Magazinrundschau

Komplex ist alles

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
16.06.2009. MicroMega will kein Ritual der 1000 Frauen - schon gar nicht für Gaddafi. Outlook India erzählt, wie das Hindu-Theater mit Hilfe von Bert Brecht revolutioniert wurde. Der polnische Autor Pawel Huelle erzählt in Salon.eu.sk, wie er auf dem Fahrrad lernte, dass seine Stimme zählt. Der Guardian lernt von Abbas Kiarostami, worin die Schönheit der Kunst liegt. Im Nouvel Obs überlegt Breyten Breytenbach, was in Südafrika schief läuft. Elet es Irodalom ärgert sich über Intellektuelle, die nicht ins Theater gehen. The New Republik liest türkische Bücher über den Genozid an den Armeniern, die NYRB liest Bücher über Darfur. Die New York Times freut sich schon auf das neue Großparis.

Salon.eu.sk (Slowakei), 09.06.2009

An neun Punkten macht der polnische Schriftsteller Pawel Huelle - für den Leser im allgemeinen und Ingo Schulze im besonderen - die doch meist positiven Veränderungen fest, die sich in Polen seit 1989 ereignet haben. Hier der sechste: "Polens größter Erfolg seit 1989 ist seine lokale Regierung. Ich weiß, wovon ich spreche, den bei den Lokalwahlen stimme ich immer für den Kandidaten, der die meisten Fahrradwege verspricht und auch wirklich anlegt. Da ich von Frühling bis Herbst Fahrrad fahre, bin ich in ausgezeichnetem Kontakt mit der Realität und kann kontrollieren, ob das Wahlversprechen eingehalten wird. Im Augenblick wächst die Anzahl der Fahrradwege in Danzig schneller als in jeder anderen polnischen Stadt, was mich schlicht und selbstsüchtig glücklich macht. (...) Ist das ein unbedeutendes Detail? Ich glaube es nicht. Lebensqualität drückt sich in genau diesen kleinen Details aus, nicht in den großen Ideen, kontinuierlichen Debatten, Forderungen und Anklagen. Darüber könnte ich endlos reden, aber gerade mit dem Loblied auf die Fahrradwege in meiner Stadt möchte ich herausstreichen, dass meine Stimme, die eines potentiellen Wählers, der sich für eine bestimmte Art von öffentlichen Ausgaben interessiert, zählt."
Archiv: Salon.eu.sk

Outlook India (Indien), 22.06.2009

Shama Zaidi erinnert sich in einem faszinierenden Rückblick an den populären Dramatiker, Theaterregisseur und -schauspieler Habib Tanvir, der am 8. Juni gestorben ist. Ende der Fünfziger war Tanvir durch Europa gereist, wo er bleibende Eindrücke an Bertolt Brechts Berliner Ensemble empfing. "Der Einfluss Brechts ließ ihn alles, was er in England gelernt hatte, verwerfen. Vor allem Brechts Ausspruch, dass Theater Spaß machen muss wie die Music-Hall oder Fußball, nahm er sich zu Herzen. Einige der Brechtschen Konzepte hatte er schon in seinen Produktionen 'Agra Bazar' and 'Shatranj ke Mohre' mit der Okhla Theatergruppe ausprobiert. Aber das Beispiel des Berliner Ensemble inspirierte ihn, Gesang und Tanz als Teil des theatralischen Stils aufzunehmen."

Alles in allem fand Arif Mohammed Khan Barack Obamas Kairoer Rede okay. Nur einen Schönheitsfehler hatte sie: "Heute ist der Islam nicht mehr auf eine bestimmte Region beschränkt; tatsächlich leben über 80 Prozent der Muslime in nicht-arabischen Staaten, die Vereinigten Staaten eingeschlossen. Aber in Präsident Obamas Rede werden ein Glaube wie der Islam und ein Nationalstaat wie Amerika als gleichwertige Einheiten nebeneinander gestellt. Auf der anderen Seite wurden religiöse Minderheiten in Ägypten und im Libanon mit ihrer rassischen Bezeichnung wie Kopten und Maroniten beschrieben und nicht als Christen. Ich sehe keine Konzeption hinter dieser Terminologie, aber es erscheint mir, als habe Präsident Obama unabsichtlich die Sprache der panislamistischen Radikalen benutzt. Von Jamaluddin Afghani bis Osama bin Laden war es immer die ideologische Linie der Panislamisten zu sagen, dass Muslime nicht nur einer gemeinsamen Religion angehören, sondern auch eine einzige politische Gemeinschaft bilden."

Außerdem: Nicht so recht glücklich ist Namrata Joshi mit dem neuen Star-Trek-Film. Und Daniel Lak erzählt in seinem Toronto-Tagebuch, wie Ruby Dhalla, eine im Punjab geborene kanadische Abgeordnete, einigen Schwung in ein "Haus voller langweiliger Männer" gebracht hat.
Archiv: Outlook India

New York Review of Books (USA), 02.07.2009

Nicholas D. Kristof setzt sich mit mehreren Büchern über Darfur, vor allem aber mit Mahmood Mamdanis "Saviors and Survivors: Darfur, Politics, and the War on Terror" auseinander. Mamdani sieht die "Rettet Darfur"-Kampagne sehr kritisch und wirft ihr vor, sie schiebe die Schuld an Massakern einseitig den sudanesischen Arabern zu und beachte die komplizierte Geschichte des Sudan und den Kontext nicht. Der Vorwurf ist in gewisser Weise berechtigt, meint Kristof. "Aber jeder Massenmord hat seine komplexen Seiten. Die Türken protestieren vehement gegen die Bezeichnung Genozid für das Abschlachten der Armeniern 1915, weil diese Morde während eines Krieges und eines Aufstands der Armenier stattfanden. Im Fall der Massenmorde in Kambodscha in den Siebzigern töteten die Roten Khmer Menschen mit Bildung, einem städtischen Hintergrund oder einfach aufgrund einer Marotte, nicht aber wegen ihrer Rasse, Religion oder Nationalität. Streng genommen war die Barbarei Pol Pots kein Genozid. Kurz, komplex ist alles, und doch hallt durch die Geschichte eine zentrale Wahrheit: Regierungen haben Gruppen von Menschen aufs Korn genommen und abgeschlachtet."

Außerdem: Michael Dirda legt seinen Lesern Patricia Highsmiths "pervers unterhaltsame" Ripley-Romane ans Herz. Jonathan Mirsky stellt die jetzt auf Englisch erschienen Erinnerungen des chinesischen Reformpolitikers Zhao Ziyang vor, der bis zu seinem Tod 2005 unter Hausarrest stand, weil er sich weigerte, gegen die protestierenden Studenten auf dem Tiananmen-Platz mobil zu machen. Malise Ruthven liest neue Bücher über den Iran. Tony Judt schreibt den Nachruf auf Amos Elon.

MicroMega (Italien), 11.06.2009

Narren, alles Narren, im Parlament und in der Regierung: Furio Colombo hält den pompösen italienischen Staatsempfang für den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi (komplett mit Zelt im Garten der Villa Doria Pamphili) für eine traurige Posse: "Was feiern wir in diesen Tagen in Italien, im Palazzo Chigi und im Senat, in den römischen Empfängen, im dummen und barbarischen Ritual der 1000 Frauen, die sich der blutrünstige libysche Clown erbeten und die ihm der feierlustige italienische Clown gewährt hat, während er sich wie ein gealterter James Bond mit hundert Frauen seines speziellen Geheimdienstes umgibt? Das ist der traurige Kern der römischen Gelage: Wir feiern gleich zweimal das Blutvergießen Unschuldiger: einmal das der Opfer terroristischer Anschläge wie Lockerbie (niemand kennt oder hat jemals die komplette Liste der terroristischen Aktivitäten Gaddafis veröffentlicht), andererseits das Schicksal jener Migranten, die in der Wüste, auf dem Meer, in den libyschen Camps getötet werden - für einen hohen Preis (5 Milliarden Dollar) und im Namen und auf Rechnung des Italiens von Maroni, Bossi und Berlusconi."
Archiv: MicroMega

New Republic (USA), 01.07.2009

Scharfsinnig, -züngig und insgesamt nicht sehr freundlich schreibt Martin Peretz, Chefredakteur des New Republic, über Barack Obamas Kairoer Rede (Wortlaut und Video). Dabei hat er auch einige Grundprinzipien von Obamas rhetorischer Kunst dingfest gemacht: "Zwei große, aber gegensätzliche Geschichten über das selbe Problem, die auf ihn und seine olympische Gabe für das Aufspüren einer Gemeinsamkeit warten: Das ist Obamas Lieblingsdramaturgie. Er sieht sich selbst als eine Art nie dagewesenen Schiedsrichter für widerstreitende Geschichtsversionen und Philosophien. Gerne sieht er sich als jemanden, der sehen kann, was andere nicht sehen, und darum müssen sie zu ihm kommen, wenn sie in Frieden und sinnvoll leben wollen."

Fulminant ist Mark Mazowers Besprechung einiger neuer Bücher über den türkischen Genozid an den Armeniern: Immer mehr junge türkische Autoren und Journalisten wenden sich dem Thema zu, stellt er fest, und lobt Fethiye Cetins Buch (mehr hier) über ihre Großmutter: "Es verwebt zwei Geschichten - die der Großmutter, einer frommen muslimischen Frau, die ihr ganzes Leben in einer kleinen anatolischen Stadt zubrachte, und ihre eigene Geschichte, ihre Entdeckung des Geheimnisses der Großmutter. Dieses Geheimnis war, dass ihr wahrer Name nicht Seher war, sondern Heranus Gadaryan - sie war nicht als Muslimin geboren worden, sie war ein armenisches Mädchen, das von einem türkischen Gendarm gerettet und als seine eigene Tochter aufgezogen worden war."
Archiv: New Republic

Polityka (Polen), 12.06.2009

Adam Szostkiewicz liest (hier auf Deutsch) der PiS, aber auch denjenigen Polen die Leviten, die Patriotismus mit Selbstgerechtigkeit verwechseln und jede Selbstkritik als Verrat diskreditieren. "Hannah Arendt schrieb: 'das Böse, das mein Volk angerichtet hat, macht mich viel trauriger als das Böse, das andere Völker angerichtet haben'. Und in diese Richtung geht heute Europa: In Richtung der kritischen Geschichte, abseits von Selbstzufriedenheit, nach einem Konsens suchend. Deshalb nimmt man in Europa den Spiegel-Bericht über Hitlers europäische Helfer mit weniger Skepsis auf als unsere nationale Rechte (und Linke). ... Ähnlich steht es um den unglücklichen Satz im Europawahlprogramm der deutschen Christdemokraten. In Europa hat man das eher als eine angemessene Verurteilung der Vertreibung an sich verstanden, denn als Zeichen eines auf Polen abzielenden Revisionismus?. Vertreibung ist schließlich immer furchtbar. Auch dann, wenn die Vertriebenen oder Umgesiedelten Deutsche sind. Dies zuzugestehen bedeutet nicht, die Geschichte zu verfälschen oder die Verantwortung zu verwaschen, sondern es ist Ausdruck einer gewissen - im heutigen Europa normalen - Empathie."
Archiv: Polityka

Guardian (UK), 13.06.2009

Maya Jaggi hat den iranischen Regisseur Abbas Kiarostami getroffen, in Paris allerdings, denn die britischen Behörden wollten ihn nicht ohne Garantien einreisen lassen - er könnte ja Asyl beantragen: Seinen neuen Film "Shirin", der in dieser Woche auf dem Edinburgh Film Festival gezeigt wird, beschreibt sie so: "90 Minuten Nahaufnahmen von mehr als hundert Frauen - einschließlich einer verhüllten Juliette Binoche -, die sich einen Film ansehen. Dieser basiert auf einem Gedicht von Nizami Gandschawi aus dem 12. Jahrhundert und es geht darin um eine Dreiecksliebesgeschichte, in die eine armenische Prinzessin und ein persischer Prinz verwickelt sind. Licht von der Leinwand flackert auf den Gesichtern der Frauen; ihr Ausdruck allein generiert das ganze Drama... Für Kiarostami liegt die Schönheit der Kunst in der Reaktion, die sie hervorruft, und 'Shirin' verstärkt die Annahme, dass ein Kunstwerk nicht außerhalb seiner Wahrnehmung durch das Publikum existiert'."

Sehr interessiert schreibt Julian Bell über die Ausstellung "Colour Chart", die der Frage nachgeht, welche Bedeutung Farben in der Kunst noch haben, nachdem Richter, Warhol und Stella sie zum 'Geblöke eines überkommenen Expressionismus' erklärt haben: "'Jede Universalität in der Erfahrung von Farben ist eine Illusion', behauptet Ann Temkin, Kuratorin der Ausstellung in der Tate Liverpool. Mit Verweis auf anthropologische Studien erklärt sie, dass einige Sprachen nicht zwischen dem unterscheiden können, was Engländer als 'Blau' und 'Gelb' wahrnehmen. Aber sie übertreibt. Alle bekannten Sprachen haben eine unterscheidbare Bezeichnung für die längste Wellenlänge des Farbspektrums gefunden, die uns von Blut und Feuer entgegengeschleudert wird. Rot ist aus gutem Grund das kräftigste der chromatischen Signale und wahrscheinlich der Punkt, von dem auch sich menschliches Farbbewusstsein Schritt für Schritt ausgebreitet hat."
Archiv: Guardian

Figaro (Frankreich), 11.06.2009

Fast 15 Jahre nach Erscheinen der letzten Folge hat sich die französische Schriftstellerin Anne Golon im Alter von 88 Jahren vor allem auf Druck ihrer Fans in Nordamerika dazu entschlossen, ihre sagenhaft erfolgreiche historische Romanserie um ihre Heldin Angelique noch einmal komplett neu herauszugeben. Fünf Folgen sind überarbeitet und vor allem vollständig, da ihre Lektoren die Romane stark gekürzt hatten, in einem eigens dafür in der Schweiz gegründeten Verlag bereits erscheinen. Überdies sitzt Golon an einem neuen vierzehnten Band. In einem Porträt schreibt Francois Riviere über das Phänomen: "Leserinnen aus Minnesota bekennen, diese Bücher hätten ihnen das Frankreich des 17. Jahrhunderts eröffnet, andere beichten ihre Gefühle gegenüber dem unwiderstehlichen Peyrac... Im Lauf der Jahre und dreizehn Folgen (...) wird sich nun der Ruhm eines ungewöhnlichen literarischen Projekts vollenden, in dem sich häufig hektische Handlung, absolute historische Genauigkeit und sehr zeitgenössische Fragen mit einer frappierenden Leichtigkeit verbinden." (Hier ein Interview mit der Autorin von 2008 auf Youtube.)
Archiv: Figaro

Economist (UK), 12.06.2009

Der bemannte Solarflug ist, wie der Economist berichtet, in Reichweite. Das neuste Modell eines allein mit Sonnenenergie-Leistung betriebenen Flugzeugs ist nun testbereit. Freilich ist der Fortschritt auch über den Wolken nach wie vor eine Schnecke: "Obwohl das HB-SIA-Modell eine Flügelspannweite von 61 Metern besitzt, ist nur Platz für den Piloten.... Ein Viertel des Gewichts verursachen die Lithium-Polymer-Batterien, die die vier elektrisch betriebenen Propeller mit Strom versorgen. Sobald die Flüge dann länger werden und größere Höhen erreichen, wird das Flugzeug seinen Strom von den Solarzellen beziehen. Es wird nur langsam fliegen, etwa 70 km/h unter windstillen Bedingungen erreichen. Seine Elektromotoren haben eine Höchstleistung von 9 KW oder 12 PS - das ist ziemlich genau so viel, wie auch die Brüder Wright einst zustande brachten."

Besprochen werden eine Studie von Justin Fox über den "Mythos der rationalen Märkte" (Verlagsseite) und Patricia Faras rasante Geschichte der "Wissenschaft" von Babylonien bis in die Gegenwart (Verlagsseite).
Archiv: Economist
Stichwörter: Wissenschaft

Elet es Irodalom (Ungarn), 05.06.2009

Das ungarische Theater ist im Ausland viel angesehener als daheim. Tamas Aschers Inszenierung von Tschechows "Iwanow" oder Arpad Schillings Inszenierung der "Möwe" waren international erfolgreich, nur in Ungarn wollte sie kaum jemand sehen. Nicht mal die Intellektuellen gehen ins Theater. Das ist sehr ungerecht, findet der Theaterkritiker Tamas Koltai: "Ein mittelmäßiger Roman sorgt für einen viel größeren Medienrummel, als eine hervorragende Inszenierung. [...] Dabei würde es viel bedeuten, wenn die Persönlichkeiten der anderen Künste wenigstens moralisch Lobbyarbeit für das Theater leisten würden. [...] Ich halte es für unerfreulich, wenn Intellektuelle, Menschen des Geistes sich in Interviews damit brüsten, nicht ins Theater zu gehen. Das Theater ist ein Forum der Gemeinschaft, in dem die öffentliche Kommunikation an Disziplin, Form und Gedanken gebunden ist. Es ist beinahe das einzige Forum dieser Art. Darauf können wir nicht verzichten."

Nouvel Observateur (Frankreich), 11.06.2009

Unter der Überschrift "Die große Enttäuschung" bilanziert der südafrikanische Schriftsteller und Kampfgefährte von Nelson Mandela, Breyten Breytenbach, in einem Gespräch die Zeit nach dem Ende der Apartheid. Sein jetzt erscheinender Essayband "Le Monde du milieu" (Actes Sud) enthält auch einen Brief an Mandela zu dessen 90. Geburtstag im vergangenen Jahr, in dem er sich bitter über die verheerenden Zustände im Land beklagt: Gewalt, Raub, Vergewaltigungen, Fortbestand des Rassismus und das Fehlen einer öffentlichen Moral. In seiner Analyse der Gründe dafür erklärt er: "Das ist die große Frage, die sich hier viele stellen: Sollten wir uns über die moralische Qualität der Befreiungsbewegung getäuscht haben? (...) Hat der ANC also versagt? Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Bei der Umstellung und Erneuerung der Behörden mussten alte Beamte durch neue ersetzt werden. Dabei hat man enorme Kompetenz eingebüßt. Heute zeigt sich, dass 60 Prozent der Gemeinden im Land pleite sind, vor allem wegen Fahrlässigkeit der örtlichen Beamten. Man kann den alten Verwaltungskadern alles Mögliche nachsagen, aber sie haben eine Apparatschik-Kaste geschaffen, die das Land relativ gut verwaltet hat."

The Nation (USA), 30.06.2009

Joshua Jelly-Schapiro liest einige interessante Neuerscheinungen zur Geschichte Kubas, des "Reichs der Sünde", in dem der Mafioso Meyer Lansky den Diktator Fulgencio Batista schmierte, bis dieser von Fidel Castro und seinen Barbudos abgelöst wurde. Nebenbei erfährt man, dass Kuba eigentlich längst ein Staat der USA sein könnte: "Nachdem die Vereinigten Staaten 1848 Texas und Kaliforniern mit kriegerischen Mitteln annektierten, traten viele in Washington für eine Annexion Kubas ein. Der Impuls wurde für eine Weile unterdrückt. Aber dennoch: Da der Stern des spanischen Kolonialreichs sank, galt die Inbesitznahme Kubas durch fast das ganze 19. Jahrhundert als unvermeidlich."

Außerdem: Jordan Stancil erklärt die Erfolge der Rechtsextremen in Ungarn als Folge der Politik des Währungsfonds (wieder einmal zeige sich, "wie soziale Zerstörungen durch marktwirtschaftliche Reformen dem Faschismus den Weg ebnen"). Und Juan Cole hofft, dass nach Obamas Kairoer Rede anderthalb Milliarden Muslime zu Obama-Anhängern wurden.

Archiv: The Nation

Weltwoche (Schweiz), 11.06.2009

Dambisa Moyo, eine Ökonomin und Buchautorin aus Sambia, erklärt im Interview, warum Entwicklungshilfe schlecht ist für Afrika und der Westen sich ein Beispiel an China nehmen sollte: "Die Chinesen haben in zehn Jahren das erreicht, worin der Westen sechzig Jahre versagt hat. Sie haben eine Infrastruktur aufgebaut und weit über 100 000 Jobs geschaffen. Allein im Jahr 2004 investierte China 900 Millionen Dollar in Afrika, die USA nur 10. China kaufte Kupfer- und Kobaltminen im Kongo, Eisen- und Platinminen in Südafrika, Textilfabriken in Lesotho, kaufte sich mit 20 Milliarden in Afrikas größte Bank ein, beteiligte sich für 3 Milliarden Dollar an einem nigerianischen Ölfeld. Mittlerweile stammen 30 Prozent der Rohölimporte Chinas aus Afrika. China baute Straßen in Äthiopien, Pipelines im Sudan, Elektrizitätswerke in Ghana. Man baute 30 Spitäler, 100 Schulen, 2000 Studenten erhalten jedes Jahr Stipendien für chinesische Universitäten." Und Europa? "Afrika verliert jedes Jahr 500 Milliarden durch Handelsembargos. Die EU schützt ihre Märkte am meisten. Jede Kuh aus der EU wird pro Tag mit 2,5 Dollar gesponsert. Das ist mehr, als über eine Milliarde Menschen jeden Tag zum Leben hat." (Mehr dazu im "Hard Talk" der BBC mit Moyo.)
Archiv: Weltwoche

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 12.06.2009

Adriana Rossi beschreibt, wie der Drogenhandel Staat und Gesellschaft in den lateinamerikanischen Staaten aushöhlt und wie sich seine Organisation verändert hat, seit die großen Kartelle zerschlagen wurden. Er hat sich sozusagen demokratisiert: "Die Bosse von heute sind nicht mehr die absolutistischen und charismatischen Herrscher von einst, niemand schreibt ihnen mehr besondere Eigenschaften wie großartige Männlichkeit und außergewöhnlichen Mut zu. Die verschiedenen Gruppen mit ihren kleinen Bossen arrangieren sich untereinander, und jede hat einen gewissen Spielraum. Wer sich nicht an die Abmachungen hält, zahlt mit dem Leben und entfesselt einen Bandenkrieg. Diese Tendenz scheint zur Regel geworden zu sein. Alle Organisationen haben sich in Netzwerke aus klandestinen Zellen verwandelt, die leicht ersetzt werden können, wenn sie auffliegen. Der Ausfall einer Zelle beschädigt das große Ganze nicht. So kommt man ohne vertikal durchorganisierte Pyramiden aus und erleichtert die territoriale Ausbreitung. Die Drogennetzwerke sind wie eine ungeheure Nebelbank."

Najam Sethi verzeichnet mit einer gewissen Erleichterung, wie nach Pakistans Militäroperation im Swat-Tal der Rückhalt der Taliban in der Bevölkerung zu schwinden scheint, auch wenn zwei Millionen Menschen aus dem Kriegsgebiet fliehen mussten - "das ist die größte Vertreibung von Zivilisten seit dem Zweiten Weltkrieg".
Stichwörter: Drogenhandel, Männlichkeit

Das Magazin (Schweiz), 12.06.2009

"Die Ponant war nicht gebaut für solche Gewässer. Sie ist ein moderner, 88 Meter langer Dreimaster, ein Segelschiff der Luxusklasse für bis zu 64 Passagiere. Sie hat vier Decks, darunter ein Sonnendeck, zwei Restaurants, die exquisite französische Küche servieren, Kabinen mit individueller Klimaanlage, eine Bar, eine Bibliothek und eine Marina-Plattform am Heck..." Naja, und dann kamen die Piraten. Das Zürcher Magazin hat die Vanity-Fair-Reportage über somalische Piraten des großartigen William Langewiesche übersetzt. (Und hier der Link zum Original.)
Archiv: Das Magazin

New York Times (USA), 14.06.2009

Das New York Times Magazine befasst sich - schon wegen krisenbedingter Beschäftigungsprojekte - mit "Infrastruktur". Nicolai Ouroussoff , Architekturkritiker der Times, ist ganz begeistert von Nicolas Sarkozys Plänen für Großparis. Ouroussoff ist sich der Bausünden der sechziger und siebziger Jahre zwar noch bewusst, aber dann lässt er sich von Sarkozys Visionen doch mitreißen: "Die Pläne für Großparis lassen einen nach langer Zeit wieder denken, dass eine Regierung eine entscheidende Rolle bei der Erschaffung einer wirklich egalitären Stadt spielen kann - und dass Architektur wesentlich ist, um diesen Wandel zu erzeugen."

Außerdem hat Jon Gertner eine Reportage über Obamas kalifornischen Schnellzugprojekte geschrieben. Und Tom Vanderbilt sieht sch riesige Rechenzentren an um zu verstehen, was das Internet so schnell macht.
Archiv: New York Times
Stichwörter: Bausünden, Sarkozy, Nicolas