Im Kino

Docht in der Lampe Buddhas

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Robert Wagner
20.05.2020. Mit Wortwitz und atemberaubender Akrobatik zeigt Jeffrey Lau in "A Chinese Odyssey",  dass Logik und Verstehen völlig überbewerte Konzepte fürs Filmschauen sind. Anthony Hickox' "Hellraiser III: Hell on Earth" - ein Querschläger im amerikanischen Horrorkino - erzählt von lesbischer Liebe, ohne darum großes Aufheben zu machen.


In Kritiken gibt es standardmäßig Angaben dazu, welche Handlung ein Spielfilm erzählt. Und da starten die Probleme mit "A Chinese Odyssey" bereits. Die beiden Filme aus dem Jahr 1995 - der erste Teil heißt im Untertitel "Pandora's Box", der Zweite "Cinderella" - erzählen eine zusammenhängende Geschichte, die an das im 16. Jahrhundert entstandene Buch "Die Reise in den Westen" angelehnt sind, einen der vier sogenannten klassischen chinesischen Romane. Wer diesen nicht gelesen hat, sich nicht näher in chinesischer Folklore auskennt oder nicht anderweitig tiefer in der Materie steckt, wird ohne große Erklärungen mit Affen- und Bullenkönigen, Menschen mit Schweinegesicht und mit Schwestern, die eigentlich der Docht in der Lampe Buddhas sind, konfrontiert; mit Unsterblichen, buddhistischen Gottheiten und Dämonen, die mal Menschengestalt haben und mal riesige Spinnenwesen sind; mit Liebesschicksalen, die an Schwerter gebunden sind, Zeitreisekästen, hypnotisierendem Armbandgeklimper; mit Unterredungen mit einem noch im Körper befindlichen Herzen und und und. Für den Laien sind die beiden Filme gelinde gesagt herausfordernd.

Aber das ist noch nicht alles. Es ist fast unmöglich, das Hin und Her der Geschichte auf wenige Punkte runterzubrechen. Wer sich nach zwei, drei Sichtungen mehr als die gröbsten Strukturen vergegenwärtigen kann, darf sich glücklich schätzen. Wir starten mittendrin und befinden uns von Anfang an in einer Geschichte voller Schleifen, Spiegelungen und Wiederholungen. Zeitsprünge von 500 Jahren, in beide Richtungen, sind an der Tagesordnung. Da manche Figuren unsterblich sind, manche reinkarniert werden und nicht alle Teil der Zeitreisen sind, gibt es ein gehöriges Wirrwarr.



Alleine die Figurenkonstellationen sind äußerst komplex und werden auch von den Handelnden selten überblickt. Die Hauptfigur, der Affenkönig (Stephen Chow) - bevor seine Reinkarnation abgeschlossen ist, trägt er den Namen "Witzbold" - wird in einer Szene sein vergangenes Ich beobachten, das zugleich auch das Ich ist, dass er werden wird. Zudem tauschen die Figuren ihre Körper untereinander oder müssen sie mit anderen teilen. Da der unter der Regie von Jeffrey Lau entstandene Zweiteiler vor allem Interesse an Geschwindigkeit, Chaos und Nonsense hat, gibt es auch keine Pause, um das alles zu verarbeiten. Erklärungen, die einen Schritt zurücktreten, um das größere Ganze zu überblicken, schon gar nicht.

Wer sich dies alles unter der Lupe anschaut, findet bestimmt allerhand Logiklöcher. Schauen wir zwanglos, dann "verstehen wir nicht". Dass Logik und Verstehen völlig überbewerte Konzepte fürs Filmschauen sind, dafür ist "A Chinese Odyssey" aber ein beredter Zeuge, denn vor allem sind die Filme grandios. Wo sie albern sind - und sie sind es sehr, sehr oft -, da sitzen Timing, Mimik und Gestik perfekt. Kein Fünkchen Besonnenheit behindert noch den absurdesten Wortwitz und die quatschigste physische Pointe. Wo die Filme romantisch sind - beide Teile enden nach gnadenlosem Unfug als melancholische Melodramen -, da gibt es keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Gefühle. Das Rauschen von wehenden Kleidern und Fahnen durchdringt beispielsweise mitunter die Tonspur. Durch die auf solchem Wege geschaffene Intensität der Sinne/der Sinnlichkeit wird auf Zärtlichkeit ebenso wie auf eine Verletzlichkeit hingewiesen, die die Figuren gerne voreinander verstecken. Die Tragik des Gefühls liegt gerade darin, dass niemand mit ihm hausieren geht. Und wo der Film sein fantastisches Abenteuer betont, da sind die Masken und Dekors voller Charme und ebenso fantasievoll, wie die Action halsbrecherisch ist - ein Tanz, ein Hohn auf die Physik.



Und am besten ist "A Chinese Odyssey", wenn es von allem so viel auf einmal wie möglich gibt und die Filme in ihrem aberwitzigen Reichtum schwelgen. Wenn beispielsweise der, der bald wieder Affenkönig sein wird, eine Unsterbliche manipulieren möchte und ihr deshalb, lügend, seine Liebe gesteht, dann überschlagen sich in seiner Erklärung wirre Wahrheit und offene Lüge. Vor allem jedoch wird er zur Karikatur. Wo sonst einzelne Tränen fließen, da strömt bei ihm ein Sturzbach. Eines der effektivsten Werkzeuge des Films ist das Schauspiel Stephen Chows, der mittels heruntergekochtem Overacting der Dreistigkeit seiner Figuren etwas Liebenswertes abgewinnt - das ist auch der Charakter der Filme: charmante Dreistigkeit. Das Tragische der Situation aber ist, dass er lediglich meint, zu lügen. Tatsächlich belügt er vor allem sich selbst, wenn er denkt, dass seine Gefühle nicht echt wären.

So vertrackt die Handlung von "A Chinese Odyssey" auch ist, in den einzelnen Situationen herrscht Klarheit. Witzbolds Schritt steht in Flammen, also muss das Feuer - so der Running Gag von "Pandora's Box" - möglichst wuchtig ausgetreten werden. Zwei Liebende stehen sich gegenüber und doch sind sie vom Schicksal getrennt. Einfache Situationen, die spektakulär mit Leben gefüllt werden. Einer der Körpertausche führt dazu, dass Witzbold seine Geliebte küssen muss, die nun in einem Körper mit Schweinekopf steckt. Jede Annäherung hat zur Folge, dass er sich übergeben muss. Wenn die Schweinsmaske sich mit gespitzten Lippen der Kamera nähert, dann bleibt es jedoch eben nicht bei der Ekelpointe, sondern uns wird die Frage in den Kopf gepflanzt, ob wir diese Körperhülle wirklich küssen würden, wenn darin jemand steckte, den wir liebten. Das Tohuwabohu drumherum, also der Plot, ist lediglich Ausstattung.



Netflix verfolgt einen sehr eklektischen Ansatz. Das Nischenangebot, das im Katalog versteckt wird, zu dem nur gezieltes Suchen oder unvorhersehbarer Zufall führen, sieht ein bisschen nach Ramschladen aus. Nichtsdestotrotz haben sie ein kleines, mitunter feines Sortiment asiatischer Filme. (Alleine die Suchbegriffe Stephen Chow und Herman Yau führen zu einigen Perlen.) Viele davon waren vorher nie in Deutschland greifbar. Manchmal gibt es sie lediglich in fürchterlichen englischen Synchronfassungen, manchmal sind die Ergebnisse besser, als man es für den deutschen Markt je zu träumen wagte. "A Chinese Odyssey" fällt in die letztere Kategorie, weshalb auch hierzulande endlich bezeugt werden kann, dass es am Ende zu verstehen reicht, dass wir einem außergewöhnlichen reichhaltigen Film gegenüberstehen, der uns zu überwältigen sucht. Logik und Verstehen sind angesichts dessen nur unnötiger Kontrollzwang.

Robert Wagner

A Chinese Odyssey Part I & II - Hongkong 1995 - Regie: Jeffrey Lau - darsteller: Stephen Chow, Athena Chu, Ng Man-tat, Yammie Lam, Karen Mok - Laufzeit: 87 + 95 Minuten. A Chinese Odyssey bei Netflix.

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Der Grund, weswegen ich über diesen Film schreiben wollte, ist eine Szene, die mir seit ich ihn vor ein paar Wochen wiedergesehen habe, nicht mehr aus dem Kopf geht. Streng genommen ist es gar keine Szene, sondern ein Detail, das im Film mehrmals vorkommt, sich beinahe leitmotivisch wiederholt, einmal auch explizit in den Dialogen erwähnt wird; es ist der Blick auf die Skyline von Manhattan aus dem Fenster der Protagonistin des Films, der Fernsehreporterin Joanne "Joey" Summerskill (Terry Farrell). Das Faszinierende an diesem Ausblick ist, wie künstlich und irreal er wirkt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das eine Rückprojektion ist - oder aber, ob die Stadt aus dieser Perspektive tatsächlich so aussieht. Jedenfalls erinnert mich dieses Bild weniger an eine reale Skyline, als an eine Studio-Skyline-Attrappe - wie sie sich etwa in Formvollendung zu Beginn eines Films von Dorothy Arzner von 1932 findet, dessen Titel in diesem Kontext ein ziemlich faszinierender Zufall ist: "Merrily We Go to Hell".

In "Hellraiser III" begegnet uns dieser Blick zum ersten Mal, als die junge Terri (Paula Marshall) Joey Abends in ihrer Wohnung besuchen kommt. Der Kontakt zwischen ihnen kam zustande, weil die auf der Straße lebende Terri Zeugin war, wie ein Mann in einem Krankenhaus von den Zenobiten, jenen aus den ersten beiden "Hellraiser"-Filmen bekannten Dämonen, in Stücke gerissen wurde. Joey wittert eine große Story, die ihr einen Ausweg aus aus der Sackgasse bietet, in der ihre Karriere steckt. Als Gegenleistung für ihre Hilfe lässt sie Terri bei sich wohnen. Die Romanze, die sich daraus ergibt, wird einerseits, für einen Film von 1992 sonderbar prüde, nur angedeutet. Andererseits mag das als ein Versuch des Regisseurs Anthony Hickox und der Drehbuchautoren Peter Atkins und Tony Randel gelesen werden, von lesbischer Liebe zu erzählen, ohne darum großes Aufheben zu machen.



Nun also ist Terri das erste Mal in Joeys Wohnung. Neugierig lüftet sie einen Vorhang ein Stückchen, um einen ersten Blick auf die Lichter der benachbarten Appartementhäuser zu werfen. Als es wenig später zu einem Streitgespräch zwischen den beiden Frauen kommt, eilt Terri schnaufend zum Fenster und reißt die Vorhänge auf. Eine mehrdeutige Geste, die zunächst aus der Situation heraus als eine Art Überschusshandlung fungiert: Terri möchte, ganz buchstäblich, ihrer Wut Luft zu machen. Aber dann erzählt dieser Moment auch allgemeiner von einer Frau, die verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrer Lage sucht; und nichts weiter findet, als den Abgrund der Straßenschluchten New Yorks (und der Möglichkeit des Sprungs in den Tod?) Damit bleibt ihr nur die Konfrontation mit Joey als Flucht nach vorne. Zugleich schafft sie durch das Aufreißen der Vorhänge eine neue Bildordnung: sie eröffnet die Bühne, auf der das Drama der Beziehung der beiden Figuren aufgeführt wird. Dabei passt das Künstlichkeit der Kulisse ebenso ins Bild wie das eher hölzerne Spiel Paula Marshalls. Bei einem Gespräch am nächsten Morgen türmen sich die Wolkenkratzer draußen vor dem Fenster bedeutungsvoll zwischen den Gesichtern der beiden Figuren auf.

Von dieser Schlüsselszene aus laufen verschiedene narrative und visuelle Fäden durch den Film. Das Motiv wiederholt sich später, wenn es nunmehr an Joey ist, Vorhänge zu öffnen, hinter denen ein Fenster liegt, durch das sie in die Hölle gelangt, in der die Zenobiten unter der Führung Pinheads (Doug Bradley) das Sagen haben. In der Art, wie diese Szenen einander spiegeln, mag man zunächst einen bissigen Kommentar auf die Lebenswelten der beiden Figuren ausmachen: für das Straßenmädchen Terri ist ein derart herrschaftlicher Blick über die Stadt genauso irreal, wie für die wohlhabende Joey das Schreckensreich der Zenobiten. Dann geht es aber auch um den topischen Aufbau eines Architekturfilm reinen Wassers, dessen Figuren allesamt auf ihrem Weg vom Himmel (in den die Wolkenkratzer Manhattans ragen) durch die Welt zur Hölle stecken geblieben zu sein scheinen: Wo für Terri die Skyline eine unüberwindbare Grenze markierte, führt für Joey der einzige Ausweg nach innen, ins eigene Unbewusste, die Welt ihrer Albträume.



Vielen Fans gilt der dritte "Hellraiser" (dem bis 2011 fünf weitere, zunehmend unter jeglichem Radar fliegende Sequels folgten) als Beginn des Niedergangs der Reihe. Das stimmt insoweit, als Hickox` Film mit Clive Barkers spezifischer, surrealistischer Höllenvision aus den ersten beiden Filmen mit ihren deutlichen Anklängen an BDSM- und Fetisch-Kultur nicht mehr allzu viel zu tun hat. Das bedeutet allerdings weder, dass der Film misslungen noch, dass er sonderlich generisch wäre. Vielmehr ist er ein ziemlich seltsamer, idiosynkratischer Querschläger im amerikanischen Horrorkino seiner Zeit, der relativ heterogene Elemente in seine Struktur zu integrieren versucht. In den Szenen um den Nachtclub "The Boiling Room" etwa, der von Terris Exfreund J. P. Monroe (Kevin Bernhardt) betrieben wird, bekommt Barkers Hölle eine technologische Komponente. Das finale Massaker in dem Club gestaltet sich als ein Aufstand zeitgenössischer Unterhaltungstechnologie gegen die Menschen, die so in eine neue High-Tech-Generation von Zenobiten verwandelt werden. Dabei werden CDs zu tödlichen Wurfgeschossen. Die Idee ist gut, die Ausführung leider eher albern.

Das gleiche gilt für den Auftritt Pinheads als Höllenpriester in einer Kirche, bei dem er fast zur Comicfigur wird, was sich nicht wirklich stimmig in den Ton des Films einfügt. In einem Subplot gelangt Joey durch eine Reihe von Albträumen zu ihrem Vater, der vor ihrer Geburt im Vietnamkrieg gefallen ist; und somit auch in ein kollektives US-amerikanisches Unbewusstes, das allerdings durch seine starke filmhistorische Vermittlung keine wirkliche Intensität aufzubauen vermögen - Bilder aus Vietnam scheinen zu Beginn der Neunziger immer schon mehr auf Filmbilder des Krieges als auf diesen selbst zu verweisen.

Der Reiz des Films liegt eher in der prekären Situation aller seiner Figuren begründet. Das zeigt sich besonders deutlich an Monroe. Trotz der machohaften Brutalität, mit der er seine Machtposition behauptet, hat die Figur, die noch beim Sex eine Kippe zwischen den Lippen behält, mit der sorgfältig gestylten Tolle und den chromblitzenden Stahlkappen auf den Cowboy-Stiefeln, etwas zutiefst Anachronistisches. Seine ätzende Misogynie, für die Sex ausschließlich ein Mittel zur Unterwerfung ist, scheint zugleich Rache an den Frauen für ihre Emanzipation nehmen zu wollen und ein letztes Aufbäumen einer Männlichkeit zu sein, die längst nicht mehr hegemonial ist: während ein neues Jahrtausend naht, nimmt er sich aus wie die Karikatur eines Bullys aus der Mitte des vergehenden.

"Hellraiser III: Hell on Earth" ist letztlich ein Film über den Kampf von Menschen gegen ihre eigene Bedeutungslosigkeit am Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn wir Joey in ihrer ersten Einstellung in einem Fernsehbildschirm sehen, in den sie eingeschlossen zu sein scheint, wie in ihr eigenes kleines Gefängnis, handelt der ganze Film letztlich von einem vergeblichen Ausbruchsversuch. In diesem Kontext ist die letzte Einstellung mehr als ein narrative und visuelles Gimmick: Dadurch dass der Zauberwürfel, mit dem in der Filmreihe stets die Kräfte der Hölle beschworen werden, zu monumentaler Architektur aufgeblasen wird, ist die Hölle auf Erden komplett. Es gibt kein Außen mehr.

Nicolai Bühnemann

Hellraiser III: Hell on Earth - USA 1992 - Regie: Anthony Hickox - Darsteller: Paula Marshall, Terry Farrell, Kevin Bernhardt, Lawrence Morthoff, Ken Carpenter - Laufzeit: 97 Minuten. "Hellrasier III" bei Amazon (auch auf anderen Portalen erhältlich).