Im Kino

Der Glanz alter Zeiten

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Janis El-Bira
15.08.2019. Quentin Tarantinos "Once Upon a Time in Hollywood" denkt der Realität die Monster aus und lässt Brad Pitt und Leonardo di Caprio in gewagten Geistervariationen schweben. Harald Reinls Karl-May-Klassiker "Der Schatz im Silbersee" ist zurück in den Kinos und zeigt: Auch Bleichgesichter werden mit den Jahren blasser.

Es dauert lange, bis Blut fließt. Dann aber läuft es in Strömen. Nicht rot und lebhaft sprudelnd, sondern harzig-dunkelviolett, wie von Teer und Schmutz verfärbt. Es ist der ungesunde Saft der Hong-Kong-Blut-Opern und Italo-Western, der gegen Ende von Quentin Tarantinos neuntem Film literweise vergossen wird. Und so wie das Gemetzel zugleich erwartbar und doch überraschend hereinbricht, euphorisiert auch der Anblick dieser zähen Flüssigkeit mehr als dass er verstört. Diese Gewalt ist nicht deshalb schmerzlos, weil sie bloß Fake ist, sondern weil in ihrem Fake-Sein eine Auflehnung steckt. Ein Kinoblutbad zur Heilung der unheilbar kranken Wirklichkeit.

Das Finale von "Once Upon a Time in Hollywood", dessen genaue Umstände natürlich nicht verraten werden dürfen, ist so gesehen eine letzte, gewagte Geistervariation aus dem Märchenland, das dieser Film ist. Denn mehr denn je hat Tarantino sich zuvor ein Hexenhaus aus den bilderreichen Mittagsschläfchen des ehemaligen Videothekars gezimmert. In ihm lässt es sich leben, schweben gar, wie in den betörenden dreißig oder vierzig Anfangsminuten, die sich selbst ganz und gar genießen, ohne je ins Hermetische des Nerdtums zu kippen. Die Reisenden in diesem Traum von Ort (Los Angeles) und Zeit (die spätesten 60er) gehören längst selbst zu den Auslaufmodellen einer älteren Epoche. Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) war gut ein Jahrzehnt zuvor der Star einer Fernseh-Western-Serie; sein früheres Stunt-Double Cliff Booth (Brad Pitt) hat mittlerweile vor allem zum Tätigkeitsfeld des Home-Sitters umgeschult. Die allerbesten Zeiten liegen hinter dem trinkfesten Paar, aber noch sind die Autos lang, die stangenweise weggequalmten Zigaretten billig und die Stiefel blankgeputzt. In ihren blechernen Dinosauriern gleiten sie durch Fluten von Neonlicht, während die Autoradios unentwegt plärren: "Where have you gone, Joe DiMaggio?"


Die Suche gilt dem neuen großen Film-Deal, dem einen Home Run, der den Glanz alter Zeiten noch einmal aufpolieren könnte wie das Chrom an den Außenspiegeln ihres Straßenkreuzers. Vignettenartig schiebt sich immer wieder das Vergangene, halb Begrabene ins Bild: DiCaprio mit Cowboy-Hut und rauchendem Colt, als flammenwerfender Nazikiller und Sprüche klopfende Actionmaschine. Tarantino filmt das bis in die Farben und Einstellungen hinein so hingebungsvoll idiomatisch, dass die jeweiligen Genresprachen schon nach wenigen Sekunden offenliegen. Lange nicht schien dieser Regisseur derart bei sich mit seinen Fetischen und Insidereien - und zugleich so unverkrampft, kaum nervtötend oder aufgekratzt. Hier zeigt einer: alles im Griff. Staunend schaut man ihm dabei zu, weil Tarantino sein Universum inzwischen mit breitem Atem runderzählen kann. Ein Batzen Pressfleisch, den Brad Pitt seinem Hund immer wieder aus anderthalb Metern Höhe von der Dose in den Fressnapf flutschen lässt, ohne dabei je das Ziel zu verfehlen, wird fast zur Signatur des Films. Wabbelig, riskant, aber letztlich stabil.

Freilich ist nicht alles, was in den fast drei Stunden von "Once Upon a Time in Hollywood" sonst noch unterkommt, von der schlafwandlerischen Souveränität dieser langgeschwungenen Ouvertüre. Die Szene an einem Filmset, in der Cliff Booth einen beinchenwirbelnden Bruce Lee kurzerhand gegen eine Autotür klatscht, ist genauso verschenkt wie die letztlich müde Auflösung der ansonsten famos choreographierten ersten Begegnung Booths mit den Mitgliedern der Manson-Family. Sie sind der Schatten, der über diesem Film liegt. Der reale Alptraum und teuflische Zwilling für eine LSD-dämmrige Generation, zu der im Film auch die Nachbarn Rick Daltons in den Santa Monica Mountains gehören. Sharon Tate (Margot Robbie) und Roman Polanski (Rafal Zawierucha) leben hier als Ikonen einer neuen Zeit, die sich bei Tarantino auf den Poolpartys in Hollywood ebenso herausbildet wie in der Hippie-Gegenkultur auf den Straßen von Los Angeles und draußen in der Wüste, wo Charles Manson seine Anhänger brutalisiert.

Dazwischen flimmert immer wieder das Film- oder Fernsehbild als deren gemeinsamer Kitt und Sprengstoff. Einmal sieht man Margot Robbies Sharon Tate einen ihrer eigenen Filme im Kino anschauen - ganz so, als müsse sie sich selbst noch im Spiegel des Mediums davon überzeugen, wer, wo und was sie eigentlich ist. "Wir sind mit dem Fernsehen aufgewachsen, also mit Morden", wird ein Mitglied der Manson-Family später sagen, während DiCaprio als Rick Dalton hinter den Kulissen seiner Filme noch immer mit alten Tricks daran arbeitet, seine Schurkenfiguren furchteinflößender zu machen. Das Kino, weiß dieser Film, denkt der Realität die Monster aus. Einmal geschlüpft, schickt nichts, allenfalls ein Traum, sie dorthin zurück, wo sie herkamen.

Janis El-Bira

Once Upon a Time in Hollywood - USA 2019 - Regie: Quentin Tarantino - Darsteller: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Emile Hirsch, Margaret Qualley, Timothy Olyphant - Laufzeit: 161 Minuten.

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"Nun sehen wir sie endlich von Angesicht zu Angesicht, die schon fast legendären Blutsbrüder Old Shatterhand und Winnetou," verkündet das Voice-Over zu Beginn siegessicher, so als hätte dieses kollektive "wir" in der BRD des Jahres 1962 auf gar nichts anderes warten können. Tatsächlich sollte der Erfolg einem Film recht geben, der nicht nur bis 1968 siebzehn weitere Verfilmungen von Werken von Karl May (1842-1912) - berühmt dafür, Wild-West-Geschichten geschrieben zu haben, ohne jemals in den USA gewesen zu sein - nach sich zog, sondern auch die Italiener auf die Idee brachten, dass man in Europa das amerikanischste aller Genres bedienen könne. Der Rest ist Filmgeschichte.

Und wer, wie ich, zwanzig Jahre später in der BRD heranwuchs, der muss merken, wie sehr die Bilder von diesen beiden Männern, die zu den wunderbar bedachten Klängen des Scores von Martin Böttcher durch die Weite der Prärie reiten und durch einen Canyon klettern, von der kollektiven Psyche tief ins eigene Unbewusste eingesickert sind. Karl-May-Filme waren die nachmittäglichen Träume einer Kindheit vom Kampf der Edlen und Guten gegen die Bösen und Verschlagenen auf dem kleinen Bildschirm des väterlichen Fernsehers mit Kabelanschluss. Dass Winnetou, Häuptling der Apachen, im letzten Teil der Reihe, die seinen Namen trug, in die ewigen Jagdgründe ging, wohin ihm sein Darsteller Pierre Brice 2015 sang- und klanglos folgte, hatte für mein ca. achtjähriges Ich regelrecht traumatische Züge, stellte es doch eine erste Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit und der der Menschen, die ich liebte, dar.


Sieht man vor dem Hintergrund einer derart mythischen Überhöhung aus einer Zeit der eigenen Entwicklung, die noch keinerlei weitere Reflexion über das Gesehene erlaubte, nun einen dieser konkreten Filme noch einmal, dann muss er (fast) zwangsläufig enttäuschen. Und so habe ich heute an "Der Schatz im Silbersee", der dieser Tage im Rahmen einer Wiederaufführung in einigen deutschen Kinos startet, einiges auszusetzen, etwa dass dessen Plot sich zwar ausgeklügelt gibt, aber doch merklich nur dazu bestimmt ist, möglichst viele verschiedene Figuren einzuführen, die sich an keiner Stelle von ihrer Bestimmung als Typen, die in den folgenden Filmen wieder auftauchen sollen, freispielen können - und dazu, dafür zu sorgen, dass immer etwas los ist. Eine Materialschlacht, die immer wieder in den Massenszenen mit unzähligen Statist*innen die Muskeln spielen lässt (von denen die beeindruckendsten einem blutjungen Götz George gehören), aber eben nur, wenn die Pfeile und Kugeln fliegen oder es Mann gegen Mann und Messer gegen Messer geht, ganz zu sich kommt, während zwischen den von Harald Reinl mit sicherer Hand inszenierten set pieces immer wieder (kleinere) Längen entstehen.

Was aber absolut nicht heißen soll, dass der Film, der nun wieder in die Kinos kommt, heute nichts mehr zu bieten hätte. Allein der Saloon zu Beginn als Hort überbordender teutonischer Gemütlichkeit, in den mit der Postkutsche das Trauma und der Tod Einzug halten, oder der malerisch inmitten kleiner Wasserfälle gelegene Silbersee am Ende, dessen Wasser in beeindruckendem Türkis leuchtet, sind Orte, für die Farbfilm und Cinemascope erfunden worden sind. Allerdings zeigen sich gerade im Kontrast hierzu, wie blass die Figuren bleiben - ob nun Bleichgesichter oder Red-Face-Indianer. Das gilt dabei, interessanterweise, besonders für die beiden vermeintlichen Hauptfiguren. Während sich Sam Hawkens (Ralf Wolter) und Lord Castlepool (Eddi Arent) immerhin durch ihren dümmlichen Wortwitz hervortun, Cornel Brinkley (Herbert Lom) durch seine böse Durchtriebenheit, der junge Franz Engel (George) durch seinen perfekt definierten Oberkörper und seine aufbrausende Art und sein love interest Ellen Patterson (Karin Dor) durch ihre Tränen und ihre Schönheit hervortun, bleiben Winnetou und Old Shaterhand (Lex Barker) letztlich reine Statisten, die durch nichts an Plastizität gewinnen. Ich bin jetzt doch sehr gespannt, ob sich das in späteren Karl May-Filmen, die immerhin die Namen dieser beiden im Titel tragen, ändern wird.

Nicolai Bühnemann

Der Schatz im Silbersee - BRD 1962 - Regie: Harald Reinl - Darsteller: Lex Barker, Pierre Brice, Herbert Lom, Götz George, Karin Dor, Eddi Arent, Ralf Wolter - Laufzeit: 82 Minuten.