Im Kino

Die Zeit zu kämpfen ist jetzt

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh
15.12.2016. Gareth Edwards führt das "Star Wars"-Universum in ungewohntes Territorium: "Rogue One" ist ein regenverhangener, erwachsener Kriegsfilm und vielleicht auch ein Film über das gesellschaftliche Klima der USA unmittelbar vor Trumps Amtsantritt.


"Es herrscht Bürgerkrieg. Die Rebellen, deren Raumschiffe von einem geheimen Stützpunkt aus angreifen, haben ihren ersten Sieg gegen das böse galaktische Imperium errungen. Während der Schlacht ist es Spionen der Rebellen gelungen, Geheimpläne über die absolute Waffe des Imperiums in ihren Besitz zu bringen: den Todesstern, eine Raumstation, deren Feuerkraft ausreicht, um einen ganzen Planeten zu vernichten."

Als diese Worte unter schmetternden Fanfaren im Mai 1977 erstmals über die US-Leinwände rollten, reagierte der junge, zur Erneuerungsbewegung von New Hollywood zählende Autorenfilmer George Lucas auf mehrere in der Luft liegende Krisen: auf den ausgerechnet gegen versprengte Guerillakämpfer verlorenen Krieg der militärischen Supermacht USA in Vietnam, auf die gärenden politischen Verunsicherungen im Innern der USA von Kennedy bis Watergate, auf den tiefsitzenden Spalt zwischen den Generationen und nicht zuletzt auf das de facto in Trümmern liegende Studiosystem Hollywoods, einst Aushängeschild des für die USA so wichtigen Entertainmentsektors, dessen goldenes Zeitalter mit am laufenden Meter produzierten großen Epen seinerzeit ebenso tief in der Vergangenheit zu liegen schien wie die ausgestorbenen Dinosaurier. Und das zum tiefsten Bedauern von Lucas, dessen kindliche Fantasie in den Kinos einst mit Mantel-&-Degen-Matinees und Science-Fiction-Abenteuern befeuert wurde.

Bereits vor "Star Wars" hatte er 1973 mit dem Überraschungshit "American Graffiti" (1973) seiner Sehnsucht nach heilsamer Nostalgie freien Lauf gelassen. Es folgt mit "Krieg der Sterne" - nach "Der weiße Hai" der zweite Blockbuster von New Hollywood - ein Film über eine abgenutzte, abgeranzte, in Schrott versinkende Peripherie, die sich gegen eine technologisch abgepanzerte, faschistoide Übermacht in Stellung bringt. Ein Film über die Trauer darüber, dass sich naive Abenteuergeschichten diesseits des Vietnam-Debakels nicht mehr ohne weiteres anbieten, ein Film über die Sehnsucht nach der Versöhnung zwischen den Generationen, der selbst von der Kinogeschichte handelt - und zwar in Form eines Remakes von Akira Kurosawas "Die verborgene Festung" - das sich am Ende in die waghalsigen Dogfights klassischer Kriegsfilme stürzt. Ein Krisen- und Splitterfilm, der Hollywood das Konzept des effektbasierten Actionspektakels aufs Neue erschloss, mit Auswirkungen bis in unsere Gegenwart: In der Kinorealität heute ist diese Form der Produktion der maßgebliche wirtschaftliche Motor. Im vergangenen Jahr wurde "Star Wars" denn auch mit bahnbrechendem Erfolg aufs Neue im Kino re-installiert.



Zugleich hat Lucas mit diesen wenigen, seinerzeit bloß grober Orientierung dienenden Worten die narrative Blaupause für "Rogue One" vorgelegt, den ersten "Star Wars"-Blockbuster der neuen "Anthology"-Reihe, in der Disney, seit 2012 im Besitz des Franchise, das Erzähluniversum künftig um Stoffe abseits der Skywalker-Familiensaga erweitern will: Drei lapidare Sätze, die Gareth Edwards in etwas über zwei Stunden episch und im besten Sinne spannungsgeladen zu füllen versteht. Zuvor hatte der Regisseur dem Monstermovie-Kino mit dem Indie-Film "Monsters" (2010) und dem ästhetisch ambitionierten Blockbuster "Godzilla" (2014) eine neue, verregnet-melancholische Erhabenheit injiziert und sich damit für Disneys Star-Wars-Pläne bestens qualifiziert.

Tatsächlich kommt Edwards' Hang zu einer vergleichsweise erwachsenen Ästhetik zwischen nasskalter Düsternis und raunend-diffuser Lichtgestaltung dem Franchise zugute: Krankte der von J.J. Abrams verantwortete Franchise-Neustart in Form eines als Sequel getarnten Remakes des allerersten "Star Wars"-Films noch daran, nach dem Prequel-Fiasko der 2000er Jahre von den alten Fans auf Sith-Lord komm raus geliebt werden zu wollen, kann Edwards in seinem Nebenfilm frei von solcher Last aus den Möglichkeiten schöpfen und sich dabei auf ein Erzähluniversum stützen, das keiner Einführung mehr bedarf. Zierrat wie der Opening Crawl und die typischen Williams-Fanfaren sind konsequent suspendiert und bleiben damit der Saga-Kernerzählung rund um die Skywalkers vorbehalten. Nur gelegentlich scheinen die einschlägigen musikalischen Themen der bisherigen Filme in Form flüchtiger Zitate durch den eigentlichen Score, wie geisterhaftes Wispern aus einem Nebenraum. Damit ist die Agenda gesetzt: Weg von infantilen Anhänglichkeiten an Kinderträume aus dem Jungszimmer der 1980er! Zwar setzt auch "Rogue One" seine kleinen Nostalgiegesten, ergeht sich aber nie im kleisternden Nostalgieschmalz.



Das Resultat: Ein ziemlich toller, erwachsen und selbstbewusst erzählter Kriegsfilm, der die narrativen Bedingungen der Möglichkeit des ursprünglichen "Star Wars" gekonnt ins Bild setzt und die Bedürfnisse eines shared cinematic universe - der große heiße Scheiß aus Hollywoods Krisenmanagement - dabei zwar immer auch mitbedient, aber eben nur locker im Vorbeigehen, ohne dass der Film an sich Schaden nimmt (wie zuletzt etwa "Suicide Squad" aus dem DC-Comicfilm-Universum, der im Grunde genommen ein einziger, großer Trailer für zukünftige Attraktionen war). Nicht unähnlich den großen Kriegsfilm-Klassikern (wir denken kurz an "Das dreckige Dutzend" oder an den italienischen "Inglorious Bastards" aus der zweiten Garde) erzählt "Rogue One" davon, wie sich ein Haufen Draufgänger und Outlaws - an der Spitze Jyn Erso (Felicity Jones) - erst unwahrscheinlich zusammenwürfelt und schließlich nach "Hunde, wollt ihr ewig leben"-Manier, wie man sie aus Kurosawas "Sieben Samurai" kennt, dem galaktischen Imperium entgegenstellt. Dieses ist gerade im Begriff, mit der Fertigstellung des Todessterns das endgültige technologische Schreckensinstrument zur Sicherung von Macht und Unterwürfigkeit in die Händen zu bekommen.

"Rogue One" erzählt wenig bis nichts vom eigentlichen Mythos rund um die "Macht", sondern wechselt in die Ameisenperspektive all jener Helden, die in den großen Geschichtsbögen rund um die Taten großer Männer selten bis nie namentlich Erwähnung finden. Edwards blickt dabei auch zurück in die Geschichte der Kriege der USA, ruft Bilder von der Landung in der Normandie auf oder solche, die man eher mit dem Vietnamkrieg in Verbindung bringt, der schon in Lucas' drittem Teil der Saga durchschimmerte, dort allerdings in einer Teddybärversion. Von solchen Verniedlichungen ist "Rogue One" meilenweit entfernt - das Blockbusterkino ist wieder verbindlicher geworden. Von vornherein herrscht eine Atmosphäre von Belagerung und Entbehrung: Eingeführt werden die Figuren in Arbeitslagern und Knästen, zwischendurch befasst sich eine Passage mit dem militärisch durchgesetzten Ressourcen-Raubbau auf einem Wüstenmond, was unschwer zu erkennen ist als eine Allegorie auf gängige "War for Oil"-Vorwürfe - was die US-amerikanische Rechte wohl noch ein Stück weit mehr von "Star Wars" entfremden wird, als es die betonte Diversität im Cast ohnehin schon tut. Beträchtliche Strecken des Films spielen, auch dies vielleicht eine Reverenz an Kurosawa, vor Regen- und Nebelkulisse. Nicht zuletzt wirkt der Plot um die unter haarsträubenden Bedingungen entwendeten Pläne über eine Super-Technologie, die Machtverhältnisse drakonisch zementieren soll, wie ein fernes Echo auf den NSA-Skandal.

Die demoralisierte Rebellion am Rande des endgültigen Scheiterns, das dunkle Imperium unmittelbar vor dem endgültigen Triumph: Ein Film auch über Verzweiflung und Ohnmacht. Es ist fast so, als hätte Disney das gesellschaftliche Klima zu Zeiten seines Kinostarts zwischen Trumps Wahlerfolg und seiner Vereidigung im Januar vorhergesehen. "Rogue One" macht sich diesbezüglich keine Illusionen: Es stehen uns schwere Zeiten mit schweren Opfern bevor. "Die Zeit zu kämpfen ist jetzt", ruft Jyn als Johanna von Orleans in outer space an einer Stelle den Rebellen entgegen, als diese endgültig die Waffen strecken wollen. "Es herrscht Bürgerkrieg", sind die ersten Worte, mit denen "Star Wars" 1977 begann. Das vorerst letzte Wort der Saga, in diesem bleiernen Dezember 2016 als nahtloser Übergang zum Film von 1977 gesprochen, lautet: "Hoffnung."

Thomas Groh

Star Wars: Rogue One - USA 2016 - Originaltitel: Rogue One: A Star Wars Story - Regie: Gareth Edwards - Darsteller: Felicity Jones, Diego Luna, Alan Tudyk, Donnie Yen, Jiang Wen, Ben Mendelsohn, Forest Whitaker - Laufzeit: 133 Minuten.