Im Kino

Geschlechterpolitischer Gegenschlag

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
18.08.2021. Carey Mulligan macht in "Promising Young Woman" Jagd auf übergriffige Männer. Emerald Fennell hat einen Rape-Revenge-Film für die MeToo-Ära gedreht - mit allen Problemen, die ein solches Unterfangen mit sich bringt.

Schuss-Gegenschuss heißt eine filmische Technik, die abwechselnd zwei Figuren ins Bild setzt, während diese miteinander kommunizieren. Eine der ältesten und vermeintlich konservativsten visuellen Kinokonventionen - die in "Promising Young Woman" eine unerwartet radikale Wendung erfährt. Es beginnt damit, dass Jerry (Adam Brody) alles daran setzt, eine Schuss-Gegenschuss-Konfrontation mit Cassie (Carey Mulligan) zu vermeiden. Er gabelt die volltrunken wirkende Frau in einer Bar auf, lotst sie zunächst in seine Wohnung und dann in sein Bett. Nun liegt sie vor ihm, regungslos, wie ausgeknockt, er streift ihr den Slip über die Beine, drückt ihr die Knie auseinander, nähert sich ihrem Unterleib - aber dann ist da plötzlich ihr Gesicht, mit ihm auf Augenhöhe und hellwach. Mit anderen Worten: "Promising Young Woman" inszeniert einen unerwarteten Gegenschuss, der der Verfügungsgewalt über einen weder willigen noch artikulationsfähigen Körper, die Jerry sich angemaßt hatte, ein jähes Ende setzt und ihn mit einem Schlag in ein stammelndes Wrack verwandelt.

Genau darauf hat es Cassie abgesehen, wenn sie sich abends, nachdem sie ihren dead-end-dayjob als Cafebedienung hinter sich gebracht hat, als vermeintlich "leichte Beute" verkleidet und auf Arschlochjagd geht: Sie will aufzeigen, wie sich eine soziale Situation mit einem Schlag verändert, wenn sie dem Mann, der sie eben noch schwer narkotisiert wähnte, plötzlich ausgenüchtert entgegentritt. Wenn sie eine egalitäre Schuss-Gegenschuss-Beziehung herstellt, wo sich vorher ein Subjekt-Objekt-Machtgefälle auszuagieren schien. Allerdings: wem will sie das zeigen? Den Männern? Sich selbst? Uns im Publikum? Da fangen die Probleme des Films schon an.













Was genau Cassie über die bloße Demaskierung eines übergriffigen, intimste Grenzen überschreitendenden männlichen Kalküls hinaus erreichen will, ist zunächst unklar; und genau so lange, wie die Motivlage der Hauptfigur opak bleibt, ist "Promising Young Woman" ein zumindest interessanter Film. Wir sehen einem geschlechterpolitischen Gegenschlag zu, der einerseits, mit einigem stilistischen Aufwand (Instragram-Cuteness, Disney-Club-Farbgebung, symmetrisch-dekorative Wes-Anderson-Interieurs, ein stilisiertes Cover von Britney Spears' "Toxic" usw), als popfeministische Wunscherfüllungsfantasie inszeniert wird - und andererseits dank Mulligans großartig fragilem Schauspiel als Symptom einer aufgeschobenen Entwicklung gebrandmarkt ist und auf eine vergangene Traumatisierung verweist. Innen und Außen, Psychologie und Handeln passen nicht so recht zusammen, und eben deshalb sind wir neugierig darauf, zu erfahren, wie weit zu gehen Cassie auf ihren Rachefeldzug bereit ist. Ganz am Ende lernen wir: weit, sehr weit. Nur, dass diese Antwort zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel wert ist. Weil sie längst nicht mehr auf die fundamentale Unlesbarkeit einer Frau verweist, die ihre eigene Biografie als einen Feldversuch in politischem Handeln begreift, sondern nur noch auf die fehlgeleiteten Ambitionen eines gleichzeitig überkomplizierten und schablonenartigen Drehbuchs. 

Dessen Ambitionen sind erst einmal ebenso klar wie ehrenwert: "Promising Young Woman" wäre gerne - und ist vermutlich, for better or worse, tatsächlich - ein Rape-Revenge-Film für die MeToo-Ära. Ein Film, der von sexueller Gewalt erzählt, ohne selbst übergriffig zu werden und der den Anspruch hat, bei aller affektiver Besetzung seines Süjets die systemische Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren.

Daraus ergibt sich ein Darstellungsproblem: Dass Fennell den in der populären Kultur reichlich vorhandenen Darstellungen sexueller Gewalt keine weiteren hinzufügen will und deshalb zum Beispiel auch auf Rückblenden zum Ursprung von Cassies Traumatisierung verzichtet, ist einerseits verständlich; andererseits hat genau das zur Folge, dass der faktische Ausgangspunkt von "Promising Young Woman" nicht die Frauenfeindlichkeit der Gesellschaft selbst ist, sondern ein bereits vorhandener, gefestigter und zumindest rhetorisch oft festgefahrener Social-Media-Empörungsdiskurs über diese Frauenfeindlichkeit. Tatsächlich ist ein kurzes, von kühl taxierenden Blicken auf das angepeilte Opfer Cassie begleitetes Thekengespräch von Jerry und zwei seiner Trinkkumpane früh im Film die einzige Szene, in der die Rape Culture, mit deren Exorzismus die gesamte anschließende Handlung beschäftigt ist, eine konkrete Repräsentation erfährt.












Im restlichen Film steht nicht sexuelle Gewalt mitsamt Voraussetzungen im Zentrum, sondern ihre kommunikativen Begleiterscheinungen. Fennells zentrales Interesse scheint darin zu bestehen, genüsslich geläufige Rechtfertigungstrategien von Täter_innen und Ermöglicher_innen abzufertigen - Rhetoriken, die zwar zweifellos Teil des Problems sind, deren bloße Reiteration aber einerseits doch wieder nur auf das schuldbehaftete Individuum verweist und andererseits keinerlei Handlungsperspektive aufzeigt. Genau wie sich die selbstgerechte Rhetorik ("Imagine how tired we are" usw) einschlägiger Twitter-Aktivist_innen selbst da falsch anfühlt, wo sie offensichtlich einer gerechten Sache dient, hat man bei "Promising Young Woman" irgendwann nur noch den Eindruck, einem kommunikativen Nullsummenspiel zu folgen. (Das schlägt sich, nebenbei bemerkt, sogar in den Rezensionen zum Film nieder, wenn Kritiker_innen fiktive Drehbuchvolten mit Verweis auf reale Zeitungsschlagzeilen erklären beziehungsweise rechtfertigen.)

Das Hauptproblem ist, dass Emerald Fennell "Promising Young Woman" aus einer Perspektive der diskursiven und moralischen Sicherheit entwirft - anders als etwa "Baise moi" von Virginie Despentes mag sich der Film nicht der unmittelbaren Wucht sexueller Gewalt stellen; und anders als etwa "Elle" von Paul Verhoeven schreckt er davor zurück, die inneren Abgründe seiner Figuren auszuloten. Stattdessen stellt sich, je länger der Film dauert, desto mehr, der Eindruck einer grundlegenden Übervorsichtigkeit ein. Insbesondere den Verdacht, bei Cassies Handeln könnte es sich um eine Form von Selbstjustiz handeln, möchte der Film offensichtlich, teils auch um den Preis psychologischer und lebensweltlicher Glaubwürdigkeit, nicht zulassen. Weil die Fronten von Anfang an allzu klar sind, ist aus der dargestellten Situation heraus keine sinnvolle Entwicklung möglich. Um dennoch irgendwie voranzukommen, muss das Drehbuch sich deshalb zunehmend abstrusere Wendungen ausdenken, wie etwa einen Anwalt, der sich dafür schämt, wie er einst im Gerichtssaal mit Vergewaltigungsopfern umgegangen war und jetzt ohne Weiteres bereit ist, die Seiten zu wechseln.

Gleichzeitig weist "Promising Young Woman" gerade in seinem Scheitern über sich hinaus. Die Frage, wie Filme sich im Jahr 2021 zum Fortleben sexueller Gewalt und allgemeiner zum nach wie vor nichtbefriedeten Geschlechterverhältnis verhalten können, wird durch ihre Nichtbeantwortung nur noch dringlicher. Einfach wieder zum exploitativen Blick des Bahnhofskinos der 1970er zurückzukehren, dem das Rape-Revenge-Genre entspringt, ist sicherlich nicht die Lösung. Dass Fennell stattdessen versucht, diskursiv wie bildästhetisch an die Realität der sozialen Medien anzuschließen, kann man ihr keinesfalls verübeln; und wenn das Resultat nicht so recht überzeugen mag, dann verweist das vielleicht in erster Linie darauf, dass das Kino heute einfach nicht mehr ein privilegierter Ort dafür ist, Themen zu verhandeln, die die Gesellschaft in ihren Grundfesten betreffen.

Lukas Foerster

Promising Young Woman - USA 2020 - Regie: Emerald Fennell - Darsteller: Carey Mulligan, Bo Burnham, Alison Brie, Clancy Brown, Adam Brody - Laufzeit: 113 Minuten.