Link des Tages

James Damore, sein Memo und ein Elefant

Von Annina Bachmeier
15.08.2017. Ein Linkdossier über James Damores Google-Memo und das Sexismus-Problem im Silicon Valley.
Der Google Programmierer (und Biologe) James Damore hat mit seinem kürzlich geleakten Memo über die unterschiedlichen Befähigungen von Männern und Frauen zum Programmieren die Debatte über Sexismus im Silicon Valley neu angefacht. Bei Google, stellt sich dabei heraus, sind gerade mal 19 Prozent der Mitarbeiter Frauen. Damore spricht sich in seinem Memo für Diversifizierung aus, lehnt eine positive Diskriminierung jedoch ab. Er stellt auch in Frage, dass Sexismus schuld an der geringen Frauenquote sei und überlegt, ob nicht auch biologische Gründe dafür verantwortlich sein könnten. Denn Frauen, so Damore, interessierten sich im Durchschnitt eher für Menschen, für "Gefühle und Ästhetik" als für Ideen. Ihnen sei eine ausgeglichene Work-Life-Balance wichtiger als Status. Und sie seien weniger wettbewerbsorientiert, bevorzugten Einvernehmlichkeit statt Durchsetzungskraft.

Das mag im Durchschnitt oft so sein - Damore betont selbst, dass dieser Durchschnitt nichts über Individuen sagt, die natürlich von diesem Durchschnitt abweichen können -, die Frage ist allerdings, ob diese Überlegungen zu biologischen Unterschieden wirklich weiterführen.

Das es generelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, kann niemand leugnen. (Wer mehr über die Bedeutung biologischer Unterschiede zwischen Männern und Frauen für die MINT-Fächer lesen will, sei auf einen Artikel der Neurowissenschaftlerin Debrah Soh in The Globe and Mail hingewiesen, der Damores Beschreibung der biologischen Unterschiede Recht gibt, sowie auf das Papier "Differences Between Men And Women Are Vastly Exaggerated" des Psychologen Adam Grant und die Antwort des Psychiaters Scott Alexander, der ihm widerspricht.)

Wann diese Unterschiede nun eher natürlich sind und wann sie von der Gesellschaft kreiert werden, lässt sich viel schwerer beurteilen. Ganz eindeutig sind allerdings Experimente mit sogenannten "blinden" Bewerbungen: Viele Orchester lassen Musiker beispielsweise hinter einem Vorhang vorspielen, die Zuhörer wissen also nicht, ob es sich dabei um Männer oder Frauen handelt. Das Ergebnis: der Anteil von Frauen in Orchestern ist seitdem viel größer geworden.

Von einem ähnlichen Beispiel in der Tech-Branche berichtete im letzten Jahr Julia Carry Wong im Guardian: Der Anbieter GitHub ist ein riesiger Umschlagplatz, auf dem Programmierer sich ausstauschen und gegenseitig beim Codieren helfen können. Wenn sie es möchten, können Mitglieder in ihren Profilen ihr Geschlecht unsichtbar machen. Als Wissenschaftler für ein Forschungsprojekt die Geschlechterrollen auf GitHub untersuchten, machten sie eine wenig erstaunliche Entdeckung: "Die Arbeit von Frauen wurde öfter verwendet als die ihrer männlichen Kollegen, wenn man ihr Geschlecht nicht identifizieren konnte, Profile, die klar von Frauen waren, hatten dagegen eine schlechtere Quote als die der männlichen Nutzer." Die Beispiele zeigen, dass biologische Unterschiede, so rational und wissenschaftlich sie begründet werden, durch einen simplen Vorhang plötzlich schrumpfen.

Tatsächlich stammt der erste Algorithmus, der jemals geschrieben wurde, von einer Frau, von Ada Lovelace, Tochter des englischen Dichters Lord Byron. Holly Brockwell erzählt im Guardian ihre Geschichte. Auch später galt Programmieren als klassischer "Frauenberuf": "'Programmieren war anfangs als Arbeit für Bürokräfte mit niedrigem Status gedacht - also für Frauen. Die Disziplin wurde erst nach und nach bewusst in ein wissenschaftliches, männliches Fach mit hohem Status transformiert', schreibt der amerikanische Historiker Nathan Ensmenger in einem Aufsatz mit dem Titel 'Making Programming masculine', erzählt im Spiegel Verena Töpper. Eine sehr informative Webseite über die Pionierinnen der Informatik und ihre Leistungen hat die Informatikerin Veronika Oechterding zusammengestellt.

Woran liegt es dann, dass Frauen so schlechte Karten in Silicon Valley haben? Sexismus in seiner plumpesten Form spielt eine Rolle, wie man aus zahlreichen Prozessen und Berichten rund um das Thema erfährt.

So zeigte 2012 die Anwältin Ellen Pao ihren ehemaligen Arbeitgeber, die Venture Capital-Gesellschaft Kleiner Perkins, an: Sie sei von einem älteren verheirateten Kollegen zu einer Affäre gezwungen worden, als sie diese nach kurzer Zeit beendet hätte, rächte er sich an ihr, verbreitete Gerüchte über sie, machte sie in der Firma schlecht. Sie wurde nicht mehr befördert und verlor schließlich ihren Job, so Pao. Zu der Anzeige hatte sie sich entschieden, weil sie etwas an der schwierigen Situation von Frauen in der Technologiebranche ändern wollte. Die Gegenseite beschrieb Pao als streitsüchtig und schwierig, das Arbeiten mit ihr sei vielen schwer gefallen, deswegen sei sie nicht befördert worden, so die Gegenseite. Pao verlor ihren Prozess.

Es folgten viele weitere Anzeigen wegen Sexismus und Diskriminierung, darunter gegen Mitarbeiter von Snapchat, Uber oder Tinder. Eine unter dem Titel "The Elephant in the Valley" veröffentlichte Umfrage, die kurz nach dem Pao-Prozess von einer Gruppe Frauen um die Beraterin Trae Vassallo unter 200 Mitarbeitern in der Tech Branche durchgeführt wurde, ergab, dass 60 Prozent der weiblichen Angestellten im Silicon Valley sexuell belästigt wurden, in zwei Drittel der Fällen von einem Vorgesetzten, berichtete Jana Kasperkevic im Guardian.

Die Ingenieurin, Bloggerin und Schriftstellerin Susan J. Fowler erzählte im Februar auf ihrem Blog über ihr Jahr beim Fahrservice Uber und von dem Kollegen dort, der sie mit eindeutig sexuellen Nachrichten bombardiert habe. Als sie sich beim Management über diesen Kollegen beschwerte, sei der Vorfall heruntergespielt und weitgehend ignoriert worden. Fowler berichtet, dass ihr andere Mitarbeiterinnen von ähnlichen Belästigungen oder Diskriminierungen erzählt hätten, auch hier ohne Konsequenzen. Fowlers Blogpost verbreitete sich rasch, Uber überprüfte daraufhin mehr als 200 Anschuldigungen gegen seine Angestellten. Zwanzig wurden inzwischen gefeuert und 31 in Schulungen geschickt, meldet die Zeit. (Mehr über den Sexismus im Silicon Valley bei Zeit und FAZ.)

Aber es gibt auch unterschwelligere Formen des Sexismus, die den Beteiligten oft gar nicht bewusst sind. Liza Mundy hat sich in einem ausführlichen Artikel für die April-Ausgabe von The Atlantic mit der Frage beschäftigt, warum Technologiefirmen zwar viel Geld ausgeben, die Situation ihrer weiblichen Mitarbeiterinnen zu verbessern, sich aber bisher trotzdem nicht viel verändert hat. Mundy sprach mit Ingeneurinnen, CEOs, Programmiererinnen und Managerinnen aus verschiedenen Firmen. Eine von ihnen, Tracey Chou, CEO und Stanford-Absolventin, erzählte ihr folgendes: "Ihr (Chou) wurde vorgeworfen zu 'emotional' zu sein wenn sie Einwände bei technischen Fragen hatte, man erwartete von ihr, freundlich zu sein und sich nicht zu beschweren, selbst wenn ihre Kollegen Entschuldigungen erfanden für männliche Mitarbeiter, die im Umgang schwierig waren. Die einzige andere weibliche Ingenieurin in ihrer (Chous) Firma hatte den gleichen Eindruck - als ob für sie andere Standards gelten würden. Es war kein offener Sexismus; es war eher so, als ob sie ausgeschlossen und nicht respektiert würden, 'als ob wir nicht gut genug wären, um dort zu arbeiten - obwohl wir, objektiv betrachtet, gut genug waren'." Vielleicht sollte das Valley in ein paar Vorhänge investieren.