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Schutzschild aus Blei

04.06.2008. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht in diesem Jahr an den Maler Anselm Kiefer.
Anselm Kiefer erhält in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2008. Dies gab heute der Stiftungsrat des Friedenspreises bekannt. Damit ist er der erste Bildende Künstler in der Reihe des seit 1950 vergebenen Preises, der bisher vor allem Schriftstellern und Intellektuellen verliehen wurde.

Die Begründung des Stiftungsrates betont folglich vor allem die Bedeutung des Buches in Kiefers Werk: "Die starke Resonanz seines Werks beruht auf der Fähigkeit, für die zeitlosen und für die akuten Themen, die Anselm Kiefer behandelt, eine Bildsprache zu entwickeln, die aus dem Betrachter auch einen Leser macht. Denn wie stark sich Kiefer mit Literatur und Poesie auseinandersetzt, führen nicht nur die Installationen vor, die unentwegt auf große Texte anspielen. Er hat das Buch selbst, die Form des Buches, zu einem entscheidenden Ausdrucksträger gemacht. Gegen den Defätismus, der Buch und Lesen eine Zukunft abzusprechen wagt, erscheinen seine monumentalen Folianten aus Blei als Schutzschilde."

2007 war der jüdische Historiker Saul Friedländer als "epischer Erzähler der Shoah" gewürdigt worden, 2006 der Soziologe Wolf Lepenies als "wissenschaftlicher Schriftsteller, anschaulich schreibender Biograf, stilsicherer Essayist", im Jahr davor der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk. Erste Meldungen über die Vergabe des mit 250.000 Euro dotierten Preises an Kiefer finden sich in der Zeit, bei Spiegel Online, in der Welt und im Tagesspiegel. Verliehen wird der Preis während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 19. Oktober 2008, in der Paulskirche.

Der in Paris lebende Anselm Kiefer, 1945 in Donaueschingen geboren, hatte unter anderem bei Joseph Beys studiert und gilt als einer der einflussreichsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit (ein Überblick seiner Ausstellungen findet sich hier). In seinen Bildern und Skulpturen setzt er sich mit Geschichte, mit Religion, Philosophie und Mystik sowie mit Literatur und Poesie auseinander. Er ist der erste zeitgenössische Künstler, der mit einem Gemälde im Pariser Louvre vertreten ist (dazu hier ein Interview mit dem Tagesspiegel von 2007). Hier ein Gespräch von 2005 mit Klaus Dermutz, in dem Kiefer seine Arbeitsweise erläutert: "Malen, um zu erkennen, und erkennen, um zu malen. Bei jedem neuen Thema, das ich angehe, bei jedem Erlebnis, das ich verarbeite, gibt es zunächst keinen Diskurs. Die Erkenntnis stellt sich erst im Verlauf des 'Malens' ein. Dann aber verändert der gewonnene Standpunkt wiederum das 'Malen'. Diesen Vorgang, diesen Zirkelschluss kann man selbst auf die Produktion jedes einzelnen Bildes anwenden." Auch die Vanity Fair zitiert aus diesem Interview: "Die Bomben waren die Sirenen meiner Kindheit. Abgesehen davon, dass ich als Säugling fast verhungert wäre, ging es normal weiter. Trümmer sind an sich Zukunft. Weil alles, was ist, vergeht." Hier ein Interview mit der Londoner Times über das Aufwachsen in Nachkriegsdeutschland.

Im Netz finden sich u.a. ein anderthalbstündiges Video der Tate Gallery, in dem Kiefer über sein Werk und den Nationalsozialismus nachdenkt. Das San Francisco Museum of Modern Art zeigt einen interaktiven Rundgang durch Kiefers Studio und präsentiert Videointerviews mit dem Künstler. Mehrere Bilder sind außerdem bei White Cube und in der Gagosian Gallery zu sehen; zur Ausstellung "Merkaba" gibt es bei artnet einen informativen, bebilderten Essay. In der Welt ist anlässlich der noch bis September laufenden Berliner Ausstellung "Heroische Sinnbilder" ein Gespräch mit Kiefer zu lesen. Hier eine Besprechung dieser Ausstellung im Stern. Die FAZ porträtierte Anselm Kiefer 2005 zum 60. Geburtstag.

Matthias Korte