Magazinrundschau

Süßer Klang der Epiduralsonette

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
02.11.2010. Tehelka und Outlook verteidigen Arundhati Roy gegen den Vorwurf der Volksverhetzung. In der Paris Review erklärt Michel Houellebecq, was noch skandalöser als Sex ist. La vie des idees überlegt, ob Noam Chomsky wirklich ein manichäischer Linker ist. The Nation wittert in Lewis Hyde einen verkappten Romantiker. NZZ Folio weiß, warum große Hirne so oft pleite gehen. Der Guardian feiert Jenny Erpenbeck.

Tehelka (Indien), 06.11.2010

Arundhati Roy hat in Indien mit Äußerungen über Kaschmir mal wieder eine Riesendebatte ausgelöst. "Kaschmir war nie ein integraler Bestandteil Indiens" hat sie gesagt, und in einer Konferenz mit dem Separatisten Syed Ali Shah Geelani plädierte sie für eine Unabhängigkeit Kaschmirs, woraufhin indische Medien verlangt haben, dass man sie wegen "Volksverhetzung" verklagt. Shoma Chaudhury verteidigt die Autorin in der Titelstory von Tehelka: "Das Indien des 21. Jahrhunderts ist nicht ein Land, es sind zwei Kontinente. Wenn du Geld hast, der Mittelklasse angehörst und Englisch sprichst, lebst du auf einem sehr lebenswerten Kontinent. Es gibt viele Chancen: Jobs, tolle Bars, Häuser, die man kaufen kann, und sogar Ferien. Wahlen sind frei und die Demokratie war nie stärker. Wenn du arm oder Muslim bist oder in Stammesgebieten lebst, dann ist dein Kontinent dunkler. Roy hat auch die dunkle Seite aufgesucht .. Die Mittelschicht kann diese Liebe nicht verstehen. Diesen Kontinent hat sie nie besucht. Im Herzen der ewigen Kontroverse zwischen Roy und jenem Indien, das sie einst feierte, liegt ein tiefer Dissens darüber, was Indien ist."

Im Interview konfrontiert Chaudhury die Schriftstellerin mit den Folgen ihres Plädoyers für ein "freies" Kaschmir. Syed Ali Shah Geelani, in dessen Gegenwart sie die Unabhängigkeit Kaschmirs forderte, will die Scharia einführen. Roy antwortet: "Wenn er Chef eines Staates wäre, in dem ich lebe, und mir diese Sicht aufzwingen würde, dann würde ich alles tun, um Widerstand gegen diese Ideen zu leisten."
Archiv: Tehelka

Outlook India (Indien), 08.11.2010

In Outlook India hatte Roy bereits im September ausführlich zu Kaschmir geschrieben. Outlook dokumentiert auch Roys Statement, nachdem ihre Verhaftung wegen Volksverhetzung gefordert worden war: "Manche Zeitungen beschuldigten mich, eine Hasspredigerin zu sein und Indien zerbrechen zu wollen. Aber was ich sage, kommt im Gegenteil aus Liebe und Stolz. Und aus meinem Widerwillen, dass Menschen ermordet, vergewaltigt, ins Gefängnis gesteckt und durch Ausreißen von Fingernägeln gezwungen werden zu sagen, dass sie Inder sind."

Der Psychologe Ashis Nandy, der als Mitbegründer der weltweiten Post-Colonial Studies gilt, reagiert in Outlook auf die entfesselte Wut gegen Roy und sieht die Schuld bei der in den letzten zwei Jahrzehnten aufgestiegenen Mittelschicht, die einen Ultranationalismus pflege und weder zu Empörung über Folter und Unterdrückung in Kaschmir noch überhaupt zu demokratischen Idealen imstande sei: Dieser "gedankenlose, zu Selbstkritik unfähige Ultranationalismus stellt sich gegen jeden, der nicht die Mainstream-Meinung teilt. Er wird weder von den Armen, noch von der älteren Mittelschicht geteilt. Die Armen, die daran gewöhnt sind, mit schwindelerregender sozialer und kultureller Vielfalt zurechtzukommen, haben kein Problem mit politischer Vielfalt. Auch die ältere Mittelschicht hat kein Problem damit."
Archiv: Outlook India

Paris Review (USA), 01.11.2010

In einem dieser großartigen ellenlangen Interviews der Paris Review spricht Michel Houellebecq mit Susannah Hunnewell über seine literarischen Vorbilder, das Desaster der liberalisierten Werte und den skandalösen Sex in seinen Romanen: "Ich bin nicht sicher, dass es in meinen Romanen so ungewöhnlich viele Sexszenen gibt. Ich glaube auch nicht, dass dies die Leute schockiert hat, sondern dass ich sexuelles Versagen zeige. Ich schreibe über Sexualität in einer nicht-glorifizierenden Art. Vor allem beschreibe ich eine grundlegende Realität: die eines Menschen mit sexuellem Verlangen, das er nicht befriedigen kann. Das wollen die Leute nicht hören. Sex soll etwas Positives sein. Frustriertes sexuelles Verlangen zu zeigen, ist obszön. Aber es ist auch die Wahrheit. Die Frage ist: Wer darf Sex haben? Ich verstehe zum Beispiel nicht, wie all die Lehrer überleben, mit diesen entsetzlich jungen Mädchen. Frauen als Sextouristinnen sind noch noch viel verstohlener, beschämter und tabuisierter als Männer. Oder wenn eine Professorin einem Studenten die Hand auf den Schenkel legt, das ist noch viel schlimmer, viel unsagbarer."
Archiv: Paris Review

La vie des idees (Frankreich), 25.10.2010

Jean-Christian Vinel bespricht ausführlich, wenn auch kritisch Michael Berubes Buch "The Left at War". Darin plädiert der Kulturwissenschaftler Berube für mehr Gramsci und weniger Chomsky, denn dieser habe die Linke im Gefolge des 11. Septembers in eine Sackgasse geführt: "Laut Berube war die Friedensbewegung während der Bush-Ära buchstäblich gelähmt durch die Maßlosigkeit derer, die er im Gegensatz zur 'demokratischen' die 'manichäische Linke' nennt: 'Die Auswirkungen auf das linke Denken in den USA waren verheerend. Genau in dem Moment, als Amerika einen energischen und breiten Widerspruch zu den Verheerungen des Bush-Cheney-Regimes gebraucht hätte, trat die manichäische Linke mit der Kritik hervor, Amerika sei für die Entstehung von al-Qaida verantwortlich, der Krieg in Afghanistan eine der groteskesten Handlungen der Zeitgeschichte und jeder, der diese Beurteilungen nicht teilt, entweder ein Apologet oder ein Idiot.'" Vinel ist überhaupt nicht damit einverstanden, die Linke so zu unterteilen, meint aber: "Ohne Zweifel hat Berube recht, dass die linken Intellektuellen zwischen 2001 und 2002 die Gelegenheit verpassten, Nutzen aus dem Kontext des Krieges gegen die Taliban zu ziehen, um amerikanische Werte zu bestärken: Frauenrechte, Schwulenrechte, Abtreibung, freie Meinungsäußerung, alles Themen, die die amerikanische Rechte in Verlegenheit gebracht hätte. Denn damals erklärten noch Prediger wie Jerry Falwell und Pat Robertson, dass der 11. September eine göttliche Antwort auf die Exzesse des liberalen Amerikas war."

The Nation (USA), 15.11.2010

David Wallace-Wells, Redakteur der Paris Review, findet Lewis Hydes Streitschrift "Common as Air" gegen die absurde Ausweitung des "geistigen Eigentums" zu romantisch. Und dass Hyde von so vielen Künstlern verehrt wird, versteht er nicht. "Die Sehnsucht, in der Gegenwart etwas von dem zu bewahren, was die Reinheit des künstlerischen Schaffens ausmacht, speist viele Argumente in 'Common as Air', das sich im Verlauf von mehreren hundert Seiten als Abhandlung über das unsichere Schicksal von Kunst in einer Kultur entpuppt, die Kreativität als Unternehmenswert feiert, die 'künstlerisch' als Euphemismus für 'teuer' benutzt und jeden Frosch in der unternehmerischen Troposphäre ermutigt, sich als Künstler zu betrachten. Was Hyde als anregenden Gegenstandpunkt anbietet, ist eine Meditation über das Kunstwerk im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit und des Konsumentennarzissmus. So wie der Boom der Druckerpresse im England der Restaurantszeit während der Debatten über Copyright eine Krise der Autorenschaft auslöste, so hat der Konsumentenboom im Internetzeitalter während der Debatten über intellektuelles Eigentum eine Krise des Künstlerstatus' ausgelöst. Das Gefühl, der erhabene Status der Kunst sei bedroht, ist zentral für das befremdliche Verlangen nach freier Kultur unter denen, die eigentlich hoffen sollten, von ihrer kreativen Arbeit leben zu können, Und es ist zentral für die unglückselige Ehe zwischen den Autoren und Künstlern, die behaupten, die Kultur zu verehren, und den Konsumenten, Unternehmern und Internetabsolutisten, die sie liquidieren wollen." (Hier ein Interview mit Hyde und hier ein Auszug aus seinem Buch als pdf, hier ein weiterer Auszug auf der Webseite seines Verlags.)

Außerdem: John Palattella handelt in einem Artikel drei Bücher ab, Franzens "Freedom", Jeremy Hardings "Mother Country. Memoir of an Adopted Boy" und Robert Darntons "Poetry and the Police", ein Buch über die Anklage gegen 14 Personen, die 1749 beschuldigt wurden, schlimme Gedichte über König Louis XV. zitiert und verbreitet zu haben: "For Darnton, poetry was an information network long before networks were news", erklärt Palattella. Natasha Wimmer, die amerikanische Bolano-Übersetzerin, stellt einige mexikanische Noir-Autoren vor, vor allem Martin Solares, der gerade seinen ersten Roman, "The Black Minutes", veröffentlicht hat.
Archiv: The Nation

Folio (Schweiz), 01.11.2010

NZZ Folio inspiziert in seiner neuen Ausgabe das Gehirn. Mathias Plüss führt uns in die Grundlagen der Intelligenzforschung ein. Hirn macht erfolgreich, musikalisch und gesund, aber nicht glücklich, erfahren wir. Hirn hat sogar echte Nachteile: "Kurzsichtigkeit ist hier noch das geringste Übel, auch wenn das Klischee für einmal stimmt: Extrem hochbegabte Schüler tragen viermal so häufig eine Brille wie durchschnittliche. Weniger harmlos ist, dass intelligente Menschen offenbar nicht gut mit Geld umgehen können. Wer einen höheren IQ hat, hat zwar auch ein höheres Einkommen, aber nicht ein höheres Vermögen. Große Gehirne sparen weniger, gehen öfter pleite und überziehen ihre Kreditkarte häufiger."

Ulrich Bahnsen hat bei einer Umfrage unter Neurowissenschaftler gelernt, dass es mit dem Hirndoping noch nicht so richtig klappt, an der Wirkung von Modasomil, Donepezil oder Ritalin muss noch gefeilt werden, erklärt ihm Kognitionsforscher Ralph Schumacher von der ETH Zürich: "'Nach der Einnahme von Neuro-Enhancern fühlen sich die meisten leistungsstark und mächtig', sagt Schumacher. Bei Tests mit Studenten habe Ritalin jedoch geradezu desaströse Effekte gezeitigt: 'Sie werden sehr impulsiv und fahrig, beginnen mit dem Lösen von Aufgaben, bevor sie alle relevanten ­Informationen haben.' Am Ende seien ihre Leistungen schlechter als die der Placebogruppe gewesen. 'Ritalin', folgert der ETH-Forscher, 'führt bei gesunden Menschen nicht zu einer Leistungssteigerung, sondern zu Selbstüberschätzung.'"

Weiteres: Gary Wolf porträtiert den polnischen Entwickler Piotr Wozniak, der den idealen Moment sucht, um etwas, das man gelernt hat, zu repetieren: "Der richtige Zeitpunkt ist kurz bevor man den Stoff vergisst." Reto Schneider hat erfahren, dass wir mitunter einen Computer anlügen, um seine Gefühle nicht zu verletzen. Und Luca Turin erzählt, warum seine Vorstellungen von Personen manchmal noch prägender sind als seine tatsächlichen ersten Eindrücke.
Archiv: Folio
Stichwörter: Geld, Enhancement, Eth Zürich

ResetDoc (Italien), 26.10.2010

Resetdoc ist stolz auf sich, schließlich wird die Hauptveranstaltung des UNESCO-Welttags der Philosophie nun nicht mehr in Teheran, sondern in Paris stattfinden. Die Reset-Redakteure haben in den vergangenen Monaten mitgeholfen, die Unesco unter Druck zu setzen, mit einem offenen Brief, einer eigenen Protest-Website und vielen Artikeln. Zum Beispiel dem von Ramin Jahanbegloo über die Bürgerpflichten eines Philosophen: "Die Funktion des Bürger-Philosophen als Person, die Ungerechtigkeiten und Unmenschlichkeiten im Blick hat, sollte aufrechterhalten werden, auch wenn das Konzept heute kein politisches Gewicht mehr hat. Der Philosoph kann nicht durch Karriere-Akademiker ersetzt werden, auch wenn es im Augenblick opportun erscheint. Philosophen können immer noch eine Menge beitragen zur Demokratisierung der Demokratie. Sie werden sicherlich nützlich sein für menschliche Gesellschaften, aber nur so lange, wie die Menschen daran festhalten, dass Philosophie nicht überflüssig ist."
Archiv: ResetDoc
Stichwörter: Jahanbegloo, Ramin

Eurozine (Österreich), 27.10.2010

Der ungarische Historiker Bela Nove skizziert kenntnisreich die Samizdat-Szene des kommunistischen Ungarn, schließlich war er mal selbst Dissident. In dem Text (der ursprünglich auf Englisch in der litauischen Version von Kulturos barai erschien) warnt Nove davor, den Einfluss der Samizdat-Literatur zu unterschätzen: In der Gegenwart - in China werden einige Texte angeblich heute wieder verstärkt von Studenten gelesen - und vor allem damals im Vorfeld der Perestroika. "Der größte Skandal war der Austausch der jungen und radikalen Redakteure von Mozgo Vilag (Bewegte Lettern) im Jahr 1983. Es war ein offenes Geheimnis, dass dieses überaus populäre Magazin von einer neuen Generation an Autoren und Redakteuren übernommen worden war, die sich permanente Grabenkämpfe mit den Partei-Apparatschiks und den Zensurbehörden lieferten. Die Redakteure, die getreu Marx glaubten, dass sie 'nichts zu verlieren hätten außer ihren Ketten', entschieden sich schließlich, alle informellen Regeln von oben zu ignorieren und wandten sich zur Unterstützung an die Öffentlichkeit (...) Um das Magazin und die Redakteure zu retten, wurde eine große und halbspontane Solidaritätskampagne gestartet. Protestbriefe wurden versandt, öffentliche Debatten und Demonstrationen an den Universitäten in Budapest veranstaltet. Alles umsonst: Die Redakteursmannschaft musste gehen. Aber hier hatte sich ein vielversprechender Präzedenzfall ereignet: Öffentlicher Protest konnte massenhafte Unterstützung erfahren, ein Zeichen dafür, dass die Zensur nicht mehr lange durchhalten würde."
Archiv: Eurozine
Stichwörter: Dissidenten, Perestroika

Guardian (UK), 30.10.2010

Michel Faber ärgert sich über die Provinzialität der britischen Literaturszene, die sich nur für englischsprachige Literatur interessiert, bevor er zu einer Hymne auf Jenny Erpenbecks jetzt ins Englische übersetzten Roman "Heimsuchung" ansetzt: "In diesem Herbst wird ein hochgejubelter amerikanischer Roman, der in erschöpfenden Details untersucht, wie die Mittelklasse sich gerade fühlt, von vielen Briten gekauft werden, die sich anstrengen werden, jede lokale Nuance zu verstehen. Aber Erpenbeck? Ostdeutschland? Wen kümmert's? Wie ich mir wünschte, dass 'Heimsuchung' das alles ändern könnte. Wie ich hoffe, dass es irgendwo Raum genug gibt, die frappierende Begabung dieser Autorin zu feiern."

Außerdem: Günter Grass spricht in einem langen Interview über seine Bücher und seine Hitlerbegeisterung als Jugendlicher. David Hearst lobt Orlando Figes' Geschichte des Krimkriegs (das Buch hatte die anonymen Kommentare, die Figes geschrieben hat, nicht nötig, meint Hearst.) Außerdem gibt es einen Auszug aus Patrick Wrights Buch "Passport to Peking" über den Besuch einer britischen Delegation im "Neuen China" 1954. Und: Arundhati Roy macht sich nur wichtig, meint Leo Mirani in einem Kommentar zur jüngsten Aufregung um Roy, die erklärt hatte: "Kaschmir war nie ein integraler Bestandteil Indiens. Das ist eine historische Tatsache."
Archiv: Guardian

Elet es Irodalom (Ungarn), 29.10.2010

Letzten Dienstag kippte das ungarische Verfassungsgericht ein Gesetz der Regierungspartei Fidesz zur Besteuerung von Abfindungszahlungen. Kurz darauf kündigte Fidesz-Fraktionschef Janos Lazar an, man werde dem Verfassungsgerichtshof die Zuständigkeiten für Steuer- und Finanzfragen entziehen. Die Regierung unter Viktor Orban hat mit ihrer Zweidrittel-Mehrheit im Parlament tatsächlich die Möglichkeit dazu und jetzt auch ein entsprechendes Gesetz vorgelegt. Für Zoltan Kovacs ist damit eine Grenze überschritten: "Wenn eine Regierung die Unantastbarkeit des Privateigentums missachtet und noch in derselben Woche die Befugnisse des Verfassungsgerichts beschneidet, nur, weil dieses eine aus Sicht der Regierung ungünstige Entscheidung getroffen hat, so müsste dies doch jene, die mit immer weniger nachvollziehbarem Eifer versuchen, die Entscheidungen der Regierung zu verstehen und zu akzeptieren, so langsam nachdenklich stimmen. [...] Wenn die Befugnisse des Verfassungsgerichts wirklich beschnitten werden, wozu dann überhaupt noch ein Verfassungsgericht? Ich will keine Ratschläge erteilen, aber in solch einem Fall könnte das Gericht auch mal aufstehen. Das wäre besser, als sitzen zu bleiben und den Anschein zu erwecken, alles sei in Ordnung."

London Review of Books (UK), 04.11.2010

Einfach nur "atemberaubend" in ihrem blindwütigen Marktglauben findet Stefan Collini die Vorschläge der Browne Commission zur kompletten Umstülpung des britischen Universitätssystems. Das einzige Kriterium, das zählt, sind Innovation und Beitrag zum ökonomischen Wohlergehen. Wettbewerb ist alles, Kultur nichts: "Im Kern schlägt Browne vor, dass wir uns die höhere Bildung nicht mehr als öffentliches Gut vorstellen, das nach bestmöglichem Urteil zur Verfügung gestellt und von öffentlichen Geldern (in den letzten Jahren unterstützt von relativ niedrigen Studiengebühren) finanziert wird. Stattdessen sollen wir uns das System höherer Bildung als nur leicht regulierten Markt vorstellen, in dem der Bedarf der Verbraucher, in der Form der von den Studierenden getroffenen Studienwahl, souverän darüber bestimmt, was die Dienstleister für einschlägigen Service (d.h. die Universitäten) anbieten. Die bei weitem radikalste Einzelempfehlung des Berichts besteht darin, die aktuelle Unterstützung des Staats für die Lehre, derzeit rund 3,9 Milliarden Pfund, fast komplett zu streichen. Das ist etwas anderes als einfach nur eine 'Kürzung', und sei es eine drakonische: Es handelt sich vielmehr um das Signal für eine komplette Neudefinition der höheren Bildung und für den Rückzug des Staats aus der finanziellen Verantwortung."

Nach einer schweren Operation lauscht die Schriftstellerin Hilary Mantel in einer eindrucksvollen Beschreibung ihrer Krankenhauserfahrung unter anderem "dem jambischen Pentameter des Tröpfelns der Salzlösung, dem Alexandriner der Blutdrainage, dem süßen Klang der Epiduralsonette."

Weitere Artikel: Tim Parks bespricht Philip Roths neuen Roman "Nemesis", Michael Hofmann hat die Übersetzung von Thomas Bernhards Roman "Alte Meister" ("Old Masters") gelesen. Mit äußerster Skepsis betrachtet Jenny Diski das ökologische Weltrettungstraktat von Prinz Charles, das den Titel "Harmony" (Verlagsseite) trägt. Michael Woods Urteil zu David Finchers Facebook-Film "The Social Network" fällt eher gemischt aus.