New York Review of Books (USA), 11.01.2007

Newsweek-Reporter Christian Caryl konstatiert nach seinem Aufenthalt im Irak und der Lektüre einiger neuer Bücher über die verheerende Lage dort: " Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir Amerikaner allmählich völlig unbedeutend werden für die Zukunft des Landes. Während die Leute in Washington weiterhin über den nächsten Kurswechsel debattieren und der Baker-Report die Möglichkeit eines graduellen Rückzugs aufscheinen lässt, schätzen die Iraker die kommende Apokalypse ab und treffen dementsprechend ihre Vorbereitungen."

Zu lesen ist auch die bewegende Rede, die der Schriftsteller David Grossman bei den offiziellen Erinnerungsfeiern für Jitzchak Rabin in Tel Aviv gehalten hat: "Sehen Sie, was aus diesem jungen kräftigen Land geworden ist, das so voll Leidenschaft und Seele war... Wann haben wir die Hoffnung verloren, dass wir eines Tages in der Lage wären, ein anderes, besseres Leben zu leben? Mehr als das - wie kommt es, dass wir heute weiterhin daneben stehen und hypnotisiert beobachten, wie Wahnsinn und Vulgarität, Gewalt und Rassismus unser Haus in Beschlag nehmen. Und ich frage Sie, wie kann es sein, dass ein Volk mit solcher Kreativität und Kraft zur Erneuerung, eine Nation, die sich immer wieder aus dem Staub erhoben hat, sich heute - da sie militärisch so viel Macht hat - in einem solch matten und hilflosen Zustand wiederfindet. Ein Staat, in dem dieses Volk wieder Opfer wird, aber nun Opfer seiner selbst, seiner Angst und Verzweiflung, seiner eigenen Kurzsichtigkeit?"

Weiteres: H. Allen Orr hat nicht ohne Amüsement Richard Dawkins "The God Delusion" gelesen, in dem Dawkins jedwede Religion zum größten Übel der Welt und die religiöse Erziehung von Kindern zum Missbrauch erklärt. Doch überzeugt ist Orr von der Arbeit des Evolutionsbiologen nicht: "Keine von Dawkins lauten Verkündigungen folgt irgendeinem Experiment oder Datenmaterial. Es ist nur Dawkins Gerede." Und Luc Sante hat sich durch Thomas Pynchons Monster von einem Buch "Against the Day" gekämpft.

Outlook India (Indien), 15.01.2007

Outlook India hält Rückschau auf das Jahr 2006, das der Redakteur Vino Mehta ganz klar als das "Jahr des indischen Mittelstands" identifiziert. Der muss sich noch an einiges gewöhnen. Das Heft lädt nämlich gleichzeitig zu einer kulinarischen Rundreise durch die Städte des heutigen Indien. Sheela Reddys Artikel über die Stadt Kohima beginnt so: "Drei Hunde, Promenadenmischungen mit borstigem Fell und Schwänzen, die ein Fragezeichen machen, springen den Gartenweg entlang und bleiben dann vor Naro stehen, an der sie in dieser typisch hündischen, liebesbedürftigen Art hochblicken. 'Das sind Haustiere', erklärt Naro. Unnötigerweise, wie ich zuerst denke. Aber in Kohima ist diese Unterscheidung bedeutend..."
Archiv: Outlook India

London Review of Books (UK), 04.01.2007

Nach Ansicht von Corey Robin sind es Hannah Arendts Schriften über Imperialismus, Zionismus und Karrierismus, die sie auch für die heutige Zeit bedeutend machen. Interessanterweise jedoch, so Robin, bleiben diese Schriften heutzutage - und trotz des Jubiläumshypes zu Arendts 100. Geburtstag - weitgehend unrezipiert. Warum ist das so? "Der hauptsächliche Grund dafür, dass Arendts Kritik des Karrierismus derzeit gemieden wird, ist folgender: Würde man sich mit ihr beschäftigen, hieße dies, mit dem herrschenden Ethos unserer Zeit auf Konfrontationskurs zu gehen. In einer Zeit, in der der Kapitalismus nicht nur als effizient, sondern auch als Quell der Freiheit gilt, erscheint der Karrierist als Vertreter der gelassenen Toleranz und des Pluralismus. Im Gegensatz zum Ideologen, dessen schwerwiegende Sünde es ist, zu viel zu denken und zu hohe Erwartungen an die Politik zu stellen, ist der Karrierist ein genialer Selbstversorger. Den Schaltstellen der staatlichen Macht zieht er den Marktplatz vor. Er ist realistisch und pragmatisch, nicht utopisch oder fanatisch."

Weitere Artikel: Weihnachten lässt noch einmal grüßen - Anhand von Geza Vermes' anregender Studie "The Nativity: History and Legend" legt Frank Kermode dar, wie es zum Dogma der jungfräulichen Geburt kommen konnte. Jeremy Harding hat das Pariser Musee du Quai Branly besucht und Anstoß an der zwielichtigen Beleuchtung genommen, die den vermeintlich aufklärungsfördernden Museumsbesuch "gefährlich in die Nähe einer Phantasterei von unberührten Welten, die in gütiger und fruchtbarer Dunkelheit dahintreiben", rücken lässt.

Merkur (Deutschland), 01.01.2007

Mit einigem hermeneutischem Rüstzeug ausgestattet, untersucht Walter Delabar, wie sich Gesellschaftsbilder durch die Geschichte des Thrillers ziehen. Am Beispiel der Serie "24" beschreibt er, wie die Frage der Handlungsmöglichkeit in einer überkomplexen Welt ihren Niederschlag findet: "Keine Gesellschaft hatte je solche Macht wie die des 20. Jahrhunderts, keine hatte zudem so wenig Skrupel, sie einzusetzen, keiner standen so viele Informationsquellen und damit Entscheidungshilfen zur Verfügung wie ihr, und keine stand je unter einem solchen Entscheidungsdruck... Das Tatdilemma der Moderne wird hier konsequent zu Ende inszeniert, allerdings nicht ohne dass für das Grundproblem eine Lösung gefunden wird. Denn am Ende sind die Kompetenzen der Akteure doch bestätigt, letztlich durch den Erfolg ihrer immerhin vierundzwanzigstündigen Daueraktivitäten. Den erzielen sie aber nicht, weil sie kompetent agierten, sondern weil sie trotz der dauerhaften Bestätigung ihrer Fehlentscheidungen an ihrer Entscheidungs- und damit Handlungskompetenz festhalten."

"Das Scheitern der Neokons ist kein Anlass zur Häme", konstatiert Mariam Lau, die über Lehren aus dem fehlgeschlagenen Irakkrieg nachdenkt: "Es wäre eine gute Gelegenheit, aus der ewigen Vergleichsfalle mit Osteuropa auszusteigen, mit dem Kalten Krieg, dem Zweiten Weltkrieg, den Nazis, München 1938, und sich einmal folgendes vor Augen zu halten: Ungefähr 8,5 Millionen Muslime sind von muslimischen Regierungen, in innerarabischen Konflikten, Bürgerkriegen und ethnischen Säuberungen umgebracht worden. Zum Vergleich: Siebzigtausend tote Muslime gehen auf das Konto der USA, eine halbe Million allein in den fünfziger Jahren auf das Konto Frankreichs, eine Million auf das Konto Russlands - sechzigtausend auf das Israels. Es ist irgendwie gelungen, die Aufmerksamkeit von den zehn Millionen wegzulenken und völlig auf die Sechzigtausend zu konzentrieren. Das liegt nicht nur am arabischen Antisemitismus, sondern auch an den kruden geschichtspolitischen Fixierungen des Westens. Wenn der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten nicht gelöst, also eine Art Westfälischer Friede geschlossen wird, ist an Stabilität im Nahen Osten - ob Stabilität a la Kissinger oder a la Podhoeretz - nicht zu denken."

Weiteres: Hermann Rudolph beklagt das Verschwinden der deutschen Teilung aus dem nationalen Gedächtnis. Tony Corn möchte angesichts des Kriegs gegen den Terror der "Clausewitzologie" ein Ende bereiten. Wolfgang Kemp widmet sich den Radioansprachen, die P.G. Wodehouse 1941 im deutschen Rundfunk hielt.
Archiv: Merkur

ScienceGuide (Niederlande), 01.01.2007

Regiert in Holland das Kollektiv? Der Utrechter Literaturwissenschaftler Frits van Oostrom zitiert in seinem Essay über Leadership in den Niederlanden die Autoren Barbara Tuchman (mehr hier) und Jared Diamond (mehr hier). "Beide sprechen von 'den Niederländern' und 'den Niederlanden' als einer beispielhaften Gemeinschaft" stellt er fest. "Nicht ein einziger Held wird hervorgehoben, es fällt kein Name wie beispielsweise Washington oder Lincoln, Lech Walesa, Churchill oder Mandela. Sollten die Niederländer jemals ähnlich messianische Führer gekannt haben, stehen sie inzwischen bei Madame Tussaud. Natürlich: Wir haben einen Vater des Vaterlandes in Wilhelm von Oranien, ein paar berühmte Admiräle und mehrere Architekten des Poldermodells; aber die eigentliche Kompetenz Hollands liegt im Kollektiv. Das zeigt vor allem unsere Glanzzeit, das 'Goldene Zeitalter'. Die Republik kannte kein Staatsoberhaupt, keine Regierung, keine einheitliche Verwaltung und noch nicht einmal ein nationales System der Gesetzgebung und Rechtsprechung. Steuern wurden zum überwiegenden Teil lokal erhoben."
Archiv: ScienceGuide

Literaturen (Deutschland), 01.01.2007

Sigrid Löffler stellt "Istanbul" vor, das Stadt- und Selbstporträt des Literatur-Nobelpreisträgers Orhan Pamuk, und entdeckt dabei, dass die von Staatsgründer Atatürk verordnete Hinwendung zum modernen Westen die türkische Gesellschaft keinswegs gleichmäßig erreichte und dadurch zum Kriterium des sozialen Auftstiegs wurde. "Als 'Neureiche der Republik', schreibt Pamuk, 'hatten wir unser Herrendasein nicht in erster Linie unserem Besitztum zu verdanken, sondern der Tatsache, dass wir modern und europäisch waren.' In die Wertewelt übersetzt, hieß das: Der Islam war die Dienstboten-Religion; als moderner Westler hielt man sich nicht an die Fastengebote des Ramadan, der Gebetsruf galt nicht für die Pamuks, und in die Moschee gingen nur Köche und Kindermädchen. Kurz: die laizistische, kemalistische Bourgeoisie 'fürchtet nicht Gott, sondern die Wut derer, die zu sehr an ihn glauben'."

Literaturen bedauert, dass Ingeborg Bachmanns 80. Geburtstag im Mozartjahr eher stiefmütterlich behandelt wurde und widmet ihr seinen Schwerpunkt (der jedoch leider nur im Print zu lesen ist): Frauke Meyer-Gosau begibt sich in einem langen Text auf Spurensuche, und Terezia Mora denkt über den Einfluss der Dichterin auf ihr eigenes Schreiben nach - obwohl sie sie anfangs nicht lesen mochte: "Wie alle Hypersensiblen mag ich keine anderen Hypersensiblen. Ich bin ihnen schlicht nicht gewachsen."

Weiteres: Daniela Strigl ist hingerissen von Sasa Stanisics jugoslawischem Kindheitsroman "Wie der Soldat das Grammofon reparierte" (Leseprobe). Daniel Kothenschulte stimmt ein Lob auf Regisseur Harald Bergmann an, der mit "Brinkmanns Zorn" Tonbänder des Kölner Autors Rolf Dieter Brinkmann verfilmt hat. Und Aram Lintzel hat die Webseite "Die Kantinen" entdeckt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, der einhellig verschrieenen deutschen Kantine auf den Zahn zu fühlen.
Archiv: Literaturen

Spiegel (Deutschland), 30.12.2006

In einem Essay sieht der niederländische Schriftsteller Leon de Winter für Israels Zukunft rabenschwarz: "Die Antisemiten des Nahen Ostens sind in ihrer Sprache so offen, wie Adolf Hitler es war, und ihre Taten zeigen, dass es keine leeren Sprüche sind: Israel ist umgeben von Iran, Syrien, Hisbollah und Hamas, und ihr Sprecher, Präsident Ahmadinedschad drückt klar ihren tiefsten Wunsch aus: Israel zu eliminieren, die Arroganz der Juden zu bestrafen und sie zu einer Minderheit unter islamischer Herrschaft zu degradieren. Um zu überleben, muss Israel seine Feinde vernichten und sie im Stil des Alten Testaments auslöschen. Aber Israel wäre nicht mehr Israel, wenn es das täte. Es sieht nicht so aus, als ob seine Gegner solche Gewissensbisse hätten. Die Gegner bemühen sich fieberhaft, die Technologie zur Zerstörung Israels zu entwickeln, und eines Tages werden sie angreifen und einen neuen Holocaust auslösen. Den ersten leugnen sie und träumen doch gleichzeitig vom nächsten."
Archiv: Spiegel

Guardian (UK), 30.12.2006

"Lauren Bacall war tough, geistreich und sexy, Catherine Deneuve war zahm, passiv und ausdruckslos", beklagt Germain Greer die Kastrierung der Filmdiven nach Ende des Krieges. Aus angriffslustigen Frauenzimmern, wie vor allem Howard Hawks sie inszenierte, wurden blonde Barbie-Puppen. Nur wer den Augenaufschlag der Bacall nicht kennt, könne die Deneuve in "Belle de jour" für sexy halten. "In einer außerordentlich unerotischen Sequenz muss sie durch die Räume eines herzoglichen Schlosses wandern, mit nichts anderem bekleidet als einem Mantel aus schwarzem Georgette und einer Krone aus weißen Rosen. Sie trottet vor der Kamera her wie ein Lamm zur Schlachtbank. Sie hätte ein Körperdouble benutzen sollen, es ist typisch für ihren passiven Gehorsam, dass sie es nicht tat. Lauren Bacall hätte so etwas niemals für irgendjemanden getan, hätte sich niemals ausgezogen und ihren nackten Hintern von hinten filmen lassen, während sie durch einen Take nach dem anderen zottelt. Die Hawks-Frau hätte jeden Mann niedergemacht, der so etwas von ihr verlangt hätte." (Ach ja? Das Deneuve-Püppchen hat in "Ekel" mehr Männer abgeschlachtet als Bacall in ihrer ganzen Filmkarriere!)
Archiv: Guardian

Foglio (Italien), 30.12.2006

Das Museum für Moderne Kunst in Palermo ist nicht mehr im Teatro Politeama untergebracht, einem hundertjährigen Provisorium mit Feuerwehrstation im Erdgeschoss. Der sizilianische Maler Bruno Caruso nimmt den lange angekündigten Umzug in das wunderschöne ehemalige Kloster St. Anna zum Anlass, der recht eigenwilligen Sammlung seine gutmütig-bissige Referenz zu erweisen. "Haben Sie Geduld, wenn Sie keine Bilder von Klimt, Schiele, von James Ensor oder Bonnard und Vuillard und auch keine Impressionisten finden. Was unerklärlicherweise (und glücklicherweise) fehlt sind die Künstler des faschistischen 20. Jahrhunderts. Ihre völlige Vernachlässigung ist vielleicht ein Zeichen des sizilianischen Zweifels am Regime. Unser Museum ist das einzige italienische Museum ohne einen Sironi. Es fehlt eigentlich die ganze italienische Malerei des 20. Jahrhunderts (mich eingeschlossen), und offenbar auch die europäische Malerei, die Metaphysiker, die Surrealisten, die Abstraktionisten wie Klee und Kandinski, die Neoplastizisten wie Mondrian..." Loredana Cacicia verrät gleich darunter, was das Museum denn nun zeigt.
Archiv: Foglio

Gazeta Wyborcza (Polen), 30.12.2006

In Polen schaut man gespannt auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Piotr Buras, Analytiker vom Zentrum für Internationale Beziehungen in Warschau, sieht, dass man sich viel vorgenommen hat in Berlin. Vor dem Hintergrund der angespannten bilateralen Beziehungen fragt Buras nach der Rolle beider Länder in der EU: "Das kommende halbe Jahr wird für Deutschland ein Test in seiner neuen Rolle sein - als Land, das keine Angst davor hat, sich als 'Großmacht mittlerer Größe' zu begreifen, und sich gleichzeitig als Architekt der europäischen Konstruktion bezeichnet. Kann Berlin die EU durch den Dschungel von Problemen führen? Und was erwartet Polen, dass von Deutschland leider eher als Hindernis, denn als konstruktiver Partner angesehen wird?" Polen müsse seinen Nutzen als strategischer Partner in der Union erst noch beweisen, fügt Buras hinzu. "Unterschiedliche Potenziale und Erfahrungen und oft auch Vorurteile gegenüber Polen bewirken, dass sein Platz an der Seite Deutschlands in der europäischen Konstruktion gar nicht offensichtlich ist."
Archiv: Gazeta Wyborcza

Espresso (Italien), 29.12.2006

In einem aus der New York Times übernommenen Artikel vergleicht Thomas L. Friedman die Zukunftsfähigkeit von China und den USA, und meint, beide könnten voneinander lernen. "Mit immensen Anstrengungen ist in China schon viel erreicht worden, der Analphabetismus besiegt und die Anzahl der Diplomanden und Universitäten gesteigert worden. Trotzdem glaube ich, dass es sehr schwierig sein wird, eine Kultur der Innovation in einem Land zu errichten, das weiterhin Google zensiert. Für mich heißt das, den Geist und die Vorstellungskraft selbst zu ersticken. Man kann die beste wissenschaftliche Ausbildung einrichten, aber Innovationsvermögen gibt es nicht auf Kommando. Strenge und Kompetenz, ohne Freiheit, damit kommt man nicht sehr weit." Die USA dagegen, meint Friedman, sind frei, aber nicht streng und kompetent genug. Hier der Artikel in der Originalsprache.
Archiv: Espresso

Economist (UK), 29.12.2006

Die Buchläden quellen schier über von Kommunikations-Ratgebern, die allerlei rhetorische Tipps zur gelungenen (mit anderen Worten: zielführenden) Unterhaltung parat haben - die Kunst der Konversation jedoch ist etwas anderes, weiß der Economist und entwirft auf engem Raum eine Kulturgeschichte der Konversation. Dabei fällt ihm auf: Obwohl Großbritannien einige herausragende Konversations-Künstler hervorgebracht hat (Samuel Johnson, Sir Isaiah Berlin oder auch Winston Churchill), sind es doch die Franzosen, die es über Jahrhunderte hinweg zur Meisterschaft in dieser Kunst gebracht hätten. "Ein Mann ohne Talent zur Unterhaltung lief Gefahr abgewertet zu werden, ungeachtet seiner sonstigen Qualitäten: 'In England begnügte man sich damit, dass Newton der größte Mathematiker des Jahrhunderts war', schrieb der französische Philosoph und Mathematiker Jean d'Alembert, 'in Frankreich hätte man von ihm dazu noch angenehme Umgangsformen erwartet.'"

Den Economist schaudert bei der Vorstellung, die Neurobiologie könne dem freien Willen an den Kragen gehen - schließlich würde dies dem Liberalismus die Grundlage entziehen! Zur Sicherheit erkundet er dann im Dossier, ob die neurobiologische Forschung tatsächlich schon revolutionäre Erkenntnisse hinsichtlich der ewigen Frage "Wer bin ich?" bereithält.

Außerdem zu lesen: Warum ausgerechnet die Postmoderne das Shoppen von heute erfunden haben soll und wie neuere ökonomische Theorien das Glücklichsein beschreiben und messen wollen.
Archiv: Economist

Point (Frankreich), 28.12.2006

Im Interview mit Manuel Carcassonne bringt der japanische Nobelpreisträger Kenzaburo Oe eine kleine Hommage auf die exception culturelle und das französische Modell in der Weltpolitik dar. Ihm gefällt - neben der notorischen Hassliebe zu Amerika - das Selbstbild Frankreichs als eines Asyllandes, das sich von Exilanten auch kulturell befruchten lässt: "Frankreich liebt den kulturellen Kreislauf, der vor allem von Flüchtlingen gespeist wird. Das galt vor allem vor dem Krieg. Wenn Japan gegenüber den anderen Ländern Asiens, also China, Korea, den Philippinen, eine solche Kreuzung der Kulturen darstellen könnte, dann wäre unsere Stellung eine ganz andere. Wir müssen bei uns über den Wiederaufbau einer spezifischen intellektuellen Kultur nachdenken, Korea steht hier viel besser da als wir, es ist erfinderischer, attraktiver. Von der Explosionskraft Chinas gar nicht zu reden! Wir Japaner sind heute gefährlich isoliert."
Archiv: Point

al-Sharq al-Awsat (Saudi Arabien / Vereinigtes Königreich), 27.12.2006

Kurz vor Jahresende wirft auch al-Sharq al-Awsat einen Blick zurück. Bei aller Sorge um den Zustand der arabischen Kulturpolitik gibt es durchaus einige Lichtblicke. So berichtet Osama Alaysa aus Jerusalem über den Beschluss der israelischen Knesset, eine Akademie der Arabischen Sprache einzurichten. Eine überfällige Entscheidung, schließlich ist Arabisch neben Hebräisch offizielle Sprache des Staates. In Palästina dagegen stand das Jahr im Zeichen der Parlamentswahlen: Seit dem Erfolg der Hamas stellen die Islamisten mit Attallah Abu al-Sabah den Kultusminister. Die schlimmsten Befürchtungen haben sich nach Ansicht Alaysas dennoch nicht bewahrheitet: Bei den wenigen Veranstaltungen, die das Ministerium in diesem Jahr auf die Beine stellte, zeigte sich Abu al-Sabah weltoffener als von vielen erwartet. Und einen Erfolg hatte er auch vorzuweisen: "Der Minister ist stolz darauf, wenigstens eine wichtige Aufgabe umgesetzt zu haben: Während ihres letzten Treffens in Masqat akzeptierten die arabischen Kultusminister seine Forderung, Jerusalem für das Jahr 2009 zur arabischen Kulturhauptstadt zu wählen. Während diese Entscheidung für Abu al-Sabah von Bedeutung scheint, wurde sie angesichts der schwierigen Verhältnisse in Palästina selbst kaum zur Kenntnis genommen. Einige kommentierten den überfälligen Beschluss gar mit den Worten: 'Welche Kultur? Welches Jerusalem?'"

New Yorker (USA), 25.12.2006

Eine dicke Doppelausgabe mit reichlich Lesestoff. In einer autobiografischen Geschichte schreibt Julian Barnes über Gott, Familie, Glaube und was sich seine Mutter diesbezüglich von ihm gewünscht hätte. "Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn. Das sage ich immer, wenn die Frage gestellt wird. Ich habe einmal meinen Bruder gefragt, der in Oxford, Genf und an der Sorbonne Philosophie gelehrt hat, was er von dieser Aussage halte, ohne ihm zu verraten, dass sie von mir ist. Er antwortete mit einem einzigen Wort: 'Rührselig'."

Des Weiteren sind zu lesen Erzählungen von Marguerite Duras, Louise Erdrich, Ian McEwan und Paul Theroux sowie die Rede zum Nobelpreis "Der Koffer meines Vaters" von Orhan Pamuk (hier die deutsche Fassung). Und anlässlich des Tods von James Brown bringt der New Yorker noch einmal ein ausführliches Porträt des Sängers von Philip Gourevitch aus dem Jahr 2002.

Besprechungen: Ruth Franklin porträtiert Thomas Bernhard und stellt die ins Englische übersetzten Werke vor. Dan Halpern rezensiert amerikanische Neuübersetzungen von Boris Vian. Und die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem einer Biografie der Kunsthändlerin Edith Gregor Halpert, die in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in New York die einflussreiche Downtown Gallery betrieb. Und David Denby sah im Kino die Filmadaption des Musicals "Dreamgirls" von Bill Condo mit Eddy Murphy, Jamie Foxx und Beyonce Knowles und den Thriller "The Good Sheperd" von Robert De Niro, "einen der beeindruckendsten Filme über Spionage überhaupt". Außerdem lassen David Denby und Anthony Lane das Filmjahr 2006 Revue passieren.
Archiv: New Yorker

Telerama (Frankreich), 23.12.2006

Telerama unterhält sich mit dem Drehbuchautor Jean-Claude Carriere, der mehr als 60 Drehbücher verfasst hat, darunter für Luis Bunuel ("Schöne des Tages"), Jean-Luc Godard ("Rette sich wer kann"), Louis Malle ("Komödie im Mai") und Volker Schlöndorff ("Die Blechtrommel"). In dem Interview geht es hauptsächlich um das Fantastische, die Notwendigkeit von Feen und, selbstverständlich, das Kino. Carriere meint unter anderem: "Wenn es etwas gibt, das mich in der Geschichte der Welt und der Menschheit wirklich verblüfft, dann ist es dieser unersättliche Drang in eigentlich allen Gesellschaften, das Fantastische zu ergründen, sich aufzuschwingen, diesen Himmel zu berühren, unter dem wir eingeschlossen sind, bis man eine andere Welt aufgestöbert hat. Dieser beständige Wunsch, der auch etwas Erschreckendes haben kann, weil er zu den schlimmsten Maßlosigkeiten führen kann - individuell (Askese, Drogen) oder kollektiv (radikale politische Utopien, Sekten und fanatische Massenbewegungen) -, ist die Reaktion auf eine unendliche Frustration, die zum menschlichen Wesen gehört".
Archiv: Telerama

Elet es Irodalom (Ungarn), 22.12.2006

Beim Festival "European Dream", dem ersten gemeinsamen Festival europäischer Kulturinstitute in New York dachte der ungarische Schriftsteller Peter Nadas über die europäische Identität nach: "Nicht alle neuen EU-Mitgliedschaften werden es gleich schwer haben, sich dem Kern anzuschließen: Malta hat es beispielsweise leichter als Ungarn. Die verschiedenen Mentalitäten werden ein viel größeres Hindernis für die europäische Integration sein als die unterschiedlich entwickelten Volkswirtschaften und Technologien. Der protestantisch geprägte Nordeuropäer wird gegenüber dem katholischen Südeuropäer Nachsicht haben, aber orthodox geprägte Menschen aus dem Balkan fast immer missverstehen. Was kann das von der Idee der Republik immer noch siegestrunkene, von zahlreichen islamischen Gemeinden mitgeprägte Frankreich mit den aggressiv bekehren wollenden, in die Ohnmacht einer nationalkatholischen Perversion gefallenen Polen anfangen?"

"Eine neue Zeitrechnung beginnt, alle Traditionen und Regeln haben ausgedient", behaupten der Filmregisseur Kornel Mundruczo und der Theatermacher Arpad Schilling in einem gemeinsamen Text, in dem sie Europa vor "einer neuen Detonation" sehen: "Was jetzt ist, das existiert eigentlich nicht mehr. Das Leben geht erstmal weiter, weil man ja essen und ficken muss, nur die Technik macht echte Fortschritte, die Rahmen der Existenz bleiben unverändert. Die Geschichte wiederholt sich, deshalb fragt man sich, welchem Zeitalter unsere Zeit ähnlich ist. Dem Zeitalter der Agonie um 1800? Oder dem Mittelalter?"

New York Times (USA), 31.12.2006

Dass wir unsere Memoiren lieber selber schreiben sollten, legt ein Beitrag von Rachel Donadio nahe. Es geht um das Gerangel um Ronald Suresh Roberts' Biografie über die südafrikanische Schriftstellerin Nadine Gordimer ("No Cold Kitchen"). Gordimer wirft Roberts Vertrauensbruch vor, Roberts sieht in Gordimers Einwänden gegen das Buch das Gebaren eines autokratischen Kontrollfreaks: "Roberts beschreibt Gordimer als Verkörperung eines scheinheiligen weißen Liberalismus, der noch in seiner Parteinahme für das schwarze Südafrika paternalistisch bleibt." Für Donadio klingt diese Kritik nicht neu: "Indem Roberts Gordimers Einwände gegen die südafrikanische Aids-Politik kritisiert, verfällt er in eine populistische Rhetorik, die die westliche Medizin als neue Form des Imperialismus begreift."

Weitere Artikel: Joshua Clover bewundert Keith Waldrops Prosafassung von Baudelaires "Blumen des Bösen" für ihren eleganten Umgang mit der komplexen Bildlichkeit. Terrence Rafferty wünscht guten Appetit mit Thomas Harris' "Hannibal Rising", der Vorgeschichte zur Hannibal-Lecter-Reihe. Und Rober Leiter folgt gebannt Kati Martons Nachzeichnung der Lebenswege berühmter ungarischen Juden wie Leo Szilard, Arthur Koestler und Robert Capa (Auszug "The Great Escape").

Im Magazine erinnern Redakteure der New York Times an berühmte Menschen, die im Jahr 2006 verstarben: "The Lives They Lived"
Archiv: New York Times