Im Kino

Schreiben Sie nur

Die Filmkolumne. Von Olga Baruk, Jochen Werner
02.02.2022. Ein Film übers Aushalten: Maryam Moghadam und Behtash Sanaeeha folgen in ihrer "Ballade von der weißen Kuh" einer jungen Frau im Iran,  deren Mann wegen eines Justizirrtums hingerichtet wurde. Karoline Herfurth zeigt mit "Wunderschön", dass sie in der Adaption klassischer Genrestoffe für das kommerzielle deutsche Gegenwartskino in einer eigenen Liga spielt.


Gottes Wille muss es gewesen sein, er hat es so gewollt. Das sagen alle hier. Der Richter zum Beispiel, der Mina (Maryam Moghaddam) mitteilt, dass ihr Mann unschuldig hingerichtet wurde. Ein Justizfehler, aber was soll's, eines Tages sterben wir alle. Für den Verlust des zu Unrecht hingerichteten Ehemannes soll Mina eine finanzielle Entschädigung bekommen. Sie braucht das Geld, noch wichtiger wäre ihr jedoch, dass die Justizbehörde, der Staat, ihre Schuld offiziell eingestehen. Ein Jahr ist seit dem Tod ihres Mannes vergangen, aber die Witwe trägt schwarz. Sie verlangt nach ihrem Recht, wird abgewiesen von Beamten, die stets im Unscharfen, im Halbdunkel oder von hinten erscheinen. Schreiben Sie nur, heißt es, aber bringen werde die Mühe nichts.

Ein Kampf um Gerechtigkeit ist die "Ballade von der weißen Kuh" dennoch nicht, der Film handelt vom Aushalten. Davon, wie schwer es ist, ein anständiges Leben in einem menschenfeindlichen System zu führen. Für alleinstehende Frauen wie Mina und für Täter, die Reue empfinden, erscheint diese Option gleichermaßen utopisch. Was Mina als Witwe und schlecht verdienende Mutter einer gehörlosen Tochter ertragen muss, ist schlimm. Der Schwiegervater droht aus dem Off, ihr das Sorgerecht zu entziehen. Der Bruder des toten Ehemannes macht ihr Avancen, bedroht sie dabei, will Mina für sich, aus Begierde und Trotz. Und weil er sich dazu als Mann in der Lage fühlt. Hinzu kommt, dass ihr die Mietwohnung gekündigt wird und die Suche nach einer neuen Unterkunft ohne Mann oder Familie an ihrer Seite unwahrscheinlich schwer ist. Für Vermieter gehöre sie in dieselbe Kategorie, wie etwa Junkies oder Hundebesitzer - unerwünscht, so der Makler, der beim Gespräch Minas Blick meidet. Gottes Wille, auch hier greift die zynische Ausrede.



Was Mina ertragen muss, ist schlimm, aber wenn man sie fragt, wie es ihr geht, sagt sie "gut", senkt den Kopf, bedankt sich höflich. Immer wieder sehen wir, wie Tränen der Erschöpfung ihre Wangen entlang kullern. Leise. Mina am Fließband einer Fabrik, in der Milch abgefüllt wird. Mina in der Küche, beim Verzieren von Einmachgläsern - ihr kleiner Nebenverdienst. Ein Kopftuch, Hose mit Überweite, der Anorak hängt auf den müden Schultern, dazu ein Schuhmodell, das die hübsche Frau um ein Vielfaches älter erscheinen lässt. Mina nimmt Schlechtes ohne Widerrede hin und freut sich um so mehr, als der sanfte Fremde namens Reza (Alireza Sanifar) unerwartet vor ihrer Tür steht und helfen möchte. Mina knickt nicht ein, so eine ist sie nicht, aber auch laut werden ist nicht ihres. Mina bewahrt Contenance. Immer und trotz allem was geschieht, leise.

Das Regieduo Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam (die auch die Hauptrolle spielt) bevorzugt ruhige Einstellungen, der Stil ist kühl, distanziert, deutlich, farbenleer. "Ballade von der weißen Kuh" ist als Anklage gegen das Regime unmissverständlich, welches all denjenigen, die neben die schmale Spur des Erlaubten geraten, das Leben zur Hölle macht. Aber es stimmt auch, dass Sanaeeha und Moghaddam eben jene Verhältnisse in ihrem Film verdoppeln, die überwunden gehören. In den schön komponierten Bildern überlassen sie dem Bösen das Sagen, schicken ihre Hauptfiguren in den Abgrund, ohne diese einmal so richtig laut werden zu lassen. Mina und Reza bleiben leise. Manchmal sehnt man sich im Kino nach dem, was es im Leben so nicht gibt, zumindest noch nicht. Man hofft auf Güte und Rache, zur richtigen Zeit. Trotzdem kann man diesem Film nur wünschen, dass er auch dem iranischen Publikum in naher Zukunft zugänglich wird. "Ballade von der weißen Kuh" bleibt in seinem Heimatland nämlich weiterhin verboten. Aufmerksamkeit konnten die Macher*innen bisher nur auf internationalen Festivals genießen.

Olga Baruk

Ballade von der weißen Kuh - Iran 2020 - OT: Ghasideyeh gave sefid - Regie: Maryam Moghadam, Behtash Sanaeeha - Darsteller: u.a. Maryam Moghadam, Alireza Sani Far, Pouria Rahimi Sam, Avin Poor Raoufi - Laufzeit: 105 Minuten.

-



Schweiger, der Besessene. Schweighöfer, der Zyniker. Fitz, der Konzepter. Und Herfurth, die Klassizistin. Ohne dass es allzu viele bemerkt hätten hat sich Karoline Herfurth mit drei recht unterschiedlichen Regiearbeiten seit 2016 einen herausragenden Platz unter den DirActors des deutschen Kommerzkinos erarbeitet. Mit "Wunderschön" kommt nun ihr inhaltlich bis dato ambitioniertester Film ins Kino.

Der beginnt mit einer Montagesequenz, ein Werbeshooting, eine jener Kampagnen, die eine vorgebliche Authentizität beschwören und Models verschiedener Körpertypen einsetzen, am Ende jedoch immer nur in einem Minimalradius von jenen weiblichen Schönheitsidealen abweichen, um die herum Herfurth die verschiedenen Handlungsstränge von "Wunderschön" arrangiert. "Perfectly Strong" heißt es in der verlogenen Kampagne, und: "become the best version of yourself". Das Model Julie (Emilia Schüle) verkörpert die Schizophrenie, die dieser Ideologie der Selbstoptimierung eingeschrieben ist, am ganzen Leib, wenn sie für die eigene Insta-Story genüsslich in ein Croissant beißt - denn Verzicht ist ganz und gar unsexy und passt nicht zum vorgetäuschten Hedonismus -, den Bissen jedoch sofort nach dem Ausschalten der Kamera wieder ausspuckt. Julie will es unbedingt schaffen in der Welt des Glamours und der Laufstege und ist dazu bereit, ihrem Körper allerlei anzutun.



Unter unrealistischen Idealen, die durch derartige Bilder in die Welt gesetzt und reproduziert werden, leiden auf unterschiedliche Weise alle Protagonistinnen von "Wunderschön". Da ist etwa die von Herfurth selbst gespielte zweifache Mutter Sonja, die nach den Geburten "erstmal" zu Hause geblieben ist und jetzt mit den Zwängen und Widernissen der Elternschaft und um eine Rückkehr ins Berufsleben kämpft, während ihr Mann Milan (Friedrich Mücke) völlig selbstverständlich weiter Karriere macht. Die ältere Frauke (Martina Gedeck) hingegen leidet unter der Missachtung ihres pensionierten Ehemannes Wolfgang (Joachim Król), und unter der leeren Wohnung ebenso wie unter dem leeren Leben, nachdem die Kinder aus dem Haus sind. Die übergewichtige Teenagerin Leyla (Dilara Aylin Ziem) hingegen darf Selbstbewusstsein entwickeln und gegen eine gesundheitsfanatische Kontrollfreakmutter rebellieren, indem sie das eigene Talent zum Baseball entdeckt. Und dann ist da noch die Lehrerin Vicky, Sonjas beste, von der wie immer etwas zu noratschirnerhaften Nora Tschirner gespielte Freundin, die überzeugte Singlefrau, die stets zu unverbindlichem Sex bereit ist, aber Langzeitbeziehungen meidet wie der Teufel das Weihwasser und die mit den Avancen ihres verliebten Kollegen Franz (Maximilian Brückner), der einfach nicht aufgeben will, umzugehen hat.

Im Gegensatz zu den generischeren Stoffen ihrer bisherigen Regiearbeiten, der klassischen RomCom "SMS für dich" und des knalligen Frauengangsterfilms "Sweethearts", hantiert Herfurth in "Wunderschön" mit deutlich schwereren Stoffen, und tatsächlich geht ihr darüber etwas die Leichtigkeit verloren. "Wunderschön" ist ein gutes Stück weit ein Themenfilm, und gerade gegen Ende hin übertreibt er es etwas mit den gutgemeinten Ansprachen, die noch einmal zum Schwarz auf Weiß nach Hause tragen ausformulieren, was die Erzählungen eh schon längst überdeutlich klargemacht haben. Das heißt aber nicht, dass der Film nicht ähnlich gut, wenn auch auf andere Weise, funktionieren würde wie seine beiden Vorgänger.

Karoline Herfurth erweist sich einmal mehr als eine hervorragende Regisseurin, die in jedem Genre, das sie aufgreift, scheinbar mühelos reüssiert. "Wunderschön" ist im Kern ein klassischer, multigenerationaler Ensemblefilm und darin eher mit manchen Regiearbeiten von Richard Curtis, mit den besseren Filmen von Nancy Meyers oder den schwächeren von James L. Brooks zu vergleichen als mit den narrativ ähnlich strukturierten heimischen "Männerherzen"-Beziehungsklamotten eines Simon Verhoeven. Tatsächlich kann man, ohne allzu sehr übertreiben zu müssen, gutes Gewissens konstatieren, dass Herfurth in der Adaption klassischer Genrestoffe für das kommerzielle deutsche Gegenwartskino in einer eigenen Liga spielt.

Was die Abwendung von den leichteren Stoffen hin zum didaktischeren Themenfilm angeht, so muss man vielleicht hoffen, dass sie nicht allzu charakteristisch für Herfurths kommendes Regiewerk wird und dass sie sich die leichtfüßigere Experimentierfreude, von der ihre bisherige Stoffauswahl kündet, auch in Zukunft erhält. Dass das deutsche Kino mit Karoline Herfurth eine im Übermaß begabte Filmemacherin hinzugewonnen hat, von der, sofern es das deutsche Filmfördersystem zulässt, noch Großes zu erwarten ist, daran kann hingegen kein Zweifel mehr bestehen, und es ist an der Zeit, dass viel mehr Menschen als bisher davon wissen.

Jochen Werner

Wunderschön - Deutschland 2022 - Regie: Karoline Herfurth . Darsteller: Emilia Schüle, Martina Gedeck, Nora Tschirner, Joachim Król, Friedrich Mücke, Karoline Herfurth - Laufzeit: 132 Minuten.