Magazinrundschau

Die Metaphysik des Opfers

Die internationale Magazinrundschau erscheint jeden Dienstag.
04.12.2007. Outlook India kürt Indien nach der Hetzjagd auf Talisma Nasrin zum humorlosesten Land der Welt. Der New Yorker staunt über unerreichbare Eitelkeit von Tagebuchschreibern. Im Nouvel Obs erklärt Garri Kasparow seine Guerillataktik gegen den Kreml. Europa warnt vor der gefährlichen Bestie des russischen Nationalismus. Der Merkur verteidigt die freie Gesellschaft. Nepszabadsag möchte das Übel der ungarischen Parteien an der Wurzel packen. Portfolio beschreibt, wie Gratis-Videos im Internet der Pornoindustrie zu schaffen machen. Der Economist versucht, den Erfolg einer Website zu messen - in Hits, Click-Throughs, Impressions und Anfragen. Il Foglio feiert ein italienisches Wunder: das Lyrikmagazin Poesia.

Outlook India (Indien), 10.12.2007

Die islamkritische-Autorin Taslima Nasrin, die bereits aus Bangladesch ins indische Kalkutta fliehen musste, wurde nun von einem radikalen muslimischen Mob durch halb Indien gejagt. Und die Offiziellen des Landes reichen sie weiter wie eine heiße Kartoffel. Vinod Mehta ist empört: "Wie sollen wir die Geschichte Taslima Nasrin lesen? Als einen Kommentar über den Zustand der indischen Demokratie? Über die Macht der Mullahs? Über eine manipulative Autorin, die eine solche Kontroverse nutzt, um ihre Bücher besser zu verkaufen? Gut möglich, dass alle Elemente in dieser Erzählung zusammenkommen. Für mich ist es jedoch der Bankrott der drei großen Parteien (der BJP, der kommunistischen und der Kongress-Partei), die sich selbst so ängstlich in Sicherheit bringen, dass einem schlecht wird. Ihr Verhalten als 'den-Schwarzen-Peter-Weiterreichen' zu bezeichnen, täte dieser manchmal sinnvollen politischen Taktik Unrecht. Es ist eine Farce, wie alle drei Parteien behaupten, sie hätten nie etwas anderes getan, als vehement die Redefreiheit zu verteidigen. Voltaire muss sich im Grabe umdrehen!"

In weiteren Artikeln zum Thema konstatiert Saba Naqvi Bhaumik: "Frevlerische Positionen sind in Indien generell nicht gut gelitten. Gerade in den letzten 15 Jahren ist dieses Land einzigartig humorlos geworden." Und Shuddhabrata Sengupta betrachtet die Lage der Muslime in Westbengalen, zu dem Kalkutta gehört.
Archiv: Outlook India

New Yorker (USA), 10.12.2007

In einem ausführlichen Essay geht Louis Menand anlässlich der sehr unterschiedlich geratenen Tagebücher des Pulitzer-Preisträgers Arthur M. Schlesinger ("Journals: 1952-2000") und des Journalisten Leo Lerman ("The Grand Surprise") der Frage nach, warum wir Tagebücher lesen - und warum sie überhaupt geschrieben werden. Er bietet drei Spontantheorien dafür an: Ego-Theorie, Es-Theorie und Über-Ich-Theorie. "Die Ego-Theorie besagt, dass das Führen eines Tagebuchs einen Grad an Eitelkeit und Eigenbedeutung erfordert, der die meisten Leuten schlicht überfordert, um sie längere Zeit bei der Stange zu halten. Man ist gezwungen zu glauben, das Zeug, das einem passiert ist, sei des Aufschreibens wert, weil es einem selbst passiert ist. Deshalb werden so viele Tagebücher schon um den 10. Januar herum wieder aufgegeben: sie fortzuführen, wird einem schnell klar, bedeutet etwas Schlimmeres, als für andere unerträglich zu sein - es bedeutet, sich selbst unerträglich zu sein. Die Leute merken, dass sie sich nicht ernst genug nehmen können, um weiterzumachen. Sie mögen das bedauern, aber sie akzeptieren es und wenden sich anderen Dingen wie dem Briefmarkensammeln zu."

Weiteres: Hendrik Hertzberg schreibt über die "militärisch übertragbare Infektionskrankheit", die unter Bushs inzwischen ehemaligen Verbündeten grassiert, die einer nach dem anderen von ihm und seinem Irak-Abenteuer abrücken. Nick Paumgarten porträtiert Eliot Spitzer, Demokrat und seit einem Jahr Gouverneur von New York. Sasha Frere-Jones befindet, die Sängerin und Songschreiberin Chan Marshall sei endlich erwachsen geworden. John Lahr stellt Inszenierungen der Theaterstücke "Cymbeline" von Shakespeare, "A Hard Heart" von Mark Lamos und "Rebel Voices" von Rob Urbinati vor. Anthony Lane sah im Kino die Ian-McEwan-Verfilmung "Abbitte". Zu lesen sind außerdem die Erzählung "Found Objects" von Jennifer Egan und Lyrik von Charles Simic, D. Nurkse und Kevin Young.

Nur im Print: ein von seiner Tochter geschriebenes Porträt des an Depressionen leidenden Schriftstellers William Styron, eine Reportage über einen bösartigen Schädling oder eine Seuche in North Carolina und eine Betrachtung über die Folgen von zu viel Pflege im Krankheitsfall.
Archiv: New Yorker

New York Review of Books (USA), 20.12.2007

Mehr als eine Handvoll aktueller Bücher darüber, was der Irakkrieg aus den amerikanischen Soldaten macht, hat Michael Massing gelesen. Es sind Bücher dabei, die von Soldaten selbst geschrieben sind, aber auch die Nahbeobachtung "Generation Kill" des Rolling-Stone-Journalisten Evan Wright, die HBO jetzt zu einer Miniserie verarbeitet: "Wright ist ein scharfer Beobachter und in 'Generation Kill' gelingt ihm der Blick hinter die Kulissen, die sonst so viele Aspekte des Militärlebens verbergen. Hier zum Beispiel seine Beschreibung des ersten Besuchs bei General Nathaniel Ficks Männern: 'Im Zelt stinkt es nach Fürzen, Schweiß und eklig süß nach pilzbefallenen Füßen. Alle laufen in Unterhosen herum und kratzen sich an den Eiern. Überhaupt ist öffentliches Kratzen an den Eiern ganz normal bei den Kampftruppen der Marines, sogar in den Meetings hochrangiger Offiziere. Die Geste ist so übertrieben männlich wie der größte Teil der Umgangssprache unter den Marines auch.' Offiziere und Rekruten gefallen sich in Obsönitäten, verwenden immerzu Ausdrücke wie 'schwul', 'Tunte' und 'Motherfucker'. Die Soldaten streiten sich, erzählen sich schmutzige Geschichten, werfen sich rasssistische Beschimpfungen an den Kopf, lesen Pornozeitschriften und masturbieren."

Und noch mehr Obszönes: John Updike hat die Gustav-Klimt-Ausstellung in New Yorks Neuer Galerie besucht und stellt fest, dass Klimt - insbesondere in seinen Zeichnungen - ebenso wie sein Zeitgenosse Egon Schiele einem Gegenstand Gerechtigkeit widerfahren ließ, an dem auch Updike selbst ein oft demonstriertes Interesse hat: "Gemeinsam haben die beiden Männer der nicht-pornografischen Aktzeichnung die Genitalien wiedergegeben und den Sex in so etwas wie seiner melancholischen Komplexität skizziert."

Economist (UK), 03.12.2007

Wie ist der Erfolg einer Website zu messen - eine Frage, die nicht nur Anzeigenkunden interessiert. Die Antwort darauf ist leider alles andere als simpel, wie der Economist erklärt: "Stellen Sie sich vor, sie würden gerne Anzeigen auf der beliebtesten Website unterbringen und wüssten gern, wieviel sie dafür zahlen sollten. Weltweit ist Google die führende Website mit den meisten 'Seitenansichten'. Oder vielleicht doch Microsoft, dessen Seiten sich der längsten, wie es im Jargon heißt, 'Verweildauer' rühmen dürfen? Oder sollte man sich besser nach Unique Visitors, Hits, Click-Throughs, Impressions, Anfragen, Sitzungen, Streams oder Engagement richten? Unabhängig davon, ob es in der Werbung Wahrheit gibt, für Online-Werbekunden sieht es da in jedem Fall schlecht - oder mindestens schwierig - aus."

Weitere Artikel: An amerikanischen Universitäten ist ein erstaunlicher Bauboom zu beobachten, der sich gesteigertem Wettbewerb aber auch wachsenden Studierendenzahlen verdankt: Aktuellen Berechnungen nach "wurden im Jahr 2006 an amerikanischen Colleges und Universitäten Gebäude im Wert von 15 Milliarden Dollar gebaut - das ist ein erstaunlicher Zuwachs um 206 Prozent seit 1997 - und die Zahlen für dieses Jahr werden in vergleichbarer Höhe liegen."

Besprochen werden unter anderem Katherine Ashenburgs Geschichte der Sauberkeit "The Dirt on Clean", ein Band mit späten Gedichten von John Ashberry, und Paul Hockenos' Joschka-Fischer-Biografie gemeinsam mit dem nun ins Englische übersetzten ersten Band von Fischers Autobiografie, Michael Billingtons Geschichte des britischen Theaters nach 1945 und Julian Schnabels Film "The Diving Bell and the Butterfly".
Archiv: Economist

Foglio (Italien), 01.12.2007

Gaia Cesare gratuliert dem erfolgreichsten Poesiemagazin Europas zum Geburtstatg und rühmt dessen Macher Nicola Crocetti. "Im Januar wird Poesia zwanzig Jahre alt, und das Heft, dessen Grabstein viele Literaten immer wieder schon beschriften wollten, ist noch da, und in seiner Sparte ist es das Magazin mit der größten Verbreitung in Europa. Eine mittlere Auflage von zwanzigtausend Exemplaren, - mit einer Spitze von fünfzigtausend, die als Weltrekord verbucht wurde - zweitausend veröffentlichen Dichtern, unter ihnen 37 Nobelpreisträger, zwanzigtausend Gedichte und Tausende Fotos von Dichtern, die zum Großteil noch nie gedruckt wurden. Ein italienisches Wunder. Ein verlegerisches Wunder, das jeden Monat in vielen der größeren europäischen und amerikanischen Universitäten ausliegt. Ein Wunder, dass von mindestens zwei großen Einfällen herrührt und das von einem einzelnen Mann verwirklicht wurde."

Weiteres: Ugo Bertone proträtiert das Autobahnraststättenunternehmen Autogrill, das wächst und wächst und gerade Marktführer im Flughafengeschäft geworden ist. Siegmund Ginzberg modernisiert Macchiavelli mit Hilfe von Petrarca und meint hier und hier, dass der heutige starke Mann zwar manchmal auch Steuern erhöhen muss, seinen Sadismus dabei aber nicht öffentlich zeigen sollte.
Archiv: Foglio

Nouvel Observateur (Frankreich), 29.11.2007

In einem Interview erklärt Garri Kasparow unter anderem, inwiefern ihm seine Schach-Fähigkeiten im Kampf gegen Putin geholfen haben. "Als Spieler war ich sehr dynamisch, sogar aggresiv oder wie manche meinte: arrogant. Ich hatte eine exzellente Intuition, die es mir ermöglichte, die Züge meines Gegners zu erahnen. Außerdem habe ich gelernt, meine Grenzen zu erkennen. Ich weiß, dass man nicht in die Offensive gehen kann, wenn man sich in einer schwachen Position befindet, und das hat mir in meinem politischen Kampf von Anfang an geholfen: Der Feind verfügte über eine erdrückende Überlegenheit. Ich musste also die passende Strategie gegen Putin finden und zunächst eine Überlebensstrategie. Jeder gewonnene Tag erlaubt uns, mehr Menschen zu erreichen und den Kreml mehr zu ärgern. Das kommt aus der Guerillataktik und ist das einzige Spiel, das wir uns erlauben konnten."

Anlässlich des 60. Jahrestags der Uno-Entscheidung für einen Teilungsplan Palästinas zugunsten eines eigenen israelischen Staates analysiert der 1936 in Jerusalem geborene Schriftsteller Avraham B. Yehoshua die Konfliktlinien und macht vier konkrete Vorschläge zu ihrer Lösung, darunter den Rückzug Israels hinter die Grenzen von 1967 und die Demilitarisierung der besetzten Palästinensergebiete.
Stichwörter: Kasparow, Garri, Schach, UNO, 1967

Europa (Polen), 01.12.2007

Die ganze Ausgabe des Wochenendmagazins der Tageszeitung Dziennik ist den Wahlen in Russland gewidmet. Vor den Konsequenzen der nationalistischen Kremlpropaganda warnt Russlandexperte Boris Breitschuster: "Alle werden als Bedrohung dargestellt. Das heutige Russland hat keine Freunde, nur Feinde: die USA und Europa schwärzen Russland an, und warten nur darauf, es zu bedrohen. Mit den Nachbarstaaten ist es noch schlimmer... Das ist ein gefährliches und kurzsichtiges Spiel, ich glaube, nicht einmal die im Kreml wissen, welch gefährliche Bestie sie provozieren."

Der letzte Oppositionelle Garri Kasparow richtet im Interview die Aufmerksamkeit auf die Rolle des Auslands: "Der Westen macht riesige Geschäft mit China, viel größere als mit Russland. Aber keiner täuscht deswegen vor, dass China demokratisch sei. Bei Russland ist es leider anders - Demokratie wurde hier zur Verhandlungsmasse." Besonders irritierend sei dabei die Haltung Gerhard Schröders: "Putins Propaganda kann jetzt sagen: Seht her! Sogar den deutschen Kanzler kann man kaufen! Diese ganze Politik ist nur Business!"
Archiv: Europa

Gazeta Wyborcza (Polen), 01.12.2007

"Das Seltsame an den Parlamentswahlen in Russland ist nicht, dass man von vornherein weiß, wer gewinnt. Das ist schon Tradition in diesem Land. Diesmal aber wussten die Russen nur, wem sie ihre Stimme geben, nicht, was sie wählen. Das ist das größte Geheimnis ihres Anführers und einiger engster Freunde", schreibt Waclaw Radziwinowicz. Die von Putin selbst als bedeutungslos bezeichnete Partei "Einiges Russland" und die teilweise lächerlich anmutende Parteienlandschaft verraten aber eines über den psychischen Zustand der Machthaber: "Sie haben keine Angst vor den Demokraten oder Demonstrationen. Sie haben keine Angst vor einem Sieg Garri Kasparows bei den Präsidentschaftswahlen im März. Sie haben Angst vor der 'Smuta' "- den Wirren des Kampfs um die Macht.
Archiv: Gazeta Wyborcza

Merkur (Deutschland), 01.12.2007

"Die Binnentemperatur steigt", konstatiert Michael Stolleis angesichts der immer lauter werdenden Rede, für mehr Sicherheit müsse der Bürger eben mehr Freiheit opfern, die Folter tolerieren und sich zur Not auch abschießen lassen: "Eine freie Gesellschaft, die frei bleiben will, muss die Gefahr ertragen. Sie muss sie auf sich nehmen, wenn nötig, ohne gleich nach dem Sicherheitsstaat, nach Polizei und Militär zu rufen. Erst eine selbstbewusste Gesellschaft, die nicht bei jeder Drohung den Sicherheitsapparaten zusätzliche Vollmachten gibt, kann die innere Angst besiegen. Wenn Opfer gebracht werden müssen, dann möchten wir sie privat und öffentlich beklagen dürfen. Aber eine Metaphysik des Opfers, gar eine staatsrechtliche Opfertheorie des Bürgers, versehen mit dem Weihrauch des 'dulce et decorum est pro patria mori', brauchen wir nicht."

Weiteres: Wolfgang Kemp betrachtet - leicht genervt- all die zugesandten Laienschriften, die ihn immer wieder in seiner akademischen Routine durcheinander bringen. Otfrioed Höffe widmet sich den "Pionieren der Modern" Machiavelli, Bacon und Hobbes. Ulrike Ackermann widmet sich der Sehnsicht des Menschen nach Irrationalität.
Archiv: Merkur

Nepszabadsag (Ungarn), 01.12.2007

Den immer häufigeren Gedankenspielen in der ungarischen Öffentlichkeit, dass die Gründung einer glaubwürdigen Partei an der Zeit wäre, steht die Kunsthistorikerin Eszter Babarczy skeptisch gegenüber: "Die Idee ist zwar nicht schlecht, hat aber Tücken. Denn, gesetzt den Fall, dass diese neue Partei alle Hürden nehmen und bei den nächsten Wahlen erfolgreich ins Parlament einziehen würde - wer garantiert dafür, dass sie nicht bei den darauffolgenden Wahlen desillusioniert von der politischen Palette verschwinden? Daher würde ich lieber vorschlagen, etwas geduldiger zu sein. Wir müssten erst erkennen, wo die Parteien zu faulen beginnen, und wie wir als Mitglieder der Zivilgesellschaft die anständigen Akteure der Politik darin unterstützen können, dieses Übel und seine Ursache zu tilgen. Wir müssen sie aufsuchen, in jeder einzelnen Partei, und müssen mit ihnen reden."

Der Verhaltensforscher Vilmos Csanyi hält bei der Einführung von Reformen die Kommunikation für besonders wichtig: "Ältere Demokratien verfügen über Stiftungen oder staatliche Institutionen, deren Aufgabe es ist, unabhängig von der Tagespolitik sinnvolle, kohärente Konzepte zu erarbeiten - über die Bildung, das Gesundheitswesen, und so weiter. Diese Konzepte werden in breiter Öffentlichkeit diskutiert und verglichen, und wenn die Regierung irgendwelche Reformen durchführen will, so kann sie auf diese bereits erarbeiteten, eigenständigen Modelle zurückgreifen. Ungarn zählt nicht zu den alten Demokratien, daher sind die Reformen nicht einmal dann durchdacht, wenn über sie abgestimmt wird. Die Kommunikation beschränkt sich auf die Versprechen der Regierung, dass durch die Reformen alles besser und schöner wird, sowie auf die Schwarzmalerei der Opposition."
Archiv: Nepszabadsag

Espresso (Italien), 30.11.2007

Dass eine Frau in Saudi-Arabien zuerst vergewaltigt und vor kurzem deswegen dann auch noch zu zweihundert Peitschenhieben verurteilt wurde (mehr zu dieser Geschichte), bringt den marokkanischen Schriftsteller Tahar Ben Jelloun in Rage. "Während der Prophet Mohammed, dessen erste Frau zuvor einer Profession nachgegangen war, die viel älter war als er, im Lauf seines Lebens gegenüber Frauen Überlegtheit und Respekt an den Tag legte, beharren viele Muslime heute darauf, sie als minderwertig zu betrachten und sie vor allem zu isolieren. Dieses Verhalten gründet in der Angst, dass die Frau ihrem Ehemann entflieht und ihrem Verlangen nach Freiheit und Emanzipation Raum gibt."
Archiv: Espresso

Portfolio (USA), 01.12.2007

Die vielbeklagte Kostenloskultur des Internets macht auch vor der Pornoindustrie nicht halt, wie Claire Hoffman in einer fundierten Reportage für das Conde Nast-Magazin Portfolio feststellt. Titel: "Obscene Losses". Hoffman hat den Gründer von Vivid Entertainment, Steve Hirsch, besucht, der sich der Konkurrenz von YouPorn mit seinen Gratis-Amateurvideos kaum mehr erwehren kann - dabei war Vivid einst der größte Name der Branche: "Wie sein Name nahelegt, lässt YouPorn die Nutzer eine fast unbegrenzte Auswahl an Sexvideos gratis herunterladen. Die Amateurvideos reichen - wie bei YouTube, dem Vorbild - von körnigster Dilettantenware bis zu den ausgepichtesten Profiprodukten. Ganz wie YouTube hat YouPorn auch wesentlich mehr Traffic als Einkommen. Neun Monate nach seiner Freischaltung im September 2006 hatte YouPorn 15 Millionen Unique Visitors pro Monat, und sein Publikum wuchs um 37,5 Prozent pro Monat. Heute ist Youporn die Nummer 1 auf dem Markt für Erwachsenenvideos, und Vivid.com steht auf Platz 5061."

Außerdem im Dezemberheft eine lange Reportage über die Auseinandersetzung zwischen Russland und westlichen Ölfirmen bei der Ausbeutung neuer Ölfelder in Sibirien.
Archiv: Portfolio

Spectator (UK), 01.12.2007

Mary Wakefield porträtiert die inzwischen in den USA beim American Enterprise Institute untergekommene Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali, die sie in Westminister zum Gespräch getroffen hat: "Während sie so spricht, merke ich endlich, was sie von ihren Neocon-Kumpels unterscheidet. Während es bei jenen die Angst vor den Muslimen ist, die sie anzutreiben scheint, versucht Ali die Muslime zu schützen, und zwar vor dem Zwang zur Unvernunft. Wenn sie von einem 'Krieg gegen den Islam' spricht, dann denkt sie nicht an Armeen von Aufständischen, sondern an einen ideologischen Virus, in der selben Art, in der ein Arzt über die Schlacht gegen Typhus sprechen könnte. 'Ja, ich befinde mich mit dem Islam im Krieg', sagt sie, als sie aufsteht, 'aber nicht mit den Muslimen'. Es ist ein entscheidender Unterschied. Jetzt ist es Zeit für den Nachmittagstee und der Flur des Oberhauses ist plötzlich erfüllt vom Geschnatter der Abgeordnetenfrauen, die ihre Regenschirme ausschütteln. Entschuldigen Sie die ganzen Frauen mit Kopftüchern, bemerke ich unnötigerweise, als ich ihre Hand schüttle."

Weiteres: Andrey Slivka erzählt, wie das schnelle Geld die Ukraine kaputt macht. Und in seinem Tagebuch kürt Simon Sebag Montefiore Michael Wuliger zu seinem favorisierten Interviewer in Berlin, wo er seine Biografie des "Jungen Stalin". Besonders Wuligers "koscherer Knigge" hat es ihm angetan, dessen neuntes Gebot er zitiert: "Wenn Sie an tief verwurzelten Schuldgefühlen leiden, weil ihr Großonkel Gottfried in der Waffen-SS war, erwarten sie nicht von einem Juden fasziniert zu sein..."
Archiv: Spectator

Elet es Irodalom (Ungarn), 30.11.2007

Die Ethnologin Veronika Görög-Karady, die in Mali und bei rumänischen Roma Märchen erforschte, beschreibt, welch Gemeinsamkeiten die verschiedenen Folkloren aufweisen: "Zunächst ist mir aufgefallen, wie verblüffend ähnlich sich die afrikanischen und die Zigeunermärchen sind, und ich habe begonnen, dies zu erforschen. Die Grundsituation ist zwar anders, denn die Schwarzen stellen in Afrika die Mehrheitsgesellschaft dar, während die Roma eine Minderheit in Europa sind, aber das Wesentliche ist gleich: es gibt ein übergeordnetes und ein untergeordnetes Volk. Im Detail sieht dies dann anders aus: Während viele afrikanische Schöpfungsgeschichten die Schwarzen aufgrund einer göttlichen Strafe oder durch die 'intellektuelle Überlegenheit' der Weißen als unterworfen versteht, ist das negative Bild der Roma in Europa auch durch die Rolle der katholischen Kirche bestimmt."
Stichwörter: Mali, Roma

Guardian (UK), 01.12.2007

Giles Foden feiert den großen polnisch-englischen Autor Joseph Conrad aus Anlass seines 150. Geburtstags als Meister der Multiplizität. Einzigartig sei Conrad nicht zuletzt darin gewesen, wie er vielfältige Einflüsse zu verschmelzen verstand: "Shakespeare verdankte Conrad nicht nur Zweifel und Skeptizismus, sondern auch die Idee der kulturellen Multiplizität - die Einsicht also, dass es, wo es um den Menschen geht, niemals eine einzig richtige Haltung gibt. Von anderen Meistern lernte er andere Lektionen. Von Dickens hatte er den Sinn für die Partikularität der Charaktere, aber auch eine Vorstellung davon, wie sich die Perspektiven verschiedener Figuren in Raum und Zeit verteilen lassen... Von Flaubert wiederum nahm er den Glauben daran, dass der Roman auf dem Unpersönlichen gründet, aber auch weitere Hinweise im Umgang mit der Erzählperspektive: dem schwierigsten Teil der Kunst des Romanciers."

Besprochen werden unter anderem eine von Richard Ford herausgegebene Kurzgeschichtensammlung, James Lee Burkes Hurricane-Katrina-Krimi "The Tin Roof Blowdown" und Jenny Erpenbecks jetzt in englischer Sprache erschienener kurzer Roman "The Book of Words".
Archiv: Guardian

New York Times (USA), 02.12.2007

Daniel Bergner schreibt für das Sonntagsmagazin ein ausführliches Porträt über Booth Gardner, einen ehemaligen Gouverneur des Staates Washington, der nun an Parkinson erkrankt ist und die "größte Kampagne meines Lebens" betreibt, eine Initiative, die um die Erlaubnis für einen von Ärzten assistierten Suizid kämpft: Seine Kampagne "heißt 'Tod in Würde'... Nach dem Gesetz dürften Ärzte sterbewilligen Patienten eine tödliche Dosis Betäubungsmittel verschreiben. Es würde einer Regel des Staates Oregon entsprechen, des einzigen Staates, in dem die Bewegung bisher erfolgreich war. In allen anderen Staaten ist Selbstmord nicht illegal, aber fast überall ist es ein Verbrechen, jemandem dabei zu helfen."

In der Book Review werden "Holiday Books" und die "zehn besten Bücher des Jahres" vorgestellt.
Archiv: New York Times