Im Kino

Zum Biber werden

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
18.05.2011. Ausgerechnet Mel Gibson spielt in "Der Biber" einen schwer depressiven Mann, der sich ausgerechnet mit Hilfe einer Biberhandpuppe therapiert: Regie führt Jodie Foster. Dokumentarisch gefilmte Landwirtschaft auf der einen und knospende junge Liebe auf der anderen Seite: Benjamin Cantus Film "Stadt Land Fluss" führt vor, wie das eine zum anderen passt.


Filmästhetisch ist "Der Biber" von Anfang bis Ende middle-of-the-road, als kulturelles Artefakt dennoch: ein ziemlich sonderbares Ding. Das beginnt beim Originaltitel ("The Beaver"), den zumindest Amerikaner nicht ohne ein unterdrücktes Lachen aussprechen können (dass Walter über weite Teile des Films seine Hand im Titel stecken hat, macht die Sache nicht besser) und setzt sich in der Besetzung der Hauptrolle fort. Steve Carrell und Jim Carrey waren als depressive Spielwarenfabrikanten im Gespräch gewesen, eigentlich scheint das Drehbuch sogar eher nach einem Slapstick-Meister der alten Schule wie Steve Martin zu verlangen. Dass jetzt ausgerechnet der (unter anderem) durch antisemitische Tiraden und Morddrohungen gegen seine Ex auffällig gewordene Mel Gibson die Biberpuppe überstreift, war wirklich nicht zu erwarten gewesen; schließlich hat der Mann aus guten Gründen nicht mehr allzu viele Freunde in Hollywood. Jodie Foster, die sowohl Regie führt als auch seine Frau spielt, hält offensichtlich noch zu ihm.

Inszeniert hat sie einen Problemfilm mit ganz vielen Rettungsschirmen: Der Familienvater Walter ist depressiv, aber noch in seiner eigenschaftslosen Depression so mittelmäßig, dass diese nicht zum Weltschmerz auswachsen kann, seine Frau verlässt ihn, aber so ernst ist es ihr damit nicht, sein älterer Sohn verachtet ihn, aber überlegt es sich bald anders und verliebt sich statt dessen, nur der jüngere Sohn hat echte Probleme: seine größeren und stärkeren Klassenkameraden terrorisieren ihn, werfen ihn in die Mülltonne und die Lehrerin schaut zu. Dass ausgerechnet eine Handpuppe mit Biberantlitz, die Walter in einem Hotel das Leben rettet und anschließend beginnt, sein Leben zu dominieren und seinen Charakter zu verändern, die eher sanft festgefahrene Situation in Bewegung bringt, ist erst einmal ein durchaus origineller Drehbucheinfall. Dass man dem Film diese sonderbare Volte und ihre Konsequenzen für die Beziehungen der Figuren zueinander ohne weiteres durchgehen lässt, zeigt aber auch, dass man nicht allzu viel investieren muss in eben diese Figuren.



"Der Biber" ist ein liberaler Film durch und durch, einer, der in harmlosem, in letzter Instanz komplett folgenlosem Humanismus nur so badet. Die Probleme werden von Anfang an als therapierbare angelegt und sie werden denn auch ausführlich therapiert; miteinander reden, sich öffnen, Kommunikation: das sind Ressourcen des bürgerlichen Individuums, die prinzipiell vorhanden sind und es ist lediglich eine harmlose, mithilfe einiger Drehbuchtricks künstlich aufgeplusterte narzisstische Verbohrtheit, die verhindert, dass man das von Anfang an sieht. Ein wenig darf man sich schon auch ausagieren, zum Biber werden, aber irgendwo muss Schluss sein, die Tragikomödie trennt sauber das, was mit ihr nicht mehr kompatibel ist, als Humor ab. An irgendwelchen Grundfesten, schon gar an solchen ideologischer Natur, wird nicht gerüttelt.

Man kann das freilich auch anders herum aufziehen: "Der Biber" ist - und das unterscheidet ihn von vielen ansonsten vergleichbaren "Indiewood"-Produktionen über die Leiden der amerikanischen Suburbia, man denke nur an "American Beauty" oder die Scheußlichkeiten Todd Fields - ein zutiefst unzynischer Film. Die Biederkeit hat ihre positive Gegenseite in einer fast schon rührenden Naivität, die das straighte, komplett ironiefreie Spiel der beiden Hauptdarsteller, aber auch den Gestus des ganzen Films durchdringt. Dass zum Beispiel ein kitschiges Graffiti gleichzeitig als Akt pubertärer Auflehnung und als genuiner Ausdruck empfindsamer, verletzter Innerlichkeit herhalten muss, ist einerseits fürchterlich cheesy, hat aber andererseits aber auch etwas entwaffnend Ehrliches, weil sich in dieser Szene das (und sei es auch noch so windelweich-) humanistische Menschenbild des Films sozusagen vergegenständlicht. Allerdings: das Graffiti ist bei näherem Hinsehen gar kein Graffiti. Es ist auf Papier gemalt, wenn man es von der Wand abzieht, ist zu guter Letzt auch die Polizei zufrieden.

Lukas Foerster

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Kühe und Möhren bestimmen das Bild in der brandenburgischen Agrargenossenschaft "Der Märker" in Jänickendorf. Eine ehemalige LPG im Nuthe-Urstromtal, nicht weit von Berlin, aber Welten entfernt. In Gestalt von Vorhängen und Kulturzimmern und resolut-herzlichen Ausbilderinnen, die etwa Petra Thymian heißen, überlebt hier die DDR als Ästhetik und Mentalität. Auf der Weide und im Stall stehen die Kühe. Die Möhrenwaschmaschine tut, was ihr Name schon sagt. Wir sind auf dem Land, weit ist die Fläche, immerhin gibt es Handy-Empfang.

Hierhin versetzt Regisseur Benjamin Cantu als Azubi einen jungen Mann namens Marko. Der weiß zwar nicht, ob er in der Landwirtschaft wirklich sein Lebensglück sieht, nur drängen sich Alternativen nicht direkt auf. Marko trinkt kein Bier und zeigt kein Interesse an Mädchen. Die Arbeit scheint ihm okay, das Schreiben, das zur Prüfung dazugehört, ist nicht so sein Ding. Er lernt, wie man einem Kalb Marken ins Ohr knipst und die Mutter dabei mit dem zugeklappten roten Regenschirm auf Distanz hält. Als Jakob, der Praktikant, den Ausschaltknopf bei der Wasserabfüllanlage (oder wie immer das heißt) nicht findet, eilt Marko herbei und hilft ihm. Es kommt zur Annäherung zwischen den beiden. Sie fahren mit dem kleinen alten Lada gegen Ende des Films dann nach Berlin, das noch immer Welten entfernt ist von Jänickendorf. Weil man sich der Stadt aber sozusagen von der Möhrenwaschanlage her nähert und mit den Augen der beiden, die frisch verliebt und aus der tiefen Provinz sind, scheinen selbst die Dönerbuden seltsam verzaubert bei Nacht.

"Stadt Land Fluss" ist ein erstaunlicher und ein sehr schöner Film. Das liegt an den Freiheiten, die sich Regisseur und Autor Benjamin Cantu nimmt gegenüber allen dramaturgischen Standardverfahren. Und dass diese Freiheiten nicht ins Leere gehen, sondern dem Film selbst eine ganz eigene Freiheit der Bewegung geben und lassen, das liegt an den von ihm eingenommenen Perspektiven. Im Ansatz ist die Herangehensweise dokumentarisch: Jänickendorf ist ganz und gar echt. Die Ausbilderinnen sind es, das Kulturzimmer ist es, die Kühe sowieso, die brandenburgisch-ruppige Herzlichkeit ist es auch und die Vorhänge kann sowieso keiner erfinden. Die beiden Protagonisten werden von den Schauspielern Lukas Steltner und Kai-Michael Müller großartig gespielt, die meisten anderen aber sind Laien und treten auf als sie selbst. Die Dialoge zwischen den Sphären sind improvisiert, der Eindruck ist übermächtig: So geht es zu. Das Verfahren erinnert an Valeska Grisebachs "Sehnsucht", aber nur auf den ersten Blick. Wo Griesbach den Laiendarstellern durchs Hineinstellen in eine erfundene Liebesgeschichte per Verfremdung wahre Gefühle entlockte, bleiben das Dokumentarische und das Fiktive hier geschieden. Nicht deutlich, denn der Film forciert die Differenz nicht, aber sehr spürbar. Es geht auch nicht um einen Verfremdungseffekt.



So trocken die Arbeit im landwirtschaftlichen Betrieb ist, so fluide und flirrend setzt der Film die sehr simple und gerade in der Einfachheit der Begegnungen, Blicke, Gesten, Berührungen überzeugende Liebesgeschichte, die sich anbahnt, entwickelt und beim Sex im winzigen Lada nicht endet, ins Bild. Wollte man beschreiben, wie Alexander Gheorghius Arbeit mit der Kamera - meist in der Hand geführt, oft den Figuren nahe, zur äußeren Begleitung ihres inneren Aufruhrs neben ihnen durch das Feld herzujagen bereit - sich beim Betrachten anfühlt, müsste man sagen: leicht und gelöst. Sie nimmt - und das ist keine ganz kleine Kunst - dem Brandenburgischen alles Schwere, Szilvia Ruszevs leichtfüßiger Schnitt ist das andere passende Äquivalent zum raschen Wandel der Gefühle im Zustand aufkeimender Liebe, und sei's in der Welt der Ex-LPG.

Und auf genau diese Weise sind das Dokumentarische und das Gespielte, die nüchterne Welt der Resolutheitsdiskurse und das Zärtliche, Scheue der Blicke und ersten Körperkontakte zwischen Jakob und Marko wie füreinander gemacht. Das Agrargenossenschafthafte und der Zauber und das Gelöste stehen zueinander im Kontrast wie die alltäglichste Wirklichkeit und die ganz andere Perspektive und Frische und Leichtigkeit und das Verstörende der eigenen Gefühle, die sich zum Verliebtsein summieren. Diesen Kontrast fängt der Film ein. Er hat Augen für alle Momente: das Banale der glotzenden Kühe, des Schippens in Ställen und anderer Landwirtschaftsfragen; das Sublime des Körpers des Anderen und der eigenen Blicke darauf; und auch und erst recht für die gemischten Gefühle dazwischen, die Fluchtversuche in irgendein Dunkles und Fernes und er bringt am Ende alles zusammen: die weiß der Teufel wie bestandene Prüfung und das Liegen im Arm des anderen, den man liebt.

Ekkehard Knörer

Der Biber. USA 2010 - Originaltitel: The Beaver - Regie: Jodie Foster - Darsteller: Mel Gibson, Jodie Foster, Anton Yelchin, Riley Thomas Stewart, Jennifer Lawrence, Cherry Jones, Zachary Booth, Michelle Ang, Paul Hodge, Jeff Corbett

Stadt Land Fluss. Deutschland 2011 - Regie: Benjamin Cantu - Darsteller: Lukas Steltner, Kai-Michael Müller, Cristina Do Rego, Burkhard Donath, Sabine Gilewski, Michael Hahn, Karl Hegener, Christine Hillner, Ursula Jannasch