Im Kino

Unheilsatmosphäre

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Elena Meilicke
20.03.2013. Harmony Korines Teeniebopper-Fantasie "Spring Breakers" hat die dringliche Qualität eines intensiv erlebten (Alp-)Traums. Einen mittelständischen Betrieb, der sein Geschäft mit dem Tod macht, lernt man in Thomas Heises neuem Film "Gegenwart" kennen.


1981 geht MTV auf Sendung, im gleichen Jahr wird Britney Spears geboren, und 1986 beginnt der Musiksender mit seiner alljährlichen Spring-Break-Berichterstattung - acht Stunden täglich wird live aus Florida gesendet. Das sind ungefähr die Koordinaten, in deren Kreuzungspunkt Harmony Korines neuer Film steht. "Spring Breakers" handelt von jenen schrecklich-schönen (Menschen-, Körper-, Frauen-) Bildern, die der US-Teeniebopper-Mainstream seit Jahren generiert, und ist dabei mindestens so sehr Hommage wie Farce oder Kritik. Oder auch: ziemlich geniale Autoethnografie.

Der Film setzt ein mit Bildern von jungen Spring Breakern in Aktion, mit Bildern, die man von MTV kennt: blaues Meer und weißer Strand, dazwischen ein Heer von Jugendlichen in Bikini und Badehose. Feste Körper, dralle Ärsche, zuckende, kreisende, stoßende Hüften, dazu kreischend laute elektronische Musik. Was als greller Angriff auf überwältigte Zuschauerohren und -augen daherkommt, ist zugleich absoluter Sehnsuchtsort für die vier jungen College-Studentinnen Brit (!), Candy, Cotty und Faith - selbsternannte "Spring Break bitches", die raus wollen aus dem eintönigen Uni-Alltag. Das nötige Kleingeld für die frühsommerliche Auszeit rauben sie sich bei einem Überfall zusammen, Ausbruch einer Gewalt, die auf der Tonspur von Anfang an und permanent präsent ist: immer wieder hört man das hallende Klick-Klack einer entsicherten Waffe, als akustische Interpunktion, die hypnotisch verwobene Szenen notdürftig voneinander absetzt und Unheilsatmosphäre schafft.

Überhaupt hat "Spring Breakers" die dringliche und unmittelbare Qualität eines intensiv erlebten (Alp-)Traums: wenn die Sinne roh und empfindlich sind und alle Eindrücke ungefiltert in archaische Hirnregionen funken, sich auflösen in einzelne Farben, Töne, Gefühle. Ganze Szenen werden geloopt, wiederholen sich, verschoben und verdichtet, als würde man direkt eintauchen in die Tiefenschichten des Teeniebopper-Unbewussten. Ins Bild gesetzt hat diesen Trip der belgische Kameramann Benoit Debie, der zuvor unter anderem "Irréversible" und "Enter the Void" für den französischen Kinoextremisten Gaspar Noé gedreht hat. Vor allem die Schwarzlicht- und Neonexzesse aus "Enter the Void" tauchen in "Spring Breakers" bildgewaltig wieder auf. Darüber hinaus aber ist das filmische Teeniebopper-Unbewusste mindestens so sehr Ton- wie Bildraum: untermalt wird der fluide Bilderstrom von einem großartigen Voice-over aus einfältigen Floskeln, leere Mädchenstimmen hallen aus dem Off und werden im Laufe des Films mehr und mehr überlagert vom unheimlich monotonen Singsang des Gangsters Al (James Franco), der ewig gehauchten Beschwörungsformel, dem großen Versprechen: "Spring Break, Spring Break..."



In den USA hat "Spring Breakers" schon kurz nach seinem Anlaufen für reichlich Furore gesorgt, sein Geheimnis liegt vielleicht darin, dass er auf vollkommen unterschiedliche Weisen rezipiert werden kann. Da preist das Vice Magazine (hier auf deutsch) den Film an als "the feel-good party movie of 2013" mit "plenty of babes, guns, and butts", während zeitgleich der New Yorker eine gelehrte kulturgeschichtliche Analyse veröffentlicht, die über die Metafiktion des Films nachdenkt und seine auffälligen Schwarz-Weiß-Dichotomien mit Norman Mailers Konzept des Hipsters als "White Negro" in Zusammenhang bringt. Auch genderpolitisch gesehen ist "Spring Breakers" eine einigermaßen vertrackte Sache: Auf der einen Seite rennen vier blutjunge Mädchen wirklich konsequent den ganzen Film lang halbnackt durch's Szenenbild und bleiben seltsam flache und konturlose Geschöpfe, auf der anderen Seite gibt es Szenen weiblicher Ermächtigung, die für ähnlich gute Laune sorgen wie etwa Quentin Tarantinos Racheszenario in "Death Proof".

Dabei scheint die Exploitation nicht weniger kalkuliert und bewusst eingesetzt als die Ermächtigung. Denn Korines hemmungslose Hingabe ans universale Lolitatum macht Sinn - als Abbild und Kommentar auf eine Kultur, die Pädophilie verteufelt wie nix Gutes und gleichzeitig ihre Mainstream-Megastars und Sexsymbole seit Jahren aus dem Disneyclub rekrutiert: Britney, Justin, Christina, Ryan... In der Folge "Erst-Disneyclub-dann-Sexsymbol" scheint kein Widerspruch, sondern ein intrinsischer Zusammenhang zu liegen. Den treibt "Spring Breakers" auf die Spitze, indem er eine neue Generation weichgespülter Teenie-TV-Ikonen zu "Spring Break bitches" macht: gespielt werden die von Vanessa Hudgens, Ashley Benson und vor allem Selena Gomez mit ihrer Physiogomie einer Vierjährigen.

Ein wenig erinnert dieser Casting-Coup an Nicholas Winding Refns ebenfalls Disney-Queering betreibende Besetzung von Ryan Gosling in "Drive", einem Film, mit dem "Spring Breakers" darüber hinaus die glatte Oberfläche und einen Soundtrack vom Düstermann Cliff Martinez gemein hat. Einen Ehrenplatz in eben diesem Soundtrack aber hat - und so schließt sich der Kreis - Britney Spears. Zwei ganz große Auftritte haben ihre Songs in "Spring Breakers", der auf diese Weise die Genealogie aller heutigen Teenie-Sexsymbole gleich mitliefert. Hit me Baby one more time.



Elena Meilicke

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Zwischen Weihnachten und Neujahr 2011, in der stillen Zeit zwischen den Jahren, hat der Dokumentarist Thomas Heise seinen neuen Film gedreht, draußen liegt und fällt Schnee, während die ersten Einstellungen der Außenseite eines noch fast völlig konturlosen, kaum vom Weiß der Umgehung sich abhebenden Gebäude gelten: ein gleißend heller blinder Fleck, eine andere, extremere Art von Nicht-Ort als jeder Flughafen oder Bahnhof. Von Innen entpuppt er sich als ein Krematorium, als ein sehr prosaischer mittelständischer Betrieb im Rheinländischen, der sein Geschäft mit dem Tod macht. Gezeigt werden die Arbeitsvorgänge, die diesen mittelständischen Betrieb am Laufen halten.

Es ist nicht so, dass man da besonders spektakuläre Bilder zu sehen bekommen würde. Man hat sich das alles schon vor dem Film denken können: Besonders in Deutschland reicht das verwaltete Leben über sein Ende hinaus; und das (weitgehend) säkularisierte Sterben bringt seine eigenen Rituale hervor. Und doch ist es etwas ganz anderes, genau das auch zu sehen, die Bedingungen des Verschwindens von Individualität Einstellung für Einstellung nachvollziehen zu können. Die Leichen sind selbst fast durchweg abwesend, versteckt, weggesperrt; irgendwann während eines Rundgangs durch die Aufbahrungshalle, während einer langen, repetitiven Szene, der man gar nicht so viel hinzufügen müsste, um sie ins lakonisch Komische kippen zu lassen, wird von einem Krematoriumsmitarbeiter ein Arm eines Toten aus einem Sarg herausgestreckt, kurz darauf folgen noch zwei-, drei Großaufnahmen erstorbener Hautpartien, das war's.

Trotzdem ist "Gegenwart" nicht einfach ein Film über gelungene Produktion. Nach dem Tod bleibt etwas vom Menschen zurück, ein Rest, und irgendwie ist dieser Rest ein Skandal. Das Krematorium verhält sich in dieser Hinsicht ambivalent: Es macht den Rest unsichtbar, aber stellt den Skandal dennoch aus, auf seine Weise, es überführt ihn in einen komplizierten Apparat, in dem zwar alles seine Ordnung hat, zumindest, solange der Gewebefilter hält, der aber trotzdem einfach ziemlich viel Apparat ist für die unbelebten Kohlenstoffverbindungen, um die es ganz eigentlich geht. Es gibt das Ofensystem, die neben- und übereinander gelagerten Särge, die grafischen Diagramme, den Verwaltungsraum mit den Computern, einen Warteraum, in dem Kaffee aus gemütlichen, dicken Tassen getrunken wird.



Auch das hätte man sich alles denken können - nicht in den Details allerdings, die sind widerständig, wie stets in Heises Filmen; was hat es zum Beispiel damit auf sich, dass ausgerechnet ein glatzköpfiger junger Mann in Thor-Steinar-Klamotten in den Ofen hinab steigt? Und wie die Glatze dabei glänzt... Und dann: Wie weit kann man überhaupt denkend nachvollziehen, was nach dem Ende des Denkens folgen wird? Auch die Grenzen des Denkens über den Tod lässt der Film intakt: "Gegenwart" ist nicht auf der Suche nach etwas Ganzem, etwas Greifbarem, etwas Konkretem, das der Erfahrung von Abstraktion, die man im Angesicht des Todes und in einem mittelständisch geleiteten Krematorium vielleicht noch einmal besonders gut machen kann, entgegenzusetzen wäre. (Im Gegenteil holt die gespenstische letzte Szene den Tod ins Leben hinein, verwandelt einen ausgelassenen Karnevalsfeier in einen unheimlichen Automatentanz.)

Dazu passt, dass der zentrale Arbeitsvorgang, um den es geht, wenn ich das richtig verstanden habe ("Gegenwart" ist kein "Sendung mit der Maus"-Erklärfilm, Voice-Over gibt es sowieso keinen, Interviews auch nicht und selbst mitabgehörte Arbeitsplatzdialoge kaum), bei Heise nicht chronologisch linear abläuft oder gar entlang einer einzelnen Einäscherung vorgeführt wird. Sondern eher rückwärts, zumindest am Anfang, wenn der beschädigte Ofen, in dem Sarg und Leiche verbrannt worden sind, wieder neu zusammengesetzt und erst anschließend gezeigt wird, wie (vorher) die Asche aus der Luke geborgen wird. Die Arbeitsteilung, Grundvoraussetzung der industriellen Moderne, zerlegt ganz buchstäblich den Körper, auch den des Films.

Lukas Foerster


Spring Breakers - USA 2012 - Regie: Harmony Korine - Darsteller: Selena Gomez, Ashley Benson, Vanessa Hudgens, Rachel Korine, James Franco, Heather Morris, Emma Holzer - Laufzeit: 94 min.

Gegenwart - Deutschland 2012 - Regie: Thomas Heise - 65 min.