hüter der Karriere wird dann nicht mehr der Arbeitgeber sein, sondern das persönliche Netzwerk. Also ist es ratsam, es so groß und lebendig wie möglich zu gestalten. Eine zeitgemäße Version von William H. Whytes Buch "The Organization Man" müsste nach Hoffmans Verständnis "The Network Man" heißen. Und diese virtuelle Struktur würde unser Zeitalter genauso prägen wie die großen Unternehmen früher prägend waren."

Außerdem: John Colapinto begleitet Olivier Rousteing, den neuen Designer von Balmain. Und Margaret Talbot porträtiert den parteilosen US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders, der sich selbst einen demokratischen Sozialisten nennt.
Archiv: New Yorker

Magyar Narancs (Ungarn), 17.09.2015

Die Schriftstellerin und Theaterkritikerin Andrea Tompa betrachtet die Situation von Frauen im ungarischen Theater und stellt fest: Theaterdirektion aber auch Regie sind in Ungarn Männerdomäne. Gerade mal zwei Theaterintendantinnen gibt es im Land. "In anderen Bereichen findet man dagegen auffallend viele Frauen: bei den unabhängigen Theatern, beim zeitgenössischen Tanz und bei den künstlerisch-performativen Organisationen. Auch beim Puppentheater sehen die Geschlechterverhältnisse besser aus. (...) In den Peripherien konnten Frauen auch in der Vergangenheit freier und mutiger arbeiten, wurden allerdings auch kaum beachtet. Auch die Zuschauerverhältnisse spielen eine Rolle, denn ca. 70 Prozent der Theaterbesucher sind Frauen. Theater in Ungarn wird von Männer gemacht und von Frauen angeschaut."
Archiv: Magyar Narancs

Gentlemen's Quarterly (USA), 28.09.2015

Mit großem Genuss beschreibt Matthew Shaer den Krieg der Turnschuhkonzerne Adidas - in der Rolle des David - gegen Goliath Nike. Und da gehts schon um was: "Die Experten schätzen den globalen Markt für Turnschuhe auf 55 Milliarden Dollar, das ist mehr als das Bruttosozialprodukt Äthiopiens. Niemand kauft mehr Turnschuhe als die Amerikaner und wir kaufen mehr als jemals zuvor. Laut dem Analysten NPD Group haben Amerikaner allein im letzten Jahr 28 Milliarden Dollar für Turnschuhe ausgegeben, das sind fast fünfzig Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Matt Powell, der sich selbst als "Sneakerologist" bei NPD beschreibt, glaubt, das Wachstum werde sich in der nahen Zukunft fortsetzten. Wir treten ein, sagt er, in "einen permanenten Zustand der sneaker-ness.""

The Verge (USA), 25.09.2015

Die eigene Lieblingsmusik auf Streamingdiensten abrufbar zu haben, ist bloß die halbe Miete, erklärt Ben Popper. Vielmehr beziehen die Archive der verschiedenen Anbieter einen beträchtlichen Reiz daraus, neue Musik entdecken zu können - weshalb sich die zentralen Player auf dem Markt vor allem über ihre Empfehlungssysteme profilieren wollen. Sowohl persönliche Empfehlungen von Radio-DJs als auch algorithmenbasierte Wahrscheinlichkeitsrechnungen haben laut Popper empfindliche Schwächen, weshalb er umso begeisterter von Spotifys neuem Feature ist, das beides vereint. "So funktioniert"s: Spotify verfügt über ein Geschmacksprofil jedes Nutzers, das auf dessen Hörvorlieben fußt. ... Die Algorithmen hinter Discover Weekly finden Nutzer, deren Playlists Lieder und Künstler aufweisen, die man selber schätzt. Dann durchkämmen sie die Playlists dieser Seelenverwandter nach jenen Liedern, die man selbst noch nicht gehört hat, im Wissen darum, dass man diese wahrscheinlich ebenfalls mögen wird. Schlussendlich nutzen sie das eigene Geschmacksprofil, um diese Fundstücke nach jenen Nischen zu filtern, in denen man selbst gerne Entdeckungen macht. Weil die Playlist, dieser explizit kuratorische Akt, sowohl Quelle des Signals, als auch deren Endergebnis darstellt, kann diese Technik Resultate hervorbringen, die mitunter wesentlich interessanter ausfallen, als kollaborative Allerwelts-Filtertechniken."
Archiv: The Verge

Ceska pozice (Tschechien), 02.10.2015

Eine Ausstellung im Prager Museum Kampa widmet sich der tschechischen Avantgarde-Künstlerin Toyen (1902-1980). Radan Wagner erinnert an die "so berühmte wie geheimnisvolle" Künstlerin, die nur in der männlichen Form von sich sprach, niemals Interviews gab und nur selten Besuch empfing. "Sie besaß eine ungewöhnliche Offenheit für traumhafte, unheimliche und erotische Visionen, die die Pfeiler ihres Werks bildeten, das vom Primitivismus, über den Poetismus zum Surrealismus führte" und sie auch mit der Pariser Gruppe um André Breton zusammenbrachte. Heute erzielen ihre Werke hohe Preise auf dem Kunstmarkt - im Prag des Zweiten Weltkriegs galten sie unweigerlich als "entartete Kunst" und zwangen ihre Schöpferin in die Illegalität. Die Frau, die von sich behauptete, weder Familie noch Vergangenheit zu besitzen, "entschied sich damals zu einem mutigen Schritt. In den Jahren 1941-1945 versteckte sie im Bad ihrer Wohnung im Stadtteil Žižkov den jüdischen Dichter Jindřich Heisler, der so dem Konzentrationslager entging." (Bild: Toyen, Olejomalbu Opuštěné doupě vytvořila Toyen v roce 1937. Galerie výtvarného umění v Chebu)
Archiv: Ceska pozice

New York Times (USA), 05.10.2015

Im neuen Magazin der New York Times gibt sich Mark Leibovich 24 Stunden mit "The Trump" und stellt fest, dass die Kandidatur Trump eigentlich kaum schaden kann, während sie die Medien vor ein Dilemma stellt: Sollen sie im Politikteil über ihn berichten oder unter Entertainment? "Der Kern des Phänomens Trump ist seine eigene Berühmtheit, die heute tatsächlich so populistisch ist wie sie nur sein kann … Zwischen dem Unternehmer und dem Präsidentschaftskandidaten Trump gibt es keinen Unterschied, außer dass letzterer noch häufiger öffentlich auftritt. In beiden Fällen ist es der grob dreiste, großspurige Showman, den wir kennen. Und aus irgendeinem Grund bildet dieser Charakter mit dem politischen Zeitgeist ein treffliches Paar … Ist Trump das Nebenprodukt eines Systems, das Amerika in einen Goldrausch aus billiger Berühmtheit, Reichtumsvermehrung und narzisstischer Selbstvermarktung gestürzt hat? Oder hat Trump nur sein Geld, seine Berühmtheit und seine Mediendominanz gegen die Kräfte gewendet, die den Ekel an diesem System ursprünglich hervorgerufen haben?"

Außerdem: Jennifer Percy trifft in Syrien Soldaten aus Europa und den USA, die gegen den IS kämpfen. Und Sam Anderson berichtet, wie die Schauspielerin Ellen Page Hollywood entkommen ist und lieber für Menschenrechte eintritt. In der Book Review bespricht Jonathan Franzen begeistert Sherry Turkles technologiekritisches Buch "Reclaiming Conversation". Etwas weniger enthusiastisch liest Tim Parks Sven Birkerts ebenfalls sehr technologiekritisches Buch "Changing the Subject". Marcel Theroux bespricht den neuen Rushdie. Und Ann Marie Cox stellt John Norris" Biografie "Mary McGrory. Die erste Königin des Journalismus" vor.
Archiv: New York Times