Im Kino

Fürchte den Keaton-Kroc

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Lukas Foerster
19.04.2017. John Lee Hancocks Kapitalismus-Biopic "The Founder" bleibt trotz seiner beachtlichen Qualitäten eine zwiespältige Angelegenheit. Stacy Titles Horrorfilm "The Bye Bye Man" ergibt wenig Sinn, besticht aber durch schamlose Geisterbahnenergie.


"The Founder" ist ein Faszinosum. Ein Film, der faszinierend ist in seiner eigenen Faszination für das Böse, die bedingungslose Über-Leichen-Geh-Mentalität seiner Hauptfigur, die an einer Stelle erklären darf: "Contracts are like hearts, they're made to be broken." Besagte Hauptfigur ist der von einem manisch aufspielenden Michael Keaton gegebene Ray Kroc. Gegen Ende des Films erklärt Croc, dass man mit einem slavisch klingenden Namen einfach kein richtiges Geld verdienen könne. Dazu braucht es schon einen, der nach etwas klingt, der sich richtig amerikanisch anhört (wobei das "Amerikanische" auch schon irischen Ursprungs ist). Der, dem er das erklärt, hat einen solchen Namen, der ihm doch am Ende kaum etwas einbringt, den er regelrecht verliert an den Mann, der Kroc heißt. Der Mann heißt Mac McDonald, wie das Schnellrestaurant, das nach ihm und seinem Bruder benannt ist, und dessen Namensrechte sie schließlich für einen Preis an Kroc abgeben müssen, der sich verglichen mit dem Imperium, das aus ihrem Laden im kalifornischen San Bernardino über die Franchise-Idee Krocs erwächst, ausnimmt wie die Waren im Wert von 60 niederländischen Gulden, für die europäische Siedler eine Insel an der amerikanischen Ostküste von deren indigenen Bewohnern abkauften, die später zu Manhattan wurde.

Ob diese Assoziation von Regisseur John Lee Hancock und seinem Drehbuchautor Robert D. Siegel intendiert war oder ob sie alleine das Produkt meiner postkolonialistisch geschulten Phantasie ist, tut wenig zur Sache, denn sie ist dahin gehend stimmig, dass bei Siedlern und "Indianern" wie bei Kroc und den McDonald-Brüdern zwei Wertsysteme aufeinander prallen, die sich so grundlegend voneinander unterschieden, dass sie zwangsläufig in die Unterwerfung und Ausbeutung des einen durch das andere münden mussten. Dass es bei Krocs McDonald-Imperium darum geht, Land zu verpachten, auf dem immer mehr und mehr der beliebten Schnellrestaurants entstehen, dass es also um die Erde geht, auf der Kroc gleich mehrmals sitzen darf, die ihm symbolträchtig durch die Finger rinnt, unterstreicht nicht nur die kolonialen Konnotationen dieser Art des Wirtschaftens, es wird auch noch aus der Vogelperspektive gefilmt. Über dem McDonalds-Gründer steht höchstens Gott, und wer sich in derart "von oben" legitimierter Landnahme übt, der kann es kaum vermeiden, sich dabei die Hände schmutzig zu machen.

Doch zurück zum Anfang. Da scheint der Keaton-Kroc, der selbst noch als talking head larger than life ist, wie er mittig im Scopebild prangt, sich direkt an die Zuschauenden zu wenden, um ihnen einen Mixer zu verkaufen - bis ein Schnitt seine Bemühungen in einen anderen Kontext stellt. Den Mixer kauft der Mann, der in der Szene unsere Position als Adressat von Krocs Verkaufsmonolog einnimmt, nicht. Dafür bestellt ein rätselhaftes Restaurant in Kalifornien gleich sechs der Milchshakemacher, was bei Kroc so viel Eindruck macht, dass er den weiten Weg aus Illinois in Richtung Westen antritt.



Das Restaurant der Brüder Dick (Nick Offerman) und Mac McDonald (John Carroll Lynch) versetzt ihn gehörig ins Staunen. Das Essen ist schon fertig, kaum hat man es bestellt. Statt Teller, Besteck und Glas gibt es einen Pappbecher und eine Papiertüte, so dass man die schnelle Mahlzeit mitnehmen und überall verzehren kann: zuhause, im Auto, auf einer der Bänke vor dem Lokal, vor dem sich eine lange Schlange gebildet hat. Bei einer Tour kann sich der Geschäftsmann von den Vorzügen des sogenannten Speede-Systems überzeugen. Also will Kroc ins florierende Geschäft einsteigen. Franchises von McDonalds überall in Amerika, ach was, auf der ganzen Welt eröffnen. Nicht einmal diese Idee stammt von ihm. Die Brüder hatten bereits zuvor versucht, an verschiedenen Stellen des Landes neue Filialen zu eröffnen, was aber letztendlich wohl an ihrer Gutmütigkeit gegenüber den Franchisees scheiterte, die ihnen mit ihren eigenen Ideen und Visionen auf der Nase herumtanzten.

Zentralisierte Gleichschaltung ist das Konzept, die Vision des Ray Kroc, der nichts mehr erfinden oder gar produzieren muss, um ein Imperium aufzubauen. Selbst der "golden arch", aus dem später das ikonografische, raumgreifende, aus den urbanen Architekturen der Gegenwart schwer wegzudenkende M werden sollte, war nicht seine Idee; von ihm stammt lediglich die Vision, dass sich dieser gelbe Bogen irgendwann, wie das Kreuz auf den Kirchen und die Fahne auf den Rathäusern, in jeder amerikanischen Kleinstadt finden solle. Die Nation, die Religion - und McDonalds. Das Kapital will sich mitten in den stockkonservativen Fünfzigern, gleichwertig neben Gott und Vaterland stellen, es versteht es sogar, den Zeitgeist geschickt für sich zu nutzen, indem es an die wichtigste Institution einer wertkonservativen Gesellschaft appelliert: die Familie.

Es ist ein Verdienst des Films - und es macht ihn zugleich zwiespältig und perfide - dass sich der Gründer-Spirit der Hauptfigur mühelos auf das Publikum im Kinosaal überträgt. Wir sehen Menschen, die an Maschinen in einer Küche stehen und Hamburger zubereiten und sind gebannt wie in einem perfekt inszeniertem Thriller. "The Founder" bringt uns eine Weltsicht nahe, in der alles nur Material ist, das es zu benutzen gilt, um Kapital zu akkumulieren, und geht dabei derart geschickt vor, dass etwas heute so alltägliches wie der Aufbau und Betrieb einer McDonalds-Filiale zu lupenreinem Spannungskino wird. Der Film schafft etwas - und dem muss sich jede ideologiekritische Kritik stellen - das nur großer Kunst gelingt: Er lässt uns alltägliche Dinge wahrnehmen, als sähen wir sie zum ersten Mal, lässt uns durch Augen blicken, die nicht die unseren sind, sondern die Ray Krocs.

Dass ich den Film nicht so uneingeschränkt mögen kann, wie ich gerne würde, dass er bei allen unzweifelhaften Qualitäten eine zwiespältige Angelegenheit bleibt, liegt daran, dass er sein Potenzial für eine grundsätzliche Kritik an dem System verschenkt, das Menschen wie Kroc erst den Nährboden für ihre Machenschaften zur Verfügung stellt. Bei aller Faszination für seine Hauptfigur lässt der Film zwar kaum einen Zweifel daran, dass Kroc ein ziemlich skrupelloses Arschloch war, er tut aber nichts anderes, als ihm den ungeschickteren Kapitalismus der McDonalds-Brüder als das Gute gegenüber zu stellen.

Das von den Brüdern entwickelte Spedee-System in der Küche sieht schick aus, wenn man es im capitalist gaze-Modus auf einem Tennisplatz einübt, natürlich wieder aus der Vogelperspektive gefilmt. Für die MitarbeiterInnen aber bedeutet es mehr Stress, den Preis für das Essen in 30 Sekunden bezahlen sie mit der Entfremdung von dem Produkt ihrer Arbeit, an dessen Produktion sie nur noch als menschliche Zahnräder in einer perfekt geölten Maschinerie beteiligt sind.

Nicolai Bühnemann

The Founder - USA 2016 - Regie: John Lee Hancock - Darsteller: Michael Keaton, Nick Offerman, John Carroll Lynch, Linda Cardellini, B.J. Novak, Laura Dern - Laufzeit: 115 Minuten.

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Der Bye Bye Man existiert nicht, er lebt nur in Deinem Kopf. Der Bye Bye Man ist ein Virus, wer seinen Namen hört, muss sterben. Der Bye Bye Man wird stärker, je öfter Du seinen Namen aussprichst und an ihn denkst. Wenn Du vom Bye Bye-Virus infiziert bist, wiederholst Du deshalb manisch: "Don't say it! Don't think it!" und diese Worte rufen den Bye Bye Man natürlich erst recht auf den Plan, denn schließlich kann man nicht "Don't say it" denken ohne "it" mitzudenken. Wenn Du dem Bye Bye Man verfallen bist, fängst Du an zu halluzinieren. Der Bye Bye Man ist gleichzeitig selbst eine dieser Halluzinationen. Als finstere Gestalt huscht der Bye Bye Man im Hintergrund durchs Bild und trägt dabei einen langen Mantel mit Kapuze. Wie ein Clan-Kostüm, nur in schwarz. Der Bye Bye Man kündigt sich durch eine Münze an, die zu Boden fällt. Der Bye Bye Man kommt mit der Eisenbahn, und manchmal tötet er auch mit der Eisenbahn. Der Bye Bye Man hat einen (computeranimierten) Hund an seiner Seite.

Der Bye Bye Man ist, das dürfte man dieser Aufzählung anmerken, ein Konglomerat aus diversen Horrorfilmunholden der letzten paar Jahrzehnte. Ein nicht besonders sorgfältig zusammenkonstruiertes Konglomerat, genauer gesagt. Das ist es denn auch, was zahlreiche vernichtende Besprechungen anlässlich des (kommerziell trotzdem erfolgreichen) US-Kinostarts von "The Bye Bye Man" vor allem anderen monierten: Die vielfältigen Erscheinungsformen und Wirkungsweisen des Bösewichts formieren sich nie zu einer kohärenten Mythologie, und auch sonst ergibt das alles wenig Sinn.

Solche Kritik ist kleinlich und kunstfeindlich und deshalb trotzdem nicht schon aus Prinzip falsch. Tatsächlich hat man den Eindruck, dass irgendwo im Verlauf der Produktion von "The Bye Bye Man" irgendetwas aus dem Ruder gelaufen ist, und dass dieses aus-dem-Ruder-Laufen nur bedingt interessante Ergebnisse gezeitigt hat. Das Problem scheint dabei nicht so sehr die windschiefe Mythologie zu sein, als der gleichzeitig trotzdem ungebrochene Wille zur Mythologie. Es gibt eine Spannung zwischen dem "mythologisch korrekt durchkonstruierten" Standardhorrorfilm, der "The Bye Bye Man" sein möchte (aber nicht ist) und dem freihändig durchgeknallten Psychosexhorrorthriller, der der Film stattdessen sein könnte (aber leider nur in Ansätzen sein darf).



Zwei miteinander kaum kompatible Filmrümpfe also, deren interessanterer mit dem Bye Bye Man erst einmal wenig zu schaffen hat, und sich um drei junge Leute dreht, die gemeinsam ein altes Anwesen voller bedrohlicher Weitwinkeltotalen beziehen. Elliot (Douglas Smith) und Sasha (Cressida Bonas) sind ein Paar, John (Lucien Laviscount) ist Elliots Kumpel, kommt aber auch mit Sasha ausgesprchen gut aus. Bei einer Party sind die beiden sich so nah, dass jemand zu Elliot sagt: ein Glück, dass Du nicht eifersüchtig bist. Ja, ein Glück, antwortet Elliot souverän, und darf das für den Moment ernst meinen. Die Eifersucht ist noch fern, wenn sie doch in den Film tritt, ist sie ausgestellt krankhaft, nimmt die Form des monströsen Bye Bye Man an. Gleichzeitig erwacht freilich in Sasha tatsächlich ein - ebenfalls monsterförmiges - Begehren, während der vormals virile John von performance anxiety heimgesucht wird.  

Das sind die stärksten Passagen des Films: Halluzinationen, die von anderen Hallzinationen überlagert werden; Figuren, die sich und ihr Begehren wechselseitig verkennen und gerade in diesem Verkennen unrettbar aufeinander bezogen bleiben; drei nackte Leiber, die nebeneinander auf dem Eisenbahngleis stehen, dem heranrasenden Schnellzug schutzlos ausgeliefert; drei überforderte Hysteriker, die bei den Versuchen, gleichzeitig sich selbst und den konfusen Filmplot mental organisiert zu bekommen, bisweilen komplett durchdrehen und in einen amüsanten B-Movie-Hyperdrivemodus wechseln - vor allem den gleichzeitig sanft und psychopathisch verschroben anmutenden (und außerdem: anmutigen) Douglas Smith mit seinem blassen, romantisch-pittoresken, in psychotisch-libidinösen Ausnahmezuständen fast schon wächsern vor sich hin schmelzenden Gesicht würde man gerne in noch vielen anderen Horrorfilmen sehen.

Schon auch in besseren Horrorfilmen, ja. Wobei "The Bye Bye Man" stärker und vor allem origineller ist als sein dem konfusen Drehbuch und wohl auch einigen produktionsseitigen Einmischungen geschuldeter schlechter Ruf vermuten lässt. Schon, weil er ein gewisses, ganz unmanieristisches Stilbewusstsein hat. Formambitionen im engeren Sinn beschränken sich zwar auf eine effektiv durchchoreografierte Plansequenz gleich zu Beginn, dennoch sieht der im ländlichen Wisconsin spielende, aber im benachbarten Ohio fotografierte Film dank des unaufdringlich atmosphärischen location shooting durchweg gut aus: Häuser, die ihre besten Tage hinter sich haben, umgeben von einer latent aggressiven Natur, einem Wald, der sich die verlorene Vorherrschaft über das Land wiederzuholen anschickt. Regisseurin Stacy Title, die sich seit den 1990ern eine kleine, aber eigensinnige Genrefilmographie erarbeitet hat, treibt den mal groben, mal einigermaßen inspirierten Unfug, der sich in und um diese Häuser abspielt, mit einer im besten Sinne schamlosen Geisterbahnenergie voran, die über so manche Unebenheit hinweg tröstet; und die "The Bye Bye Man" außerdem angenehm von dem etwas allzu gediegenen, kunsthandwerklichen Tonfall abhebt, der das Genre derzeit  - man denke an "It Follows", "The Witch" usw - dominiert.

Lukas Foerster


The Bye Bye Man - USA 2017 - Regie: Stacy Title - Darsteller: Douglas Smith, Lucien Laviscount, Cressida Bonas, Doug Jones, Michael Trucco - Laufzeit: 96 Minuten.