Im Kino

Zombies, Mumien und Mr. Hyde

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Thomas Groh
08.06.2017. Alex Kurtzmans "Die Mumie" ist ein Monster-Blockbuster im Zeichen des Spaßes - das dicke Ende kommt dabei für Hauptdarsteller Tom Cruise. Mit Leichtigkeit hochkomplexe Genderthemen verhandelt Audrey Danas Komödie "Mein neues bestes Stück".


Blockbuster-Kino darf wieder Spaß machen. Lange Zeit war das ja eine schwierige Sache - Stichwort: 9/11, Krieg gegen den Terror, Abu Ghraib, die Lage im Nahen Osten, zuletzt die ISIS-Barbaren. Keine guten Voraussetzungen für guten sauberen Spaß. Das sorgte für ordentlich Druck aufs Großbudget-Kino, das einerseits naive Spektakellust bedienen will, sich andererseits zum Zeitgeist verhalten muss. Auch Alex Kurtzmans "Die Mumie" verhält sich gleich im ersten Akt dazu - und entledigt sich des Zeitgeists auf rustikal-unbekümmerte Weise: Die beiden Glücksritter Nick Morton (Tom Cruise) und Chris Vail (Jake Johnson) befinden sich unweit von Mosul irgendwo in der Wüste. Zwischen ihnen und dem Schatz, dem sie hinterherjagen, stehen lediglich einige islamistische Spinner, die gerade im Begriff sind, kulturgeschichtliche Zeugnisse aus früheren Zeiten in die Luft zu jagen. Die Sache eskaliert zum Scharmützel, bei dem Nick und Chris den kürzeren zu ziehen drohen - bis als Deus ex Machina, bzw. Deus Ex Caelo eine Drohne die rettende Rakete abfeuert, die nicht nur die religiösen Eiferer ihrem eigentlichen Sehnsuchtsort ein Stück weit näher bringt und dabei unsere beiden Helden mirakulöserweise verschont, sondern ihnen auch den Zugang zur gesuchten Schatzhöhle freilegt. Den Staub also aus den Klamotten geklopft und hinabgestiegen ins verheißungsvolle Jenseits-Dunkel.
 
IS-Fuzzis, archäologische Katastrophe, Drohnenkrieg - von solchen Stimmungskillern lässt sich "Die Mumie" die gute Laune nicht vermiesen. Im Gegenteil: Alles, was nervt, wird kurzerhand inkorporiert, aufs Blockbuster-Spaßpotenzial hin abgeprüft und im weiteren Verlauf des Happy-Go-Lucky-Vergnügens entsorgt. Man kann das für geschmacklos halten, es ist aber nicht ohne Reiz - liegt darin doch gewissermaßen eine Programmatik des Films, der offensichtlich zurück will zu einer Art reinem Abenteuer-, Monster- und Genrekino, das heute nicht mehr so einfach zu haben ist.
 
Denn Genrekino ist im Zentrum des Industrie-Geschehens derzeit zweigeteilt: in "dark and gritty"-Comicverfilmungen und in "light and funny"-Comicverfilmungen, beides möglichst in "Shared Universes" im Sinne einer Verserialisierung des Kinos zwecks Kundenbindung. Die Universal als "Shared Universe"-Nachzüglerin setzt nun ihr Portfolio aus dem klassischen Grusel-Monsterfilm der 30er und 40er Jahre aufs Spielbrett: Beginnend mit "Die Mumie" - der vor drei Jahren veröffentlichte "Dracula Untold" zählt nach aktuellem Infostand nicht zum Kanon - soll die Riege der angestaubten Universal-Monster der Reihe nach wiederbelebt und in abzuwartenden Konstellationen in einen mutmaßlichen Kampf "Gut gegen Böse" verzettelt werden. "Dark Universe" nennt sich das - und schon vom morbiden Gothic Appeal her verspricht es ästhetisch ein delikateres Fest als die zahlreichen "Männer in Strampelanzügen"-Filme, die sich in den letzten Jahren als hartnäckige Blockbuster-Dominante installiert haben.
 
Geht man von "Die Mumie" aus, erscheint das Vorhaben zunächst vielversprechend: Von der Zeitzeugenschaft Marke "und heute so im Nahen Osten" verabschiedet sich der Film so schnell wie eine Drohnenrakete zwischen Abschuss und Einschlag. Unter dem Wüstensand finden die hemdsärmeligen Jungs - die Archäologin Jenny Halsey (Annabelle Wallis) stößt auch noch hinzu - den Sarkophag einer aus den Geschichtsbüchern gestrichenen ägyptischen Prinzessin, die nach einem einst gescheiterten Staatsstreich und einer Lebend-Einbalsamierung heute eine gehörige Stinkwut auf die Welt hat. In Nick sieht sie einen Wiedergänger ihres einstigen Geliebten - dem sie durch Mord zum ewigen Leben eines Gottes auf Erden verhelfen will. Die Szenerie wechselt nach London, wo sich ein Dr. Jekyll (Russell Crowe) brennend für Mumie samt Nick zu interessieren beginnt - und dann geht die Sause richtig los.
 


Natürlich ist das alles höherer Blödsinn. Allerdings war Hollywood darin oft besonders gut. Schön anzusehen ist es immerhin, wie das Konzept des Franchise-Blockbuster vom klassischen Genrekino heimgesucht wird, bis nicht mehr so richtig klar ist, welches Kino sich gerade welches einverleibt: Plot und Settings folgen mitunter gängigen Groschenheft-Standards, teilweise entwickelt der Film eine nette "John Sinclair"-Haftigkeit. Irgendwann wuseln untote Tempelritter durch Londons U-Bahnen, sodass man meint, die guten alten "Reitenden Leichen" - eine spanische Horrorfilm-Reihe aus den 70ern - seien wieder auferstanden.
 
Interessant ist auch eine zweite Einverleibung: Lange Zeit war Tom Cruise der zahnpastaweiß strahlende König Midas des Gegenwartskinos - was er anfasste, wurde zu Gold. Er war einer, der die Bedingungen diktierte und sich die Filme, in denen er mitspielt, so sehr anverwandelt, dass er ihr eigentliches Subjekt wurde. Filme mit Tom Cruise sind in erster Linie Tom-Cruise-Filme und nicht die irgendeines bekannteren oder unbekannteren Regisseurs. So war das lange Zeit, so ist es seit geraumer Zeit nicht mehr: Von "Mission Impossible: Rogue Nation" abgesehen, machte Cruise in den letzten fünf Jahren durch zwar ambitionierte (und tolle!), an den Kassen aber schlecht performende Filme auf sich aufmerksam. "Die Mumie" zeigt einen Cruise, der sichtlich nicht mehr Herr der Lage ist - im Gegenteil lässt der Film nichts unversucht, seine Star-Persona zu zerstören: Wenn ihm nicht gerade eine archaische Prinzessin hinterher steigt, um ihn auf einem Opferaltar zu meucheln, wird er in einer Tour verdroschen, als Blödmann hingestellt, gedemütigt und dazu gezwungen, zu der Sache noch fortlaufend dümmlich zu grimassieren. Mit Zombies, Mumien und Mr. Hyde darf er sich in teils schön modrigen Bruchbuden rumprügeln - da kommt Cruise endgültig in Genre-Gefilden an, für die ansonsten das Fantasy Filmfest generalzuständig ist. Selten wurde eine Star-Persona derart aufgerieben - Kino darf tatsächlich wieder Spaß machen.
 
Thomas Groh
 
Die Mumie - USA 2017 - OT: The Mummy - Regie: Alex Kurtzman - Darsteller: Tom Cruise, Russell Crowe, Annabelle Wallis, Sofia Boutella, Jake Johnson - Laufzeit: 110 Minuten.
 
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Alles beginnt damit, dass Jeannes Ehemann ihr en passant in einem Restaurant mitteilt, dass er eine Neue hat, die auch bereits ein Kind von ihm erwartet; und dass er die Scheidung will. Für die als Architektin beruflich erfolgreiche 38-jährige bricht eine Welt zusammen - zumal ihr Ex als moderner Vater geteiltes Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Kinder selbstverständlich findet. Sie schwört den Männern ein für alle mal ab, zitiert vor dem Spiegel gegenüber ihrer attraktiven und sexuell äußerst aktiven Nachbarin und besten Freundin Marcelle (Alice Balidi) ihren Vater, der einst zu ihr sagte: "Ohne Schwanz bist du gar nichts."
 
Welcher Gott sie in ihrem Frust erhört hat, erfahren wir nicht, aber als sie am nächsten Tag erwacht, stellt sie mit Schrecken fest, dass ihr eine absonderliche anatomische Veränderung zuteil wurde: zwischen ihren Beinen baumelt ein voll ausgewachsener Schwanz. Die einzigen Menschen, denen sie sich anvertraut, Marcelle und ihr Gynäkologe Doktor Pace (Christian Clavier), wissen keinen Rat für die vollkommen verstörte Frau. Als wäre ihre Situation nicht vertrackt genug, unterzieht Jeanne auch noch das Bild ihres Kollegen Merlin (Éric Elmonsino), mit dem sie kurz vor ihrer wundersamen Geschlechtsumwandlung einen One-Night-Stand hatte und den sie für einen schürzenjagenden Macho hielt, einer langsamen Revision. Doch wie kann sie in ihrem Zustand mit einem eindeutig heterosexuellen Mann anbandeln?
 
Audrey Dana legt mit "Mein neues bestes Stück" ihre zweite Regiearbeit vor, zu der sie erstmalig auch mit zwei weiteren Autorinnen das Drehbuch schrieb und überdies in der Hauptrolle der Jeanne brilliert. Wie sie zunächst o-beinig und gebückt, in ihren Grundfesten erschüttert durch den Film schleicht, lässt einen als Cis-Mann wundern, wie man das überhaupt macht, mit so einem Ding zwischen den Beinen durchs Leben zu gehen. Man(n) beginnt, sich Fragen über das eigene Geschlecht zu stellen und ist damit mitten drin in diesem Film und seinem Genderdikurs. Das beginnt in der französischen Originalversion mit der Titeleinblendung: "Si j'étais un homme" steht da und dann wandelt sich das letzte Wort zu "une femme" um ("Wenn ich ein Mann/eine Frau wäre"). Es geht nur vordergründig um eine Frau mit einem Schwanz und im weiteren darum, die Kategorien von Geschlecht in Frage zu stellen.
 


Zu dieser Konstruktion gehört die ständige Sexualisierung der Frau, die Jeanne erst wirklich auffällt, wenn auch Frauen für sie sexuell attraktiv sind. Auf einmal ist sie auf der Straße einer von der Montage verdeutlichten Flut von Reizen durch junge, attraktive, halbnackte Frauen bzw. deren Brüste und Hintern auf den Covern von Magazinen, Plakaten ausgeliefert. Wieder braucht es den Gendershift, um zu verdeutlichen, was allen, die schon immer auf Frauen standen, in seiner Offensichtlichkeit kaum noch auffällt. Zu dieser Konstruktion gehört auch das Bild des großen Schürzenjägers, dessen Promiskuität gesellschaftlich sanktioniert ist, während Frauen, die ihre Sexualität ähnlich ausleben, immer noch als Schlampen gebrandmarkt werden. Und natürlich gehören nicht nur in gängiger Hetero-Mainstream-Pornografie die Bilder von der ständig verfügbaren Frau und dem omnipotenten Mann zusammen.
 
Einerseits greift Dana in ihrem Film auf einen Geschlechterdiskurs zurück, den es im Kino mindestens seit knapp hundert Jahren gibt. In Ernst Lubitschs Meisterwerk "Ich möchte kein Mann sein" von 1918 erscheint Geschlecht als eine Sache von Dressur. Zunächst nur das weibliche, schließlich verlangt man nur von jungen Damen, einen tiefen Knicks zu machen, dann, wenn sich die Protagonistin, hier nur per Kleidung, in einen Mann verwandelt, mehr und mehr auch das männliche. Andererseits schließt sie eine, wenn nicht die, archetypische Erzählung des Genres Komödie, die Geschichte von einem Menschen, der zu neuem Selbstbewusstsein und damit auch sich selbst findet, kurz mit Irrungen und Wirrungen um sexuelle Orientierung und Identität.
 
Auch wenn in der zweiten Hälfte des Films mehrmals falsche Fährten gelegt werden, wie Jeanne ihr neues bestes Stück wieder loswerden könnte, ist das Ende des Films früh absehbar. Dass es außerdem recht heteronormativ ausfällt, könnte man dem Film, wenn man denn wollte, übelnehmen. Immerhin entschädigt er mit dem Bild einer neuen Familie mit ganz vielen, irgendwie in Beziehung zueinander stehenden Eltern und noch viel mehr Kindern. Wahrscheinlich ist es trotzdem oder gerade deswegen möglich, die Art, wie der Film Genre und neuere geisteswissenschaftliche Theoreme verknüpft, zu verurteilen, in ihm eine Art Gender-Wohlfühl-Komödie für AkademikerInnen, die genauso weiß sind wie alle tragenden Figuren im Film, zu sehen. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht, aber mir hat die Leichtigkeit, mit der hier hochkomplexe Themen behandelt werden, dennoch gefallen.
 
Nicolai Bühnemann
 
Mein neues bestes Stück - Frankreich 2017 - OT: Si j'etais un homme - Regie: Audrey Dana - Darsteller: Audrey Dana, Christian Clavier, Eric Elmosnino, Antoine Gouy - Laufzeit: 95 Minuten.