Magazinrundschau

Herbstböen überstehen

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
02.12.2014. Globalgeschichte ja, aber ohne kulturelle Deutungsmuster bitte, fordert der Merkur. Der New Humanist freut sich über die wachsende Zahl von Atheisten in den arabischen Ländern. Westliche Autoren finden dagegen vermehrt zu Gott, erklärt der New Statesman. Für die NYRB blickt Colm Toibin in die Augen von Goyas Infante Don Luis. In Intercept erklärt James Risen, warum der Kongress nichts gegen die NSA unternimmt. Die London Review schmuggelt sich unter die griechischen Neonazis der "Goldenen Morgenröte". In Syrien kann man eigentlich gar nichts richtig machen, erklärt der New Yorker.

Merkur (Deutschland), 02.12.2014

Gut und wichtig findet der Berliner Historiker Sebastian Conrad die Überwindung eurozentrischer Geschichtsbilder, leider gehe mit den neuen Formen der Globalgeschichte auch ein Trend zu kulturellen Deutungsmuster einher: "Wo ist die Grenze zwischen Vielfalt der Perspektiven und Nativismus? Im Kern besteht das Problem darin, dass in diesen Debatten Vielfalt und Diversität als inhärent kulturell verstanden werden. Aber viele dieser "Kulturen" sind infolge einer langen Geschichte der Austauschbeziehungen und der Einbindung in größere Prozesse gar nicht mehr zu rekonstruieren. Statt also nach rein "nigerianischen" und "vietnamesischen" Stimmen zu fahnden, müsste es darum gehen, die Machtbeziehungen zu untersuchen, die sich auf die jeweiligen Positionierungen ausgewirkt haben. In jedem Fall ist eine klare Zuweisung intellektueller Positionen zu nationalen oder zivilisatorischen Kontingenten in hohem Maße problematisch."

Der Frankfurter Philsoph Christoph Menke erklärt, wie die Anthropologie die Freiheit jenseits der Großen Trennung von Geist und Natur denken kann: Mit Claude Lévi-Strauss in der Lücke, die die Natur lässt. "Frei zu sein heißt nicht, die symbolische, normative Ordnung des Geistes gegenüber der Natur aufzubauen und zu erhalten; Freiheit ist nicht normative Ordnung. Sondern frei zu sein heißt, die symbolische, normative Ordnung des Geistes zu errichten und sie unterbrechen, suspendieren zu können. Freiheit ist der Wechsel zwischen Ordnungserrichtung und -vernichtung."

Im Print denkt Dieter Grimm über Europa nach, und Christian Demandt über müde Museen gemäß Daniel Tyradellis: "Müde Museen sind solche, die nach bestem Wissen und Gewissen alles richtig machen."
Archiv: Merkur

New Humanist (UK), 25.11.2014

Samira Shackle interviewt für den New Humanist den Journalisten Brian Whitaker, der ein Buch über "Arabs Without God" (Auszug) geschrieben hat (dessen Übersetzung ins Arabische übrigens mit einer Kickstarter-Kampagne finanziert wird). Er ist trotz allem guter Dinge: "Die Zahl der Atheisten scheint zu wachsen. Das mag erstaunen angesichts der Aufmerksamkeit, die Al Qaida und ISIS auf sich ziehen, und angesichts des riesigen Aufschwungs der Religion in den letzten Jahrzehnten. Arabische Regierungen haben das Sektierertum für ihre eigenen politischen Zwecke angefacht, aber der "neue" arabische Atheismus in der jungen Generation ist gerade eine Antwort darauf und auch auf die reaktionären Ansichten muslimischer Kleriker, besonders in Saudi Arabien. Ein anderer Faktor ist, dass die Volksaufstände den Leuten Mut gemacht haben, mehr Dinge in Frage zu stellen, auch die Religion, den Religion und Politik sind in der arabischen Welt eng verbunden."
Archiv: New Humanist

New Statesman (UK), 27.11.2014

Warum wenden sich immer mehr westliche Autoren - von Ian McEwan über Joshua Ferris bis zu Colm Toibin und J.M. Coetzee - der Religion und Gott zu, fragt Philip Maughan und sucht Antworten bei der Autorin Marilynne Robinson, dem Lehrer Francis Spufford und dem ehemaligen Erzbischof von Canterbury Rowan Williams. Letzterer macht literarische Gründe geltend, die in der Erfahrung des Bibellesens liegen: "Die Entwicklung des Romans folgte aus einem starken Gefühl, dass es Dinge gibt, die man nur erzählerisch vermitteln kann." Spufford hat eine andere Erklärung: "Der Aufschwung der Religion mag mit dem Versagen zu tun haben, nach der Finanzkrise einen überzeugenden antikapitalistischen Diskurs zu führen. ... "Für viele verkörpert Jesus die letzte Person, die noch demoliert werden muss, bevor Britannien atheistisch wird - eben weil er sich einer utilitaristischen Berechnung widersetzt: Die Figur Jesus verweigert eine Sprache der Vorsicht und Kosten-Nutzenrechnung über Individuen von unschätzbarem Wert."
Archiv: New Statesman

Elet es Irodalom (Ungarn), 28.11.2014

Mitte November fand in Budapest das 11. Internationale Verzió Dokumentarfilmfestival der Menschenrechte statt. Loránt Stőhr besuchte das Festival und erkannte in vielen Filmen "dieselben grundlegenden politisch-gesellschaftlichen Differenzen in verschiedenen Ausführungen zwischen dem postsozialistischen Osten und dem globalkapitalistischen Westen. Im Osten stammen die schwerwiegenden Probleme aus dem vollkommenen Ausgeliefertsein gegenüber dem Staat, aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit und aus der totalen staatlichen Gleichgültigkeit gegenüber den Lebensverhältnissen der für Untertanen gehaltenen Staatsbürger. Im Westen dagegen verursachen die über riesigen Einfluss und Macht verfügenden Wirtschaftskonzerne kleinere und größere gesellschaftliche Spannungen. Sie agieren gewiefter als offene Diktaturen oder illiberale Staaten und werden von den Bürgern freiwillig akzeptiert. Menschliche Werte, Fürsorge und Glück werden dort von der individuellen Interessenwahrung überschrieben."
Stichwörter: Ungarn

New York Review of Books (USA), 18.12.2014

Nach Lektüre von Karen Dawishas Buch "Putin"s Kleptocracy verabschiedet Anne Applebaum das Bild von einem Russland, das vom Westen in die Ecke gedrängt wird. Eigentlich will sie nicht einmal mehr an ein Russland glauben, das sich um Reformen bemüht. Dawisha hat ihre Sicht gründlich geändert: "Die wichtigste Geschichte der vergangenen zwanzig Jahre wäre dann nicht eine über gescheiterte Demokratisierung, sondern der Aufstieg eines neuen russischen Autoritarismus. Anstatt die Fehler der Reformer und Intellektuellen zu erklären, die den radikalen Wandel versuchten, sollten wir uns auf die bemerkenswerte Geschichte einer Gruppe von unverbesserlichen, entschlossenen und revanchistischen KGB-Offizieren konzentrieren, die mit Entsetzen den Kollaps der Sowjetunion und ihren eigenen Machtverlust beobachteten. Zusammen mit dem organisierten Verbrechen in Russland planten sie ab Ende der 80er Jahre ihre Rückkehr an die Macht. Mit Hilfe eines skrupellosen internationalen Offshore-Bankensystems stahlen sie dem russischen Staat das Geld, brachten es ins Ausland in Sicherheit, reinvestierten es in Russland und übernahmen dann, Stück für Stück, den Staat selbst."

Absolut in den Bann geschlagen ist der irische Autor Colm Toibin von der Goya-Ausstellung in Boston. Natürlich haben ihn die Selbstporträts und die Bilder des Krieges erschüttert. Aber am stärksten scheint ihn die Familie des Infante Don Luis beeindruckt zu haben: "Gemalt im Profil, ist er alt geworden, in scharfem und dramatischen Kontrast zu seinem jungen Sohn, der hinter ihm steht und, ebenfalls im Profil, das gleiche Gesicht hat, nur eben jünger, zart und unschuldig, das gleiche stille Wesen. Der Infante steht in Kontrast zu seiner Frau, die größer, wacher und lebendiger als ihr Mann erscheint. Das Auge gleitet über die drei, und wird doch am meisten von der Melancholie des Infante angezogen. Sein Blick ist körperlos, aber nicht leer, voll Wissen und Trauer. Als Goya das Bild malte, hatte der Infante die Gunst seines Bruders, des Königs verloren, doch das Gefühl des Verlustes und der schwindenden Macht ist nicht weltlich, es rührt von der Zeit, von der Erfahrung des Lebens, und diese Erfahrung ist das Schwinden der Zeit."

Weiteres: David Cole empfiehlt dringend Bryan Stevensons Buch "Just Mercy", in dem der Anwalt vieler schwarzer Todeskandidaten sehr genau die rassistischen Tendenzen der amerikanischen Strafjustiz aufzeige, aber auch die Möglichkeiten, dagegen zu kämpfen, etwa die Equal Justice Initiative. Rachel Donadio preist das Werk der großen Elena Ferrante.

Intercept (USA), 26.11.2014

James Risen ist ein hochdekorierter, mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneter Reporter der New York Times, der sich vor allem mit seinen Reportagen über die staatliche Bespitzelung der amerikanischen Bevölkerung verdient gemacht hat. Weil er seine Quellen nicht preisgeben will, hat ihn die Regierung Obama vor Gericht gezerrt. In einem - leider über weite Strecken etwas unspezifischen - Interview mit Glenn Greenwald erklärt Risen, warum der Kongress unfähig ist, der rechtswidrigen Überwachung einen Riegel vorzuschieben. Einflussnahme durch Wahlkampfspenden spielt dabei kaum eine Rolle, meint er: "Aber all die Angestellten, all die Kongressmitglieder denken darüber nach, was sie nach diesem Job tun werden. Dasselbe gilt für Offiziere. Was tut man, nachdem man sich vom Militär verabschiedet hat oder vom Untersuchungsausschuss für innere Sicherheit oder was auch immer? Man braucht einen neuen Job als defense contractor. Und deshalb glaube ich, der wahre Anreiz für viele dieser Leute besteht darin, ihre potenziellen künftigen Arbeitgeber nicht zu verärgern."
Archiv: Intercept

Telerama (Frankreich), 02.12.2014

Der Radio France International-Reporter David Thomson analysiert für Télérama einige Videos der IS-Miliz, um ihren Kommunikationsstrategien auf die Spur zu kommen. Da ist zum Beispiel der Fall des britischen Fotojournalisten John Cantlie, der zu den Geiseln der Miliz gehört und nun als eine Art Fernsehreporter eingesetzt wird. "Schon das Erscheinungsbild Cantlies ist angelegt, um Verwirrung zu stiften. Er hat die an Guantanamo erinnernde orange Gefangenenkluft abgelegt. Diese Kluft trug er noch in der Videoserie "Lend Me Your Ears", in der er sein Verhalten so erklärte: "Ich weiß, was ihr sagt. Er ist gefangen, man zwingt, ihn das zu tun, er hat eine Pistole an der Schläfe. Ja, es ist wahr, ich bin ein Gefangener, meine Regierung hat mich im Stich gelassen, ich habe nichts mehr zu verlieren." Aber nun ist er schwarz gekleidet (die Lieblingsfarbe der Dschihadisten), und er trägt die Sunna, einen sprießenden Kinnbart, während der Schnurrbart rasiert wird. Der IS sät Zweifel: Cantlie schwebt in Todesgefahr, aber er spricht ganz natürlich, so dass der Zuschauer sich fragt, ob er wirklich unter Zwang handelt. Mag sein, dass das eine List seinerseits ist, um seine Haut zu retten. Der IS fängt an mit ihm zu sympathisieren, so dass es heikel wird, ihn hinzurichten."
Archiv: Telerama

Wired (USA), 26.11.2014

Den eh schon etablierten Mega-Sellern liefert der Streamingservice Spotify überschaubare Nebeneinkünfte, der Nachwuchs wird mit lachhaften Brotkrumen abgespeißt - so die gängige Einschätzung, die Ben Berry allerdings überhaupt nicht gelten lassen will: Ohne Spotify wäre seine 2013 gegründete Band Moke Hill bei weitem nicht dort, wo sie heute steht. Ihr allein schon über 300.000 mal gestreamte Song "Detroit" machte sie zwar nicht reich, aber bekannt - und Geld verdient man heute eh auf der Bühne. Und während viele Musikkonzerne einen Großteil der Spotify-Tantiemen je nach Deal selbst behalten, kann Berrys unabhängige Band einen Großteil der Ausschüttungen auf dem eigenen Konto verbuchen. Vor allem aber sieht er im Streaming enorme Wachstumschancen: "Spotify steckt noch in den Kinderschuhen. Die Ausschüttungen fallen jetzt also noch deutlich niedriger aus als in Zukunft, wenn der Service wachsen sollte. Man stelle sich nur vor, Spotify würde von angesehenen Musikern wirklich geschätzt und der Umsatz würde um das Zehnfache steigen (und damit auch die Menge an Streams per Song). Die oben erwähnten Singles [von Megasellern] könnten zwischen 9 und 17 Millionen Dollar abwerfen - und das für einen Song. Moke Hill sind praktisch keine Kosten entstanden, um unsere Songs von Spotify streamen zu lassen, und der Service hat zehntausende Menschen auf der ganzen Welt mit unserer Musik bekannt gemacht, die sonst niemals von uns Notiz genommen hätten. Spotify zahlt uns also nicht nur, sondern baut uns auch eine Fanbasis auf, was es uns schlussendlich einfacher macht, Konzerttickets zu verkaufen."

Außerdem: Wer noch schwankt, ob er die "Tribute von Panem" verschenken oder maulende Teenager unterm Weihnachtsbaum riskieren soll, dem versichert Devon Maloney, dass dystopische Science-Fiction-Reißer trotz ihrer Drastik Jugendlichen dabei helfen, ihre ethischen Werte auszubalancieren. Brendan I. Koerner erzählt die Geschichte, wie der Ur-Computer ENIAC vor dem Schrottplatz und für die Zukunft gerettet wurde. Und Alex French und Howie Kahn haben die Oral History zur Entstehung des Astronauten-Drama-Klassikers "The Right Stuff" (1983) aufgeschrieben.
Archiv: Wired

London Review of Books (UK), 01.12.2014

Alexander Clapp hat sich - getarnt als amerikanischer Faschist - bei den griechischen Neonazis der "Goldenen Morgenröte" eingeschmuggelt und beobachtet, wie straff die Partei organisiert ist. "Die Gewalt der Partei ist selten ungeplant. Messenger-Gruppen und Facebook-Threads werden genutzt, wenn es darum geht, drei oder vier Immigranten nachzustellen. In Metaxourgios erzählte mir ein Friseur aus Bangladesch, dass die Morgenrötler die griechische Polizei imitieren: sie fahren zu zweit auf weißen Motorrädern vor, behelmt und in schwarzer Uniform. Für die Illegalen in Einwandererviertel interessiert sich die Partei nicht: Ihre Ziele sind die, die in den Gegenden der Mittel- oder Oberklasse umherirren, wo sie von den Einwohnern weniger willkommen geheißen werden. In der Regel töten Morgenröter nicht. Sie brechen nur in blitzartigen Überfällen ein paar Knochen."

In der Rembrandt-Ausstellung in der National Gallery ergründet T.J. Clark die Selbstporträts des niederländischen Meisters und erkennt ihr Geheimnis nicht in der Frage nach Gut und Böse oder Licht und Dunkel, sondern in Rembrandts Blick: "In meinem Hinterkopf hielt sich noch immer die Idee, dass die Unterscheidung von dem Eigenen und dem Anderen, von Außen und Innen, Unmittelbarkeit und Reflexion dem Blick Gestalt gibt, den ich zu ergründen versuchte. Ich wollte diesen Unterscheidungen etwas entgegensetzen oder sie zumindest hinterfragen, doch dann durchbrach der Blick meine intellektuellen Verteidigungslinien. Er traf mich direkt. Er setzte mich an die Stelle des Selbst. Rembrandt und ich standen uns gegenüber - der Blick war unsere Übereinkunft. Vielleicht kann man das den Rembrandt-Effekt nennen. Er ist jedenfalls immens kraftvoll und seine Mechanik bleibt ein Rätsel."

Rivka Galchen hat sich durch die ersten beiden, jetzt auch auf Englisch erschienenen Bände von Reiner Stachs Kafka-Biografie durchgearbeitet und ist auf ihre Kosten gekommen. Besonders lobend hebt sie hervor, wie wenig Stach spekuliert und urteilt. Nathan Thrall erklärt sich die steigende Gewalt in Jerusalem mit der Frustration der Palästinenser über die israelische Politik wie der eigenen politischen Führung.

New Yorker (USA), 08.12.2014

"Syrien ist der komplizierteste Krieg im nahen Osten in den letzten hundert Jahren", erfährt Robin Wright bei Recherchen in der türkischen Grenzstadt Gaziantep, wo sich internationale Hilfsorganisationen, syrische Oppositionelle und amerikanische Militärs auf den Füßen stehen. In einer lesenswerten Reportage verschafft Wright einen Überblick über die schwierige Situation: "Zehn bis Fünfzehn Prozent der drei Millionen Syrer, die im vom IS kontrollierten Gebiet leben, sind auf internationale Hilfslieferungen angewiesen, schätzt Orhan Mohamad, Direktor der Hilfskoordinationseinheit, die von der Opposition betrieben wird und in Gaziantep angesiedelt ist. "Es gibt ein humanitäres und ein politisches Konzept - und die widersprechen einander", sagte er. "Wenn wir Nahrungsmittel in diese Gegend liefern, helfen wir IS politisch. Aber aus humanitärer Perspektive retten wir einer Familie das Leben. So oder so macht man sich schuldig. Es ist eine teuflische Entscheidung.""

Weitere Artikel: Burkhard Bilger gewährt einen ausführlichen Einblick in die Welt von Kindern, die eine Rodeo-Karriere anstreben. Adam Gopnik sinniert über die Bedeutung der Pont des Arts für Paris. D.T. Max porträtiert Hans Ulrich Obrist, den Kodirektor der Londoner Serpentine Gallery. Wahlweise lesen oder vom Autor vorgelesen bekommen können wir außerdem die Kurzgeschichte "Reverend" von Tim Parks.
Archiv: New Yorker

Economist (UK), 28.11.2014

Ausführlich und mit vielen Argumenten pro und contra stellt sich der Economist der Frage, ob von Google ein Monopol droht, das eine Zerschlagung à la Standard Oil rechtfertigt. Im Online-Werbemarkt hat Google eine solche Position fast erreicht, meint er, aber alles in allem schätzt das Magazin die Gefahr mit Rückblick auf die Geschichte der IT als gering ein: IBM wurde abgelöst, als Microsoft den PC-Markt zu monopolisieren begann, Microsoft erlag der Tendenz zum MacBook. "Auch Google wird wohl eines Tages durch einen solchen "platform shift", der die dominierende Art der Computernutzung verändert, gebrochen. Vielleicht passiert dies schon. Android hat Google zu einer Macht in der mobilen Welt gemacht, aber es ändert nichts daran, dass diese Welt anders funktioniert, als jene, in der Google groß wurde und Geld machte."
Archiv: Economist

Bloomberg Businessweek (USA), 26.11.2014

Keine Zeitschrift setzt im Moment bessere Wirtschaftstitel als die Business Week. Auch wer sich nicht für die raue Männerwelt der Computerspiele interessiert, wird Sheelah Kolhatkars Porträt der Aktivistin Gender-Spezialistin Anita Sarkeesian mit Begeisterung lesen: Sie bringt durch einen Videokanal über krass frauenfeindliche Muster in diesen Spielen die ganze Szene durcheinander - und löst wilde Attacken und unheimlichste persönliche Drohungen aus. Aber ihre Erfolgsgeschichte ist all american: "Im Jahr 2012 wurde Sarkeesian von dem Game Studio Bungie in Seattle, bekannt durch die Halo Serie, eingeladen, um über starke weibliche Charaktere in Spielen zu sprechen. Sie bekam eine überraschend gute Reaktion und beschloss, sich stärker in Videospiele einzudenken, die sie seit den Game-Boy-Spielen in ihrer Kindheit liebte. Sarkeesian startete eine Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter mit der Frage: "Ist Ihnen je aufgefallen, dass sich praktisch alle weiblichen Charaktere in Videospielen mit einigen beachtlichen Ausnahmen, einer Handvoll Klischees und Stereotype zuordnen lassen?" Sie setzte ein Ziel von 6.000 Dollar und erreichte es in weniger als 24 Stunden. Nach zwei Wochen hatte sie die 22.000-Dollar-Marke überschritten, präsentierte ein Video auf Youtube mit einer Skizze des Projekts und erregte die Aufmerksamkeit der Hardcore-Spieler."

Hier "Damsel in Distress" Part 1:


Nepszabadsag (Ungarn), 29.11.2014

Vergangener Woche erschien der neue Sammelband des liberalen Philosophen János Kis mit dem Titel "Was ist Liberalismus?" (Mi a liberalizmus? Kalligram, Budapest 2014, 696 Seiten). Im Interview mit Dóra Ónody-Molnár spricht Kis über die neuen Protestbewegungen in Ungarn, die ein recht verworrenes Bild bieten: "Die neuen Protestbewegungen greifen gleichzeitig den Liberalismus und den ausgebauten illiberalen Staat an. Sie würden die vergangenen fünfundzwanzig Jahre in den Mülleimer werfen, während sie den Rechtstaat, die Freiheit und die Republik hochleben lassen. Sie sind misstrauisch gegenüber der Globalisierung, doch sie hissen die Flagge der EU. (...) Die Wortführer sprechen zwar darüber, dass sie nicht das gesamte System abschaffen, sondern lediglich eine Reform des Steuersystems oder die Bekämpfung der Korruption oder eine transparentere Regierung wollen, aber hier wird man kaum Halt machen. Die vielen verschiedenen Themen, welche die Menschen auf die Straßen bringen, sind miteinander verzahnt. Einzeln werden sie nicht behoben werden können. Die Lösung ist die Abschaffung des Systems."
Archiv: Nepszabadsag

New York Times (USA), 30.11.2014

Als Theo Jansen Anfang der 1990er Jahre mit der Entwicklung von windbetriebenen PVC-Konstruktionen begann, hatte er das Ziel, dass seine "Strandbeests" eines Tages Dämme bauen und die Niederlande vor dem Versinken im Meer bewahren sollten. Davon ist Jansen mittlerweile abgekommen, jetzt bereist und begeistert er mit seinen Geschöpfen die Kunstwelt und arbeitet daran ihre Evolution weiter voranzutreiben, berichtet Lawrence Weschler, der den Künstler bei der Vorbereitung auf eine USA-Tournee begleitet hat: ""Die Leute sagen, wie schön meine Strandbeests sind, wenn sie am Strand entlang paradieren", sagte er. "Aber du musst verstehen: Ich habe mich nie für Schönheit an sich interessiert. Ich interessiere mich für das Überleben, deshalb basiert alles auf Erwägungen, wie Dinge besser funktionieren können. Das Faszinierende ist jedoch - hier wie in der Natur -, je besser etwas funktioniert, desto schöner ist oft das Ergebnis. Im Augenblick besteht die große Herausforderung immer noch darin, sie überlebensfähig zu machen", fügte Jansen hinzu. "Wenn sie sich jemals von selbst reproduzieren sollen, müssen sie erst einmal die Herbstböen überstehen können.""


Theo Jansen und ein Strandbeest bei der Arbeit.

Paul Mozur und Jane Perlez stellen Chinas neuen Internetzar vor, Lu Wei, der als Türsteher den Zugang ausländischer Internetfirmen zum lukrativen chinesischen Markt kontrolliert und eine Politik verteidigt, wonach China das Recht hat, Webseiten zu blockieren, Inhalt zu zensieren und in seinen Grenzen User zu überwachen: "Er forderte wiederholt "Respekt für die nationale Souveränität" im Netz, mit der Begründung, dass Staaten den Cyberspace innerhalb ihrer Grenzen nach Gusto regulieren können sollten." Die EU hört das sicher gern!

Weitere Artikel: Emily Bazelon informiert über ein bevorstehendes Urteil des Supreme Court in der Frage, ob Drohungen in sozialen Medien unter das Recht auf Meinungsfreiheit fallen: "Wie ist mit der verbreiteten Behauptung umzugehen, dass Meinungsäußerungen im Internet eine Form von Schauspielerei seien, in der eine Drohung so unwirklich ist wie der Angriff auf einen Avatar in World of Warcraft." Suzy Hansen berichtet in einer Reportage über das schwere Grubenunglück in der Türkei vom 13. Mai. Michael Erard widmet sich einer Untersuchung zur oft unterschätzten Kunst der Online-Kritik. Hier eine als Haiku formulierte Kritik auf Netflix zu dem Film "Biutiful": "The nose of Bardem/Its flatness brings him closer/To the screen, and death."
Archiv: New York Times