Im Kino

Zunder für die Eitelkeit

Die Filmkolumne. Von Janis El-Bira, Karsten Munt
13.09.2017. Nicht einmal der größte kinematographische Exzess dringt in Darren Aronofskys "Mother!" durch die persönliche Versiegelung des Regisseurs. Gabe Klinger hat mit "Porto" einen wenig knisternden Liebesfilm fürs cinephile Biotop gedreht.


In "Mother!" beginnt die Schöpfung mit dem Feuer. Ein prunkvolles, viktorianisches Anwesen geht in Flammen auf. Eine Überblendung später erwachen im gleichen, wieder unberührten Haus Mann und Frau. Darren Aronofsky legt gleich los, sowohl mit einem diffusen Schöpfungsmythos, als auch mit den allegorischen Figuren - als erster Fingerzeig gibt er Mann und Frau, wie auch allen anderen Figuren, keine Namen - die ihn ausleben dürfen. Die Rollen in dieser Zweckehe sind ebenso schnell verteilt. Er (Javier Bardem): Karrieretyp, Schriftsteller mit Schreibblockade und Mann im Haus lässt sich inspirieren und trifft Entscheidungen. Sie (Jennifer Lawrance): Fürsorgliche Hausfrau und pathologisch perfektionistische Innenarchitektin, erträgt sein schöpferische Ringen, seine Bevormundung und die Gäste, die im Verlauf des Films, vom Ehemann geduldet, das Haus besetzen.

Der erste unerwünschte und geduldete Dauergast im abgelegenen Domizil ist Ed Harris, der als todkranker Arzt mit Zigarettenqualm und Krampfhusten durch die Wohnung poltert. Noch bevor sich die Hausfrau über die plötzliche, bis dato unerklärte Gastfreundschaft ihres Mannes wundern kann, steht mit Michelle Pfeiffer der nächste Besuch vor der Tür. Die Frau des Arztes tritt als toxische Femme Fatale auf und verletzt die persönlichen Grenzen der Hausfrau mit hochprozentigen Cocktails und der kleinsten Andeutung eines garstigen und doch nie gänzlich lesbaren Botox-Grinsens.

Während das Gästepärchen also, mit Zuspruch des Schriftstellers, mehr und mehr Raum besetzt im fragilen, stets fast sanierten Eigenheim, verliert sich die perfekt frisierte Hausfrau mehr und mehr in ihrer Paranoia. Ihr Gesicht hält krampfhaft an einem freundlichen Lächeln fest, das in den düsteren und körnigen Close-Ups fast mechanisch zentriert wird, während das Haus im Hintergrund schneller und schneller um sie zu kreisen scheint.



Wie in Roman Polanskis "Ekel" wird das Eigenheim dabei zum organischen Resonanzkörper des Traumas. In den Wänden pulsiert ein Herz, in der Toilette nistet sich ein organischer Klumpen ein, der mit dem Pümpel hochgezogen wird und in den Holzdielen tut sich ein blutiges Loch auf, das in einen Keller führt, aus dem nur die Glut des Ofens zurück starrt. Doch wo Polanski das Symbolische mit dem Empathischen verknüpft, lässt Aronofsky seine Horrorfilmcodes nur gegen die Wand klatschen. Genre ist die kunstfertige Schaufensterdekoration für seinen überladenen Konzeptprunk. Alles Leben, das in dem Film steckt, wird mit einer penetrant selbstgefälligen, barocken Kunstfertigkeit als bedeutungsschwanger ausgestellt. Ein Gestus mit dem sich "Mother!" nahtlos hinter "Pi" und "The Fountain" in den ambitionsüberfrachteten Teil von Aronofskys Filmografie einreiht.

Folgerichtig ist der Überbau des Films so tonnenschwer und gleichzeitig vage, dass nur ein ausgestellter Kraftakt ihn auf die Leinwand zu bringen vermag. "Mother!" zittert geradezu ob der formalen Anstrengung, die sein Regisseur auslebt, wie ein Bodybuilder, der sich beim Training im Spiegel betrachtet. Das Leid seiner Figuren, besonders seiner Protagonistin, bleibt dabei abstrakt.

Das stößt gerade deswegen sauer auf, weil der Film gerade dort zu wunderbarer Form aufläuft, wo er seinen eigenen Kontrollwahn abstellen kann oder mit ihm ungebremst Richtung Camp voran prescht. Die kleinsten Mittel sind zunächst die schlagendsten: Wasserhähne, die grundlos aufgedreht werden und ein Stück Torte, das nicht genossen, sondern mit dem Esslöffel zerlegt wird. All das vermag mehr Schrecken herbeizuführen, als ein ständiges Herbeizitieren von Geburts- und Schöpfungssymbolik. Wenn diese doch einmal überwunden wird, blitzt Aronofskys Hybris für einen kurzen Augenblick als Höhepunkt auf, in dem die ausgedehnte Hausbesetzung zu einer völlig deliranten Edeltrash-Sequenz eskaliert. Das Haus wird gänzlich von einer Massenhysterie überwältigt, die sich als Slapstick bis zur Straßenschlacht im Vorraum steigert, bei der Verschleppungen und Hinrichtungen gleichermaßen im Wohnzimmer abgehalten werden.

Doch selbst ein Exzess dieser Größe kann letztlich nicht durch die persönliche Versiegelung Aronofskys dringen. Kaum sind die Schreie verhallt, presst der Film jeglichen Subtext mit der gleichen Verbissenheit nach außen, die schon der Titel hinausschreit: Schwere Metaphern und aufgeblasene Esoterik setzen das Ausrufezeichen für Aronofskys prätentiösen Edel-Horror. Und ob man diesen als Musenmissbrauchs-Allegorie, Meta-Verarbeitung der eigenen Künstleregomanie oder Schöpfungs-Metapher deutet, ist eigentlich völlig gleich. Denn ob der konzeptuelle Überbau seiner zirkulären Geschichte nun banal oder hochkomplex ist; ob der Pomp, mit dem er präsentiert wird, trashig oder exquisit erscheint: letztlich ist alles nur Zunder für Aronofskys brennende Eitelkeit.

Karsten Munt


Mother! - USA 2017 - Regie: Darren Aronofsky - Darsteller: Jennifer Lawrende, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeiffer, Brian Gleeson, Domhnall Gleeson - Laufzeit: 121 Minuten.

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Jede Lüge, die Liebende einander erzählen, wird früher oder später wahr. Proust habe das geschrieben, behauptet die Französin Mati (Lucie Lucas) in Gabe Klingers "Porto". Die Nennung Prousts nobilitiert bekanntlich noch die blödesten Kalendersprüche und vielleicht stimmt es ja sogar, dass dieser Unfug irgendwo in den unüberschaubaren Weiten der "Recherche" die Landschaft ziert. Am Genie Prousts kratzt das freilich nicht und ebenso wenig scheint es Matis Kurzzeitgeliebten Jake (gespielt vom 2016 tödlich verunglückten Anton Yelchin) außergewöhnlich zu beeindrucken: Ich habe Proust nie gelesen, sagt er, und werde es wahrscheinlich auch nicht tun.

Doch Klingers Film ist von der Idee der liebenden Lüge, die irgendwann zur Wahrheit gerinnt, ganz besessen. In "Porto" soll unbedingt wahr werden, was man nur immer wieder mit den klügsten Mitteln behauptet. Das fängt schon damit an, dass dieser Film immerzu vorgibt, zumindest ein anderer, wenn nicht gar überhaupt nicht von dieser Welt zu sein. Sein Regisseur, Gabe Klinger, galt vor Jahren einmal als das Wunderkind der amerikanischen Filmkritik. Inzwischen arbeitet er als Filmwissenschaftler und Kurator und hat als Regisseur vor einigen Jahren ein vielbeachtetes Doppelporträt der Filmemacher James Benning und Richard Linklater vorgelegt.

"Porto" ist Klingers Spielfilmdebüt und wie zu erwarten war, schaut man durch ihn hindurch vor allem auf die Filme Anderer. Auf das französische Kino der 60er-Jahre, zum Beispiel, und auf Manoel de Oliveira. Auf den ältesten Godard ebenso wie den jüngsten. Auf die gestundete Zeit aus Chris Markers "La jetée" und nicht zuletzt auch auf den Kaffee und die Zigaretten eines Jim Jarmusch, der "Porto" mitproduziert hat. Klingers Film ist betont unzeitgemäß. Eine komplett WiFi-freie Zone, in der niemals eine WhatsApp-Nachricht den Weg vom Sender zum Empfänger finden würde. Gedreht hat er ihn, als sei's das cinephile Distinktionsmerkmal schlechthin, auf analogem Filmmaterial, wechselnd zwischen 35mm und 8mm, körnig, kratzig und Schlieren ziehend in den Farbverläufen.



Auch deshalb wirkt "Porto" wie ein Souvenir, zusammengesetzt aus den fragmentarisch erhaltenen Urlaubsdias anderer Leute. Die Geschichte, an die diese Bilder sich erinnern wollen, ist schmal wie die Gassen der titelgebenden portugiesischen Hafenstadt. Sie erzählt von der Liebe einer Nacht zwischen dem Amerikaner Jake und der Französin Mati. Dreimal wird sie aufgelegt, aus Jakes Sicht, aus Matis und schließlich im Paarmodus des romantischen Irrealis, bei dem "Porto" nach kaum 75 Minuten landet: Jake & Mati. Denn natürlich gibt es keine Hoffnung für diese Liebenden, deren Leidenschaft so schnell aufflammt, wie sie vor dem Horizont der Wirklichkeit wieder verglimmt.

Dazwischen regiert das Kino, das schon immer einen Faible für unwahrscheinliche Liaisons vor Traumkulissen mit Retro-Charme hatte. Aber mögen die Gesetze im Paralleluniversum des Kinos auch andere sein - falsch zur Anwendung bringen kann man sie trotzdem. Das passiert "Porto" zum Teil deshalb, weil Mati und Jake wie die Entsandten unterschiedlicher Sonnensysteme aufeinandertreffen. Mati ist das manic girl der französischen Nouvelle Vague, so atemberaubend schön wie kaputt, so tiefsinnig wie sprunghaft. Jake ist amerikanisch-sehnig, ein Beatnik-Wiedergänger mit ein bisschen Lebensklugheit und viel äußerlicher Rohheit, die in Anton Yelchins höhlentiefen Augen allerdings so weit in Richtung Creepster ausschlägt, dass einem Angst und Bange wird.

In Klingers Vision sollen diese beiden sich finden, wie Filmpaare das eben tun. Aber ihre Liebe scheint wie aus den falschen Filmversatzstücken verleimt. Als ginge eine Rivette-Frau mit einem Sirk-Mann ins Bett. Das ist mitunter kurios anzusehen und wird nicht eben besser dadurch, dass Klinger diese wenig knisternde Verbindung erzähltechnisch aufbricht und dreimal neu perspektiviert. Hier ist eine formale Oberschläue am Werk, die dem melancholischen, von Soft-Jazz umwölkten Kern der schlichten Geschichte unweigerlich an den Kragen will. So wird aus "Porto" in erster Linie eine hübsche Ansichtskarte - nicht nur aus dieser bezaubernden Stadt, sondern vor allem aus dem cinephilen Biotop. Wer sich dort ohnehin auskennt, mag sich gleichwohl darüber freuen.

Janis El-Bira

Porto - USA 2016 - Regie: Gabe Klinger - Darsteller: Anton Yelchin, Lucie Lucas, Paulo Calatré, Françoise Lebrun - Laufzeit: 77 Minuten.