Im Kino

Die Schönheit der Stretchlimousine

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Jochen Werner
04.07.2012. David Cronenberg verfilmt Don DeLillo: In "Cosmopolis" gleitet Robert Pattinson durch ein verrätseltes, schallgedämpftes New York. Der spanische Horrorspezialist Jaume Balagueró lässt uns in seinem bitterbösen neuesten Streich "Sleep Tight" durch die Augen des Täters blicken.

Stretchlimousinen sind die Unsympathen unter den Verkehrsmitteln: plump winden sie sich durch die Straßen, wie Schlangen, die sich an einem überdimensionierten Lego-Baustein überfressen haben. Sie verraten nichts von ihrem Inneren und man denkt sofort: Das ist auch gut so, Innen wird alles nur noch schlimmer sein als außen. Wenn man jugendlich ist, oder betrunken, sehnt man sich vielleicht gelegentlich danach, in einer Stretchlimo Platz zu nehmen. Wenn es einem gelingt, wird man sich später, wieder nüchtern oder endlich erwachsen geworden, dafür schämen. Stretch-Limousinen fehlt all das, was man an Autos lieben kann - Eleganz, Dynamik, Wendigkeit, Ökonomie der Gestaltung, Selbstermächtigung durch Mobilität - und all das, was man an Autos hassen kann, verkörpern sie in Reinform - Großspurigkeit, Abschottung, maschinelle Aggression.

So oder so ähnlich hatte ich, bevor ich David Cronenbergs "Cosmopolis" gesehen habe, über Stretchlimousinen gedacht. Und danach eigentlich auch wieder. Aber während ich im Kino saß, war ich mir nicht mehr ganz so sicher. Vielleicht kann man doch ein Moment von Schönheit in der Stretchlimo entdecken. Wenn man in ihr nicht mehr den feindlichen, autoritären Eindringling in den demokratischen urbanen Raum sieht, sondern sie als natürlichen Lebensraum nimmt, von dem aus man umgekehrt die Stadt als etwas Fremdes neu erleben kann. Die Limousine wird im Film zum Medium einer Begegnung, die nicht vorstrukturiert ist durch die eingefahrenen Alltagsperspektiven.

Weite Teile von "Cosmopolis" spielen in einer dieser Stretchlimousinen, in einer, die außen nicht, wie die meisten, schwarz, sondern weiß lackiert ist: Der junge Multimilliardär Eric Packer gleitet durch ein schallgedämpftes, verrätseltes New York, verwettet unterwegs mehrere Vermögen, empfängt seine "Cheftheoretikerin", hat Sex, lässt sich von seinem Proktologen rektal untersuchen; und vor allem: führt Gespräche. Draußen wüten weitgehend ziellose Protestbewegungen, ein Sufi-Rapper wird zu Grabe getragen. Nicht wirklich schirmt Packer sich von diesem Außen ab: gelegentlich verlässt er die Limousine, betritt ein Diner, einen Club, am Ende ein Abrisshaus; probiert dabei unterschiedliche Weltverhältnisse so aus, wie andere ihre Garderobe wechseln.


Die Vorlage des Films stammt von Don DeLillo und ist, darauf wurde oft und zurecht hingewiesen, nicht gerade die Art von Buch, die nach einer Verfilmung schreit: ein dialoglastiger Theoriepatchwork-Roman, der noch einmal, mit einigem Pathos, die Allgemeinplätze der Postmoderne vor allem in Anschluss an Baudrillard durchexerziert. Der Film lässt einiges aus dem Roman weg, fügt aber so gut wie nichts Neues hinzu; dass Packer sich nun nicht mehr mit dem japanischen Yen, sondern mit dem chinesischen Yuan verspekuliert, ist an der Oberfläche schon der größte Eingriff. Erschienen ist DeLillos "Cosmopolis" 2003, lange vor der aktuellen Finanzkrise. Es liegt dennoch nahe (einige Interviewaussagen Cronenbergs legen es sogar noch ein wenig näher), den Film als Präparierung einer im Buch noch eher peripheren, vermeintlich prophetischen Deutung der aktuellen Krise zu lesen. Wenn man das tut, dann nimmt man das Buch und noch mehr den Film von ihrer jeweils schwächsten Seite, dann bleibt nur eine Ansammlung eindimensionaler Plattitüden über das Verschwinden realwirtschaftlicher Wertschöpfung und die Abkopplung der Zirkulationssphäre von "echter Erfahrung". Und es bleibt ein Problem des Films, dass er zwar an allen Ecken und Enden über eine solche Lesart hinausdrängt, dass er einen aber doch immer wieder, zum Beispiel mit strategisch eingefügten Marx-Paraphrasen, auf eine reichlich schlichte Form von Gegenwartsanalyse zurückwirft, die letzten Endes auch die Stretchlimousine wieder ihrer semantischen Komplexität beraubt.

Wenn man den Film verteidigen möchte (und er ist zumindest sonderbar genug, um in mir den Wunsch zu wecken, dies zu tun), dann muss man die Dialoge auf andere Art beim Wort nehmen: Mit dem Vorgänger "Eine dunkle Begierde" - vermutlich der stärkste Film des unberechenbaren Cronenberg'schen Spätwerks - verbindet "Cosmopolis" vor allem das unbedingte Primat des gesprochenen Wortes. Sprechfilme sind die beiden neuesten Regiearbeiten Cronenbergs nicht nur aufgrund der bloßen Menge an Dialogzeilen und ihrem Hang zur bühnenartigen szenischen Anordnung, sondern auch, weil es in beiden Filmen ein gewisses Spannungsverhältnis gibt zwischen Sprache und Körper. Sprache ist in beiden Filmen nicht mehr Ausdruck einer Innerlichkeit, auch nicht Mittel zum Zweck, sondern etwas, das dem Menschen, durch dessen Körper es sich artikuliert, bis zu einem gewissen Grad äußerlich bleibt. "Eine unheimliche Begierde" führte vor, wie die Sprachspiele der Psychoanalyse, gegen den Widerstand von Keira Knightleys zuckendem Körper, vormoderne Vorstellungen von Selbstidentität und vom Geschlechterverhältnis über den Haufen werfen.


Und in "Cosmopolis" scheint es darum zu gehen, DeLillos Prosa möglichst ungefiltert durch sehr unterschiedliche Körper hindurch sprechen zu lassen. Das könnte auch eine Erklärung sein für die ungewöhnliche Besetzung eines Films, dessen Schauspieler sehr unterschiedlichen Registern des Gegenwartskinos entstammen: Hauptdarsteller Robert Pattinson ist der Star der "Twilight"-Serie, Jay Baruchel ein (leider eher peripherer) Teil des Apatow-Universums, Mathieu Amalric und Juliet Binoche entstammen dem polyglotten europäischen Autorenkino, Paul Giamatti ist ein verspäteter method actor. Bei dieser Gelegenheit eine Nebenbemerkung: Die nicht nur in Deutschland verbreitete Praxis der Synchronisierung ausländischer Filme mit der Mundart der einheimischen Bevölkerung ist immer ein Verbrechen, im Grunde ein Mord am Film; im Fall der gründlich uninspirierten deutschen Sprachfassung dieses speziellen Films, in dem die Eigenheiten verkörperlichter Sprache von so außerordentlicher Bedeutung sind, kommt zum Mord noch Leichenschändung hinzu.

Wohin das alles führt? So ganz sicher bin ich mir da auch nicht, vieles an diesem Film funktioniert sehr gut, wenn man ihn Szene für Szene, Dialog für Dialog nimmt, und deutlich weniger gut, wenn man ihn als Ganzen betrachtet. Ganz am Ende steht dann eine Szene, die ziemlich unvermittelt wieder zu Cronenbergs Meisterwerk "Videodrome" zurückführt, genauer gesagt zu dessen letzter Szene. Man erinnert sich: eine Hand, eine Pistole, "long live the new flesh". Um - dem Film nicht unangemessen - mit einer etwas schiefen theoretischen Pointe zu enden: Marx meinte einst, in der Geschichte ereigne sich alles zweimal: einmal als Tragödie, einmal als Farce. Cronenbergs aktuelle Werkphase scheint einen Ergänzungsvorschlag zu machen: Alles ereignet sich dreimal, einmal als Tragödie ("Videodrome"), einmal als Farce ("eXistenZ") und ein drittes Mal als protokollarische Wiederaufnahme, als Sicherheitskopie fürs Archiv.

Lukas Foerster

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Zum ersten Mal begegnen wir César auf dem Sims eines Hochhausdaches, bereit zu springen. Zum zweiten Mal begegnen wir ihm im Bett, an der Seite der schönen Clara. Der Alarm seiner Armbanduhr weckt ihn um 5 Uhr in der Frühe, und leise verlässt César die Wohnung. Dann begegnen wir beiden noch einmal, und alles scheint verschoben: César ist der Concierge eines Mietshauses in Barcelona, Clara ist Mieterin ebendort und begrüßt den Hausangestellten zwar gutgelaunt und freundlich, aber ohne jede darüber hinausgehende Intimität. Dass hier etwas nicht stimmt, ist recht bald klar; worin genau das Störmoment im Verhältnis der beiden Protagonisten besteht, klärt Regisseur Jaume Balagueró einige Minuten später auf.

Der unscheinbare Hausmeister ist ein ungebetener Gast im Leben und im Bett Claras. Allnächtlich schleicht sich César in ihre Wohnung, legt sich unter das Bett und wartet auf ihren Schlaf, dann kriecht er aus seinem Versteck hervor, chloroformiert die Schlafende, um ihr Aufwachen zu verhindern und legt sich zu ihr. Bevor er schließlich im Morgengrauen die Wohnung wieder verlässt, hinterlässt er kleine und große Bosheiten, injiziert ein Ausschlag verursachendes Gift in Claras Kosmetika oder versteckt einen verrottenden, mit Kakerlakeneiern infizierten Apfel ganz hinten in ihrem Kühlschrank. Welches Ziel er mit all diesen Taten verfolgt, das lässt "Sleep Tight" lange offen - was sein verstörendes Potenzial eher noch steigert.

Für den spanischen Regisseur Jaume Balagueró stellt dieser Film so etwas wie eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln dar, nachdem er 2007 mit der gemeinsam mit Paco Plaza inszenierten Horror-Mockumentary "[REC]" (und dem beflissen hinterhergeschobenen, aber eher wenig geliebten Sequel) einen endgültigen internationalen Durchbruch erlebte. Dabei war Balagueró mit den beiden kreuzunheimlichen Ramsey-Campbell-Adaptionen "The Nameless" (1999) und "Darkness" (2002) einer der entscheidenden Filmemacher jener Renaissance des spanischen Horrorkinos um die Jahrtausendwende, die hierzulande nur von Videothekenkunden und Fantasy-Filmfest-Besuchern entdeckt werden konnte und sich inzwischen, durch eher kompilatorische Werke wie Juan Antonio Bayonas "Das Waisenhaus" (2007), auch in den deutschen Kinos etabliert hat.

Im deutlichen Gegensatz zum Genrekino amerikanischer Prägung, das sich in der vergangenen Dekade vor allem immer grelleren, immer exzessiveren Phantasmagorien körperlicher Destruktion zugewandt hat, etablierte der spanische Horrorfilm in diesem Zeitraum einen beinahe minimalistischen Klassizismus, der auf schleichende Schauer setzt und nicht selten in stockfinsteren Nihilismus mündet. Kein Schutzraum mehr, nirgendwo: in mancher Hinsicht wirkt "Sleep Tight" wie die konsequente Fortführung einerseits und das bitterböse Spiegelbild andererseits von Balaguerós Familien-Horrorfilmen "The Nameless" und "Darkness", in denen der Ursprung des Schreckens für die Protagonistinnen - in ersterem die Mutter, die ihre nur angeblich ermordete Tochter sucht, in letzterem die Tochter in den Fängen einer okkultistischen Verschwörung des bösen Familienpatriarchen - stets inmitten des eigenen Heims verborgen ist.


César in "Sleep Tight" ist oberflächlich betrachtet nicht Bestandteil eines solchen infizierten familiären Verbundes, sondern ein im alltäglichen Zusammenspiel mit den Mietern des Hauses freundlich-verbindlicher, jedoch des Nachts in seine ureigenen Dämonien hinabstürzender Einzeltäter und Einzelgänger. Aber Balagueró reißt auch wiederum Kontexte auf, von denen wir fast nichts erfahren und die somit klaffende Lücken in sein Psychogramm reißen: Da ist etwa die komatöse Mutter, an deren Krankenbett César regelmäßig von seinen Untaten berichtet und die Ahnung, dass dort in der eigenen Familiengeschichte Dunkles verborgen sein mag. Und dann ist da noch die zunächst beiläufig eingestreute Absicht, die einseitige Beziehung zu Clara doch nun bald "ernster" werden zu lassen…

Im Zentrum von "Sleep Tight", dieser originell-bösen Variation auf die Familienhorrorfilme des jüngeren spanischen Genrekinos, steht also letztlich die subtile, aber umso nachhaltigere Verschiebung der Perspektive: auf den (un-)scheinbar harmlosen Hausangestellten, auf die unmerklich durchdrungene Privat- und Intimsphäre. Balagueró führt die beiden auch stilistisch in krasse Kontraste übersetzten Blickwinkel - die lichtdurchströmte Tagwelt Claras und die grünlich-finstere Nachtwelt Césars - immer wieder erschreckend eng; das zentrale Bild, um das herum er "Sleep Tight" arrangiert, ist die Kamerafahrt von der arglosen Clara auf dem Bett zum stumm in der Dunkelheit wartenden César darunter. Der Film jedoch, das mag seinen nicht unbeträchtlichen Reiz ganz wesentlich ausmachen, schaut konsequent durch die Augen des Täters, und aus den moralischen Spannungen, die sich aus dessen zunächst unlesbaren Handlungsweisen ergeben, baut er sein Energiefeld auf.

Jochen Werner


Cosmopolis - Kanada / Frankreich 2012 - Regie: David Cronenberg - Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon, Mathieu Amalric, Jay Baruchel, Kevin Durand, K'Naan, Emily Hampshire, Samantha Morton, Paul Giamatti - Länge:108 min.

Sleep Tight - Spanien 2011 - Originaltitel: Mientras duermes - Regie: Jaume Balagueró -Darsteller: Luis Tosar, Marta Etura, Alberto San Juan, Pep Tosar, Tony Corvillo, Petra Martínez, Carlos Lasarte, Manel Dueso, Amparo Fernández - Länge:100 min.