Im Kino

Kirche und Klitoris

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
21.10.2009. Der deutsche Film krabbelt und schwimmt mit Sönke Wortmanns "Die Päpstin" mal wieder amphibisch Richtung Weltniveau. Weiß der Wotan, wozu das gut sein soll. Das eigentliche Meisterwerk dieser Woche "Wendy & Lucy" läuft dagegen unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit an. Kelly Reichardt erzählt darin solidarisch von einer prekären Existenz.


Der Amphibienfilm krabbelt zu Wasser und schwimmt auf dem Land und wenn er fliegt, dann meist auf die Nase. "Die Päpstin" ist das jüngste Exempel eines solchen Amphibienfilms. Ab morgen besetzt er, als gehörte er dahin, keinen geringen Teil der Leinwände und Kinosäle der Republik. Dass ihm etwas fehlt, wird man im Fernsehen sehen, wenn das jetzt noch Fehlende dort dann zu viel scheint. Spüren aber wird man es, weil die Erzählmaschine so holprig und unrund läuft, schon auf der Leinwand. "Amphibienfilm" ist, dies zur Erläuterung der brancheninterne Name für teure Filme aus Deutschland, die ihre Gelder im Fernsehen und Kino zugleich wieder einspielen sollen, aber in je unterschiedlicher Länge und aus dieser Rücksicht auch in veränderter Form. Amphibienfilme sind nicht Fisch und nicht Fleisch und so sehen sie so gut wie immer auch aus.

Es ist dabei nicht einmal gesagt, dass aus demselben Drehmaterial nicht zwei Werke unterschiedlicher Länge, eins so interessant wie das andre zu erschaffen wären, durch Unterschiede im Schnitt, in der anderen Wahl von Reihenfolgen, Takes, Rhythmen etc. Siehe nur Jacques Rivettes sehr verschiedene, je für sich gelungene Lang- und Kurzfassungen von "Out 1" (ursprünglich fürs französische Fernsehen gedreht) und "Die schöne Querulantin". Das Problem des deutschen Amphibienfilms ist nicht in erster Linie, dass seine Macher beim Dreh immer schon in zwei Richtungen schielen. Das Problem ist, dass sie weder für das eine Medium noch das andere eine Formidee haben. Und also auch keine anderen als quantitative Vorstellungen von beider Differenz.

Dem Regisseur Volker Schlöndorff war die Verfilmung des beseelten Trivialroman-Bestsellers "Die Päpstin" seit Jahren ein Herzensprojekt. Selber schuld, kann man da sagen, aber gut. Er hat sich mit der Constantin zusammengetan, der Firma aus München, die seit Jahr und Tag jene Geschäfte der Risikominimierung betreibt, als die sie mit einem Erfolg, der ihr kommerziell recht gibt, die Verfilmung von Weltbestsellern versteht. Das Geisterhaus und Smilla im Schnee und das Parfum und nun jene "Päpstin", die in ihrem ersten und einzigen Roman Donna Cross aus dem Kaffeesatz apokrypher Kirchengeschichte herauslas.



Man darf sich nicht täuschen. Die Constantin ist nicht der Protagonist einer deutschen Kinoindustrie, sondern ihrer mit viel öffentlichem Geld heraufbeschworenen Simulation. Im Abspann zur "Päpstin" sind die Granden deutscher Bewegtbild-Steuergeld-Förderkultur fast sämtlich vertreten. Vornedran die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, die eine Million in das Werk gesteckt hat und unterm Deckmantel der Kultur einen Subventions- oder jedenfalls Ausfallrisikoauffangbetrieb für Wirtschaftsunternehmen wie die Constantin unterhält. Aber auch die NDR-Fernsehspielchefin seligen Angedenkens Doris J. Heinze hat in den Credits ihren letzten großen Auftritt, bevor es demnächst vom Kino- in den Gerichtssaal geht. Das zeigt alles nur: Es gibt keine deutsche Film-, sondern nur eine mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen heillos verfilzte Filmförderindustrie, die sich als Global Player geriert. Und was sie hervorbringt, sind Möchtegern-Hollywoodproduktionen wie nun eben "Die Päpstin", die mit Hollywood-Maßstäben in Sachen Aufwand und intellektueller Mittelmäßigkeit einigermaßen mithalten, ohne sagen zu können, wozu genau das nun gut sein soll. (Übrigens werden, wie könnte es anders sein, immer wieder auch künstlerisch hoch interessante Projekte unterstützt, wenngleich fast ausnahmslos nach den Wirtschafts-Förder-Maßgaben provinziell kleinkarierter Standortpolitik.)

Eines allerdings lieben diese (wenigen) Damen und (vielen) Herrschaften aus dem Simulationsbetrieb überhaupt nicht: Kritik an ihren Maßstäben und ihrem Gebaren. Das bekam dann Volker Schlöndorff zu spüren, der - weiß Gott in keiner Hinsicht ein Radikaler - in recht fortgeschrittener Phase der Produktion einen Zeitungsartikel schrieb, in dem er sich über die Zumutung, die solche Amphibienfilme unter den gegebenen Bedingungen bedeuten, beschwerte. Naturgemäß hat ihn die Constantin da gefeuert. Und engagierte den biederen Sönke Wort- als Ersatzmann an seiner Stelle, der zuletzt mit scheußlichen Rekonstruktionen deutschen Volksempfindens ("Wunder von Bern", "Deutschland: Ein Sommermärchen") reüssiert hatte. Ausgetauscht wurde auch die Hauptdarstellerin - an Stelle von Franka Potente darf nun die für dergleichen Blödsinn eigentlich viel zu gute Johanna Wokalek gen Rom und Papstthron ziehen.

Herausgekommen ist bei allem Aufwand - 20 Millionen Euro stecken in dem dem Ding - ein Film, der nicht einmal richtig ärgerlich, sondern nur in jeder erdenklichen Hinsicht komplett uninteressant ist. Das Erfolgsrezept des Romans wird, man ist ja nicht blöd, redupliziert. Soll heißen: Moderne Subjektivitäten stecken im attraktiv angeschmutzten mittelalterlichen Gewand. Eine süßsauer verkitsche Feminismus-Light-Gleitcreme überzieht den Unfug mit dem Schmelz des politisch Korrekten, auf dass er dem Publikum widerstandslos runtergeht. Mit komplexeren Fragen von "Passing" und Gender-Crossing wissen Buch oder Regie aber selbstverständlich schon nichts mehr anzufangen. Ausnahmslos alles ist trivial bis zum Gehtnichtmehr - nur Wokalek verleiht ihrem Charakter eine intelligente Sexyness aus von scharfen Rändern umgrenzter Innerlichkeit, die leider weder im Drehbuch noch irgendwo im Rest-Ensemble eine brauchbare Anspielstation findet.



Die Figurenzeichnung fürchtet jeden Anflug von Ambivalenz, wie der Teufel das Weihwasser scheut und die Kirche die Klitoris. Die Bösen sind immer gleich ganz und gar böse und man sieht's sofort an ihren abstehenden Ohren und unattraktiven Frisuren. Gerechter Zorn gilt dem Herrn Papa, der der Tochter, weil sie Frau ist, nichts zutraut. Und der, als christlicher Priester, auch noch die unerfreuliche Illiberalität besitzt, seinem Eheweib den Glauben an Wotan mit Prügeln austreiben zu wollen. Noch gerechterer Zorn gilt dem Nomenclator, der nach oben will und dabei auch über die Leiche des amtierenden Papstes Sergius geht (letztere gespielt von John Goodman, der wenigstens Leben in die Bude bringt). Die Geschichte erzählt, sehr frei nach der Wirklichkeit, aber sehr treu nach der Schmonzetteuse Donna Cross, das Drama der begabten Tochter, die per aspera die Widrigkeiten ad astra beiseiteräumt und, weil der Herr oder der Zufall es wünschen, am Ende - mit Fuck-Buddy Gerold (David Wenham) an ihrer Seite - zur Stellvertreterin Gottes gewählt wird, um zuletzt aus der offiziellen Geschichte getilgt zu werden.

An den digitalen und auch den mit der Ausstattungsassistenten Hände errichteten Kulissen des Films ist, immerhin, das schöne Geld abzulesen, das in ihren Bau floss. Für einen Gedanken, der nicht im Kitsch ersöffe; für eine Regung, die übers Nächstliegende hinausginge; für eine einzige Einstellung, Komposition, Kamerafahrt oder Bildidee, die mehr als Illustration wollte; für ein Gefühl, dass nicht aus zweiter oder dritter Hand stammte - für alles also, was aus der Verfilmung von Trivialliteratur anderes als ein mediokres Filmchen mit Weltliga-Ambition gemacht hätte, war dagegen sichtlich nicht das Geld und nicht das Talent und nicht der Wille vorhanden. Schlimmer noch: Es fehlte schon die Idee, dass man mit einer im Grund ja dollen Fantasy-Geschichte wie dieser etwas anderes tun könnte, als auf direktestem Weg den Geldbeutel eines Publikums-Mainstreams zu adressieren. "Die Päpstin" ist ein Film, dem man eigentlich noch zu viel Ehre antut, wollte man sagen, er sei auf die Nase geflogen. Er wollte, wie's aussieht, nie hoch hinaus. So krabble und schwimme er doch dahin.

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Ebenfalls in dieser Woche läuft ein Film an, der alles besitzt, was einem amphibischen Nichts wie der "Päpstin" fehlt. Nur dass sich seine Produktionskosten auf nicht einmal ein Prozent jenes Werks belaufen, mit dem er in den Kinos der Republik nun natürlich nicht im Ernst konkurriert. Kelly Reichardts "Wendy & Lucy" ist, ganz zu Recht, von den zuständigen kritischen Stellen als einer der schönsten Filme des vergangenen Jahrs längst gefeiert. Nun nimmt sich der ans Berliner fsk-Kino angeschlossene Peripher-Verleih das Herz, das man braucht, um ein kleines Meisterwerk wie dieses unter die paar Leute zu bringen, die von seiner Existenz je erfahren werden.

"Wendy & Lucy" ist ein Film von großer und anrührender Einfachheit, einer Einfachheit, die um die große Kunst, die in ihr steckt - als Kunst des Verzichts auf alles, was falsch ist - kein Aufhebens macht. Er erzählt von Wendy (Michelle Williams), einer jungen Frau, die ohne festen Wohnsitz und ohne Handy unterwegs ist in Richtung Alaska. Dort will sie in einer Fischkonservenfabrik Arbeit finden, der Weg ist noch weit. Sie hat ein Auto, in dem sie schläft, sie hat als einzige Begleiterin die Hündin Lucy, die sie liebt. Das Auto und Lucy kosten aber auch Geld, das sie nicht hat. In einem Ort im Bundesstaat Oregon gerät die prekäre Existenzform am Rand der Gesellschaft in eine Krise.

Das Auto springt nicht mehr an. Das Hundefutter geht aus. Wendy sucht einen Supermarkt auf und klaut Futter für Lucy. Sie wird erwischt, ein junger und in erster Linie selbstgerechter Angestellter des Ladens sieht sich als Vertreter von Recht und Gesetz und übergibt Wendy der Polizei. Sie lässt notgedrungen Lucy zurück, verbringt Stunden auf dem Revier. Ihre Identität wird festgestellt, Fingerabdrücke werden genommen, die Strafe bezahlt sie vom wenigen Restgeld gleich an der Kasse. Als sie Lucy da abholen will, wo sie sie zurücklassen musste, ist diese verschwunden. 

Von einer Gesellschaft, in der es zu so was leicht kommt, erzählt ohne große Anklagegesten Kelly Reichardt. Sie verbleibt dabei auf der Ebene der Konkretion. Das war schon die Stärke des Vorgängerfilms "Old Joy" und erweist sich so als des eigenen Tuns sehr bewusste Methode. Der Zustand, in den Wendy gerät, ist, als eine von viele Geschichten, die man aus ihr erzählen kann, der Zustand der amerikanischen Gegenwart. Schnell ist, wer nicht alles mitmachen will, durch die weiten Maschen der Netze gerutscht, die denen am Rand Hilfe zu leisten eigentlich da sind. In diesem Zustand sieht sich das Individuum zurückgeworfen: auf sich selbst, auf eine treue Hundeseele und auf Mitmenschen guten Herzens. Einen solchen gibt es durchaus, es ist der Wächter eines Parkplatzes, von dem er, weil es der Job fordert, Wendy zu Beginn des Films vertreibt.

Die amerikanischen Mythen - vom Aufstieg, von der Freiheit des Unterwegsseins - haben ihre schmutzige Rückseite. "I'm passing through", sagt Wendy, die in dieser amerikanischen Allterwelts-Kleinstadt feststeckt, wieder und wieder. Es ist genau dieser Ausdruck, der schon in Monte Hellmans Road-Movie des Absurden "Two-Lane Blacktop" aus dem Jahr 1971 die zentrale Ortsangabe war. Als Diagnose eines amerikanischen Traums, der von der Freiheit des einzelnen berichtet, auf verlorenem Posten unterwegs und damit in Wahrheit von jeder Partizipation an der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein. Immerzu fahren die Züge durchs Land, kein Geräusch hört man im Lauf des Films so häufig wie das im Amerika zwischen den Küsten tatsächlich allgegenwärtige Zugsignal. Es mag mal der Sound des Aufbruchs gewesen sein und des Fortkommens. Hier wird's zum Leitmotiv der Verlorenheit. Wie die Hobos in der Depression der Dreißiger Jahre macht sich am Ende Wendy im Frachtzug davon.

Kelly Reichhardt protokolliert einen Beispielfall und gibt ihm Tiefe und Individualität. Wunderbar ist Michelle Williams, die die Willenskraft ihrer Figur, aber auch ihre Verzweiflung in kleinen Gesten offenbart. Gesten sind das, denen man anmerkt, dass an sie keine Energie verschwendet werden darf, weil man die für den Kampf an anderer Stelle noch braucht. Reichardt fängt in ihren Bildern die Verlorene auf. Sie erklärt ihrer Protagonistin ohne Anbiederung, ohne falsche Töne und Gesten und mit großer Beobachtungsgabe unmissverständlich ihre Solidarität. Mehr tut sie nicht. Ein kleiner Film, aber er enthält eine Welt.

Die Päpstin. Deutschland / Großbritannien / Italien / Spanien 2009 - Regie: Sönke Wortmann - Darsteller: Johanna Wokalek, David Wenham, John Goodman, Iain Glen, Anatole Taubman, Jördis Triebel

Wendy & Lucy. USA 2008 - Originaltitel: Wendy and Lucy - Regie: Kelly Reichardt - Darsteller: Michelle Williams, Will Oldham, Will Patton, Larry Fessenden, Walter Dalton, John Robinson, Michelle Worthey, John Breen