Im Kino

Filmische Fluiditäten

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl, Karsten Munt
19.07.2017. Luc Besson lässt in seiner außerordentlich liquiden Comicverfilmung "Valerian - Die Stadt der Tausend Planeten" Geschlecht und Spezies ineinanderfließen. Außerdem erinnern wir an den unlängst verstorbenen Meisterregisseur George A. Romero - mit einem Text zu "Knightriders", einen seiner wenigen nicht-Horrorfilme.


Comicverfilmungen denken für gewöhnlich nicht in Panels. Nicht aus dem Einzelbild heraus entwerfen Marvel und DC ihre Filmadaptionen, sondern aus dem Gesamtbild. Das "Cinematic Universe" ist die Einheit, in der gedacht wird und der alle Bestandteile - Superheld, Film und dessen Einzelteile - untergeordnet werden.

Luc Besson denkt in Panels. Bereits in der Eröffnungszene von "Valerian - Die Stadt der Tausend Planeten" organisiert er den filmischen Raum gemäß der kleinsten Einheit der Comicvorlage. Panel folgt auf Panel, während Raumstation an Raumstation andockt und alles mit fortlaufenden Jahreszahlen betitelt wird, wie im Comic. Eine kleine Raumstation wächst in der über Jahrhunderte gestreckten Montagesequenz zur intergalaktischen Metropole namens Alpha heran. Astro- und Kosmonauten reichen sich und schließlich auch den Bewohnern verschiedener Galaxien die Hand, bis Alpha, im Jahr 2740 gänzlich von seiner irdischen Verwurzelung getrennt, zum schwerelosen Utopia wird, in dem Ozeanwelt und Cyberpunk-Großstadt friedlich nebeneinander existieren.



Die fremde Macht, die diese Weltraumutopie bedroht, wächst wie ein Geschwür in der Metropole selbst. Eine von radioaktiver Strahlung umgebene Zone dehnt sich inmitten der Stadt aus. Als Spezialagenten der menschlichen Föderation ist es an Valérian und Laureline, die Gefahr zu ergründen, die von der radioaktiven Zone ausgeht. Das Agentenpärchen kämpft sich im permanenten Schwebezustand zwischen Liebes- und Arbeitsbeziehung durch die Welten von Alpha. Mehr als die Liebeskonstellation und den damit verbundenen Hauptplot interessiert Besson jedoch die Physiognomie seiner Protagonisten. Davon zeugt bereits die Wahl der Darsteller. Dane DaHaan erscheint als Valérian, dessen austrainierter Körper die Kraft der Jugend ausstrahlt, die in seinem Gesicht von gewaltigen Tränensäcken in Zaum gehalten wird, wie das Gegenstück zu Cara Delevingnes Laureline, deren fragiler Laufstegkörper einen ständigen Aufmerksamkeitswettstreit mit ihren buschigen und erstaunlich elastischen Augenbrauen führt. In den hautengen, körperüberbetonenden Raumanzügen sind beide entsprechend angemessen verpackt. Zu den Teenager-Bodysuit-Models gesellt sich ein schöner Diversity-Cast mit Ethan Hawke als Zuhälter in Drag, Herbie Hancock als irdischem Staatsoberhaupt, Clive Owen als 4-Sterne-General und K-Pop-Star Kris Wu als omnipräsentem Kommunikationssergeant.



Bessons Interesse an humanoider und extraterrestrischer Körperlichkeit beschränkt sich nicht auf das Design einzelner Aliens oder Kostüme der Protagonisten - beides hatte er bereits im Genre-verwandten Vorgänger "Das Fünfte Element" ausführlich ausleben konnte. In "Valerian" geht er einen Schritt weiter und nutzt die Möglichkeiten seiner mit knapp 200 Millionen Euro Budget ausgestatteten Space Opera zur völligen Zerlegung und anschließenden Neugestaltung physischer Identitäten. Kaum ein Geschöpf ist im Laufe des Films fest an seine biologische Form gebunden. So erscheinen die Körper der Protagonisten zunächst noch als überzeichnete Präsentation westlicher Schönheitsideale, um sich auf ihrer Reise durch die Planeten zu einem wunderbaren Amalgam von Geschlecht und Spezies zu wandeln: männliche Aliens sprechen mit Frauenstimmen und die Seele einer außerirdischen Prinzessin wählt für ihre Symbiose den Körper eines Mannes. Höhepunkt der Arten- und Geschlechtswandlungen ist ein Auftritt der außerirdischen Gestaltenwandlerin Bubbles im Körper von Pop-Ikone Rihanna. In ihrer Burlesque-Performance spielt sie zunächst alle Künstleridentitäten der Sängerin durch, um sich anschließend über Valérian zu stülpen. In der gemeinsamen Alien-Mimikry fließen Geschlecht und Spezies ineinander, wie die Welten des utopischen Metropolis Alpha.



Besson nutzt den Gestus des Ineinanderfließens, um die Welt des Comics von Pierre Christin und Jean-Claude Mézières geschickt mit den Vorzügen der filmischen Fluidität zu verstricken. Seine Erzählung entfaltet sich als eine einzige, mäandernde Bewegung durch die Weltraummetropole und ihre exotischen Nachbarplaneten. In der zentralen Actionsequenz des Films gleitet Valérian, ständig die Richtung wechselnd, durch die Lebensräume Alphas, springt durch die Wände eines Raumschiffs, läuft auf Energiefeldern durch die Hologramm-beleuchtete Skyline, stürzt in eine Kristallhöhle und taucht schließlich aus dem Ozean der Urwesen wieder auf. Die bonbonfarbenen Welten, die der Comic in Panels arrangiert und spaltet, verbindet Besson zu langen und fließenden Bewegungen, die immer dazu auffordern, sich staunend in ihnen umzublicken. Allzu perfekt und ohne eine spürbare Bedrohung fügt sich das Protagonisten-Pärchen in eine Comic-Utopie ein, deren digitale Abbildung kaum noch eine Idee von haptischer Wahrnehmung zulässt. Nicht die Reibung treibt den Film, keine ausgefeilten dramaturgischen Konflikte oder mythologische Überbauten sind die Quellen der Energie, die Besson auf die Leinwand bringt. "Valerian" kollidiert nicht mit der Weltraum-Utopie, sondern fließt durch sie hindurch - von Panel zu Panel.

Karsten Munt

Valerian - Die Stadt der Tausend Planeten - Frankreich, USA 2017 -OT: Valerian and the City of a Thousand Planets - Regie: Luc Besson - Darsteller: Cara Delevingne, Dane DeHaan, Elizabeth Debicki, Ethan Hawke, Clive Owen, Rihanna, Kris Wu, Herbie Hancock - Laufzeit: 137 Minuten.

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Eine von der Morgensonne illuminierte pastorale Landschaft, zwei nackte Liebende, ein bedrohlich dreinschauender Rabe, entrückte Flötenmusik. Um die Welt eines Films einordnen zu können, muss man, wie bei einer Beweisführung, jedes Detail einer Szene scannen. In den ersten Minuten von George A. Romeros "Knightriders" finden wir zunächst archaisches und mythisch aufgeladenes, wenn auch zeitlich diffuses Material. Erst als das Paar sich ankleidet, der Mann eine Ritterrüstung anlegt und die Frau eine mit Ornamenten verzierte Kutte, beginnt man das Ganze in in einen historischen Kontext zu setzen. Doch die weniger majestätischen als recht schrottig wirkenden Kronen des Paares legen schon nahe, dass hier etwas faul ist. Wenn die beiden dann einige Sekunden später auf einem Motorrad über den Highway brettern, wird endgültig klar, dass hier - scheinbar - nur Theater gespielt wurde.

In "Knightriders" gibt es viele derartige Brüche zwischen konstruierter Mittelalterwelt und Wirklichkeit. Der Film handelt von einer Gruppe von Schaustellern, die durch die amerikanische Provinz reist, um ihre eigene Form des Ritterfestspiels zu präsentieren. Zwischen gegrillten Maiskolben und Flohmarkt-ähnlichen Ständen dient als Hauptattraktion ein Turnier, in dem sich die modernen Ritter gegenseitig mit Lanzen von ihren Motorrädern stoßen. Für die Besucher ist das zwar tatsächlich nur Theater, aber die Menschen, die in diesem Kollektiv leben, haben sich eine Parallelwelt geschaffen, die fast vollständig nach außen abgedichtet ist. Ganz ohne die Errungenschaften der modernen Zivilisation kommt man zwar nicht aus, aber um den Zusammenhalt zu fördern, wurden strenge Regeln aufgestellt. Die Gefahr, die in George A. Romeros Film aufkeimt, ist, dass die Vorstellungen, wie genau man sich an diese Regeln zu halten hat, innerhalb der Gruppe zunehmend auseinanderdriften.

Erst vor wenigen Tagen ist Romero im Alter von 77 Jahren verstorben. Er war einer der ganz Großen des amerikanischen Horrorkinos und hat wie kein anderer die moderne Zombie-Mythologie geprägt. Wenn er nicht gerade Filme über lebende Tote gemacht hat, dann über jugendliche Vampire oder Hexen. Der weitgehend unbekannte "Knightriders" fällt dagegen durch jedes Raster; und das nicht nur, weil er auf den ersten Blick nichts von dem an sich hat, was Romeros Kino sonst auszeichnet. Dafür, dass man zur Erscheinungszeit nicht allzu viel mit dem Film anzufangen wusste, spricht auch der deutsche Verleihtitel: "Ritter auf heißen Öfen". Tatsächlich ist "Knightriders" alles andere als eine Komödie, die sich an der Skurrilität ihres sonderbaren Milieus ergötzt. Er ist zwar durchaus witzig, entwickelt auch eine geradezu kindliche Freude an seinen fetzigen Actionszenen, ist im Kern aber vor allem ein existenzielles Gesellschaftsdrama. Müsste man den Film einordnen, dann wohl irgendwo zwischen Exploitationkino und New Hollywood.

Genau wie Romeros Zombiestreifen erzählt auch "Knightriders" viel über Amerika - vor allem über seine Krankheiten und seine Außenseiter. Die Ritter und Fräulein sind keine homogene soziale Gruppe, sondern ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der auch heute noch jeden Diversity-Beauftragten befriedigen würde. Wenn die Kamera kurz das zusammenfantasierte Camelot hinter sich lässt, dann dringt sie entweder zu einer noch deutlich unwirklicheren Unterhaltungsindustrie vor (von der einige der Ritter schließlich fast korrumpiert werden) oder sie präsentiert das kleinbürgerliche Elend der Vorstädte. Dass die soziale Realität im Film ständig präsent ist, liegt daran, dass sich die Figuren ihr so beharrlich entziehen wollen.



Die größte Herausforderung besteht darin, die Stabilität der Gruppe zu bewahren. Wie in jeder Gesellschaft gibt es konservative und progressive Kräfte; die Einen, die das Bestehende mit aller Kraft schützen wollen und die Anderen, die nach Veränderung streben und dabei kein Risiko scheuen. Zu ersterer Kategorie zählt "König" Billy; von Ed Harris als ebenso charismatischer wie vom Leben gezeichneter Outcast verkörpert. Billy hat sich mit besorgniserregender Intensität in die Mythologie um König Arthur eingelebt. Dass er das Spiel so ernsthaft betreibt, hat mit einer tiefen Enttäuschung über die leeren Versprechungen des amerikanischen Traums zu tun. Wie bei allen anderen Figuren kennen wir auch bei ihm keine Vorgeschichte. Aber sein Aussteigerdasein, das fast schon militante Gerede über die Versklavung des modernen Menschen durch den Kapitalismus, offenbart eine tiefe Verunsicherung darüber, selbst aus der Zeit gefallen zu sein. Die soziale Einheit ist in "Knightriders" vor allem deshalb so wichtig, weil ihre Mitglieder in der Gesellschaft sonst keinen Platz haben.

Diese Heimatlosigkeit erscheint noch gravierender, wenn man sich bewusst macht, dass der Film im Jahr 1981 entstanden ist. Während man noch mit einem Bein in den 70ern steckte, waren zugleich die Veränderungen einer neuen Ära zu spüren. Das Dilemma der Figuren besteht darin, dass sie sich einem hippiehaftem (wenn auch stärker reglementierten) Vagabundendasein verschrieben haben, das sich in den neoliberaleren und konservativeren 80er-Jahren nur noch schwer verwirklichen lässt. Auffällig ist, wie solidarisch Romero gegenüber seinen Figuren bleibt. Wenn der Soundtrack in pathetischen Augenblicken feierlich und mittelalterlich wird, dann ist das keine ironische Distanz, sondern eine totale Identifikation mit den Protagonisten. Die wahren Freaks sind im Film ohnehin nicht die Schausteller, sondern jene, die außerhalb ihrer Welt existieren: Gewalttätige Polizisten, ausbeuterische Promoter oder Hot-Dog-fressende Klugscheißer. Kein Wunder, dass das entscheidende Turnier schließlich ohne Publikum stattfindet.

Wie fragil die Truppe jedoch auch ist, zeigt sich an jedem einzelnen Individuum. Als Pippin' (Warner Shook), der notorisch schlecht gelaunte Ansager der Truppe, beim Lagerfeuer gefragt wird, ob er denn schwul sei und darauf resigniert antwortet, dass er es doch selbst nicht wisse, verrät ihm die toughe Motorradfahrerin Rocky (Cynthia Adler) ihr Erfolgsgeheimnis: "I don't take any heat, because I know who I am". Es ist ungemein wichtig in dieser Gruppe, dass man weiß, wer man ist und was man will. Denn erst dann ist auch klar, was man verteidigen muss. Pippin' wird sich kurz darauf in einen Kollegen verlieben, aber viele andere, in ihrer Identität nur scheinbar gefestigtere Kollegen werden plötzlich schwach, hinterfragen ihr Leben und was sie darin vielleicht noch erreichen könnten. "Knightriders" lässt keinen Zweifel daran, dass eine Gruppe nie etwas Statisches, sondern immer etwas Dynamisches ist. Sobald der Selbstverwirklichungsdrang des Einzelnen zu groß wird, gibt es keine Einheit mehr.

Vielleicht kann man die Kompromisse, die man als Individuum in einer Gruppe machen muss, mit den Streichungen vergleichen, die man bei einem Drehbuch vornimmt, um die dramatische Struktur stärker herauszuarbeiten. Wie viel Verständnis Romero für individuelles Begehren und persönliche Sehnsüchte hat, wird nicht nur dadurch klar, dass er diesem Motiv viel Raum zugesteht. Darüber hinaus ist "Knightriders" auch selbst ein Film, der wenig interessiert ist an Zuspitzung, also am Zusammenstreichen des Unökonomischen. Es gibt eine Unmenge verschiedener Figuren und jede von ihnen bekommt eine eigene - oft nur angedeutete - Geschichte. Wenn vermeintlich eher unwichtige Charaktere wie Pippin' oder Rocky immer wieder einen vieldeutigen Blick ins Leere richten, zeigt sich die wahre Größe des Films; Romero entwirft nicht nur die Geschichte eines Kollektivs als eine wabernde Menge kleinerer und größerer Erzählungen; sondern er weiß auch um seine eigene Beschränktheit, um die Unmöglichkeit, sich jeder von ihnen mit der ihr gebührenden Aufmerksamkeit zu widmen.  

Michael Kienzl

Knightriders - Ritter auf heißen Öfen
- USA 1981 - Originaltitel: Knightriders - Regie: George A. Romero - Darsteller: Ed Harris, Gary Lahti, Tom Savini, Amy Ingersoll, Patricia Tallman, Christine Forrest - Laufzeit: 146 Minuten.