Im Kino
Passant der Weltgeschichte
Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
29.08.2007. Christoph Hübner macht in "Thomas Harlan - Wandersplitter" Weltgeschichte lebendig - indem er den Zeitzeugen Thomas Harlan einfach erzählen lässt. Und in Mika Ninagawas Spielfilmdebüt "Sakuran" üben schöne Menschen in schönen Kleidern in schönen Bild-Tableaus die Kunst des distinguierten Vögelns.
Er erzählt davon in Christoph Hübners Dokumentarfilm "Thomas Harlan - Wandersplitter" und er legt Wert darauf, dass dies eine "Geschichte ohne Ich" sei, bei der die Tatsache, dass er es war, dem sie widerfuhr, keine Rolle spielt. Er wäre damit nicht mehr als bloß Zeuge, ein Passant im strengsten Sinne, einer, der sieht, erlebt, tradiert und passiv bleibt. Es ist diese Passivität, die Harlan immer wieder herausstreicht: Zufälle, Unfälle seien es gewesen, die sein Leben bestimmten, Zufälle, denen er sich, sie nicht unbedingt suchend, aber gern akzeptierend, überließ. Von einer Begegnung mit einem Mann in einem Zug berichtet er, später im Leben, mit dem er einfach weiterfuhr, obwohl er längst hätte aussteigen müssen.

Harlan wird Kommunist, er zündet Kinos an, erzählt er, in denen nach dem Krieg Filme seines Vaters laufen, er kann ihm nicht verzeihen, dass dieser einfach weiterdreht, als sei nichts gewesen. Später sucht er in Archiven in Polen nach Dokumenten für Nazi-Verbrechen, er kann nicht fassen, wie die Täter von einst längst wieder Rang haben und Namen, von den unter den Teppich gekehrten Taten ganz unberührt. Er gräbt, jahrelang, mit einem Team von Mitarbeitern, er bringt ans Licht - und hört dann plötzlich auf, aus Angst, sagt er heute, in diesem Sumpf zu ertrinken. Um Strafe sei es ihm nie gegangen, versichert er, nur um die Wahrheit, darum, noch genauer gesagt, dass die Mörder und Täter ihre Taten bekennen.
Seit den siebziger Jahren ist Harlan, dessen vom linken italienischen Verleger Feltrinelli mit Blankoscheck gefördertes Buch über die Nazi-Verbrechen niemals erschien, als Filmemacher hervorgetreten, in den letzten Jahren erst als Autor der hervorragend besprochenen Romane "Rosa" (2000) und "Heldenfriedhof" (2006), über die Bert Rebhandl in der taz schrieb: "Es gibt aber eben auch Werke, hinter die 'das Wissen' nicht mehr zurückkann: Die Dokumentarfilme von Claude Lanzmann zählen dazu, und nun auch die Romane von Thomas Harlan, in denen 'das Eine' zu einem Datum der Erdgeschichte wird."
Auch als Person ist Thomas Harlan außerordentlich beeindruckend. Seit 2001 lebt er, lungenkrank, in einem Sanatorium bei Berchtesgaden, den Obersalzberg, Hitlers Feriendomizil, vor dem Fenster. Hier hat ihn der Filmemacher Christoph Hübner besucht und man sieht nichts als in Nahaufnahmen den mächtigen, weißhaarigen, sprachgewaltigen Mann in seinem Zimmer und gelegentlich Zwischenschnitte, hinaus in die Natur, hinein in den Raum, auch auf Flure des Sanatoriums. Schwarzblenden dazwischen, Zwischentitel, darunter der schwere Atem des sonst alles andere als gebrechlich wirkenden Mannes. Harlan ist, im Dialog mit dem Filmemacher, der seine Präsenz und die der Kamera nicht verschweigt, eher Subjekt als Objekt der Dokumentation. Der Film lässt ihm, seinem Blicken und Sprechen und Denken, den Raum, den er braucht. Ein Durchatmen in den Zwischenschnitten. Man schaut, hört, denkt, von der ersten bis zur letzten Sekunde gebannt.
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In mancherlei Hinsicht ist das Projekt mit Sofia Coppolas "Marie Antoinette" vergleichbar, so sehr sogar, dass der Hinweis in kaum einer Kritik dazu ausbleibt. Nicht zuletzt, weil auch die Musik alles andere historisiert, denn sie bewegt sich, komponiert und gesungen vom japanischen Popmusikstar Ringo Shiina, variantenreich zwischen Swing und Björk. Diese Form des Anachronismus ist freilich eine Geste, hinter der, anders als bei Coppolas Postpunkkontrapunktierungen, kein präziserer Gedanke steht als der einer einfachen postmodernen Verpoppung. Überhaupt kommt es auf historische Korrektheit an keiner Stelle an, die Kostüme sind prächtiger als einst im wahren Leben, von sozialrealistischer Beschreibung des Bordelllebens kann auch keine Rede sein. Die Regisseurin zeigt sich verliebt in die Farbe rot und, als Kontrast, auch in kirschblütenweiß. Ein aus ihrer fotografischen Arbeit vertrautes Motiv - Goldfische - kehrt auch im Film immer wieder, gelegentlich füllen die Fische, durchs Aquarium schwimmend, den Bildvordergrund, während dahinter distinguiert gevögelt wird. Der prächtige Fisch im Glas ist mutmaßlich eine Metapher für die Gefangenschaft der jungen Frau im Bordell, aber Ninagawa geraten noch die Metaphern fürs Düstere schön und bunt.
Im Grunde lässt sich "Sakuran" in einem Satz resümieren: Schöne Menschen in schönen Kleidern tun in schönen Bild-Tableaus schöne, gelegentlich freilich auch unschöne Dinge. Kiyoha ist eine selbstbewusste junge Frau, mit Anfällen von Renitenz, aber ernst gemeinte Konflikte, psychologische Genauigkeit oder auch nur den Anschein von Tiefenbeschreibung vermeidet der Film gekonnt. Man kann sich das ansehen, knapp zwei Stunden lang, wie ein mit exotischen Fischen gefülltes Edel-Aquarium und hat, ohne weiteren Anspruch, vielleicht seine Freude daran. Wer aber hofft, dass sich irgendwas tut, das andere Regionen von Körper und Geist als nur den Augensinn in Bewegung oder Erregung versetzt: den wird "Sakuran" entäuscht zurücklassen.
Thomas Harlan - Wandersplitter. Deutschland 2007 - Regie: Christoph Hübner - Darsteller: (Mitwirkende) Thomas Harlan - Länge: 96 min
Sakuran - Wilde Kirschblüte. Japan 2006 - Originaltitel: Sakuran - Regie: Mika Ninagawa - Darsteller: Anna Tsuchiya, Masanobu Ando, Kippei Shiina, Hiroki Narimiya, Yoshino Kimura, Miho Kanno, Masatoshi Nagase, Renji Ishibashi, Mari Natsuki - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 111 min.