Link des Tages

Mel Gibsons Jesusfilm "Passion"

Die ersten Reaktionen zeigen "Mixed Feelings"
25.02.2004. "Finster unerbaulich": Gestern lief Mel Gibsons schon im Vorfeld umstrittener Jesus-Film "Passion" in den USA an. Die Kritiker zeigen sich vor allem von der Brutalität des Film verstört. Eine Presseschau mit vielen Links.
Nachtrag vom 26. Februar: Die New York Times fragt in der heutigen Ausgabe, ob der "Passion"-Film Mel Gibsons Karriere schaden könnte. Sie zitiert den Chef eines großen Filmstudios (möglicherweise David Geffen oder Jeffrey Schwartzenberg von DreamWorks), der nicht mehr mit Gibson arbeiten will - nicht wegen des Films, sondern wegen der Holcaust-leugnenden Bemerkungen von Gibsons Vater, von denen Gibson sich nicht distanzierte.

Als erster deutsche Kritiker hat Andreas Kilb den Film für die FAZ besprochen, siehe auch unsere Presseschau.


25. Februar 2004

Google News zählt am Mittwoch, den 25. Februar, gegen 13 Uhr 898 Einträge zu Mel Gibsons "Passion"-Film. Wir verlinken hier schon mal auf einige Kritiken aus den großen amerikanischen Zeitungen. Die Reaktion der deutschen Feuilletons wird ja unweigerlich folgen. Die BBC bietet bereits eine Presseschau zum Film an, allerdings ohne Links. "Mixed Feelings" bei den Kritikern konstatiert die ehrwürdige Anstalt.

Au weia, das ist aber eine harsche Kritik! A.O.Scott, Filmkritiker der New York Times, wirft Mel Gibsons "Passion" in einem sehr ausführlichen Verriss vor allem eines vor: eine am schaurigen Detail orientierte Besessenheit an der Gewaltsamkeit von Jesu Tod: Der Film konzentriere sich auf die letzten zwölf Stunden im Leben Jesu, die er 126 Minuaten lang ausmalt. Die erwünschte Reaktion des Publikums sei zwar "nicht Ekel, sondern jene zitternde Ehrfurcht, welche Maria (Maia Morgenstern), Maria Magdalena (Monica Bellucci) und einige sensible Römer und Jerusalemer zeigen, wenn sie sich zwingen zuzuschauen. Aber wenn man näher nachdenkt, sind Ekel und Ehrfurcht gar nicht so weit voneinander entfernt, und in Gibsons Vision führt der Weg vom einen zum anderen." Die New York Times bringt auch online ein ganzes Dossier zum Film und zum Streit.

Auch im aktuellen Heft des New Yorker findet sich bereits eine Kritik des Films, die eher noch schärfer ist: Auch nach David Denbys Meinung scheint "Passion" dabei ein Film vor allem für eingefleischte Sadisten (oder Masochisten?) zu sein: "Gibson ist natürlich frei, die unvergleichliche Glorie von Jesu Charakter zu ignorieren und sich allein Jesu Qual und Märtyrertum in den letzten zwölf Stunden seines Lebens zu widmen. Aber als Zuschauer bin ich ebenso frei zu sagen, dass der Film, den Gibson aus seinen persönlichen Obsessionen gemacht hat, ein widerlicher Todestrip ist, eine finster unerbauliche Abfolge von Verrat, Schlägen, Blut und Agonie."

Viele Kritiker zeigen sich ähnlich abgestoßen. Der Toronto Star spricht von "brutaler Frömmigkeit".

Andere Zeitungen berichten über Reaktionen auf die Gewalttätigkeit von Gibsons Passions-Spektakel. Der Boston Globe etwa meldet, dass sich auch Kirchenführer Sorgen machen über den "Gore" in Gibsons Film. Susan W. Hassinger, Bischöfin von New England, rät, sich den Film nicht anzusehen: "Ich mag keine Gewalt, und in unserer gewalttätigen Gesellschaft, die so gerne nachmacht, was sie auf dem Bildschirm sieht, möchte ich nicht auch noch dazu beitragen." Ähnlich berichtet die Detroit Free Press: "Eltern streiten sich, ob ihre Kinder 'Passion' sehen sollten." Die Seattle Times hat einige Premierenbesucher unterschiedlicher Religionen interviewt, die sehr unterschiedlich reagieren. Auch die BBC hat Zuschauerreaktionen gesammelt.

Ann Hornaday geht in der Washington Post noch mal auf die Antisemitismusvorwürfe gegen den Film ein und findet sie nach erstem Sehen bestätigt. Sie spricht von einem "karikaturhaften Porträt jüdischer Priester", das von den Schriften der jüngst selig gesprochenen deutschen Visionärin Anna-Katharina Emmerich (Bild) inspiriert sei.

Positive Reaktionen sind seltener. "Sicher, ich empfinde seit zwanzig Jahren eine tiefe Liebe für Jesus", schreibt Licia Corbella in der Calgary Sun, "aber Mel Gibsons bewegender Film zwang mich, der Ungeheuerlichkeit hinter der brutalen Kreuzigung Christi, der für mich am Kreuz starb, ins Auge zu schauen, ja, sie mir einzuverleiben." Auch der einflussreiche Roger Ebert in der Chicago Sun-Times scheint eher für den Film zu plädieren: "Ich war berührt von der Tiefe des Gefühls", schreibt er, würde den Film allerdings erst ab 17 Jahre empfehlen.

Wir verlinken ferner auf die Kritik im Hollywood Reporter ("Dieser Film ist ein Akt des Glaubens"), David Ansens Artikel in Newsweek ("Die Debatte über 'The Passion' wird nicht so rau wie der Film"), die Kritik in Slate ("A bloody mess"), das Dossier im Christian Science Monitor ("Gibsons 'Passion' hat nur das Leid im Sinn") und eine Reaktion der Jerusalem Post ("Geteilte Meinungen über 'Passion' bei jüdischen Führern").