Im Kino

Eine Träne und ein Lächeln

Die Filmkolumne. Von Katrin Doerksen
18.01.2023. Damien Chazelles "Babylon" erzählt von der Zeit, als Film noch die Jagd nach Licht war und sich erst langsam zur Jagd nach Geld wandelte. Es ist ein profund historischer und klug eingefädelter Abgesang auf die Filmindustrie, ein endgültiger Bruch mit ihren nostalgisch-selbstverliebten Nabelschauen.


"Babylon - Rausch der Ekstase" beginnt auf einer staubigen Schotterstraße, die die Äcker im neu gegründeten Stadtteil Bel Air durchschneidet. Ein rostiger Truck kommt im Nichts zum Stehen, ein sehr dicker Mann steigt aus und knurrt mürrisch, dass er gekommen sei, ein Pferd abzuholen. Nur, dass das Pferd sich als waschechter Elefant entpuppt, der seiner Bestimmung als Hauptattraktion einer orgiastischen Party zugeführt werden soll. In diesen ersten Eindrücken steckt schon der Grundgedanke von "Babylon". Auch Damien Chazelles letzter Meta-Film "La La Land" hatte auf einer Straße in Los Angeles begonnen. Genauer auf einem riesigen Freeway-Kreuz, auf dem schöne Menschen in properer Kleidung sich auf ihren Autodächern tanzend die Zeit im morgendlichen Stau vertreiben. 1926 ist L.A. noch kein Moloch, in dem zehnspurige Autobahnen die fein säuberliche Trennung zwischen den Vierteln der Superreichen und heruntergekommenen Innenstadtghettos vollziehen. L.A. ist sandige Hügel und elf Sonnenstunden pro Tag, ein weißes Blatt, auf dem jeder seine Träume niederschreiben darf.

Zugleich: Was für ein Abstieg von der fulminanten Eröffnungsszene aus "La La Land", dieser grundoptimistischen Vermählung des alltäglichen Trotts von Corporate America mit den individuellen Träumen tausender Möchtegerns, die nach wie vor jedes Jahr in die Stadt strömen; ein Abstieg zu Staub und Schweiß und Rost und Elefantenscheiße, die sich nur Momente später buchstäblich auf die Zuschauer ergießt. Am Ende des Films wird keine organische Körperflüssigkeit nicht geflossen sein. Es wirkt, als wären bei Chazelle in den sechs Jahren zwischen beiden Filmen einige Illusionen geplatzt.

Es gibt zwei Sorten Menschen: Die, die in einem Douglas-Sirk-Film lachen, und die, die in einem Douglas-Sirk-Film weinen. Letztere, die nicht verlernt haben, sich ohne einen Hauch Zynismus vom emotionalen und stilistischen Überschuss des Affektkinos wegfegen zu lassen, haben gute Chancen, "Babylon" zu lieben. Dabei ist der Film mehr als Affektkino, er ist auch ein auf der Grundlage profunden historischen (und in vielen Details von Kenneth Angers Antibibel "Hollywood Babylon" inspirierten) Wissens klug eingefädelter Abgesang, ein endgültiger Bruch mit nostalgisch-selbstverliebten Nabelschauen der Industrie.



Das beginnt schon mit seinem Protagonisten Manny (Diego Calva), der den eingangs erwähnten Elefanten auf die versprochene Party schafft. Er wird sich dort in das aufstrebende Starlet Nellie LaRoy (Margot Robbie) verlieben und die ersten Kontakte zum Stummfilmstar Jack Conrad (endgültig in seiner Marlon-Brando-Lookalike-Phase angekommen: Brad Pitt) knüpfen. Er wird seinen Glauben an etwas Größeres deklamieren und schließlich zum Studio Executive aufsteigen, aber von Anfang an ist er nicht der erwartbare Typ Naivling mit großen Augen und goldenem Herzen. Es ist ein Hunger in ihm, der manchmal durch Kokain gestillt wird und manchmal, wenn es ihm bei den weißen Geldgebern nützt, indem er ohne mit der Wimper zu zucken seine mexikanische Herkunft verleugnet und durch die vermeintlich schickere aus Madrid ersetzt.

Es geht weiter mit überwältigenden Schlachten auf unter freiem Himmel errichteten Stummfilmsets an der Kippstelle zwischen Pionierzeit und Professionalisierung, in deren Chaos irgendwann nicht mehr zu unterscheiden ist zwischen inszenierten Filmverletzungen und tödlichen Arbeitsunfällen. Dann der Switch zum Tonfilm, der in der ersten Zeit vor allem eine Domestizierung bedeutet - des Chaos, aber auch der Beweglichkeit, der Kreativität. Die Sets werden von riesigen weißen Hallen überstülpt, "Silence, Please"-Schilder aufgehangen, die ratternden Kameras in schallschluckende Container gesteckt, wie ein Vorausblick auf die bald darauf Einzug haltende moralische Selbstkontrolle.

Aus der Jagd nach dem Licht ist eine Jagd nach dem Geld geworden, der Spaß auf der Strecke und das Lachen im Hals stecken geblieben. Bezeichnend, dass der schwarze Jazz-Trompeter Sidney Palmer (Jovan Adepo), eine Nebenfigur, in deren Karrierefortschritt Chazelle mehrfach kurz hineinzoomt, nach all den rauschenden gemischten Parties und Studiomusicals gegen Ende des Films sein Instrument in einem wenig glamourösen schwarzen Club spielt. Auch in dieser Hinsicht gilt nun das traurige Prinzip fein säuberlicher Trennung.



In der Berliner Pressevorführung von "Babylon" hat sich zu diesem Zeitpunkt längst ein Projektionsfehler eingeschlichen, bei dem rasche Bewegungen im Bild grün-rote Schlieren hinterlassen. Ehrlich gesagt bin ich bis zum Ende des Films felsenfest davon überzeugt, dass es sich dabei nicht um einen Fehler handelt, sondern um ein bewusst eingesetztes Stilmittel. Je nach den Lichtverhältnissen erinnern die Farbspuren ans frühes Two-Strip Technicolor oder - just in dem Augenblick, als Chazelle einen Krimiplot andeutet, um die Hollywood-Chronologie endgültig in die Niederungen organisierten Verbrechens und der Exploitation hinab zu geleiten - an durchgenudelte Videotapes, an den Pixelmatsch der frühen Digitaltechnik.

Mit einer Entschuldigungsmail der Veranstalter folgt kurz darauf die Gewissheit. Dem wuchtigen Nachhall von "Babylon - Rausch der Ekstase" tut das keinen Abbruch; dieser gigantischen dreistündigen Verdauungsmaschine, die sich die Filmgeschichte erst einverleiben und sie dann wieder ausspucken muss, bevor die umfassende Bewusstwerdung einsetzen kann und in der Reaktion kulminiert, für die der Kinosessel gemacht ist: eine Träne und ein Lächeln, gleichzeitig.

Katrin Doerksen

Babylon - Rausch der Ekstase - USA 2022 - Regie: Damien Chazelle - Darsteller: Diego Calva, Brad Pitt, Margot Robbie, Jean Smart, Olivia Wilde, J.C. Currais - Laufzeit: 189 Minuten.