Im Kino

Jenseits des Fröhlichkeitsdiktums

Die Filmkolumne. Von Patrick Holzapfel, Friederike Horstmann
27.04.2017. In ihrem neuen Film "Der traumhafte Weg" erkundet Angela Schanelec das Verhältnis von Sichtbarem und Unsichtbarem. Jim Jarmusch tritt in seinem Musiker-Biopic "Gimme Dangers" in den Hintergrund und überlässt Iggy Pop die Bühne.


Angela Schanelecs
Filme provozieren und polarisieren. Sie verzichten auf eine etablierte Erzähllogik, entwickeln ihre Stoffe aus Beschränkung an Opulenz, aus wenig Bewegungen der Kamera und Körper, aus vielen starren Einstellungen und spärlichen Dekors. Dass der Asketenexzess einen Reichtum der Erfindung freilegt, zeigt ihr neuer Film "Der traumhafte Weg". Er folgt einem fragmentarischen Verfahren, kadriert vermeintlich quer zur erzählerischen Kohärenz, schneidet Details aus Szenen und Körpern, Ausschnitte zu Tableaux, eliminiert visuelle Kontexte und setzt Fragmente parataktisch hintereinander.

Zu Anfang ist das Bild vollständig schwarz. Zirpende Grillen verraten: Der Kamerablick ist im Sommer, im Süden, im Freien, das sich ihm noch nicht erschließt. Der Ton lenkt die Wahrnehmung auf einen Ort, der erst später sichtbar wird. Schon in der ersten Einstellung fallen Akustisches und Optisches auseinander und verweisen auf ein Nicht-Sichtbares, das im Jenseits des Bildes kaschiert bleibt. Eine eigenwillige Relation von Sichtbarem und Unsichtbarem bestimmt den gesamten Film, der voll ist von Ausschnitten, von Händen und Füßen, von Teilen, von Dingen, von Ellipsen, von Sprüngen zwischen Ländern und Zeiten. Die Geschichten - zwei brüchig werdende Liebesbeziehungen - sind selbst voller Zwischenräume und Leerstellen, die den Imaginationsraum weit aufspannen.

Der Film beginnt im Jahr 1984 in Griechenland und endet dreißig Jahre später in Deutschland. In "Der traumhafte Weg" ist nichts sicher, Beziehungen lösen sich auf, werden aus der Erzählung ausgeblendet, um später wiederaufzutauchen. Beiläufig werden Einlassungen in gesellschaftshistorische Ereignisse angeschnitten: der EU-Beitritt Griechenlands 1984 wie auch die Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze 1989. Neben den porösen Love-Dingen fokussiert der Film auch Gemütsverdunklungen und Gebrechen: Krankheiten und Unfälle, Drogenabhängigkeit und Obdachlosigkeit.

Schanelec schafft rasante Ortswechsel und atemberaubende Zeitraffung: In den radikalen Schnitten lagern manchmal Monate, manchmal sogar Jahre. Wenige Einstellungen konturieren eine Episode, an welche sich eine nächste abrupt anschließt. Erst allmählich begreift man, dass viel Zeit vergangen ist und wie präzise die Erzählungen konstelliert und wie komplex die Bildkompositionen gestaltet sind. Schanelec erfindet eine ganz eigene Welt, in der zwischen einzelnen Einstellungen unzählige Echos und Resonanzen entstehen. Vermeintlich unbedeutende Motive und Dinge, Kleidungen und Gesten tauchen später wieder auf, scheinen Künftiges vorwegzunehmen, Vergangenes zu erinnern. Diese relationale Dimensionalität entfaltet sich erst in der Sukzession und wurde andernorts als ein "schwebendes Mobile aus Einzeleinstellungen" beschrieben. Man bewegt sich frei zwischen Möglichkeiten, die der Film einem großzügig anbietet.



Gängige Kinobilder, in denen ein Aspekt einer Sache sich penetrant zum Ganzen aufwirft, zerlegt Schanelec in Stücke und Modulationen. In ihrer vordergründigen Zusammenhangslosigkeit lösen die Bilder zuerst Empfindungen aus. Verstehen kommt danach, getrennt. Die Wirkung geht den Ursachen voraus. Man sieht oder hört etwas, einen erstarrten Blick, ein zerspringendes Glas. Eine Erklärung wird in den folgenden Einstellungen nachgeliefert und verbindet den Gang des Filmes wieder enger mit seinen Figuren. Für Momente scheinen einzelne Einstellungen den Rahmen der Erzählung fast aufzuheben, autonom zu werden, sodass man die Erklärung auch als Verengung dessen empfinden kann, was man erst sah.

Die sorgfältigen, tableauartig gerahmten Bildkompositionen sind oft leicht von oben gefilmt und ein wenig aus den Angeln üblicher Kinobilder gehoben. So verschieben sich die gewohnten Raumkoordinaten. Der Kopf der Figuren ist ab, der Blick der Kamera niedergeschlagen, an den Schultern, an den Knien abgeschnitten. Nicht nur der gewählte Bildausschnitt fragmentiert die Umgebungen und Innenräume, auch rahmende Türen versperren den Blick. Durch diese veränderten Zusammenhänge sieht man die Dinge wie zum ersten Mal. Die starre wie strenge Kadrage, auch das beengt wirkende, fast quadratische Academy-Format 1.37:1 lassen die Figuren auf dem Schauplatz der Leinwand tastend manövrieren und ihre Bewegungen überhaupt erst als Bewegungen sichtbar werden. Je schonungsloser der Bildausschnitt durch die gewohnten Kontexte und Kompositionen hindurchschneidet, desto deutlicher treten die bewusst gestalteten Körperbewegungen hervor.

Handlung ist bei Schanelec etwas, was einer mit den Händen tut - auch um die Privilegierung des menschlichen Gesichts im Kino zu befragen. Großaufnahmen von Händen zeigen zarte Zuwendungen und Gesten der Anteilnahme: Hände, die einander ergreifen, die in- und aufeinanderliegen oder verstohlen zum Abschied winken. Es scheint mehr Ausdruck in Gängen und Gesten als in den Gesichtern zu liegen, gerade weil diese entrückt und erstarrt in langen Einstellungen in die Kamera blicken ohne ein Gegenüber zu adressieren. Jenseits eines Fröhlichkeitsdiktums zeigt sich in diesen Gesichtern Entfremdung und Ernüchterung - love lost. Wie bewegt die Figuren sind, merkt man so deutlich, weil Schanelec sie langsam sich bewegen lässt. Und die Kamera auch. Man hat Muße die Räume zu erkunden, die spröde Diktion der Wörter zu hören.

Die Lichtmodulationen und Bildkompositionen von Schanelecs Kameramann Reinhold Vorschneider sind von bestürzender Schönheit. Das Karge in "Der traumhafte Weg" produziert den Überschuss, das Imaginäre - wie die Lakonik im Traum. Der Filmtitel bezieht sich treffend auf das Traumhafte als strukturelles Prinzip des Erzählens. Die Montage von Robert Bresson beschrieb Ute Holl einmal als ein "parataktisches Perforieren der Wirklichkeit". In seinen "Notizen zum Kinematographen" wusste Bresson wiederum: "Die Menschen und Dinge in ihren trennbaren Teilen sehen. Diese Teile isolieren. Sie unabhängig machen, um ihnen eine neue Abhängigkeit zu geben." Dieses Verhältnis zwischen Unabhängigkeit und Abhängigkeit, Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit, zwischen Träumen und Wachen hat Angela Schanelec mit ihrem parataktischen Perforieren der Wirklichkeit auf beglückende Art ausgelotet.

Friederike Horstmann

Der traumhafte Weg - Deutschland 2016 - Regie: Angela Schanelec - Darsteller: Miriam Jakob, Thorbjörn Björnsson, Maren Eggert, Phil Hayes - Laufzeit: 86 Minuten.

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Jim Jarmusch mag Iggy Pop. So viel wird klar in "Gimme Danger", einem für Jarmusch überraschend konventionell geratenen Musiker-Biopic über die Stooges, das letztlich davon lebt, dass Frontmann James Osterman a.k.a. Iggy Pop ein unterhaltsames Leben geführt hat und von diesem in ebenso kurzweiliger Manier Zeugnis ablegen kann. Der in Jarmusch angelegte Drang zur Stilisierung tritt hinter eine dynamische Erzählweise zurück, die alte Männer über die glorreichen Zeiten des aggressiven Rock der Stooges reden lässt und das ganze mit Animationen, Found Footage und assoziativen Schnipseln aus Filmen kombiniert.

Wie schon zuletzt bei Paul Thomas Anderson und seinem "Junun", der ein musikalisches Projekt von Jonny Greenwood begleitete, hat man ein wenig das Gefühl eines Freundschaftsdienstes. Eigentlich kann es keinen besseren Grund geben einen Film zu machen, als aus Liebe. Leider bedeutet diese Motivation auch, dass mögliche Kritik und Tiefe hinter eine unreflektierte Feier der eigenen Größe und Fehler tritt und der immer gleiche Mythos des Rock'n Roll beschworen wird, der vielleicht zu Iggy Pop in all seiner schillernden Ambivalenz gehört, letztlich aber - und davor kann ihn auch der zärtliche Blick Jarmuschs nicht bewahren - hier und da ins Lächerliche kippt. Davor hat ein Iggy Pop keine Angst.



Ja, man hat viele Drogen genommen und einige krasse Dinger gebracht, ja, man hatte viel Mut und war verrückt, aber letztlich hat man vor allem die Musik geliebt. Man kennt diese Erzählungen. Nicht immer kommt dabei die enorme Arbeit, die in den Stooges steckt, zum Vorschein. Zudem schneidet sich die rebellische Haltung von Herrn Osterman mit der Mainstream-Attitüde von Jarmusch. Manche Szenen wirken fast wie aus einer Startnext-Kampagne für die Finanzierung eines neuen Stooges-Albums, nicht wie aus einem Film. Das bedeutet nicht, dass es nicht einiges zu Staunen, Lachen und auch zum Kopfschütteln gäbe. Etwa als erzählt wird wie Iggy Pop dem Ersatz-Schlagzeuger Steve Mackay - eigentlich der Saxophonist der Band - bei einem Auftritt vor jedem Song den Beat anspielte, so dass dieser nur mehr den Rhythmus halten musste.

Über diese Anekdoten geht vor allem die Körperlichkeit des Frontmanns der skandalösen und enorm einflussreichen Rockband hinaus. In der beschleunigenden Montage Jarmuschs kommt die zirkusnahe Performancetauglichkeit des springenden, fallenden, kriechenden, schreienden Sängers besonders zur Geltung. Man erfährt auch, dass seine Liebe zu oberkörperfreien Auftritten mit einer Faszination bezüglich der ägyptischen Kultur und Pharaonen zusammenhängt. In einer Sternstunde des Films äußert Osterman, dass er eines Tages einen Joint an einem Fluss geraucht habe und bemerkt hätte, dass er nicht schwarz sei. Die Wahl der Musikausschnitte wie "I Wanne Be Your Dog" oder "I Got A Right" und ihre Platzierung im Film offenbart eine ausgeprägte Vertrautheit mit der Musik. "Gimme Danger" will nicht mehr sein als das und vermutlich macht das die meisten Fans der Musik auch glücklich.

Musik und Musiker spielen eine große Rolle im Werk von Jarmusch, man denke an John Lurie, die White Stripes, Tom Waits, Neil Young oder RZA. Iggy Pop war bereits in einer Episode von "Coffee & Cigarettes" an der Seite von Tom Waits zu sehen und auch in "Dead Man" hatte er eine kleine Rolle. Noch etwas stärker als in "Year of the Horse", der Neil Young und die Band Crazy Horse porträtierte, entscheidet sich der Filmemacher diesmal, nicht wie in seinen fiktionalen Filmen Stil und Musikalität zu verbinden, sondern sich ganz zurück zu ziehen und Iggy und den Stooges die Bühne zu überlassen. Dass die in der Lage sind eine Leinwand zu rocken, ist keine Frage.

Patrick Holzapfel

Gimme Danger - US 2016 - Regie: Jim Jarmusch - Laufzeit: 108 Minuten.