Im Kino

Atompilz der guten Laune

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Michael Kienzl
17.03.2016. Der Verzicht ist Programm in Kevin Reynolds authentizitätsfixierten Bibelfilm "Auferstanden". Phil Collins gelingt in "Tomorrow Is Always Too Long" einigen kitschigen Scherenschnitten zum Trotz ein angenehm zwischen Affirmation und Dekonstruktion pendelndes Stadtporträt Glasgows.


Außerhalb der USA (und jenseits der Zielgruppe wohl auch innerhalb der USA) kaum wahrgenommen, bilden dezidiert christliche Erbauungsfilme in den Staaten vielleicht kein herausragend relevantes, aber doch verlässlich bedientes und wohl auch profitables Segment der Produktion. Insbesondere die Sony-Tochter Affirm Films tritt in diesem Feld als Player hervor. Selbstauskunft laut, ähem, Mission Statement: "AFFIRM Films acquires faith-based and inspirational content across a wide range of genres and budgets for the various global distribution platforms." Im Katalog stößt man auf Titel wie "Miracles From Heaven", "Faith Like Potatoes" (!?!?), "Walking On Water" oder auch eine unter "Bible Series" zusammengefasste DVD-Reihe alter, damals wohl rein zu Fantasy-Entertainmentzwecken produzierter Bibelschinken, auch von namhaften Regisseuren wie Richard Fleischer.

Soweit, so unerheblich, da wenig überraschend: Jede Nische mit hinreichend Marktkraft wird finanziell angezapft, da machen auch jene Leute keinen Unterschied, die ihr Leben in der Pflege eines einseitigen Freundschaftsverhältnisses zu einem unsichtbaren Mann im Himmel erfüllt sehen. Wenn aber ein Film wie "Auferstanden" den Sprung nicht nur über den Atlantik und ins Kino schafft (und sich also außerhalb der üblichen Milieuzirkel bewegt, was daran liegen mag, dass der Film mit Kevin Reynolds keinen völligen No-Name-Outsider als Regisseur - sein Blockbuster "Waterworld" galt einst als bis dahin teuerster Film - und mit Joseph Fiennes keinen völlig unbekannten Hauptdarsteller vorweisen kann und überdies mit Ostern demnächst weihevoll der Mutter aller Zombie-Storys gedacht wird), ist dieser Hinweis auf den Hintergrund der Sache nicht verkehrt, nur damit man weiß: Die meinen das tatsächlich ernst. Oder spekulieren wenigstens darauf, dass das Publikum die Story ernst nimmt. Jedenfalls soll das kein Camp sein, was da passiert. Unglaublich, aber wahr - das musste sich schon der ungläubige Thomas damals eingestehen, als er den Finger in die Wunde Christi legte. In "Auferstanden" darf diese Szene natürlich nicht fehlen - ein gefingerter Jesus? Immer her damit!

Doch der Reihe nach. Worum geht's? In Jerusalem steht mal wieder allgemeines Kreuzigen auf der Agenda. Für den römischen Tribun Clavius (Joseph Fiennes) eine eher lästige Episode auf dem Weg zum Ruhm in Rom, wo er eines fernes Tages das Leben eines angesehenen Bürgers mit Perspektive auf einen verdienten Ruhestand in einer Provinzvilla leben möchte. Bis dahin aber gilt es, aufsässige Hebräer ans Kreuz zu schlagen, darunter auch einen, um dessen Leib und dessen Verbleib sich nach erfolgtem Dahinscheiden reges Interesse bildet. Die einen fordern die Herausgabe zum Zweck eigenhändiger Bestattung, die anderen - eine Gruppe Hohepriester, die um ihre Pfründe fürchtet - wüssten gerne sichergestellt, dass sich um diese Leiche kein Kult bildet, da sich einige Sektenanhänger von dem Kadaver noch eine beträchtliche Rest-Performanz versprechen, was im Falle eines Falles für sie, die Hohepriester, ungünstig wäre.

Verhindert werden soll, was dennoch eintritt: Die Leiche entfleucht dem Grab am dritten Tage unter rätselhaftesten Umständen. Schon mehren sich Zeugnisse von Leuten, die den Verstorbenen in munterer Version gesehen haben wollen. Clavius wird damit beauftragt, der abspenstigen Leiche wieder habhaft zu werden, um der Öffentlichkeit - habemus corpus! - zu versichern, dass die Geschichte lediglich die marketingträchtige Posse einer wirren Sekte darstellt, die den Leichnam gestohlen hat und jetzt Komödie in eigener Sache spielt. Doch angesichts der erhöhten Temperaturen in der Region drängt die Sache: Ist der Leichnam erst einmal bis zur Unkenntlichkeit vergoren, hat die Sekte mangels aussagekräftiger Gegenbeweise gewonnen - ein PR-Coup oder -Gau, je nach Perspektive.

Es kommt, wie es kommen muss: Eine Vielzahl von Widersprüchen und unerklärlichen Ereignissen lässt den braven Römer mit seinem Weltbild hadern. Als der Totgeglaubte ihm im Kreise seiner Hörigen tatsächlich gegenüber sitzt, fasst sich Clavius ein Herz und stößt, wenn auch zögerlich, peu à peu zur Runde der Urchristen hinzu. Den Reichtum der römischen Zivilisation - Bäder, Öle, schöne Gewänder und eine bunte, aufregende Göttersagenwelt - streift er ab und wählt stattdessen ein Leben im Elend der Weltentsagung: Entbehrungsreiche Wanderschaften durch staubige Wüsten, Grind und Schorf am ganzen Körper, graue Gewänder und mehr als nur einmal keine Ahnung, woher die nächste Mahlzeit kommen soll. Zum Ausgleich für die ganze Plagerei gibt es immerhin erbauliche Kalendersprüche vom dauergrinsenden Guru, der sich fortlaufend in der hohen Kunst des unverlässlichen In-Erscheinung-Tretens übt und sich schlussendlich gar, dabei Weihevolles bramarbasierend, vollends und buchstäblich aus dem Staub macht. The End.



Als beknackte Bibel-sploitation hätte "Auferstanden" seine Meriten, leider hat er anderes im Sinn: Ein Film, der den Verzicht predigt und sich daher in Verzicht übt. Der Realismus der Inszenierung könnte künstlerisches Programm sein: Tatsächlich stemmt sich "Auferstanden" jede Sekunde gegen die klassische, mehlspeisig-feiste Bibelfilm-Protzästhetik und zeichnet ein karges Bild: Pathos der Überhöhung ist ihm weitgehend fremd, kein überkandidelter Exzess, wie er etwa prunkvollen Kirchenfenstern eigen ist. Wenn Jesus ans Kreuz gehauen wird, reicht es nicht einmal für Foltergeilheit Marke Mel Gibson, stattdessen findet das Siechtum in einer trostlosen Gasse vor der Stadtmauer statt. Die Schädelstätte Golgatha ist frei von jedem Gothic Chic, stattdessen handelt es sich um ein schlichtes, schlampig mit Kalk gelöschtes und also von massenhaft Fliegen in Anspruch genommenes Massengrab gleich hinter den recycelten Kreuzen, in das die frisch Gekreuzigten achtlos geworfen werden und vor dessen Gestank die römischen Legionäre sich beträchtlich ekeln.

Freilich liegt hinter dieser ästhetischen Programmatik kein aufklärerisches Projekt, sie folgt einem perfiden Plan: Gerade weil dieser Erzählkosmos so realistisch wirkt, wird auf die Tatsächlichkeit des Geschehens gepocht. Die Bibel als historischer Tatsachenbericht, nicht als der eklektizistische Mythenmischmasch, den sie tatsächlich darstellt. Dazu passt die Erzählperspektive, die mit der von Clavius in eins gesetzt wird: Den Etappen der bekannten Geschichte von Kreuzigung über Auferstehung bis Christi Himmelfahrt samt Pfingsten folgt man schlaglicht- und auszugsartig, aus Perspektive eines historischen Zeitzeugen. Und so wie es Clavius dämmert, dass wahrhaftig etwas geschehen sei, was sich mit kriminalistischer Kompetenz diesseitig nicht erklären lasse, soll auch im Zuschauer didaktisch die Einsicht reifen, dass nicht nur Jesus, sondern auch die wundersamen Anekdoten nach seinem Dahinscheiden, einen Fakt jenseits des Mythos darstellen.

Immerhin offenbart der im übrigen zermürbend langweilig erzählte Film schon ein Stückchen mehr. Im wesentlichen ist er Kino für Blöde: Die kriminologischen Aporien, die das Publikum glauben machen sollen, sind ein Witz. Auch das Grabtuch von Turin, das allen wissenschaftlich erlangten Erkenntnissen zum Trotz zum Zeugnis Jesu Leibhaftigkeit herhalten muss, wird zur Bestärkung des Zusammenhangs zwischen damaliger und heutiger Welt in die Kamera gehalten - allerdings natürlich, Kino für Blöde eben, nicht in seiner tatsächlichen Gestalt, sondern in Form des ikonografisch dankbareren und deswegen auch präsenteren fotografischen Negativs. Schön auch eine Szene mit dem Apostel Bartholomäus, der sich im Verhör als schauderhaft dauergutgelaunter Dude Marke durchgeknallter kalifornischer Hippie mit blonder Surfer-Lockenmähne entpuppt, in einer Tour sinnlos von "Love changes everything, maaan" schwadroniert und sich im jecken Begeisterungsrausch gleich selbst zur Kreuzigung anbietet, während sich überhaupt der Begeisterungspegel der Apostel immer wieder aufs Neue zu unerträglichen Höhen aufschwingt - wie das in einer Glaubensgemeinschaft eben so ist, die dauernd von Liebe faselt, aber ein Folterwerkzeug zu ihrem Symbol macht und bei Leid und Entsagung erst so richtig in Fahrt kommt. Dass die Chose ernstgemeint sein soll, setzt dem Ganzen noch die Dornenkrone auf. Wenn Jesus schließlich am Horizont in einer Art Atompilz der guten Laune gen Himmel auffährt, sitzt man im Kino und kriegt den Mund endgültig nicht mehr zu vor ungläubigem Staunen.

Thomas Groh

Auferstanden - USA 2016 - Originaltite: Risen - Regie: Kevin Reynolds - Darsteller: Joseph Fiennes, Tom Felton, Peter Firth, Cliff Curtis, Maria Botto - Laufzeit: 107 Minuten.


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Der englische Künstler und Fast-Turner-Prize-Träger Phil Collins hat einen Film gedreht, der Brüche zum Gestaltungsprinzip erhebt. Mit einer liebevollen und versponnenen, aber auch kämpferischen Ode an die Stadt Glasgow zeigt er, wie vielfältig man als Filmemacher über die Wirklichkeit reflektieren kann. Dokumentation geht in Fiktion über, Realismus in Science-Fiction, Realfilm in Animation und Parodie in Ernsthaftigkeit. Inhaltlich ist "Tomorrow Is Always Too Long", der mit zwei Jahren Verspätung in die deutschen Kinos kommt, nicht weniger breit gefächert. Er handelt von der politisch bewegten Geschichte der Stadt, der einnehmenden Hemdsärmeligkeit ihrer Bewohner, aber auch von sozialer Entfremdung und der Versklavung des Menschen durch Technologie. Gerade wenn es um solche Krankheiten der Moderne geht, könnte man Collins durchaus vorwerfen, keinen Allgemeinplatz auszulassen. Doch hier kommt dem Film seine offene Form und sein unaufgeregter Erzählton zugute. Die überwiegend unzusammenhängenden Fragmente verbinden sich nicht zu einer banalen Argumentationskette, sondern bleiben eigen- und widerständig. Von Authentizität hält Collins ohnehin nicht viel. Selbst bei ethnographischen Szenen baut er Irritationen ein. Wenn etwa ein älteres Paar von seiner bewegten Beziehungsgeschichte erzählt oder zwei Rentnerinnen von ihrem Engagement für Flüchtlinge berichten, platziert Collins seine Protagonisten nicht auf der naheliegenden Wohnzimmercouch, sondern in einem artifiziellen, quietschig bunten Studio-Setting. Das ist eine der schönsten Eigenschaften des Films: Um vom Leben zu erzählen, muss er es nicht imitieren.

Auf den ersten Blick herrscht eine große Unordung in "Tomorrow Is Always Too Long". Wenn Collins nicht gerade das aufgekratzte Treiben einer Seniorenparty dokumentiert oder auf Archivmaterial von Arbeiterprotesten und Widerstandskämpfen zurückgreift, zappt er sich durch eine imaginäre Fernsehlandschaft im VHS-Vintage-Look, in der aggressiv aufgedrehte Aerobic-Trainerinnen oder manipulative Teleshopping-Verkäufer ihr Unwesen treiben. Die Brüche werden dabei bald nicht mehr als solche wahrgenommen, sondern gehen in einem flackernden Bilderfluss unter, der die ästhetischen Eigenheiten von in die Jahre gekommenen Video-Effekten zelebriert.

Strukturiert wird der Film dagegen von vergleichsweise glatt und opulent inszenierten Musical-Nummern, die von den orchestral aufgedonnerten Indie-Songs der Musikerin Cate Le Bon getragen werden. Wenn in diesen Szenen ein junges Elternpaar, ein Häftling oder eine Schülerin unvermittelt zu singen beginnen, offenbart sich das ambivalente Verhältnis, das Collins zur Popkultur hat. Schon in früheren Arbeiten - die vornehmlich in Ausstellungen präsentiert wurden - hat der englische Künstler in der Konsumkultur eine Chance gesehen. Ob in der Meta-Telenovela "Soy Mi Madre" oder dem interkulturellen Karaokevideo "The World Won't Listen": Populäre Formate sind für Collins ein Mittel, der eigenen Gefühlswelt Ausdruck zu verleihen. Wer das Angebot der Popkultur nutzt, muss kein blinder Konsument sein (wobei auch solche im Film auftauchen), sondern kann auch seiner Identität Kontur verleihen.



Die Musical-Nummern von "Tomorrow Is Always Too Long" zeugen mit ihren monumentalen Kamerafahrten und holprigen Kinder-Choreographien mehr von Liebe als von Verachtung für das Genre. Auch die Songs sind zunächst so catchy und allgemein gehalten, wie man das von Popmusik erwartet (zumindest wenn man einigen erfolgreichen Musikproduzenten Glauben schenkt, erreicht man dann am meisten Hörer, wenn man möglichst unspezifisch bleibt). Aber etwas ist anders, denn die Lieder erzählen zwar von Gefühlen, die jeder kennt - von Angst, der Sehnsucht nach Nähe oder wiedergefundenem Mut -, bleiben aber seltsam diffus, weil sie sich weigern, auf konkrete Erfahrungen Bezug zu nehmen.

Collins' Gratwanderung zwischen Affirmation und Dekonstruktion schaut man überwiegend gerne zu. Gelegentlich krankt "Tomorrow Is Always Too Long" allerdings an seiner Fahrigkeit. Manches muss in solch einem bunten Sammelsurium eben auch daneben gehen. Zum Beispiel die etwas arg kokette Do-It-Yourself-Ästhetik, mehr aber noch die Scherenschnitt-Animationen von Matthew Robins, die so ungefähr das Klischeehafteste versammeln, was man sich zum Thema urbane Einsamkeit vorstellen kann: Verniedlicht melancholische Szenarien mit trüben Figuren, die auf Fernseher starren oder sich in Clubs Drogen einwerfen. Das wird auch nicht besser, wenn plötzlich eine Giraffe auf einem Barhocker sitzt.

Collins selbst verpackt seinen Kulturpessimismus deutlich witziger. Auf einem Teleshopping-Kanal wird ein Produkt mit dem Namen "SeachMe" angepriesen, das seinen Käufern helfen will, mehr Zuneigung zu bekommen. Dafür muss man nur ein Metallband in die Unterhose stecken, und schon wird man bei der nächsten Sicherheitskontrolle am Flughafen eine Sonderbehandlung bekommen. Hier zeigt der Regisseur noch einmal, wie man die Strategien der Popkultur erfolgreich nutzen kann, um auf ihre eigenen Fallstricke hinzuweisen. Damit ist er den Bewohnern Glasgows erstaunlich nahe. Auch sie verstehen es gut, unangenehme Wahrheiten ansprechend zu verpacken. Man hört ihnen gerne zu, wenn sie auf - dem mit seinen langgezogenen Vokalen eigentümlich klingenden - Schottisch aus ihrem Leben erzählen. Dabei wird einem manchmal gar nicht bewusst, dass sich hinter ihrem unnachahmlichen Galgenhumor ziemlich bittere Geschichten verbergen.

Michael Kienzl

Tomorrow Is Always Too Long - GB 2014 - Regie: Phil Collins - Laufzeit: 82 Minuten.