Im Kino

Belgische Prärie

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
13.05.2009. Denis Iliadis' "The Last House on the Left" ist das Hollywood-Horror-Remake eines Horror-Remakes von Ingmar Bergmans "Jungfrauenquelle", der eine Verfilmung einer schwedischen Ballade war. Und Bouli Lanners' "Eldorado" ist ganz was anderes: ein belgisches Roadmovie mit leerer Landschaft, Baumwipfeln und Musik.

Nicht jeder Horrorfilm kann auf eine solche Genealogie zurückblicken: Die schwedische Ballade "Töres dotter i Wänge" (Volltext) entstand im 13. Jahrhundert und erzählt davon, wie ein Vater Rache an den Mördern seiner Töchter nimmt, die zufällig in seinem Hof einkehren. Anschließend baut er eine Kirche. Ins Kino gelangte diese rudimentäre Erzählung erstmals 1960. Ingmar Bergman entwickelte aus ihr die eindrückliche religiös-moralische Parabel "Die Jungfrauenquelle" (mehr bei Youtube), die ihm einen Oscargewinn einbrachte. Zwölf Jahre später drehte der Regiedebütant Wes Craven ein Quasiremake des Bergman-Streifens, das zu einem der berüchtigsten Filme der Siebziger Jahre avancierte.

Cravens am äußersten Rand der amerikanischen Filmindustrie (einige Beteiligte, unter anderem Craven selbst, waren in den Folgejahren an Pornoproduktionen beteiligt) entstandene Low-Budget-Produktion "Last House on the Left" war vom reinen Bildgehalt her nicht unbedingt schockierender als andere Genrebeiträge, sie zeichnete sich jedoch durch eine denkbar bösartige, nihilistische Haltung zu ihrem Gegenstand aus. Cravens Version verlegte die Balladenhandlung in die amerikanische Gegenwart und ersetzte Bergmans religionsphilosophische Diskurse durch einen simplen, aber schlüssigen sozialen Konflikt: urbane, friedliebende Hippies treffen auf atavistische, verrohte Hinterwäldler.

Wiederum 37 Jahre später gibt es nun ein Remake des Craven-Streifens, diesmal mitten in Hollywood. Von "The Amityville Horror" bis zu "Halloween" erlebten in den letzten Jahren zahllose Klassiker und Semiklassiker Neuauflagen. Noch fast alle dieser Filme waren zwar nicht unbedingt blutleerer, aber doch glatter als die Originale. Im Fall von "Last House on the Left" ist diese Tendenz noch deutlicher: Mit der No-Budget-Räudigkeit des Craven-Films hat der Remakeregisseur Dennis Iliadis wenig am Hut.

Es gibt zwar im späteren Verlauf eine durchaus symptomatische Abweichung, zunächst aber übernimmt der Grieche die Handlung fast eins zu eins von Craven. Mari Collingwood, Tochter aus gutbürgerlichem Hause, gerät gemeinsam mit einer Freundin in die Fänge einer degenerierten Verbrecherfamilie, wird fertig gemacht und vergewaltigt. Anschließend klopfen ihre Peiniger, auf der Suche nach einem Schlupfwinkel, zufällig ausgerechnet an der Tür der - vorläufig - noch unwissenden Eltern des Mädchens.

Was bei Iliades komplett wegfällt, ist die soziopolitische Dimension. Eine soziale Differenz konstruiert der Film zwar schon, doch es ist eine beliebige: Die Collingwoods sind vage yuppiesk, ihre Peiniger sind unterprivilegierte Brutalos, die bei jeder Gelegenheit auf den materiellen Wohlstand ihrer Opfer hinweisen. Freilich sehen sie mit ihren ebenfalls vage new-waveigen Frisuren, Tattoos und Piercings aus, als seien sie einem trashigen Gangfilm der achziger Jahre entsprungen. Dass Maris Drogenkonsum - zu Beginn folgt sie dem Sohn der Mörderbande in deren Unterschlupf und zieht an einem Joint - als Regel- und gesellschaftliche Grenzüberschreitung die Gewaltorgie in Gang bringt, das glaubt sich der (dem postmodernen Augenzwinkern ansonsten glücklicherweise eher abgeneigte) Film schon selbst nicht mehr so recht. Was bleibt, sind die Plotpoints. Im dritten Anlauf reduziert das Kino die mittelalterliche Ballade wieder auf ihr reines Handlungsgerüst, auf den strukturellen Gehalt sozusagen.

Das Blut fließt in Strömen, aber gleichzeitig auch in Hochglanz. Immer wieder verrät der Film einen fürs Genre seltenen Stilwillen. Ein Bad im Swimming Pool zu Beginn löst sich fast in Lichtreflektionen auf, die atemlose Hetzjagd im Wald, der das erste gute Drittel des Films gehört, ist schlichtweg technisch meisterliches Genrekino: düster pulsierende Farben, dynamische Wechselspiele aus Licht und Schatten, Lärm und Stille, dazwischen Blutspritzer. Freilich ist da auch noch die Vergewaltigung. Auf die hält die Kamera genauso unbarmherzig drauf wie 1972. Und trotz der genrehandwerklichen Solidität der gesamten Unternehmung sind diese Minuten auch im Remake angemessen unerträglich.

Später, wenn sich das blutige Treiben ins Haus der Collingwoods verlagert, wird der Film doch etwas öde. Iliadis fällt inszenatorisch nicht mehr allzu viel ein und seine Ambitionen konzentrieren sich darauf, möglichst viele Haushaltsgeräte zu Mordwerkzeugen umzuwidmen. Auch dieser Abschnitt ist nicht ohne Reiz, aber die Schweigsamkeit des Films in jeder außer der offensichtlichen Hinsicht macht sich immer stärker bemerkbar.

Lukas Foerster

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Wild ist der Westen, weit ist die Prärie. In Belgiens Süden. Im Breitleinwandbild sitzt zu Beginn dieses Films ein Typ mit rotem Stirnband im Gras. Das ist Jesus, der taucht dann aber nicht wieder auf. Wer dagegen auftaucht im Laufe von "Eldorado" ist ein Mann namens Alain Delon, der mit dem Filmstar nicht die mindeste Ähnlichkeit hat. Dafür ist er immerhin nackt und fährt ein Wohnmobil. Wer auch auftaucht, ist ein Hund, dreivierteltot, gegen Schluss. Am Ende des Films liegt er begraben.

Eines ist dieser belgische Film, bei dem Bouli Lanners als Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Regisseur figuriert, in jedem Fall: eine Kuriosität. Auf das, was er zeigt, und wie er's, wie unbeholfen auch immer in der filmischen Form, zeigt, muss man erst einmal kommen. "Eldorado" ist ein Road- und, leider, auch ein Buddy-Movie. Und die Freundschaft, von der er zählt, eine Freundschaft, die sich als endliche erweisen wird, beginnt ungewöhnlich genug.

(Nein, das ist falsch formuliert; in diesem Film ist nichts ungewöhnlich genug, es muss alles immer ganz besonders ungewöhnlich sein; überaus kurios; vollends absurd; der Film macht immer ungefähr eine Vierteldrehung, und jeweils keine sehr elegante, zu viel: Man begegnet eben einem Mann, der nicht nur nackt ist, sondern auch noch Alain Delon heißt. Es wird nicht nur wie im amerikanischen Westen durch menschenleere Landschaften gefahren, es muss auch noch ein Chevrolet sein, mit dem Yvan fährt. Und so weiter.)

Die Freundschaft, die im Zentrum dieses Films steht, beginnt also ganz besonders ungewöhnlich. Yvan kommt nach Hause zurück und erkennt, dass jemand sich gewaltsam Zugang verschafft hat zu seinem Eigenheim. Er packt ein Rohr und entdeckt den Einbrecher (Fabrice Adde) unterm Bett. Er holt ihn aber nicht hervor, sondern sitzt wartend im Stuhl. Schläft ein, wacht auf, sieht den Mann fliehen und wirft das Rohr nach ihm. Der Mann stürzt und wird darauf, einfach so, seines Opfers Weggefährte.


Er heißt Elie, sagt er, sie sitzen im Chevrolet, die Kamera blickt zu Musik gen Himmel, zeigt Wipfel und Wälder, auch im Dunkeln. Es rauscht und gesprochen wird nicht so viel. Aber doch, wiederum, mehr als genug. Elie ist ein Ex-Junkie, noch zum Einbruch zu blöd, Yvan hat sich vom Leben auch irgendwie andres erträumt. "Eldorado" ist ein ironischer Titel. Gegraben wird schon, nicht aber nach Gold. Und zwar, als sie Elies Eltern besuchen, wobei sich herausstellt, dass Elie eigentlich Didier heißt. Yvan ist enttäuscht, dass Elie ihn da angelogen hat, und dann ist der Film auch fast schon vorbei. (Es wird noch ein Hund begraben.)

In Cannes letztes Jahr lief "Eldorado" in der edlen Nebenreihe "Quinzaine" und bekam dabei diverse edle Nebenpreise. Das macht mich ratlos. Es ist ein Film, in dessen Innerem nichts als ein sentimentales Klischee steckt, das er dann aber auf die ganze Breite der Leinwand dehnt. Er hat kein Geheimnis, aber macht eines draus. Er streckt sich zugleich nach der Decke amerikanischer Vorbilder und will gar nicht so tun, als nähme er etwas daran wirklich Ernst. Er hat kein tieferes Verhältnis zu Ort, Zeit und Figuren seiner Handlung. "Eldorado" ist ein bisschen Kaurismäki für Arme, ein bisschen schwacher Abklatsch von Vincent Gallos "Buffalo 66" und "Brown Bunny". Eine Revue mittelmäßig süßsaurer traurig-komischer Einfälle. Er hat seine Fans. Ich gehöre nicht dazu.

Ekkehard Knörer

The Last House on the Left. USA 2009 - Regie: Dennis Iliadis - Darsteller: Sara Paxton, Garret Dillahunt, Martha MacIsaac, Tony Goldwyn, Monica Potter, Michael Bowen, Joshua Cox, Riki Lindhome, Aaron Paul, Spencer Treat Clark, Usha Khan

Eldorado. Belgien / Frankreich 2008 - Regie: Bouli Lanners - Darsteller: Bouli Lanners, Fabrice Adde, Francoise Chichery, Philippe Nahon, Didier Toupy, Stefan Liberski, Baptiste Isaia, Jean-Jacques Rausin