Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
10.02.2003. Im New Yorker ordnet das Pentagon den Nahen Osten neu. Das TLS findet "Black Jacques" Derrida still crazy after all these years. L'Express sieht in Saddam den neuen JR Ewing. Im Nouvel Obs plädiert Volker Schlöndorff für das Kino als Kunst. Die London Review bewundert Thomas Manns stille Boshaftigkeit. Outlook India findet die Vorstellung, friedlicher Widerstand sei eine britische Erfindung, völlig verrückt. Der Economist prophezeit getrübte Flitterwochen für Frankreich und Deutschland. Die NT Book Review weiß, was Hipster wollen.
New Yorker (USA), 17.02.2003

Außerdem zu lesen: Die Erzählung "The Temple" von Gao Xingjian (mehr hier). Anlässlich seines 100. Geburtstags würdigt Adam Gopnik den amerikanischen Künstler Joseph Cornell (mehr hier), mit einem umfangreichen Porträt begleitet David Remnick den "Abgang Havels" aus dem Amt, und Joan Acocella begrüßt die Rückkehr der Martha Graham Dance Company (mehr hier) nach New York. Nancy Franklin freut sich über ein Ping-Pong-Revival und erinnert sich an Tischtennisorgien im heimischen Keller. Anthony Lane kommentiert ironisch die neuesten britischen Erkenntnisse über den Autoverkäufer und Mrs.Simpson-Geliebten Guy Trundle, der vermutlich "die europäische Zivilisation gerettet" habe, und Susan Orlean wundert sich schließlich über eine Meldung, wonach Hunde "wirklich darüber nachdenken, was wir wollen".
Besprochen werden eine Retrospektive der Fotografin Julia Margaret Cameron in der National Portrait Gallery in London, John Lahr lobt eine Inszenierung von August Wilsons "exquisitem" Stück "Ma Rainey's Black Bottom" mit Whoopi Goldberg am Royal Theatre in New York, und Antony Lane sah im Kino die Filme "Dark Blue" von Ron Shelton und "All the Real Girls" von David Gordon Green. Kurzrezensionen gibt es unter anderem zu einer Biografie des jüdischen Cellisten Emanuel Feuermann.
Nur in der Printausgabe: eine Reportage über eine Amerikadurchquerung mit gefährlicher Ladung, eine Art Porträt des Hobbits A.K.A. Sam, ein Bericht über einen gierigen Geschäftsführer, die Untersuchung der Hintergründe eines Streits beim Augusta National Golf-Turnier, zwei nicht näher zu spezifierende Texte über Bonnie und Clyde als Filmdiebe und den Verkehr in Midtown, sowie Lyrik von Henri Cole, Charles Wright, Michael Longley, Andrew Zawacki und Grace Paley.
London Review of Books (UK), 07.02.2003

Weitere Artikel: Andrew Berry zeigt sich skeptisch, was die stark biologisierende Evolutionstheorie von W. D. Hamilton angeht und findet, dass Hamilton vor allem da, wo er sich nicht mit Menschen, sondern mit "den seltsamen Insekten, die er liebte" beschäftigt, Großes geleistet hat. Robert Brenner kann sich nur wundern, dass man so erstaunt tut angesichts der jüngsten Management-Skandale um die amerikanischen Firmen-Giganten. Risiko und Spekulation habe es in der amerikanischen Wirtschaft schon immer gegeben, mehr noch, sie hätten sie überhaupt erst dahin gebracht, wo sie jetzt ist, nämlich an der Weltspitze. Seit seinem Amtsantritt hat Tony Blair vor allem eins vergessen, meint Thomas Jones, nämlich dass er zur Labour-Partei gehört. Schließlich schreibt Andrew Saint über den Wiederaufbau des von den Allierten zerbombten Le Havre, dessen Held nicht etwa der Projektleiter Auguste Perret war, sondern dessen rechte Hand Jacques Tournant.
Times Literary Supplement (UK), 07.02.2003

Weitere Artikel: David Martin hat verschiedene theologische Publikationen gelesen und festgestellt, dass die heutige Theologie zu den meisten wichtigen Fragen durchaus Erhellendes beizutragen hat. Sie tue es nur leider in einem Tonfall, der immer ein wenig wie Untergrund-Satire klingt. Besonders beeindruckt ist Martin von dem Buch "True Religion" von Graham Ward, der darin anhand von "brillanten" Analysen zu Literatur, Architektur und Film eine fünfhundertjährige Kultur- und Sozialgeschichte der Religion entwickelt. Eugen Weber empfiehlt Michel Carmona Biografie "Eiffel" nur denjenigen, die eine Aneinanderreihung von Geschäftserfolgen und Ingenieursleistungen goutieren können, ohne dabei etwas über den Menschen und seine Umgebung zu erfahren. Und in einer Sammelbesprechung von neuen Büchern zum Thema "Toleranz" kommt der von der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft herausgegebene Sammelband "The End of Tolerance?" ("Ende der Toleranz?") leider besonders schlecht weg. Die Autoren, beklagt Samuel Brittan, würden leider allzu oft der "deutschen Neigung zu Überabstraktion und semipoetischer Prosa" nachgeben, was der Analyse nicht gerade förderlich sei.
Outlook India (Indien), 17.02.2003

Weitere Artikel: Shiraz Sidhva deutet die Tatsache, dass sogar die ehemalige "Friedenstaube" Colin Powell kriegslegitimierende Beweise gegen den Irak vorbringt, als sicheres Zeichen dafür, dass es für die USA kein Zurück aus einem Irak-Krieg mehr gibt. Ruchir Joshi schreibt einen Nachruf auf die beim Columbia-Unglück ums Leben gekommene Astronautin Kalpana Chawla. Mallica Singh, Charubala Annuncio und B. R. Srikanth sind einer neuen Spezies begegnet: den frühreifen, hyper-modebewussten Kindern, die ihre Eltern in den Wahnsinn treiben. Kushwanth Singh nennt Arup Chatterjees Buch über Mutter Teresa eine unrecherchierte "Schmährede" und warnt den Autor: "Er sollte wissen, dass wenn jemand den Himmel anspuckt, die Spucke auf sein eigenes Gesicht zurückfällt."
Anita Pratap hat in jüngsten Studien festgestellt, dass Länder, in denen weniger Korruption herrscht, einen höheren Lebensstandard aufweisen können. Höchste Zeit also für einen "globalen Krieg" gegen die Korruption. Nach Meinung von Arijit Barman, Gauri Bathia und Charubala Annuncio wird der bevorstehende zweite indische Fernsehboom ein Nachrichtenboom sein. Und Ranjit Bhushan berichtet, dass die Kongress-Partei zögert, ob sie, der von Nehru begründeten sekulären Tradition zum Trotz, ihren Hinduismus wiederentdecken soll.
Nouvel Observateur (Frankreich), 06.02.2003

Außerdem zu lesen ist ein Interview mit Antoine de Caunes zu seinem neuen Film "Monsieur N." über Napoleon auf St. Helena - die Rezension finden Sie hier - und den Hinweis auf eine Magritte-Ausstellung im Jeu de Paume.
Das Dossier untersucht in dieser Woche den zunehmenden Antisemitismus in Frankreich, dessen Zentrum sich "ziemlich präzise" lokalisieren lasse: in jenem Teil der arabisch-moslemischen Gemeinschaft nämlich, die "zwischen sozialer Frustration und Solidarität mit der Palästinenserfrage schwankend, in der Verabscheuung der Juden ein Ventil für ihre schlechten Lebensbedingungen findet, eine Art Rache an der Geschichte".
Express (Frankreich), 06.02.2003

Altes oder neues Europa? Für ein neues Europa plädiert der Rechtsanwalt Laurent Cohen Tanugi mit seinem Buch "Les Sentinelles de la liberte". Gegenüber dem Express sagt er: "Wenn man Europa voran bringen will, ist einer der Schlüssel dazu, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik. Solange sich die Europäer nicht darüber einig sind, wie ihre Beziehung zu Washington aussehen soll, geht es mit einer gemeinsamen Außenpolitik nicht voran." Einen Auszug aus dem Buch lesen Sie hier. Besprochen werden außerdem "Revolutions" von Le Clezio (hier) und "Les enfants qui tombent dans la mer" von Florence Delaporte (die Besprechung finden Sie hier und einen Auszug hier).
Weitere Artikel: Die einzige Sicherheit, die der Mensch in der modernen Gesellschaft hat, ist die Unsicherheit, resümiert der Express in einer umfassenden soziologischen Untersuchung der französischen Gesellschaft. Tant pis! Denn es kommt, wie es kommt. Zu diesem Schluss kommt auch Paul Virilio in seiner Ausstellung "Ce qui arrive" (eine Besprechung aus der NZZ lesen Sie hier). Und: Laurence Liban schildert, wie es der jungen Autorin Marie NDiaye gelungen ist, ihr Stück "Papa doit manger" im verstaubten Repertoire der Comedie Francaise unterzubringen.
Economist (UK), 07.02.2003

Weitere Artikel: Führen die USA einen "Kreuzzug", so wie es viele befürchten? Nein, lautet die etwas überraschende Antwort des Economist. Mit den von Colin Powell vorgelegten Beweisen hat es etwas Seltsames auf sich, findet der Economist, denn alle Staaten sehen darin die Bestätigung ihrer eigenen - und grundverschiedenen - Position. Was daraus folgt: Es wird zur Verabschiedung einer zweiten Resolution in puncto Irak kommen, doch die Konflikte bleiben. Auch zeigt sich der Economist skeptisch, was eine Verbindung zwischen Irak und Al-Qaida angeht. Vielmehr macht er sich über die humanitären Konsequenzen eines Irak-Krieges Sorgen.
Sehr gelobt wird William I. Hitchcocks Studie "The Struggle for Europe", ein Geschichte Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Hitchcock komme zu dem Schluss kommt, dass Europa viel in puncto demokratischer Aufbau geleistet hat. Dazu passt auch ein Artikel, in dem behauptet wird, es könne längst nicht mehr von einer europäischen Aufholjagd die Rede sein. Jüngste Studien hätten im Gegenteil bewiesen, dass Europa die USA im Hinblick auf den Lebensstandard überholt habe.
Weiter zu lesen: ein Nachruf auf die sieben Astronauten der Columbia, welche Fragen der Columbia-Absturz aufwirft, warum Saddam keine Freunde hat, sondern nur Urlaubsbekanntschaften, warum der Werbe-Jingle sterben musste.
New York Times (USA), 09.02.2003

Pankaj Mishra ist angetan, wenn auch nicht ganz, von Pico Iyers Roman "Abandon" (erstes Kapitel), in dem der junge Student John MacMillan sich entschließt, "die Welt durch das Licht des Sufismus zu sehen". "Mit seinem Wissen über den Sufismus", so Mishra, "ist Iyer gut ausgerüstet, um Vorurteile gegen den Islam auseinanderzunehmen. Mit bewundernswertem Taktgefühl und Subtilität, und durch faszinierende iranische Figuren, zeigt er die ursprüngliche Bedeutung von "dschihad" auf und eröffnet, dass der Ayatollah Khomeini irrwitzige Liebesgedichte schrieb. Doch das Aufeinanderprallen der Werte, das Iyer anspricht, kommt als Zusammenprall von nicht-analysierten Abstrakta daher. Es ist eben zur intellektuell glamourösen Art geworden, über schwerwiegendere und tiefere Konflikte politischer und wirtschaftlicher Art nicht zu reden."
Weitere Bücher: Margaret Talbot kann sich nicht recht entscheiden, ob sie Adrian Nicole LeBlancs Dokumentarbuch "Random Family" über arme Familien in der New Yorker Bronx wegen dessen mangelnder Reflektiertheit tadeln, oder ob sie es nicht vielleicht loben soll, weil dessen gedankliche Enge die abgeschottete Perspektive der beschriebenen Familien spürbar macht. Morris Dickstein ist tief beeindruckt von in Sherwin B. Nulands Autobiografie "Lost in America", in der dieser seine Krankheit schildert. Für Dickstein liest es sich "wie eine dieser confessions, die die Seele heilen". Schließlich kann Brooke Allen zwar verstehen, warum man Louise Erdrichs Romanen einen solch enthusiastischen Empfang bereitet, weil sie nämlich die populären Themen des Eingeborenen-Lebens und der Weiblichkeit verknüpft, doch auch in "The Master Butchers Singing Club" (Leseprobe) bleibt sie nach Allens Ansicht weit hinter ihrem Anspruch zurück.
Spiegel (Deutschland), 10.02.2003

"Philip Roth spricht mit vielen Stimmen", meint Volker Hage, doch die Erzählerstimme des Universitätsprofessors David Kepesh in Roths jüngstem Roman "Das sterbende Tier" findet er bei weitem nicht so überzeugend wie Roths "gewitztes, selbstironisches, brillantes" Alter ego Nathan Zuckerman, der in vielen Romanen wiederkehrt. Und so bleibe Kepeshs Leid, die enttäuschte Liebe zur jungen Studentin Consuela, "mehr eine Behauptung als wirklich eine Erfahrung, die der Leser teilen könnte".
Außerdem stellt Matthias Geyer Oskar Lafontaine als selbstherrlichen Einfaltspinsel hin, der nun wieder auszieht, das Führen zu lernen, sprich sein "Comeback" zu starten. Und dabei lege der Saarländer eine erstaunliche Blindheit für das, "was außer ihm sonst noch so passiert" an den Tag: "Solange er Politik gemacht habe, sagt er, sei vernünftig Politik gemacht worden. Dann ging er weg, und die Welt veränderte sich. Er könnte auch sagen: Dann ging ich weg, und deshalb veränderte sich die Welt. Aber er redet lieber in Bildern."
Ansonsten haben Nicht-Heftkäufer die schwierige Wahl zwischen der Ölpest an den westeuropäischen Küsten, dem Niedergang der Deutschen Bank, einer von Ökonomen durchgeführten Reform des Stabilitätspaktes und Neuem in Sachen Tierschutz.