Im Kino

Proben, Üben, Vorbereiten

Die Filmkolumne. Von Thomas Klein, Nikolaus Perneczky
02.06.2016. Ein entspanntes Treiben, bei dem trotzdem alle möglichen Lernprozesse mitlaufen, zeigt Richard Linklaters Achtzigerjahre-Collegekomödie "Everybody Wants Some!!". Neue Wege für das Genre des Umweltschutz-Dokumentarfilms erkundet "Tomorrow" von Cyril Dion und Mélanie Laurent.


"Everybody Wants Some!!" ist ein Film über eine Gruppe halbwegs aufgeklärter Jocks an einem College irgendwo im amerikanischen mittleren Westen Anfang der 1980er Jahre. Die Achtziger waren die erste und in mancher Hinsicht unübertroffene Hochzeit des Highschoolfilms, Regisseur Richard Linklater verschiebt den Fokus jedoch von den Teens, die das Komödienuniversum des Meisters John Hughes bevölkerten, auf die beginnende Volljährigkeit. Wie damals Hughes geht es auch Linklater vor allem um Zeitformen der Latenz, ums Danach und Davor: nach der Kindheit, vor dem Erwachsensein. Aber auch: nach der Schule (in den Semesterferien), vor der Schule (das Hinlaufen zum Schulbeginn).

Die Wochen, dann Tage, schließlich Stunden vor Beginn des Lernalltags werden in Everybody Wants Some!! vermittels eines betont unregelmäßig eingeblendeten Countdowns heruntergezählt. Im Intervall: homosoziales Rudelwesen in eng sitzenden Leibchen und weißen Tennissocken, Ausgehen und Rummachen (Disco-Ausklänge, Punk-Anfänge, Country-Renaissancen), bekiffte Selbstfindung und allerlei Probehandeln. Eingeübt werden soll eigentlich das Baseballspielen, aber bevor wir dem ersten Training beiwohnen ist der Film schon halb vorbei. Es bleibt dann auch beim Training: der Ernstfall wird uns konsequent vorenthalten - das trifft nicht nur auf den Ballsport zu, sondern auf das ganze ziellose Treiben.

"Everybody Wants Some!!" verausgabt sich im Abhängen. Es kann dauern, bis man erfolgreich eingelullt ist in die nach Männerschweiß riechende Atmosphäre des Films, und es besteht (wie in anderen Linklater-Filmen auch) das Risiko, dass man nicht hineinkommt in den Groove. Individualpsychologische Identifikationsangebote gibt es schon, aber nur sehr skizzenhafte. Bestimmend bleibt der Kollektivkörper, auf den man sich einlassen kann oder nicht. Niemand wird hier zu etwas genötigt: lässig, zurückgenommen, ohne nennenswerten erzählerischen Drive gurkt der Film über den ferialen Campus, die Situationen, die er eher anhäuft als entwickelt, haben selten so etwas wie einen Ausgang. Es stellt sich eine Vertrautheit ein mit den Figuren wie man sie sonst eher aus Fernsehserien kennt, besonders aus der Sitcom, deren Personal sich auch weniger entwickelt als wiederholt, beim Probehandeln ohne verbindlichen Ausgang, um unendliche Variabilität und immerwährende Anschlussfähigkeit zu garantieren.



Proben, Üben, Vorbereiten, aber auf was eigentlich? Vielleicht sind das doch die falschen Begriffe, denn sie verweisen auf ein Eigentliches, für das sich der Film so gar nicht interessiert. Nicht zufällig endet "Everybody Wants Some!!", wo andere Filme anfangen: am ersten Schultag. Just wenn der College-Professor - vom Baseballcoach abgesehen der erste seiner Art, den wir zu Gesicht bekommen - den Hörsaal betritt und mit einer vertrauten, abgedroschenen Geste die Aufmerksamkeit der Hörer auf sich zu ziehen sucht, bettet der Pitcher Jake, der die letzte Nacht durchgemacht hat, den Kopf auf die vor sich verschränkten Arme und schließt die Augen. Abblende, Schlusslied: Let the Good Times Roll. Jake tut dies nicht, weil er ein dummer Jock ist, dem das Lernen nichts sagt. Im Gegenteil: Er und seine Sportfreunde waren die ganze Zeit schon, lange bevor der Lehrer sie als Lernende adressiert und zur Raison ruft, am Lernen. Vor der formalen Ausbildung und dem Ernst des regelbasierten Spiels liegen the good times: die gute Zeit, in der alle möglichen Lernprozesse - gelebt, körpernah, darum aber um nichts weniger anspruchsvoll - immer schon ablaufen, auch und gerade, das ist der springende Punkt, in der Partybruchbude der Baseballstipendiaten, in der Disco, beim telefonischen pillow talk etc.

Dass dieses außer- bzw. vorakademische Lernen in den 80er-Jahren ausgespielt wird, hat viele schöne Set- und Ausstattungsdetails zur Folge und weist "Everybody Wants Some!!" zudem als Sequel im Geiste von Linklaters 70s-Teenie-Sittengemälde "Dazed and Confused" (1993) aus, das näher bei den Freaks and Geeks als bei den Jocks zu liegen kam. Nun also der Anfang der 1980er als das Ende der 1970er, als Refugium auch einer bestimmten, gegenwärtig nicht mehr ohne weiteres verfügbaren Idee von arg- und harmloser All-Americanness, wo Sex selbstverständlich in beiderseitigem Einverständnis geschieht (ein Türschild bedeutet, dass dahinter "consensual fornication" im Gang ist) und selbst männerbündlerisches Bullying sich stets in allseitiges, auch die Opfer einschließendes Gelächter auflöst.

"Everybody Wants Some!!" wird als bro-affine Komödie vermarktet, und ein paar deftige, auf Unterleibslacher hingeschriebene Lines gibt es tatsächlich. Aufs Ganze gesehen dominiert aber ein anderer Affekt, verkörpert in einem stetig sich verbreiternden, ansonsten aber nur minimal modulierenden Grinsen, das von keinem konkreten Anlass rührt, sondern aus der gelassenen Atmosphäre heraus, die Linklater mit links vor uns ausbreitet, zur distinkten Möglichkeit wird, wenn man nur will.

Nikolaus Perneczky

Everybody Wants Some!! - Regie: Richard Linklater - Darsteller: Blake Jenner, Juston Street, Ryan Guzman, Tyler Hoechlin, Zoey Deutch, Waytt Russell, Laufzeit: 117 Minuten.

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Mit "Eine unbequeme Wahrheit" begann der Dokumentarfilm vor etwa zehn Jahren zu einer Art Agent der Aufklärung über den Klimawandel zu werden. Mit Al Gore als Protagonist stand die Warnung auf der Basis von Fakten, von gesichertem Wissen im Vordergrund: Umweltkatastrophen auf der ganzen Welt sind Auswirkungen des Klimawandels und dieser ist menschengemacht. Wenn der Mensch nichts dagegen unternimmt, werden die Katastrophen zunehmen und schlimmer werden.

Dies, so könnte man sagen, ist die Katastrophenszenario-Variante des Öko-Dokumentarfilms. Oder auch das Pendant dessen, was Susan Sontag als Katastrophenphantasie der Science-Fiction bezeichnet hat. Wenn der Mensch so weiter macht wie bisher kommen Godzillas dabei heraus (die metaphorische Variante) oder Großstädte werden überschwemmt (die realistische Variante). Es ist bekannt, dass die Science Fiction bis auf wenige (wenngleich bedeutende) Ausnahmen keine positiven Utopien geliefert hat. Mit der Dystopie kommt sie wesentlich besser zurecht.

Das galt bisher auch für den Dokumentarfilm. Bilder von Grafiken ansteigender Temperaturverläufe, Bilder aber auch von Kindern, die auf Müllbergen nach etwas Verwertbarem suchen, Bilder der Massentierhaltung und der Tierquälerei, Bilder unfassbar großer Rodungen im Regenwald Brasiliens: Sie zeigen zwar etwas, was schon da ist, verweisen in ihrem Gestus der Warnung aber auf etwas noch Schlimmeres in der Zukunft. Sie formulieren Dystopien auf der Basis der bereits existenten verheerenden Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt.

Seit ein paar Jahren schlagen Dokumentarfilme eine andere Richtung ein. In "Taste the Waste" (2011) ist das bereits zu erkennen. Da werden Praktiken von Unternehmen kritisiert, aber außerdem Alternativen gezeigt, Formen des Handelns vorgeführt, die die breite Öffentlichkeit noch nicht kennt. Mit ethnografischem Gestus begibt sich der Film auf die Suche nach Lebensweisen, die das konventionelle Konsumhandeln unterlaufen. Die neue Richtung besteht darin, in unserer Gegenwart menschliches Handeln zu zeigen, das andere Wege beschreitet, das sich Marktgesetzen widersetzt, das mit der Umwelt kooperiert und diese nicht ausbeutet.



"Tomorrow" ist ein solcher Film. Und er zeigt, wie erfolgreich Filme damit sein können. In Frankreich mit dem César ausgezeichnet, erreichte er dort bereits über 800.000 Zuschauer. Ausgangspunkt ist auch hier ein Katastrophenszenario: eine im Juni 2012 im wissenschaftlichen Journal "Nature" veröffentliche Studie, wonach es zwischen 2040 und 2100 zu einem Zusammenbruch der Ökosysteme auf der Erde kommen werde, wenn der Mensch seine Gewohnheiten nicht ändert. Anschließend leitet der Film geschickt zu seinem eigenen Zugang über: Einer der Protagonisten erzählt, dass der Mensch zwar viele Schreckensszenarien für die Zukunft erfinden könne, von Virenseuchen über gigantische Tsunamis bis zu Zombies. Geschichten über einen Wandel (im Nachhaltigkeitsdiskurs ist auch von der großen Transformation die Rede), fänden sich aber kaum.

Es ist genau dies, was der Film im folgenden will: er zeigt Menschen und Initiativen, die auf der ganzen Welt einen Wandel auf lokaler Ebene bereits eingeleitet haben. In zehn Länder sind die beiden Filmemacher Cyril Dion und Mélanie Laurent hierfür gereist. Sie stellen Aktivisten und Unternehmungen vor, die für Zuschauer, die sich noch nicht oder nur wenig mit dem Thema beschäftigt haben, sehr informativ sind und zeigen, was alles möglich ist: Urban Gardening in Detroit, das inzwischen die Hälfte der in der Stadt benötigten Nahrungsmittel produziert; Landwirtschaft in der Normandie, die auf Permakultur basiert; städtische Mobilität in Kopenhagen, die das Fahrrad zum wichtigsten Verkehrsmittel macht; eine lokale Währung in der englischen Stadt Totnes, die sich damit unabhängig von Finanzmärkten macht; Schulen in Finnland, die Lernen als Vorbereitung auf das Leben verstehen.

Es ist aber nicht nur die breit gefächerte Informationsvermittlung, die den Film so gelungen macht. Denn von all diesen Handlungsweisen verschiedener Menschen in verschiedenen Teilen der Welt berichten die Filmemacher mit einer durchdachten Leichtigkeit, einer fast kindlichen Neugier für das, was sie auf ihrer Reise vorfinden. So etwa in einer Szene, wenn sich Cyril Dion von einem Ökonomen erklären lässt, wie Banken funktionieren. Diese Suche ist als Road Movie angelegt, das Filmteam zeigt sich selbst beim Unterwegssein. Damit wird die Suche und die Neugier für das Neue greifbarer und menschlicher. Mit der Wahl des Road Movies als narrativen Modus einher geht die Wahl von Popmusik als Soundtrack. Während in anderen Umwelt-Dokumentarfilmen, vor allem Fernsehproduktionen, mit Instrumental- bzw. Orchestermusik gearbeitet wird, die mal unerträglich pathetisch, mal unerträglich belanglos daherkommt, wird hier auf Musik von Fredrika Stahl zurückgegriffen, einer schwedischen Sängerin, die in Frankreich lebt und arbeitet.

Den titelgebenden Song "Tomorrow" hat sie den Regisseuren Cyril Dion und Melanie geschickt, nachdem sie den Trailer zum Film sah. Darin heißt es: "Believe we can change for the better / Make the good things down the line / Tomorrow we'll reap what we sow today / Tomorrow will be if we change". In Frankreich sind viele Menschen infolge der besorgniserregenden Ergebnisse der Front National bei den Regionalwahlen 2015 diesem Ruf nach einem Wandel gefolgt und haben den Film mit einer erfolgreich verlaufenen Crowdfunding-Kampagne ermöglicht. In zwei Tagen kamen 200.000 Euro zusammen. Vielleicht hat hierzulande der Frust über die Erfolge der AfD einen ähnlichen Effekt.

Thomas Klein

Tomorrow - Frankreich 2015 - OT: Demain - R: Cyril Dion / Mélanie Laurent, Laufzeit: 118 Minuten.