Im Kino

Die Dialektik der Welt

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann
14.12.2022. James Camerons "Avatar - The Way of the Water" ist das Meisterwerk geworden, das der Vorgänger gerne gewesen wäre. Lange darf man in Schönheit schwelgen, doch nur, damit die Fallhöhe umso größer wird, wenn er den Ethnokitsch mit atemberaubender Gemeinheit konterkariert, die auch die Na'vi nicht verschont.


Der erste "Avatar" (2009) war über alle Maße erfolgreich. Von heute aus betrachtet hat ihm der damalige Hype nicht sonderlich gut getan: Ein Film, der so sehr als das neueste große Spektakel, als Triumph neuer Kinotechnologien angepriesen wurde; von dem sein Macher, James Cameron sagte, er habe viele Jahre auf die technischen Möglichkeiten warten müssen, die es bedurfte, ihn zu realisieren - der muss wohl zwangsläufig ein wenig enttäuschen. Ich selbst mag ihn recht gerne (wenn auch nicht ganz so sehr, wie die anderen Werke des Big Budget-Auteurs Cameron, mit denen ich aufgewachsen bin). Das liegt vor allem daran, dass "Avatar" bei aller Bildgewalt, bei allem technologischen Bombast ein ziemlich seltsamer Film ist.

Einerseits, weil Camerons neues visuelles Konzept - zumindest beim ersten Ansehen - nicht besonders gut aufgeht: Was schön und erhaben wirken sollte, sieht über weite Strecken eher ziemlich komisch aus. Aber auch, weil der Regisseur - das ist der essentielle Unterschied zu seinen vorherigen Mega-Blockbustern - nicht wirklich zu begreifen scheint, worum es in der ziemlich komplett computergenerierten Welt, die er sich erschaffen hat, eigentlich geht. Die Dialektik dieser Welt, des Waldplaneten Pandora, und seiner bläulich schimmernden Bewohner*innen, der Na'vis, besteht darin, dass der Mensch mit Hilfe der Computertechnologie des 21. Jahrhunderts ein Reich wiederaufbaut, das überdeutlich an Reiche erinnerte, die er einst selbst zerstört hatte: nämlich die der indigenen Völker dieses Planeten, die fast komplett der Ausbreitung der westlichen Zivilisation in den Jahrhunderten des europäischen Kolonialismus zum Opfer fielen. Aber es geht auch um die Dialektik der Aufklärung, weil der Mythos von Pandora immer schon Aufklärung ist; weil es in der Welt der Na'vi - das wird in beiden "Avatar"-Filmen am deutlichsten an ihrem Verhältnis zu jenen Fabelwesen, die ihnen als Nutztiere dienen - letztlich nur um andere, archaische Formen der Naturbeherrschung geht. Cameron selbst begegnet dieser Welt mit einer sonderbaren Naivität, die von der fast zynischen Art, mit der er die Botschaft seines "Terminator 2" - einem anderen dank seiner CGI-Technologie seinerzeit revolutionären Film - ausformulierte, kaum weiter entfernt sein könnte.

Nun also kommt, 13 Jahre nach dem ersten Teil, der zweite in die Kinos: "Avatar - The Way of Water". Zu Beginn begegnen wir Jake Sully (Sam Worthington) und Neytiri (Zoë Saldana), dem Mensch-Na'vi-Liebespaar aus dem ersten Teil, wieder. Sie haben mittlerweile Nachwuchs gezeugt und wollen sich zum friedlichen Familienleben auf Pandora zurückziehen. Aber natürlich harrt ihr kleines Paradies auch dieses Mal der Zerstörung. Bedroht wird es vom Militär der "Sky-People", wie die Menschen auf Pandora genannt werden. Col. Miles Quaritch (Stephen Lang), der schon im ersten Teil ganz besonders fiese Bösewicht, führt ein weiteres Mal die Luftschiff-Brigaden gegen die Na'vi an. Eigentlich am Ende des ersten Teils getötet, wurde er nunmehr als sogenannter Recombinant wiederbelebt, sein Bewusstsein wurde "heruntergeladen" und in einem neuen künstlichen Körper untergebracht, der nunmehr seinerseits im bekannten Na'vi-Avatar steckt. Er sinnt auf Rache für den Verrat, den Scully einst an ihm beging.



Bevor es zur erneuten Konfrontation zwischen den Guten und den Bösen kommt, passiert lange Zeit nicht allzu viel. Tatsächlich wirkt die erste Hälfte des Films ein bisschen so, als habe Cameron Pandora im ersten Teil nur geschaffen, damit wir im zweiten in seiner Schönheit schwelgen können. Essentieller Anteil hat dabei das neue digitale 3D-Verfahren, dass einst durch "Avatar" für ein paar Jahre im Hollywood-Blockbuster sehr populär wurde, zwischenzeitlich aber fast wieder komplett verschwunden war - bis Cameron nun auch "Avatar 2" mithilfe der Technik drehte. Cameron ist wieder voll in seinem Element. Wie in den meisten guten neueren 3D-Filmen geht es nie darum, Dinge aufs Publikum zufliegen zu lassen, den Raum in Richtung der vierten Wand zu öffnen, sondern darum, ihn nach hinten in die Tiefe der Leinwand zu staffeln. Bald nimmt man das 3D kaum noch wahr, während man elegant durch eine bunte Weite gleitet, die nicht nur zu großen Teilen eine Unterwasserwelt ist (in der Jake Sully und die seinen, aus den bekannten Wäldern des ersten Teils flüchtend, Zuflucht suchen), sondern in der auch sonst alles ständig ruhig zu fließen scheint.

Nachdem man sich anderthalb Stunden lang fasziniert gefragt hat, was der Film genau vorhat, wo das alles hin gleitet und fließt, beginnt Cameron die zweite Hälfte mit einem buchstäblichen Parcourritt. Quatrich und seine Männer gehen auf Walfang bzw. jagen gigantische Meeresungeheuer, die uns zuvor als nicht nur denkbar friedliche, sondern in ihrer Art, mit anderen Wesen umzugehen, auch sensible und gutmütige Riesen vorgestellt wurden. Wenn die Sky People das Muttertier des Schwarms töten, nur um Jake in eine Falle zu locken, löst das eine Wut im Zuschauer aus, die den restlichen Film in eine Rachefantasie verwandelt.



Das staunende und scheinbar ziellose Gleiten der ersten Hälfte stellt sich in der zweiten als geschicktes Manöver heraus, um Fallhöhe zu kreieren. Nun kennt der Film nur noch eine Richtung und ein Tempo: volle Fahrt voraus. In den verbleibenden anderthalb Stunden spielt Cameron mit einem Geschick und einer Intensität auf der emotionalen Klaviatur des Publikums, die der Vorgänger nicht eine Minute lang erreichte. Am Ende sind alle Weichen gestellt für die folgenden Sequels, die zu drehen sich der Filmemacher als Aufgabe für seinen Lebensabend gesetzt hat.

Dass "Avatar - The Way of Water" das Meisterwerk geworden ist, das der Vorgänger gerne gewesen wäre, liegt an der emotionalen Wucht des Films, aber auch daran, dass Cameron den Ethno-Kitsch, an dem auch diesmal kein Mangel herrscht, mit einer atemberaubenden Gemeinheit konterkariert, die sich zuerst gegen die walartigen Wesen, dann gegen das Publikum selbst richtet. Noch viel expliziter als im Vorgänger macht Cameron die Verteidigungsschlacht der Na'vi zum Aufbäumen der geschundenen Natur gegen die Menschen. Wenn schließlich Sky People sterben, Pfeile und Körperteile fliegen, gönnt uns Cameron keinen Spaß an der Rache, weil er unmissverständlich klar macht, wem sie gilt: uns allen.

Nicolai Bühnemann

Avatar - The Way of Water - USA 2022 - Regie: James Cameron - Darsteller: Sam Worthington, Zoe Saldana, Sigourney Weaver, Stephen Lang, Kate Winslet - Laufzeit: 192 Minuten.