Magazinrundschau

Michael Wolff: Steve Jobs kontrolliert auch dich

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
13.11.2007. Für Vanity Fair steht Steve Jobs kurz vor dem Status eines "Der, dessen Name nicht genannt werden darf". Etwas mehr Zivilcourage wünscht sich der Soziologe Elemer Hankiss in Nepszabadsag von den ungarischen Journalisten. Il Foglio stellt den neuen Konkurrenzsender zu Al Dschasira vor. Commentary porträtiert einen begnadeten Musikkritiker, der keine Noten lesen konnte. In Elet et Irodalom stellt die in Siebenbürgen lebende Literaturwissenschaftlerin Eva Cs. Gyimesi einen neue transsilvanische Zeitschrift für Europa vor. Le Point erklärt Marcel Gauchet zum neuen Platon.

Vanity Fair (USA), 01.12.2007

Michael Wolff macht sich ein paar tiefschürfende Gedanken über das Zeitalter des technischen Medienspielzeugs - iPhone, iPod, iTV, iCar etc. "Während das Gadget bisher ein ergänzendes oder sogar rebellisches Instrument war - der MP3-Player startete die große digitale Medien-Rebellion - drohen Apples Gadgets jetzt mit einer totalen Übernahme. Das bedeutet, dass Steve Jobs, bis vor kurzem noch eine heroische oder zumindest charmante Figur, zu einer repressiven Figur wird. Da ist sein messianischer Erfolg, der vor allem auf den Entwicklungen anderer Gadgeteers basiert, was die Leute immer verrückter macht. Dann ist da Steves bisher erfolgreiche Anstrengungen, seine Gadget-Armee einzusetzen, um jeden anderen zu dominieren und disziplinieren. Er kontrolliert praktisch die Art, wie Menschen Medien konsumieren, während sie sich bewegen (es zeigt sich, dass sehr viele Menschen ihre Medien wollen wie sie zunehmend ihr Essen wollen - schnell serviert unterwegs). (...) Der Punkt mit iProdukten ist, dass Steve sie kontrolliert. Sie haben nur einen Anfang und ein Ende. Von Steve zu Ihnen." Und dann erklärt Wolff, inwiefern jetzt sogar Steve Jobs Macht bedroht ist.

Seit Herbert Hoover die USA in die Große Depression geführt hat, habe kein amerikanischer Präsident mehr eine solch katastrophale Wirtschaftspolitik betrieben wie George W. Bush, behauptet der Ökonom Joseph Stiglitz. Die Folgen würden über Generationen spürbar sein: "Das Steuersystem fällt auf erschreckende Weise zu Gunsten der Reichen aus, die Staatsverschuldung wird um siebzig Prozent gestiegen sein, wenn der Präsident Washington verlässt, die Kaskade säumiger Hypotheken steigt weiter an, das Handelsdefizit liegt bei rekordverdächtigen 850 Milliarden Dollar, die Ölpreise sind höher als jemals zuvor, und der Dollar ist so schwach, dass es für einen Amerikaner einer Risikoanlage gleichkommt, in London oder Paris einen Kaffee zu kaufen - oder selbst im Yukon. Und es wird noch schlimmer. Nach fast sieben Jahren Regierungszeit dieses Präsidenten sind die USA weniger auf die Zukunft vorbereitet als jemals zuvor. Wir haben nicht genug Ingenieure und Wissenschaftler ausgebildet, die wir brauchen werden, um mit China und Indien konkurrieren zu können. Wir haben nicht genug in die Grundlagenforschung investiert, die uns zum technologischen Kraftwerk des 20. Jahrhunderts gemacht hatte."
Archiv: Vanity Fair

Nepszabadsag (Ungarn), 11.11.2007

Das Bild, das Ungarns Journalisten von ihrem Land zeichnen, ist düsterer, als die Wirklichkeit, findet der Soziologe Elemer Hankiss: "Es ist zwar in der heutigen Situation richtig, Übel aufzudecken und die Verantwortlichen anzuprangern, sich gegen Lügen zu wehren und Korruption aufzudecken, usw. Täte die Presse dies streng objektiv und diszipliniert investigativ, mit seriösen Analysen und ohne Effekthascherei, hätte sie schon viel getan. Sie tut es hierzulande aber nicht, sondern bleibt auf halbem Wege stehen: sie skizziert das Ungemach, um es dann ihrem Publikum zu überlassen. Sie will oder kann nur das Problem sehen, tut sich aber schwer, nach Lösungen zu suchen - schließlich sei das ja die Aufgabe der Politiker. Diese Rollenverteilung aber ist sogar in jenen Ländern falsch, in denen die Politik ihre Aufgaben wahrnimmt und sie bewältigen kann - auch hier geht das Nachdenken über die Lösung von Problemen und über die Zukunft sowohl die Presse als auch alle verständigen Staatsbürger, Gemeinschaften und Organisationen an. (...) Angesichts der Trägheit der Politik müssten wenigstens Presse und Gesellschaft sich über das Gejammer hinwegsetzen und - klinge es noch so pathetisch - die Zukunft gestalten. Dazu gibt es trotz der unermesslichen Schwierigkeiten unzählige Möglichkeiten: Und die könnte man mit neuen Gedanken, ernsthafter Arbeit und ein wenig Zivilcourage auch wahrnehmen."
Archiv: Nepszabadsag
Stichwörter: Zivilcourage

Foglio (Italien), 10.11.2007

Roms Bürgermeister und Vorsitzender der neu gegründeten Mitte-Links-Partei Walter Veltroni benutzt den Glamour des Filmfestival von Rom erfolgreich für den eigenen Aufstieg. Doch Veltronis kulturelle Ambitionen spalten die Linke, stellt Marianna Rizzini nicht unerfreut fest. "Wenn man sich das alles einmal ansieht, die Abtrünnigen - Massimo Cacciari, der gegen das aufrührerische Rom wetterte, Felice Laudadio (der Festivaldirektor von Taormina), der die Aufteilung der Subventionen zugunsten Roms beklagte, und schließlich Francesco Rutelli, der Kulturminister, der Neutralität zu bewahren versuchte aber tatsächlich doch Venedig verteidigte - wenn man die drei Festivals Venedig, Rom und Turin betrachtet und die drei Bürgermeister die sie repräsentieren, Cacciari, Veltroni und Chiamparino, dann weiß man, dass die Zeichen schon länger auf Konfrontation stehen."

Maurizio Stefanini setzt große Hoffnungen auf den ägyptischen Medienunternehmer Naguib Sawiris, der dem Platzhirsch Al Jazeera mit seinem angeblich toleranteren Otv Konkurrenz machen will. "'Wenn ein Film hinsichtlich der Kostüme und der Tradition nicht hinnehmbar ist, senden wir ihn nicht', versichert er. 'Aber in dem Moment, in dem wir uns zur Ausstrahlung entscheiden, können wir ihn doch nicht zensieren.' So machen es aber die meisten Sender des Mittleren Ostens, sie schneiden die westlichen Filme bis zur Unkenntlichkeit. Außerdem verspricht Sawiris, die 'hohe Dosis' an religiösen Inhalten drastisch herunterzufahren."
Archiv: Foglio

Commentary (USA), 01.11.2007

Terry Teachout erinnert an den Cricketreporter und Musikkritiker des Manchester Guardian, Neville Cardus, dessen Autobiografie in einer "besser geordneten Welt" nicht vergessen, sondern zwischen H.L. Menckens "Newspaper Days" und A.J. Lieblings "Zwischen den Gängen" stehen würde. Dabei war Cardus, Sohn einer Gelegenheitsprostituierten, gerade mal vier Jahre zur Schule zur Schule gegangen, wie Teachout nicht zu erwähnen vergisst: "Wenn er über Arturo Toscanini schreibt, er dirigiere Brahms wie ein 'gigantisches Musikrad, das sich in einer unnachgiebigen Furche dreht', oder dass ihn Fritz Kreislers Geigenspiel 'an ein schönes Gesicht erinnert, das noch schöner wäre, wenn es Linien oder Falten hätte', begreift man seinen Punkt sofort. Kein Zweifel, Cardus schrieb auf diese Art nicht nur, weil er es konnte, sondern weil es musste. Seine musikalische Ausbildung bestand aus einem Jahr Gesangsunterricht, und die Nonchalance, mit der er sich über Partituren-lesende Kritiker äußerte, führt einen zu der Vermutung, dass seine eigenen Fähigkeiten in dieser Hinsicht äußerst begrenzt waren."
Archiv: Commentary

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 09.11.2007

Andre Schiffrin, Leiter des unabhänigen Non-Profit-Verlags New Press, glaubt nicht, dass der Markt allein die Qualität und Vielfalt von Zeitschriften und Büchern garantieren kann. Er setzt auf Stiftungen als Finanziers: "In Großbritannien gehört die Tageszeitung The Guardian und die dazugehörige Sonntagszeitung The Observer zum Scott Trust, einer nicht profitorientierten Stiftung. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist als Stiftung konstruiert, desgleichen die meisten dänischen Zeitungen. Zeitungs- und Buchverleger, die zu unabhängigen Stiftungen oder Genossenschaften gehören, dürften gute Chancen haben, sich ihre politische und kulturelle Autonomie zu bewahren. Solche Modelle hätten den Verkauf von Traditionsverlagen wie Le Seuil (Paris) und Einaudi (Mailand) an profitorientierte Medienkonzerne womöglich verhindern können. Die Renditeerwartungen in der Verlagsbranche lagen über Jahrhunderte bei 3 bis 4 Prozent; heute fordern die Konzerne mindestens 10, wenn nicht gar 15 Prozent. Das hat natürlich Einfluss auf die Inhalte, die publiziert werden können."

Spectator (UK), 10.11.2007

Die London Library ist eine ehrwürdige Institution. Gegründet vor 150 Jahren von Thomas Carlyle deshalb, weil man sich in der Britisih Library nichts ausleihen durfte, können die 8000 Mitglieder der London Library die Bücher immer noch mit nach Hause nehmen. Dafür sollen sie jetzt 375 Pfund im Jahr zahlen, nahezu doppelt so viel wie bisher. Die darauf folgende Mitgliederversammlung hatte den Charakter einer Revolution, berichtet Paul Barker. "Das Licht strahlte aus dem hohen Lesesaal im Erdgeschoss der London Library auf den St James Square. Die Mitglieder drängelten sich am vergangenen Donnerstag auf der hübschen Treppe, um an der heftigsten Diskussion teilzunehmen, die die Bibliothek seit vielen Jahren oder vielleicht überhaupt erlebt hat. Einige Mitglieder müssen sich in die oberen Galerien quetschen, wo man alte verstaubte Wörterbücher in obskuren Sprachen findet. Von dort beteiligten sich sich an dem Hin und Her der Redeschlacht, die weiter unten wogte, als wären sie ein paar verwahrloste Cherubim aus einem Gemälde von Rafael."
Archiv: Spectator
Stichwörter: Carlyle, Thomas, Bibliotheken

Espresso (Italien), 09.11.2007

Der indischstämmige Schriftsteller Suketu Mehta stellt fest, dass seine Wahlheimat New York schon lange kein Schmelztiegel mehr ist, sondern eher einem Patchwork aus Mexiko-City, Lagos und Moskau gleicht. "Der Unterschied zwischen den Einwanderen von heute und jenen des vergangenen Jahrhunderts ist folgender: heute befinden sich viele in einem ständigen Transit zwischen ihrem Heimatland und den Vereinigten Staaten. Jeder neue New Yorker bringt seine eigene Welt mit und bewegt sich zwischen ihr und New York hin und her. Das Konzept des Schmelztiegels ist aus der Mode gekommen. Wer in New York ankommt, verbindet sich nicht, mischt sich nicht, sondern bleibt tatsächlich 'integer', in seinem ganzen Wesen. Die Geschmäcker, die Aromen gehen zusammen, verlieren aber nie ihre eigene Kontur."

Umberto Ecos
Bücher sind zum Teil in zwanzig Sprachen übersetzt. Vom Erfolg ermutigt, lässt sein chinesischer Verleger gerade eine Sammlung der Bustine di Minerva aus dem Jahr 2000 ins Chinesische übertragen. Doch es gibt Verständnisschwierigkeiten, und die Übersetzerin bombardiert ihn mit Fragen, berichtet Eco. Wer zum Teufel waren zum Beispiel Tiscordi und Zozzogno (eine vom Komiker Toto erfundene Verballhornung der Musikverleger Ricordi e Sonzogno)? "Ich habe das Gefühl, dass in dieser globalisierten Welt, in der es so scheint als würden alle die gleichen Filme gucken und das gleiche Essen verspeisen, dass es in dieser Welt immer noch abgrundtiefe und unüberwindbare Gräben zwischen den einzelnen Kulturen gibt. Wie sollen sich zwei Kulturen jemals miteinander verständigen, von denen eine Toto nicht kennt?"
Archiv: Espresso
Stichwörter: Lagos, Eco, Umberto

Elet es Irodalom (Ungarn), 09.11.2007

In den vergangenen Monaten ist in Ungarn die sog. "kleine Kritikdebatte" (nach der "großen" im Jahr 1996) entbrannt, die auf die "Explosion" der Blogosphäre zurückzuführen ist (mehr hier und hier). Literarische Blogger, aber auch manche junge Autoren und Publizisten werfen der Mainstream-Kritik vor, sie spreche nur von sich selbst, schwelge in Fachausdrücken und habe das Publikum aus den Augen verloren - das sich wiederum von ihr abwendet und nun, dank der Blogosphäre, selbst zu Wort meldet. Der Kritiker Tibor Barany sieht in der Debatte die Chance, die Aufgaben der zeitgenössischen Literaturkritik zu klären: "Ein reales Problem der Literaturkritik ist zum Beispiel, dass ... richtige Kritikdebatten nicht stattfinden: Die Kritik erbringt eine solide Leistung, die Journalisten präsentieren spannende Interpretationen, aber der Vergleich der rivalisierenden Standpunkte bleibt aus. Gerade die Öffentlichkeit des Internets könnte hier Abhilfe schaffen - dazu müssten aber die Texte der literarischen Blogs als niveauvolle Tageszeitungskritiken funktionieren können, wie auch die Kritiker die Kommentare beantworten sollten, die sich auf ihre Rezensionen beziehen."

Die im rumänischen Siebenbürgen lebende Literaturwissenschaftlerin Eva Cs. Gyimesi hat die im vergangenen Jahr gegründete rumänische Zeitschrift Foaia Transilvana entdeckt, die sich dem Europäischen in der Geschichte Siebenbürgens, seiner ethnisch-religiösen Vielfalt und seiner eigenartigen Kultur verschrieben hat. Gleichzeitig ist sie überrascht, dass die Zeitschrift bei der ungarischen Minderheit in Rumänien kaum Zustimmung findet: "Als wäre uns immer noch das in der Funar-Ära entstandene Feindbild wichtiger. Die ungarischsprachigen Zeitschriften erwecken den Eindruck, als hätte sich der Horizont der ungarischen Öffentlichkeit um keinen Fingerbreit bewegt. Jahrzehntelanger Argwohn und Frustration, die Verachtung gegenüber dem rumänischen Volk haben eine Isolation zur Folge, mit der sich die Ungarn in Siebenbürgen aus einem größeren Ganzen ausgrenzen und ins Abseits befördern: dabei war so mancher Transsilvanier von einst ziemlich stolz auf jene kulturelle Vielfalt und Religionsfreiheit gewesen, denen sich nun interessanterweise diese rumänische Zeitschrift widmet."

Economist (UK), 09.11.2007

Der Economist bespricht ein Buch von Gregory Rodriguez über die Geschichte und die wachsende Bedeutung der Latinos in den USA: "Seit 2001 sind die Latinos, die meisten von ihnen Mexikaner oder Nachkommen von Mexikanern, die zweitgrößte ethnische Gruppe in den USA. Sehr zum Verdruss der Afro-Amerikaner, die damit auf Platz drei verdrängt wurden. Alarmiert zeigten sich aber auch manche Weißen, die glauben, dass die Latinos vom Mainstream amerikanischer Gebräuche abweichen. In seinem 2004 veröffentlichten einflussreichen Buch 'Who Are We?' ('Wer sind wir?') behauptete der Harvard-Professor Samuel Huntington, dass die Mexikaner die angelsächsisch-protestantischen Traditionen bedrohten. 'Mongrels, Bastards, Orphans, and Vagabonds' ('Mischlinge, Bastarde, Waisen und Vagabunden') ist ein viel klügeres, weniger paranoides Buch. Dennoch kommt es zu einer ähnlichen Einschätzung."

In weiteren Artikeln wird festgestellt, dass das große New Yorker Berlin-Festival bisher eher bei der geriatrischen Upper-Westside-Bevölkerung auf Interesse stößt und über die Auswirkungen des Drehbuchautoren-Streiks in New York nachgedacht. Ein Schwerpunkt ist der neuen Bedeutung der Technologie in Indien und China gewidmet. Dabei geht es unter anderem um E-Business in China, Handy-Begeisterung (und PC-Zurückhaltung) in Indien und darum, dass die indische und chinesische Ökonomie deutlich weniger avanciert sind, als man auf den ersten Blick meinen könnte.
Archiv: Economist

Point (Frankreich), 08.11.2007

Vielleicht werde man dieses Buch einmal studieren, wie man heute Platons "Politeia" lese, prognostiziert Le Point - die Rede ist von der Studie "L'Avenement de la democratie" des Philosophen Marcel Gauchet, deren erste beide Teilbände in dieser Woche bei Grasset erscheinen ("La Revolution moderne" und "La Crise du liberalisme, 1880-1914"). In einem Interview antwortet der Autor auf die Frage, ob er das Geheimnis der Demokratie nun durchdrungen habe: "Sagen wir, ich versuche das Genom dieses seltsamen Organismus namens Demokratie zu entschlüsseln und den eigentlichen Gehalt seiner Dynamik zu bestimmen. In gewisser Weise greife ich die tocquevillesche Fragestellung auf, indem ich sie erweitere und zuspitze. Die Gleichheit von Bedingungen ist allerdings nur ein Aspekt des Phänomens. Das, was es am vollständigsten kennzeichnet, ist der 'Abgang der Religion'. Nicht des religiösen Glaubens, sondern ein allgemeiner Wandel der menschlichen und sozialen Welt durch den Bruch mit der Form, die die Religion ihr gab." (Auszüge aus "L?Avenement de la democratie" sind im aktuellen Nouvel Observateur zu lesen)
Archiv: Point

New Yorker (USA), 19.11.2007

Jon Lee Anderson berichtet aus dem Irak über "merkwürdige" neue Allianzen, die das amerikanische Militär eingeht, und fragt nach deren Kosten. "Die neue Strategie dient auch der Ebnung des Wegs für irakische Sicherheitskräfte, die die amerikanischen ersetzen sollen, und alle Joint Security Stations sind, wie der Name sagt, mit Amerikanern und Irakern besetzt. Allerdings gehören die Iraker nicht alle offiziellen Regierungskräften an. Mit amerikanischer Unterstützung übernehmen Hunderte bewaffneter sunnitischer Freiwilliger namens Ghazaliya Guardians schrittweise Polizeiaufgaben. Solche von den Amerikanern zugelassene sunnitische Einsatztruppen entstehen überall. Zum Entsetzen vieler Schiiten befinden sich unter ihnen viele ehemalige Rebellen. Ein Beamter einer der großen schiitischen Parteien sagte mir: 'Manche dieser bewaffneten Gruppen waren gestern noch feindliche Kräfte, die die irakische Regierung, Koalitionstruppen und jeden angriffen, der etwas mit der Regierung zu tun hatte. Sie galten als Terroristen. Was ist geschehen?'"

Weiteres: James Surowiecki kommentiert den Streik der amerikanischen Drehbuchautoren, einige Sätze könnten vielleicht auch den hiesigen Arbeitskampf Lokführer contra Bahn erhellen. Etwa: "Ein Streik ist nicht immer ein Fehler: manchmal erringen Arbeitnehmer einen großen Sieg. Doch wenn beide Seiten glauben, ein Streik diene ihrer Sache, muss sich mindestens eine von beiden irren." In einer Glosse erläutert Larry Doyle "warum wir streiken" und die damit verbundenen Forderungen. Als "Schläger, der gegen alles ausholte" charakterisiert Louis Menand Norman Mailer in seinem Nachruf. Außerdem zu lesen ist die Erzählung "Or Else" von Antonya Nelson und Lyrik von Michael Longley und Franz Wright.

Paul Goldberger besichtigt das neue Domizil des New Museum of Contemporary Art in New York vor, das das japanische Architekturbüro SANAA in der Bowery realisiert hat. Sasha Frere-Jones berichtet über einen neuen Punkrock-Boom in Los Angeles, in dessen Zentrum die Gruppe No Age steht. Dan Chiasson rezensiert Gedichtbände von Mark Strand ("New Selected Poems", Knopf) und Robert Hass ("Time and Materials", Ecco). Und David Denby sah im Kino das Irak-Kriegsdrama "Redacted" von Brian de Palma, Mike Newells Marquez-Verfilmung "Love in the Time of Cholera" und Noah Baumbachs Komödie "Margot at the Wedding" mit Nicole Kidman.

Nur im Print: eine Reportage aus Paris über den Aufstieg eines nicht näher bezeichneten berühmten Antisemiten, ein Artikel über den Streit unter Medizinern um das richtige Geburtsgewicht und ein Porträt von Orson Welles und Laurence Olivier als Shakespeare-Schauspieler.
Archiv: New Yorker

Nouvel Observateur (Frankreich), 08.11.2007

Vor rund 50 Jahre wurden die Gulags in Russland aufgelöst. Vor dem Hintergrund, dass Putins Russland erneut versucht, die stalinistische Unterdrückung zu rechtfertigen, widmet der Obs dem Thema ein Dossier. Vincent Jauver fasst kurz ihre Entstehungsgeschichte zusammen. Und in einem Interview erklärt die Journalistin und Historikerin Anne Applebaum, die mit ihrer Studie "Der Gulag" den Pulitzer-Preis gewann, warum die Gulags aufgelöst wurden und was man heute alles über sie weiß. "Nicht alles, aber das Wesentliche. Dieses Wissen ist neu. Während das Kalten Kriegs wurde das Thema verkannt und bestritten. Auf beiden Seite zirkulierten von der Propaganda gespeiste Legenden. Man konnte nur der Zeugenschaft ehemaliger Häftlinge trauen und natürlich den ungeheuren Werken von Solschenizyn und Schalamow. Mitte der neunziger Jahre hat sich alles verändert. Die Hauptarchive des Gulag wurden geöffnet. Seither hat man Zugang zu einer beträchtlichen Zahl von Dokumenten."

Zusätzlich dokumentiert sind Zeugenaussagen ehemaliger Häftlinge sowie Auszüge aus zwei bisher noch unveröffentlichte Texte von Alexander Solschenizyn aus den Jahren 1941 und 1995. Bei Ersterem handelt es sich um Auszüge aus einem 1940 begonnenen Romanfragment, das heute in Frankreich erscheint: "Aime la revolution". Der zweite entstammt dem Buch "Une minute par jour", einem Sammelband mit Gesprächen mit Solschenizyn.

New York Times (USA), 12.11.2007

Das Magazine widmet sich dem amerikanischen Westen, dem Western und vor allem dem britischen Schauspieler Daniel Day-Lewis, der in Paul Thomas Andersons neuem Film "There Will Be Blood" einen Ölbaron spielt. Lynn Hirschberg kommt in ihrem Day-Lewis-Porträt immer wieder auf die britischen Ursprünge des von Amerika faszinierten Darstellers zurück: "'Als wir mit dem Dreh von 'There Will Be Blood' anfingen, 'hatten wir Probleme.' Beinahe strahlt er, als er das sagt. 'Aber das, was nicht funktioniert, ist immer das, was einen voranbringt.' Da klingt er doch entschieden eher britisch als amerikanisch. Es ist eine Subtilität in Day-Lewis' Darstellung in diesem Film, die daher rühren mag, dass er von außen an diesen Stoff kommt. Er ist mit Shakespeare aufgewachsen, nicht mit Western, und deshalb hat er auch eine Distanz zu den Klischees von Ölbaronen, Goldsuchern und ihresgleichen."

Weitere Artikel zum Schwerpunkt: Der Filmkritiker A.O. Scott erzählt die Geschichte des Westerns als filmischer Form. Der brasilianische Regisseur Walter Salles ("Central Station") denkt über das Road Movie nach. Philip Weis berichtet über eine neue Spezies von Hollywood-Filmproduzenten, die ausdrücklich Filme für erwachsene und denkende Menschen machen wollen.

In der Book Review stellt Neil Genzlinger Aine Colliers Geschichte des Kondoms vor, die, wie er meint, nicht zuletzt vom menschheitsbeglückenden Triumph des Werkstoffs Gummi berichtet: ""Lebten wir noch im alten Rom, würden Sie vielleicht ein Fell-Kondom tragen, hergestellt aus der Mähne einer Eselin. In der islamischen Welt rund um die erste Jahrtausendwende wäre das Teil wahrscheinlich aus Teer oder flüssigem Blei gewesen... Geburtenkontrolle, heute eine ein bisschen lästige Sache, war jahrhundertelang eher eine Form der Folter. 'Das willst du beim Sex benutzen?', könnte jeder der beiden Partner damals gesagt haben. 'Das ist doch ein Scherz. Das Ding ist aus Baumrinde. Dann doch lieber ein Baby."

Weiteres: Für Richard Brookhiser ist Christopher Hitchens' Buch über Thomas Paine in Wahrheit die Diskussion zweier Bücher, Paines "Die Menschenrechte" und Burkes "Über die Französische Revolution". Jed Pearl schreibt über den dritten und vorletzten, die Jahre 1917-1932 umfassenden, Band von John Richardsons Picasso-Biografie. Und Jay McInerney bespricht Pierre Bayards Ratgeber dazu, wie man über Bücher spricht, die man gar nicht gelesen hat.
Archiv: New York Times