Im Kino

Die Tür eingetreten

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl, Fabian Tietke
02.05.2019. Beyonces Konzertfilm "Homecoming" bietet sich als epochales Medley mit maximaler Selbstinszenierung dar. Johanna Schellhagen erzählt in ihrer Doku "Luft zum Atmen - 40 Jahre Opposition bei Opel in Bochum" von den Arbeitskämpfen und der Basisbetriebsratsarbeit der Gruppe oppositioneller Gewerkschafter (GoG).


Es ist nicht leicht, die Faszination von Beyoncé Giselle Knowles-Carter in wenigen Worten zu beschreiben. Seit sie sich ab 2003 vermehrt ihrer Solokarriere widmete, verstand es die immer etwas unscheinbar wirkende Sängerin aus Houston, sich stets spektakulär in Szene zu setzen und musikalisch mit den richtigen Leuten zu umgeben. Beyoncé steht für einen modernen R&B-Sound, der zwar im klassischen Soul verwurzelt ist, dabei aber unmissverständlich in die Zukunft weist. Ihr Gesang kann auch gerne mal campy und over the top sein, ist dabei aber häufig in wagemutige Produktionen voller sicker Beats und herausfordernder Rhythmen gepackt, bei denen man kaum glauben mag, dass sie mainstreamkompatibel sind.

Als Beyoncé 2018 auf dem kalifornischen Coachella Festival spielte, war sie bereits ein großer Pop-Star. Auf ihren letzten beiden Alben wusste die Sängerin einerseits ihren bisherigen Stil weiter zu kultivieren, andererseits aber auch vielseitiger zu werden, wodurch sie stärker bei einem weißen Indie-Publikum andocken konnte. Trotzdem waren die beiden Konzerte, die sie dort als erste schwarze Headlinerin spielte, in erster Linie eine Hommage an die Schönheit afroamerikanischer Kultur, an die Bedeutung schwarzer Bildungseinrichtungen und natürlich an die Kraft des Weiblichen.

Heraus kam eine überwältigende, vor allen entschieden körperliche Konzeptshow, die sich so volksverbunden wie pompös gab; inklusive glitzernder College-Outfits, einer Band mit wuchtigen Bläser- und Drum-Sektionen sowie einem riesigen Ensemble aus jungen Tänzern. "Beychella" rückte dabei nicht nur "our culture" in den Mittelpunkt, sondern erwies sich auch sonst als Familienangelegenheit: Ehemann Jay-Z schaute ebenso für einen Gastauftritt vorbei wie Schwester Solange. Und gerade wenn man denkt, das alles könnte nicht mehr zu toppen sein, gibt es noch eine Schnell-Reunion von Destiny's Child.

Wer damals nicht vor Ort war oder die Show im Livestream verpasste, konnte bisher nur mit ein paar wackeligen und dröhnenden Smartphonevideos auf YouTube einen Eindruck von all dem Glanz bekommen. Nun, ein Jahr später, nachdem der Auftritt schon selbst wieder Geschichte geworden ist, gibt es einen Film, der diesem Mythos gerecht werden will. "Homecoming" ist in erster Linie ein Konzertfilm, der versucht, das Liveereignis in ein anderes Format zu übertragen. Man ist als Zuschauer zwar nicht wirklich dabei, aber doch immer ganz nah dran - nicht nur an Beyoncé, die sich nonstop körperlich verausgabt, ihren Hintern immer wieder kokett ins Publikum hebt oder auf einem Kran über dem Festivalgelände schwebt, sondern auch an den euphorisierten Fans, die als Gegenschuß zu ihrer "Queen Bey" dazwischengeschnitten werden und als emotionaler Verstärker dienen.



Weil Songs teilweise nur angespielt werden, wirkt die Darbietung manchmal wie ein epochales Medley, lässt sich aber vielleicht besser mit einem Live-Remix vergleichen, der das Vertraute neu ordnet. Übergangslos wird von einem Lied zum nächsten gewechselt, mit bekannten Samples etwas versprochen, das manchmal erst sehr viel später eingelöst wird und Songs regelmäßig unterbrochen, um sich in ekstatischen Rhythmuspassagen zu verlieren. Das Konzert ist geprägt von harten Schnitten, die den Sog jedoch eher verstärken als stören. Der Film nimmt diese Zerstückelungstaktik auf, weil er das Konzert nicht als geschlossenes Ereignis rekonstruiert, sondern aus beiden Sets einfach das zusammenschneidet, was am besten aussieht - was zunächst etwas verstört, weil innerhalb der Songs ständig Kostüme und Frisuren wechseln. Auch hier bleiben die vernähten Risse sichtbar, ohne das runde Ganze zu gefährden.

Weniger gelungen an "Homecoming" sind die in Schwarzweiß gehaltenen Zwischenspiele, die sich mit fahriger Kamera den Vorbereitungen der Show widmen. Aus dem Off ertönen dazu Monologe der Künstlerin, die seltsam verfremdet klingen; so als würde sie mit heiserer Stimme am Telefon sprechen und zwischen Tür und Angel schnell ihr Lebenswerk erklären. Auch wenn es dabei oft um schwarze Gemeinschaft und familiären Zusammenhalt geht, steht doch immer sie selbst im Mittelpunkt; sie, die das alles erst ermöglich hat, die nach ihrer Schwangerschaft ihren Körper wieder in Form gebracht hat, die knochenharte Arbeit auf der Bühne wie einen Klacks aussehen lässt und mit Hoodie und Cap volksnah zwischen den jungen Tänzern sitzt; bemüht darum, diesen Moment nicht wie eine Audienz aussehen zu lassen. Ermüdend wirken diese Passagen jedoch nicht, weil Beyoncé hier offensichtlich an ihrem Monument feilt, sondern weil sie das hohe Tempo der Liveaufnahmen drosseln, um uns doch wieder nur das Gleiche zu erzählen.

Die maximale Selbstinszenierung passt dagegen ziemlich gut zu "Homecoming". Als der Film vor zwei Wochen bei Netflix erschien, gab es statt eines Regie-Credits lediglich den Untertitel "A Film by Beyoncé". Mittlerweile ist in der IMDb neben der Sängerin zwar auch Ed Burke als Ko-Regisseur verzeichnet, der hat bisher aber ausschließlich Tour- und Musikvideos für die Sängerin vorzuweisen. Nicht nur musikalisch handelt es sich um ein Familienprojekt. Allerdings wirkt es bei einem Star, der seine Bühne für schwarze und weibliche Selbstermächtigung nutzt, auch konsequent, dass sie die absolute Kontrolle über das eigene Image haben möchte. So kann man "Homecoming" auch als mitreißendes Propagandavideo einer Königin sehen, die die Geschichtsschreibung nicht den Anderen überlassen will.

Michael Kienzl

Homecoming - USA 2019 - Regie: Beyoncé Knowles-Carter, Ed Burke - Laufzeit: 137 Minuten.

---



1972, zehn Jahre nachdem General Motors die Opelfabrik in Bochum eröffnet hatte, gründete sich die Gruppe oppositioneller Gewerkschafter (GoG), um Basisbetriebsratsarbeit zu leisten. In der Gruppe fand sich ein Spektrum von kommunistischen Splittergruppen, Grünen, linken Sozialdemokraten und Gewerkschaftern zusammen, die nach Kritik aus ihren jeweiligen DGB-Gewerkschaften herausgeflogen waren. Die GoG war bei den Arbeitskämpfen bei Opel in den letzten 40 Jahren aktiv, zu vielen ihrer Aktionen sind einzelne Filme entstanden, zuletzt über den Wilden Streik bei Opel 2004. Johanna Schellhagen hat den Aktivisten nun einen Dokumentarfilm gewidmet. "Luft zum Atmen - 40 Jahre Opposition bei Opel in Bochum" blickt zurück auf vier Jahrzehnte, in denen die Gruppe mit wechselndem Erfolg Betriebsarbeit gemacht hat, Vernetzungen mit den ausländischen Arbeiter_innen bei Opel hergestellt und versucht hat, mit den Arbeiter_innen und Angestellten in anderen europäischen Werken von General Motors in Kontakt zu kommen.

Mit Verve erzählen die heute grauhaarigen Herren (es sind ausnahmslos Männer) von ihrer Unzufriedenheit mit der Vertretung im Betriebsrat durch die Gewerkschaften, die Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre zu einer Reihe wilder Streiks führte - nicht nur bei Opel, sondern in vielen Fabriken in der BRD. In den Versammlungen der Gruppe trafen Arbeiter_innen und Studierende aufeinander, was anfangs zu Sprachproblemen führte. Parallel führte die Präsenz der GoG in der Fabrik zu ersten Erfolgen bei den Betriebsratswahlen.



Schellhagen unterbricht die Flut der Interviewaufnahmen so gut es geht mit Archivmaterial aus früheren Filmen über die Arbeitskämpfe bei Opel, vor allem aber durch grafisch aufbereitete Zwischentexte, die Informationen an die Hand geben. Trotz alledem lebt der Film in erster Linie von der Geschichte, die seine Protagonisten zu erzählen haben und davon, dass durch die Zeitspanne von vier Jahrzehnten anhand der Arbeitskämpfe bei Opel auch eine Geschichte der Arbeitskämpfe in der BRD überhaupt sichtbar wird. Besonders für die Zeit der 1980er und 1990er Jahre ruft der Film Weichenstellungen in Erinnerung, die bis in die Gegenwart fortwirken. Das gilt vor allem für die Zäsur, als Anfang der 1980er Jahre nach anderthalb Jahrzehnten der politische Schwung im Zeichen der Wirtschaftskrise zum Erliegen kam. Alles Kämpferische wich Kämpfen um den Bestand, die Kooperationen zwischen deutschen und ausländischen Arbeiter_innen wurden nicht selten von einer Welle des Rassismus erdrückt. Was Schellhagen hier andeutet, haben Thomas Giefer und Klaus Baumgarten in "Diese Arbeitsniederlegung war nicht geplant", einer Dokumentation über einen vor allem von türkischen Arbeitern getragenen Streik bei Ford 1973, pointiert zusammengebracht: die Selbstermächtigung ausländischer Arbeitnehmer in den 1970er Jahren und der rassistische Rückschlag ein Jahrzehnt später. Ein weiterer Film, in dem sich diese Rassismuswelle niederschlug, ist Sohrab Shahid Saless "Empfänger unbekannt" von 1982. Die 1990er Jahre bringen Lohneinbußen, aber auch die 1984 ausgehandelte Einführung der 35-Stundenwoche, bevor sich immer klarer die deutliche Verkleinerung und letztlich Schließung des Opelwerkes in Bochum abzeichnet.

Schellhagens "Luft zum Atmen" ist ein Stück filmischer Gegengeschichtsschreibung. Es ist ein nicht zu unterschätzendes Verdienst des Films, die langjährige Geschichte der Betriebsarbeit bei Opel anschaulich nachzuzeichnen und Anknüpfungspunkte für die Gegenwart herauszuarbeiten. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Gruppe oppositioneller Gewerkschafter die bräsigen Gewohnheiten offizieller Gewerkschaftspolitik in Frage gestellt hat, wünscht man sich dringend zurück. Wie sagt Willy Hayek so schön: "Es gibt Situationen, wo die Tür eingetreten werden muss."

Fabian Tietke

Luft zum Atmen - 40 Jahre Opposition bei Opel in Bochum - Deutschland 2019 - Regie: Johanna Schellhagen - Laufzeit: 70 Minuten.