Im Kino

ADHS-Paradies auf Speed

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
27.11.2014. Terry Gilliam erweist sich in "Zero Theorem" einmal mehr als eine Art Frank Schirrmacher des fantastischen Kinos. Auch mit Christoph Waltz: Sean Anders' nicht nur mediokre Komödie "Kill the Boss 2".


Gegen diesen öffentlichen Raum hilft kein Adblocker: Wenn Qohen Leth (Christoph Waltz) in schwarzer Montur seine karge Behausung einer verfallenen Kathedrale verlässt, um ins Neonlicht zu treten, sieht er sich mit dem nervösen Albtraum einer durchkommerzialisierten Öffentlichkeit konfrontiert, in der maximale Individuierung und Adressierung den Gang zum Bus zum Spießrutenlauf macht. Es flimmert, quietscht und bimmelt, es flackert, schranzt und dengelt - klickibunti, jalla jalla, macht dieses ADHS-Paradies auf Speed, ein Ringen und Kämpfen, Stoßen und Drängen um die Aufmerksamkeit des sich mehr und mehr in sich verschalenden Subjekts, das sich, mit Ausnahme Qohens, längst schon die bunt-dekadente Camouflage gerettet hat und in diesem Wimmelbild von der allgegenwärtigen flashy Werbung kaum mehr zu unterscheiden ist.

Burlesker Überschuss, Ekstase des Skurrilen - ein typisches Terry-Gilliam-Feuerwerk, das die ersten Minuten von "Zero Theorem" abfackeln, inspiriert von alten Underground-Science-Fiction-Comics genauso wie von der auch schon gut ins Alter gekommenen, filmischen Postmoderne der achtziger Jahre. Ein klein wenig verzweifelt wirkt es allerdings schon, wie Gilliam hier in Sound, Look und Feeling seine Paranoia-Klassiker "Brazil" (1985) und "12 Monkeys" (1995) fortschreiben will. Und die Zeichen verweisen deutlich darauf, dass Gilliam uns hier etwas sagen möchte: Dieses London der Zukunft, ein schrilles Gadget-London, das seine Bewohner auf Werbebotschaften-Adressaten und Laufrad-Bewohner einer nicht mehr durchschaubaren, von Gadgets und Displays zugestellten Welt oder gleich zu bloßen Display-Solipsisten deklassiert, soll wohl schon auch eine Extrapolation heutiger Umstände darstellen. Nach dem Motto: Seht nur, worauf wir zusteuern, wir Smartphone- und Tablet-Sozialkrüppel. Dass Gilliam andererseits viel zu verliebt ins Gewusel und Gewimmel seiner farbenprächtigen Ausstattung ist, reibt sich daran etwas.




Inmitten des Treibens, als gehetzte Gestalt und Leerstelle zugleich: Besagter Qohen Leth, der in seiner Kathedrale dem Sinn des Lebens hinterher fuhrwerkt, im Auftrag von "Management", dem Großen Bruder dieses dystopischen Szenarios. Er fuchtelt und werkelt an obskuren Maschinen, spricht von sich im Plural, leidet an Depressionen und völliger Persönlichkeitsermangelung - und ist vielleicht gerade deshalb das letzte Exemplar des wahren Menschen, das sich Gilliam unter den hochtechnisierten Bedingungen seiner Erzählwelt vorstellen kann. Eine auf CD-ROM hinterlegte Psychotherapeutin - mitunter famos: Tilda Swinton mit Mut zur gewagten Frisur - legt den glatzköpfigen Lebenssinnsucher denn auch bald auf die Couch. Unausgesprochen bleibt dabei, dass dieser Qohen tatsächlich ein getriebener Spielball einer fremden Macht ist, die allerdings ganz außerhalb des Geschehens steht: Für Christoph Waltz ist Qohen das ideale Vehikel für seine Manierismen, deren Reiz sich nach zweimal Tarantino samt Oskar sich nun auch langsam mal erschöpft hat. Oder kurz: Die längst zu nerven beginnen.

Wie im übrigen auch Gilliams auf Krawall gebürsteter Kulturpessimismus. Wie schon in seinem "Parnassus"-Film 2009 artikuliert er hier ein Misstrauen gegen unsere gewiss auch schöne neue Welt, das sich einerseits sehr im Liebreiz deren Zerstreuungsangebote verstrickt, ihr andererseits aber auch im wesentlichen unverständig gegenüber steht. Terry Gilliam, eine Art Frank Schirrmacher des fantastischen Kinos sozusagen: Wo der Feuilletonleiter zermanschte Gehirne sah, sieht der andere einen einzigen Wust an Neurosen, Narzissmen und Depressionen. Dass gerade im Zeitalter von Social Media und mobilem Netz Menschen mehr denn je miteinander kommunizieren - wenn auch freilich nicht mit jenen im unmittelbaren Umfeld - bleibt Gillliam ebenso unzugänglich wie die Tatsache, was für ein Zeitalter der Vereinzelung und Isolation insbesondere die alte Buchgalaxis gewesen ist, nach der sich Gilliam mit seinen etwas vergilbten Vorstellungen menschlicher Imagination offenbar zu sehnen scheint.

Thomas Groh

The Zero Theorem - GB 2013 - Regie: Terry Gilliam - Darsteller: Christoph Waltz, David Thewlis, Melanie Thierry, Matt Damon, Lucas Hedge, Margarita Doyle, Tilda Swinton - Laufzeit: 107 Minuten.

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Die wutbürgerliche Schlagseite des Vorgängers ist in "Kill the Boss 2" (im Original heißt die Filmserie, ebenfalls deutlich weniger wutbürgerlich, "Horrible Bosses") sympathischerweise korrigiert: Wo es im älteren Film um die selbstgerechte Empörung dreier engstirniger Mittelschichtsmänner über ihre anmaßenden, unfairen, cholerischen und in einem Fall sogar weiblichen Chefs ging, hat sich im Nachfolger das Blatt gewendet. Die einstigen Bosse sind tot (Colin Farrell), im Knast (Kevin Spacey) oder - vorläufig - neutralisiert (Jennifer Aniston), dafür haben die einstigen Angestellte eine eigene Firma gegründet: Nick Hendricks (Jason Bateman), Kurt Buckman (Jason Sudeikis) und Dale Arbus (Charlie Day) wollen ihre eigene Erfindung in Serie gehen lassen, den sogenannten "Shower Buddy", einen Duschaufsatz für besonders faule Zeitgenossen.

Die Industriekomödie, die "Kill the Boss 2" am Anfang ist, und die eine Unternehmensgründung vom Pitch in einer TV-Talkshow über die Verhandlung mit Investoren bis zur tatsächlichen Produktion nachzeichnet, hätte ich mir sehr gerne über eine gesamte Spielfilmlänge angeschaut. Leider bricht sie bald ab: Als den drei Entrepreneurs klar wird, dass sie von ihrem Auftraggeber, einem von Christoph Waltz erstaunlich zurückhaltend angelegten, nämlich einfach nur souverän dauergrinsenden Überarschloch, hereingelegt wurden und Gefahr laufen, ihre neugegründete Firma gleich wieder zu verlieren, fassen sie den Beschluss, den Sohn (überraschend großartig: Chris Pine) ihres neuen horriblen Bosses zu entführen. Der ist als verzogenes, cholerisches Windei eine andere Art von Überarschloch. Ab da weiß man eigentlich, wie die Sache laufen wird, und tatsächlich wickelt "Kill the Boss 2" die anschließenden Action-Comedy-Nummern in Details zwar inspiriert, im Großen und Ganzen aber allzu routiniert ab.



"Kill the Boss 2" ist eine Komödie aus dem Mittelfeld sowohl der Gesellschaft als auch der ästhetischen Spannbreite, die das kommerzielle Kino zur Verfügung hat. Wenn das Ganze trotzdem nicht einfach nur medioker ist, dann aufgrund der Darsteller. Die (freilich selten brüllend komische oder auch nur klassisch pointenförmige) Komik des Films entfaltet sich fast ausschließlich in dem mindestens streckenweise improvisiert wirkenden Geplänkel der drei gut aufgelegeten Hauptdarsteller, die praktischerweise zumeist auch gleichzeitig nebeneinander in einer Einstellung untergebracht sind. Bateman und Day haben ihre inzwischen veritablen Kinokarrieren in dichter Anlehnung an ihre bekanntesten Fernsehrollen aufgebaut: Bateman gibt immer neue Variationen auf den überkontrollierten, passiv-aggressiven Spießer Michael Bluth aus "Arrested Development", Charlie Day (stets energiegelanden wie die Screewball-Stars der 1930er, für mich eine der großen Schauspielerentdeckungen der letzten Jahre) legt seine Figuren nach dem Muster des Charlie Kelly aus "It"s Always Sunny in Philadelphia" an: Auch Dale Arbus ist ein hypernervöser Typ ohne jede Impulskontrolle, der seine kognitive und körperliche Dauerüberforderung mit Übersprungshandlungen kompensiert. Der nur sacht prollige Normalo Sudeikis soll vermutlich zwischen beiden vermitteln, hat jedenfalls eine etwas undankbare Rolle.

Frauen bleiben bei all dem noch grundsätzlicher abwesend, als sie es in derartigen Bromance-Buddy-Komödien eh meist sind, tauchen nicht einmal mehr als love interests auf. Das hat den eigenartigen Vorteil, dass sowohl die sexistischen, als auch die homophoben Grundierungen des gegenwärtigen Mainstreamkinos nicht mithilfe liberaler Lippenbekenntnisse verschleiert werden, sondern derart offen zutage treten, dass sie sich um ein Haar ihrer selbst bewußt werden. Was die Frauen angeht, muss man sowieso hinzufügen, dass die wenigen Szenen, die das Drehbuch Jennifer Anistons nymphomanischen Zahnärztin gönnt und in denen weibliches Begehren als eine Art Spezialeffekt inszeniert wird, ein interessanteres, wagemutigeres Frauenbild zeichen als 1000 brave empowerment-Erzählungen. Die entscheidende Front ist diesmal jedoch eine andere: Schon die televisuelle Präsentation des "Shower Buddy" gibt für die erste von vielen (auf ausgesucht harmlose Weise anzüglichen) Witzeleien Anlass, bei denen man nie so recht weiß, ob sie sich über die Homophobie ihrer Figuren / in der Welt lustig machen, oder einfach nur selbst homophob sind (beziehungsweise: ob Selbstironie einfach nur zu einer weiteren Spielart von Homophobie geworden ist). Will man "Kill the Boss 2" wohlgesonnen bleiben, kann man sich an eine Szene später im Film halten, in der Sudeikis" Buckman kurzfristig glaubt, dass Batemans Hendricks tatsächlich schwul sei - und darauf nicht mit Ekel und Ablehnung reagiert, sondern neugierig und freudig, fast erleichtert. Da ist er für einen Moment weiter als der Film, auch weiter als das Mainstreamkino insgesamt.

Lukas Foerster

Kill the Boss 2
- USA 2014 - OT: Horrible Bosses 2 - Regie: Sean Anders - Darsteller: Jason Bateman, Jason Sudeikis, Chalie Day, Jennifer Aniston, Kevin Spacey, Jamie Foxx, Chris Pine, Christoph Waltz - Laufzeit: 108 Minuten.