Im Kino

Nur noch Farbaufnahmen

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Fabian Tietke
22.06.2016. "Bastille Day" von James Watkins ist ein überzeugender Actionfilm mit dezidiert linker Agenda und einem coolen Hauptdarsteller, Idris Elba. Claudia von Alemann porträtiert in "Die Frau mit der Kamera" eine Freundin und Mitstreiterin: die 1996 verstorbene Fotografin Abisag Tüllmann.


Eine nackte junge Frau schreitet die Treppen vor Sacre-Coeur hinab. Die abgelenkte Aufmerksamkeit geifernder, applaudierender, eifrig fotografierender Männer macht sich Michael Mason (Richard Madden) zunutze, um ihnen mit flinken Füßen und noch viel flinkeren Fingern allerlei Wertgegenstände zu entwenden. Beinahe tänzelnd bewegt er sich von einem seiner Opfer zum nächsten. Ebenso flink wird er wenig später in der U-Bahn die junge Frau, die sich inzwischen angezogen hat, abservieren. Damit beendet der Film auch schon das Thema Paar-Beziehungen. Im weiteren Verlauf geht alles so schnell und ist dabei derart aufs Wesentlichste reduziert, dass für Liebesdinge schlichtweg keine Zeit bleibt.

Michael ist Amerikaner, der in Paris sein Geld damit verdient, die Dinge zu verhökern, die er mit größtem Geschick klaut. Jedoch nimmt sein Schicksal eine unerwartete Wendung, als er eines Nachts der jungen Zoe (Charlotte Le Bon) eine Tasche stiehlt, die er, weil sie nichts Brauchbares enthält, auf einem Platz achtlos hinter sich schmeißt - und es plötzlich gewaltig rumst und vier Menschen ihr Leben verlieren. In der Tasche befand sich eine Bombe, die Zoe in der vermeintlich leeren Zentrale einer nationalistischen Partei platzieren sollte. Michael wird zum Terrorverdächtigen und gerät ins Visier des in Paris operierenden, knallharten CIA-Agenten Sean Briar (Idris Elba), den er jedoch bald von seiner Unschuld überzeugen kann. Gemeinsam mit Zoe suchen die beiden nach den wahren Terroristen und kommen dabei einer Verschwörung auf die Spur, die sich in bis in höchste Regierungskreise erstreckt.

Die Figur des hart gekochten, kräftig zupackenden Agenten, der es mit seinen Vorgesetzten und ihren Befehlen eher nicht so hat, sieht Regisseur James Watkins, der sich mit seinem Debüt, dem noch in seiner britischen Heimat entstandenen Backwood-Splatterfilm "Eden Lake" (2008), selbst als Mann fürs Grobe vorstellte, in der Tradition von Filmen wie "Dirty Harry", "The French Connection" oder "48 Hours". Nun sind solche Vergleiche zur klassischen Moderne des Action-Kinos leicht gezogen, besonders wenn es darum geht, einen Film zu vermarkten. Idris Elba, der sich mit seiner Rolle als Dealer Stringer Bell in der visionären HBO-Serie "The Wire" für Hollywood empfahl, legt allerdings tatsächlich eine Ausstrahlung und eine rein psychische Präsenz an den Tag, wie sie Clint Eastwood, Gene Hackman oder Nick Nolte in ihren besten Tagen hatten.



Georg Seeßlen schrieb über "Dirty Harry" einmal, dass der Film mitnichten so rechts sei wie sein Protagonist. Das Update dieser Figur ist in der sich stetig verkomplizierenden politischen Realität des Jahres 2016 längst aus allen ideologischen Zusammenhängen gefallen. Die Motivation seines Handelns hat nichts mehr mit irgendwelchen Weltbildern zu tun. Einmal behauptet Briar, er tue, was er tut, weil sein Widersacher eine von ihm sehr geschätzte CIA-Kollegin auf dem Gewissen habe, aber das bleibt wenig glaubhaft. Vielmehr scheint es ihm um die pure Lust am Prügeln und Schießen und Befehle missachten zu gehen. Man kann Elba kaum genug dafür loben, dass dieser Brutalo-Anarchist, dem der Filme konsequent eine Back- oder Lovestory, sowie jegliches andere Attribut verweigert, dass ihn menschlicher machen könnte, nicht nur charmant, sondern sogar sympathisch wirkt.

Noch toller ist, dass diese Figur in einen Film hineingestellt wird, der entgegen seines sonstigen Tempos ganz langsam eine dezidiert linke Agenda entwickelt. Der Super-Agent erhält Hilfe von einem Dieb und einer Frau unter Terrorverdacht, im Finale sogar von linken Demonstranten, die eine Bank stürmen und damit in Anlehnung an den Titel eine neue Französische Revolution ausrufen, die für Momente geradezu physisch greifbar wird. Nationalistische Politiker benutzen den Terror, um in den Nachrichten gegen muslimische Zuwanderer zu hetzen, von denen einer, wie wir ebenfalls aus den Nachrichten erfahren, von der Polizei auf einer Demo krankenhausreif geschlagen wird. Der Terrorismus wird zum Deckmantel, unter dem Leute aus den höchsten politischen Kreisen agieren, denen es letztlich nicht um Politik, sondern um sehr viel Geld geht.

Was die Inszenierung der Action anbelangt, erfindet Watkins das Rad nicht neu. Er verzichtet auf CGI und setzt stattdessen auf die Unmittelbarkeit von Handkameras, die oft in subjektiven Einstellungen eingesetzt und immer direkt im Geschehen sind. Einen frühen Höhepunkt (und genau das richtige für Menschen mit Höhenangst wie mich) stellt eine Verfolgungsjagd über die Spitzdächer von Pariser Altbauten dar. Später geht es unter anderem im Laderaum eines zeitweise fahrerlos dahin schlingernden Transporters rund. Das World Building ist in "Bastille Day" nichts, was unabhängig von der Action geschieht, sondern es entsteht quasi nebenbei, während der Film mit atemberaubender Geschwindigkeit von einem set piece zum nächsten hetzt. Am Ende steht ein spektakulärer, brillant gespielter thinking man's action movie ohne falsche intellektuelle Allüren. Hut ab!

Bastille Day - GB, Frankreich, USA 2016 - Regie: James Watkins - Darsteller: Idris Elba, Richard Madden, Kelly Reilly, Charlotte Le Bon, Anatol Yusef, Alexander Cooper - Laufzeit: 92 Minuten.

Nicolai Bühnemann

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Eine Welt in Fotografien; überwiegend schwarzweiß, wenige in Farbe. 1965 in Oberhausen kreuzten sich die Wege von Abisag Tüllmann und Claudia von Alemann. Tüllmann fotografierte die Pressekonferenz der Filmstudierenden der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Auf dem Foto von der Pressekonferenz sitzt Claudia von Alemann, seit 1964 Studentin in Ulm, ganz links am Tisch auf dem Podium. 1996, 31 Jahre später, filmt Claudia von Alemann drei Tage nach dem Tod Tüllmanns deren Wohnung. Durch die Flurtür ein Blick auf einen Tisch umgeben von den berühmten Breuer'schen Freischwingerstühlen. Im nächsten Zimmer stehen schlichtere Stühle im Raum verteilt, die Sitzflächen bedeckt mit Kisten von Fotopapier und Abzügen von Fotos. Auch das dritte Zimmer mit dem Schreibtisch sieht ähnlich aus. Überall in der Wohnung Fotos und Bücher. Die Aufnahmen werden zum Ausgangspunkt eines filmischen Porträts von Abisag Tüllmann und der Freundschaft zwischen ihr und Claudia von Alemann.

Abisag Tüllmann bricht Mitte der 1950er Jahre ein Studium der Innenarchitektur ab und beginnt zu fotografieren. Wenig später, Anfang der 1960er Jahre, ist sie bereits eine erfolgreiche Fotografin. 1963 erscheint ein Bildband von Tüllman mit Fotografien aus Frankfurt. Ab 1964 fotografiert sie bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt die Protagonisten der Neuen Musik der 1960er Jahre. Im gleichen Jahr fotografiert sie beim Auschwitz-Prozess. Tüllmanns Fotos erscheinen in allen großen deutschen Zeitschriften (u.a. im Stern und im Spiegel), bei magnum, in Zeitungen wie der Frankfurter Rundschau und der Frankfurter Allgemeinen und in Zeitschriften der Studentenbewegung wie dem vom Frankfurter AStA herausgegebenen Diskus.



Drei Jahrzehnte lang wechselt Tüllmann zwischen den Welten: fotografiert das politische Leben, die Kunst- und Literaturszene der Bundesrepublik, reist nach Algerien, Südafrika, Zimbabwe und immer wieder nach Israel. 1972 entsteht gemeinsam mit Claudia von Alemann, Gerda Jäger und Helma Schleif ein Film über die namibianische Partei Swapo. "Die Frau mit der Kamera" macht deutlich, wie sehr Tüllmanns Fotos ihren Zeitgenossen in ihrer unprätentiöse Verdichtung von Wirklichkeit Welten erschlossen haben.

Claudia von Alemanns Film fertigt aus den Fotos Tüllmanns, Gesprächen mit Freundinnen, Freunden und Kolleginnen ein Porträt der Fotografin. "Langsamkeit" ist eines der Worte, die dabei oft fallen. Als Abisag Tüllmann kurz vor Schluss des Films erstmals zu hören ist, versteht man, was gemeint ist: zögernd und bedächtig fügt Tüllmann Wort an Wort. Sie berichtet halb amüsiert, halb erstaunt von einer Anfrage des Spiegel, die von lange zurückliegenden Ereignissen mit einem Male nur noch Farbaufnahmen wollen; und davon, dass sich seit den 1980er Jahren gemeinsam mit immer glatteren Fotos ein Mehr an Inszenierung in den Zeitschriften ausgebreitet habe.

"Die Frau mit der Kamera" erinnert mit der Person Abisag Tüllmanns zugleich an die engagierte Sprache ihrer Bilder und der Fotografie der 1960er und 1970er Jahre im Allgemeinen. Vor allem die Gespräche mit der Fotografin Barbara Klemm helfen, diese Welt zu verstehen und die Mischung aus Spaß, gegenseitiger Unterstützung und solidarischem Miteinander zu ermessen, die Barbare Klemm, Abisag Tüllmann und einigen anderen das Durchhalten erleichtert hat. Die einsichtsvolle Schönheit der Fotos Tüllmanns beginnt man schon während des Abspanns zu vermissen.

Fabian Tietke

Die Frau mit der Kamera - Deutschland 2015 - Regie: Claudia von Alemann - Laufzeit: 92 Minuten.