Im Kino

Der Horror davor

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Nikolaus Perneczky
10.09.2014. David Cronenbergs psychisch abgründiger "Maps to the Stars" spürt in Hollywood ins Seelengewebe geschlagenen Verletzungen nach. In Jake Kasdans Wiederverheiratungskomödie "Sex Tape" versuchen Cameron Diaz und Jason Segel, die brachliegende Libido wiederzubeleben.


David Cronenberg goes Hollywood. Wenngleich nur, was das Setting betrifft: Vier Produktionsfirmen aus vier Ländern - nur eine davon us-amerikanisch und kein großer Fisch im Hollywood-Tümpel - zeichnen für "Maps to the Stars", mit dem sich Cronenberg nach Ausflügen ins frühe 20. Jahrhundert ("Eine dunkle Begierde") und die nahe Post-Kollaps-Zukunft ("Cosmopolis") wieder ganz der Gegenwart zuwendet, verantwortlich. Es mag auch an dieser Branchenferne liegen, dass Cronenbergs Blick auf die Abgründe der sich ohnedies sehenden Auges auf die Implosion zubewegenden Glitz-und-Glam-Welt von Los Angeles noch im strahlenden Sonnenschein düster, bösartig und gallig ausfällt, auch wenn der Cast mit Julianne Moore, Mia Wasikowska und (in einer Nebenrolle) Robert Pattinson eine Nähe zum Herzen der Industrie nahelegt. Das Komödien-Subgenre der beschwingt augenzwinkernden Hollywood-Farce, die es bereits mit mildem durch den Kakao Ziehen auf sich bewenden lässt, ein paar Wahrheiten vielleicht sogar anspricht, aber dabei - hey hey - die Kirche bitte im Dorf lässt, ist "Maps to the Stars" glücklicherweise nicht geworden. Nicht, dass ich zu der Fraktion zählen würde, doch wer dem kanadischen Altmeister des Body-Horror nachsagt, sich zuletzt von alten Tugenden spürbar entfernt zu haben oder gar altersmilde (bösere Zungen behaupten: langweilig) geworden zu sein, wird auch hier kein gewaltiges Comeback der alten blutig-sudeligen Form erleben. Doch schön mulmig und psychisch abgründig ist diese Reise ins Herz der Glamour-Finsternis schon geworden.

Die Körper sind wieder Schauplatz und Leinwand in einem: Hätte Cronenberg in den Siebzigern und Achtzigern den Neurosen- und Traumata-Komplexen auf zwei Beinen noch neue Organe wachsen lassen oder deren bereits bestehenden Organe zur Explosion gebracht, sind es hier Hautunreinheiten und Pickel, sowie nicht zuletzt großzügige Flächen verbrannter Haut und dergleichen Makel mehr, die sich dem Photoshop-Gloss der Hollywood-Körper nicht nur widerständig entgegenstellen, sondern auch insistierend darauf verweisen, dass die Wesen, über die sich diese Häute spannen, mit sich buchstäblich nicht im Reinen sind. Zwischen Psychotherapie und Yoga, aufblühendem und verwehendem Starruhm, kleinen und größeren Gehässigkeiten und nicht zuletzt aus jeder Menge Albdruck aus der Vergangenheit baut David Cronenberg einen großartigen Komplex des menschlichen Unglücks inmitten einer der realen Welt entrückten Industrie, die gerade dieser Welt doch verspricht, ihr die eigenen Träume und Sehnsüchte - mithin: das Glück selbst - zu verkaufen.

Ein kleiner, nicht erschöpfender Überblick über die Dramatis Personae: Die stets großartige Julianne Moore entgrenzt sich atemberaubend in die Rolle von Havana Segrand, einer spleenigen Soon-to-be-Has-Been-Darstellerin, der im Alter von 50 Jahren dramatisch die Rollen ausgehen. Ihre aktuelle Obsession: Ein Remake jenes Films, in dem einst ihre mittlerweile verstorbene Mutter, die sie in ihren Tagträumen noch immer heimsucht, reüssierte, mit ihr selbst in der Rolle der damals deutlich jüngeren Mutter. Dann ein Kinderstar (Evan Bird), der sämtliche Allüren und Großkotzigkeiten des Betriebs bereits vorbildlich verinnerlicht und in einer Kotzszene cronenbergisch-metaphorisch entäußert, der selbst schon unter dem Druck eines zusehends brutalisierten Starsystems im Zeitalter der ständigen Ersetzbarkeit aller Protagonisten zu äußersten Mitteln greift. Und, als Hauptfigur, die rätselhafte Agatha, gespielt von Mia Wasikowska, mit ihren Brandnarben die am eindeutigsten Gezeichnete von allen, die eine Twitter-Bekanntschaft mit Carrie "Prinzessin Leia" Fisher (die sich selbst spielt) nach Hollywood bringt und als zusehends ausgenutzte und seelisch missbrauchte Assistentin bei Segrand landet. Agatha wiederum, als mysteriöse, vermeintlich Außenstehende des Betriebs, entspringt tatsächlich ganz dessen Herzen - und hegt einen eigenen Plan.



Hollywood, eine gigantische Fabrik. Nach vorne produziert sie Träume, Oberflächen, Begehren: Der wirtschaftliche Hauptarm der Filmindustrie, für den sich Cronenberg kein Stück weit interessiert, ihn insbesondere ästethisch - wohl nicht nur aus Budgetgründen - konsequent ausspart. Vielmehr interessiert er sich für das, was am anderen Ende herauskommt: Einen eigenen Film fährt "Maps to the Stars", was Exkremente betrifft. Immer wieder geht es um Fürze und um Scheiße, die der Film, sofern ihre Provenienz aus einem Star-Anus tatsächlich beglaubigt ist, in einer zumindest auf Dialogebene bizarren Szene in den Rang eines veritablen, gut absetzbaren Nebenprodukts des Starsystems hebt. Auf diese Weise erzählt "Maps to the Stars" auch von der Erosion eines Systems, das einst auf der Aura der Distanz basierte und heute - dank Twitter, Facebook, Instagram - dem Fetisch künstlicher Nähe huldigt: Besitze auch Du ein bisschen Exkrement Deines Lieblingstars - noch heute, jetzt!

Ein Geflecht von Personen, Relationen, Verletzungen, Sehnsüchten und enttäuschten Wünschen, die Cronenberg mit kalt sezierendem Blick zu isolieren und doch auf einander zu beziehen versteht: Konsequenter als in "Cosmopolis" erscheinen die Menschen als Vereinzelte, die auffallend selten zu zweit einen Bildkader bewohnen. Man mag darin eine Allegorie auf die Ich- und neoliberale Eigenblutdoping- und Optimierungsgesellschaft sehen, auf das Alleingelassen-Sein in einer Welt, die von der Geborgenheit des Einzelnen im gesellschaftlichen Netz nichts wissen will, ihm aber alles gesellschaftliche Elend ohne weiteres zumutet. Vielleicht liegt in dieser Bildpolitik auch einfach der Horror davor, immer nur auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, keine Brücke zum anderen mehr aufbauen zu können, den Anderen nicht mehr erkennen zu können, vom Anderen nicht mehr erkannt zu werden, Zweisamkeit nicht mehr erfahren zu können.

Konsequent lässt Cronenberg diese Logik der Vereinzelung auf ein Wiedererkennen im gemeinsam geteilten Trauma hinauslaufen. Ein Moment der Zweisamkeit entsteht zuletzt, tödlich, von zugleich verstörender wie beglückender Poesie: In der zwanghaften Wiederaufführung des Moments einer einst ins Seelengewebe geschlagenen Verletzung mag ein Trost liegen. In diesem Film schlägt, wie schon in Cronenbergs düstersten Erkundungen der einsamen Menschen und ihrer Körper, ein dunkles, vor Schmerzen aufschreiendes Herz.

Thomas Groh

Maps to the Stars - Kanada 2014 - Regie: David Cronenberg - Darsteller: Julianne Moore, Robert Pattinson, Evan Bird, Sarah Gadon, John Cusack, Mia Wasikowska, Carrie Fisher, Olivia Williams - Laufzeit: 111 Minuten.

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"Sex Tape" heißt die neue Komödie von Jake Kasdan. Sie bringt den jungen, aufs Komödienfach spezialisierten Regisseur erneut mit der unwahrscheinlichen Schauspielerpaarung von Cameron Diaz und Jason Segel zusammen. Für "Bad Teacher" (2011) hatten die drei schon einmal ihre sehr ungleichartigen Talente gepoolt - mit ungleichmäßig inspirierten Ergebnissen. Chemie gab es zwischen Diaz und Segel schon damals praktisch keine. Ohne Funkenschlag tendierte die romantic comedy, die "Bad Teacher" anteilig auch war, zur Zeichenhaftigkeit. "Bad Teacher" und "Sex Tape": Das sind sprechende Titel, in denen die bestechend einfachen Erzählprämissen sich offen zu erkennen geben. Kasdans Filme sind Konzeptkomödien, ohne Anspruch auf Wahrscheinlichkeit oder Originalität. Was zählt, ist nicht das detailliert gezeichnete Milieu oder die spontane Kommunikation der Körper, sondern die Abwandlung der im Titel gegebenen Grundbegriffe.

Annie und Jay, so heißen Diaz und Segel diesmal, sind glücklich verheiratet. Er arbeitet als Musikproduzent, sie steht im Begriff, ihren sehr erfolgreichen Mutterschaftsblog zu Geld zu machen. Gemeinsam mit ihren beiden Kindern - das ältere erweist sich mit beginnender Pubertät gerade als "a bit of an asshole" - leben Annie und Jay in Los Angeles. "Sex Tape" könnte eine Backstage Comedy über das Privatleben der Kulturindustriearbeiter sein. Auch dass das Finale die ganze Familie ins San Fernando Valley führt, das Herz der US-amerikanischen Pornoindustrie, wo sie in die Serverfarm des Pornoportals YouPorn einbrechen, deutet in diese Richtung. Tatsächlich aber interessiert sich Kasdan diesmal noch weniger für das konkrete Umfeld seiner Figuren als in "Bad Teacher", der immerhin noch an der besonderen Gemeinschaft des Lehrkörpers interessiert war, wenn auch lediglich als Folie für das Spektakel von Cameron Diaz" moralisch depravierter Aushilfslehrerin Elizabeth. "Sex Tape" ist demgegenüber fast privatistisch. Hin und wieder dürfen die lieben Nachbarn oder Annies Vorgesetzter Hank (ein durchgeknallter Rob Lowe) ins Bild. Viel weiter reicht die abstrahierte Welt von "Sex Tape" nicht.

Am Anfang des Films steht eine Montage von Momentaufnahmen aus dem regen Liebesleben des Pärchens, als die beiden noch jung und unverheiratet waren. Um als jüngere Versionen ihrer selbst durchzugehen, tragen Diaz und Segel eine dicke Schicht Makeup. Es soll für die Dauer dieser einleitenden Rückblende die Spuren des Alters aus den Schauspielergesichtern tilgen, ist gleichzeitig aber auch als Maskeneffekt lesbar. Kein Zweifel: Hier wird uns etwas vorgespielt. Im mittleren Alter und in der Erzählgegenwart angekommen, liegt Annie und Jays Libido brach. Ein sex tape soll Abhilfe schaffen. Aber dann gelangt das Video, in dem die beiden sich systematisch durch "The Joy of Sex" arbeiten, in die falschen Hände. Der Rest des Films: eine Schnitzeljagd nach dem peinlichen (und für Annies Karriere als Mummy-Bloggerin womöglich verheerenden) Bildmaterial.



"Sex Tape" dekliniert die komischen Situationen, die aus dieser Prämisse entspringen, ohne ersichtliche Anstrengung, aber auch ohne Konzentration. Wo "Bad Teacher" dicht und präzise verfügt war, wirkt "Sex Tape" holprig, improvisiert. Die einzelnen Szenen sind lose und ohne innere Notwendigkeit aneinander gereiht. Manches könnte man, ohne dem Film Gewalt anzutun, einfach weglassen, anderes hinzufügen. Es herrscht ein relaxter Vibe in dieser remarriage comedy, die keine neuen Paarungen produziert, sondern bestehende auf die Probe stellt. Das Wiederverheiratungsmotiv wird konsequent auf dem Feld der Sexualität entfaltet. Auch wenn uns ein wohlmeinender Pornoimpressario (Jack Black) später erklärt, dass schlechter Sex ein Symptom tiefer liegender Beziehungsprobleme ist, sträubt sich "Sex Tape" ansonsten gegen solche Binsenweisheiten. Sex bezeichnet Annie und Jays Beziehung nicht als ein ein ihm Äußerliches, sondern er verkörpert die weltverwandelnde Kraft der Liebe unmittelbar: "I love fucking you," flötet die noch junge, vom Familienleben unverdorbene Annie ihrem Jay ins Ohr. Seine Erwiderung: "I fucking love you."
 
"Bad Teacher" und "Sex Tape" sind zweimal Cameron Diaz: einmal als narzisstische und soziopathische Tussi, die domestiziert werden muss, einmal als freundliche Mum, die einen Ausweg sucht aus der Häuslichkeit - oder doch wenigstens nach der Möglichkeit, ein Quäntchen vergangener Wildheit in die Familiensphäre hinüberzuretten. So bedenklich misogyn diese Frauenfiguren sich bisweilen anfühlen: Diaz macht sie sich zu eigen, bringt sie mit sprödem Charme zum Strahlen. Jason Segel, ihr Gegenüber, ist in Posen der naiven Begeisterung und der kindlichen Übertreibung zuhause. Ob im Kino (in dem charmanten Muppet-Relaunch von James Bobin zum Beispiel) oder im Fernsehen (in "Freaks and Geeks" und "How I Met Your Mother"), haben wir ihn als gutmütigen, leicht untersetzten Riesen kennengelernt. Seither hat Segel viel an Gewicht verloren. In "Sex Tape" ist er fast schlank, die sperrig-linkische Physis von einst geradezu stimmigen Proportionen gewichen. Gut für Jason Segel. Aber bedauerlich für sein komödiantisches Repertoire ist es doch, dass so etwas wie seine maximal jämmerliche Nacktszene in Nicholas Stollers "Forgetting Sarah Marshall" (2008) nicht wiederholbar ist. Davon nämlich, von entblößender, lächerlicher Nacktheit, hätte ein Film, der vorgeblich von Herstellung und Vertrieb (wider Willen) eines sex tape erzählt, mehr vertragen.

Nikolaus Perneczky

Sex Tape - USA 2014 - Regie: Jake Kasdan - Darsteller: Cameron Diaz, Jason Segel, Rob Corddry, Ellie Kemper, Rob Lowe, Nat Faxon, Nancy Lenehan - Laufzeit: 94 Minuten.