Im Kino

Klassische Rüpel

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
23.09.2009. Gefeuerte Arbeiterin engagiert Profikiller, um die Bosse umzulegen. Wer muss da noch schön sein? "Louise hires a contract killer" von Gustave de Kervern und Benoit Delepine lässt nicht viel Hoffnung. In "Liebeswunden" zieht Zhuang Yuxin die Zähne der Liebe. Buchstäblich
Louise (Yolande Moreau) und ihre Arbeitskolleginnen in der Fabrik haben die Schnauze voll. Gerade hatte die Chefetage ihnen noch Geschenke gemacht, da steht die Halle auch schon leer. Fabrik abgebaut, Geräte versetzt, Arbeitsplatz futsch. Aber es gibt Abfindungen - im einzelnen lächerlich, auf einen Haufen gelegt jedoch recht ansehnlich. Man könnte eine Pizzeria aufmachen. Man könnte aber auch, schlägt Louise vor, für das Geld einen Profikiller engagieren, um den Boss, der für die Misere verantwortlich ist, rasch in die Horizontale zu bringen.



Dies zu erledigen fällt Michel Pinchon (Bouli Lanners) zu, der seinem Namensvetter an überkandidelter Paranoia zwar in nichts nachsteht, ansonsten aber eigentlich selbst nur ein armes Schwein in Verkleidung eines Maulhelden ist. Als Louise die Wohnung buchstäblich hinter dem Rücken weggesprengt wird, machen sich beide gemeinsam und bewaffnet auf den Weg.

In "Aaltra" (2004) haben die beiden französischen Komiker/Regisseure Gustave de Kervern und Benoit Delepine ihrem großen Vorbild Aki Kaurismäki noch einen Cameo-Auftritt verpasst: Er spielte einen finnischen Traktorhersteller, dessen mangelndes Arbeitsethos zwei belgische Nachbarn zu Rollstuhlfahrern macht, die sich fortan quer durch die EU rüpeln, um Schmerzensgeld zu kassieren. Mit dem für Deutschland gewählten Verleihtitel "Louise hires a contract Killer" erinnert der neue Film ebenfalls an Kaurismäki, der Originaltitel "Louise-Michel" dagegen stellt eine Würdigung der feministischen Anarchistin gleichen Namens dar, die sich erfolgreich gegen das Verbot wehrte, Hosen zu tragen.



Von Kaurismäki leihen sich Kervern/Delepine den lakonischen Tonfall und die aufrichtige Parteinahme für die gesellschaftlichen Outcasts, die sich durch eine Welt voller vergilbter Tapeten und funzeliger Glühbirnen kämpfen müssen, von Louise Michel hingegen die Aufmüpfigkeit gegen bürgerliche Regeln. "Louise hires a Contract Killer" ist, wie auch schon "Aaltra", ein karg bis minimalistisch gedrehter, im Herzen zutiefst bösartiger Film, der vielleicht - Stichwort Weltwirtschaftskrise - gerade zur rechten Zeit kommt: Während die Kleinen die Krise auszubaden haben, versteckt sich der eigentliche - sowie der eigentlich eigentliche und der sowieso gänzlich eigentliche - Boss hinter einem kaum zu entwirrenden Gestrüpp von Verantwortungsdelegationen und Villafassaden. Rechts und links des Wegs der beiden stapeln sich daher bald die Leichen.

Auf wenn Kervern/Delepine von gesellschaftlicher Versöhnlichkeit nichts wissen wollen, um Agitprop geht es ihnen auch nicht. Liebenswert ist keine ihrer Figuren, verkommen sind sie allemal. Noch konsequenter als in "Aaltra" zeigen die beiden Regisseure hier eine umso entfremdetere Welt, je deutlicher sie Alltagsepisoden am Rande des Geschehens beobachten. Menschen auf Laufbändern werden zu grotesken Figuren, dasselbe gilt für Sekretärinnen, die durch Bürohochhausflure rollern, noch jede aus dem Off genüsslich quietschende Tür wird zum humoristischen Ausdruck einer dysfunktionalen, sinnlosen Welt, deren Leere sich in den Augen der Protagonisten spiegelt. Eine Chaplin-Welt ist das, der das Gute und Gütige, das Naive und Hoffnungsvolle bei einem tiefen Blick durch Aki Kaurismäkis Weinglas verloren gegangen ist.

Die Menschen, die sich durch diese Welt bewegen, sind plump, einsilbig und brutal. Glamour und Charme geht ihnen vollkommen ab. Simple politische Botschaften kann man mit ihnen nicht verkaufen. Schon deshalb, weil man sich auf diesen Klassenkampf so gar nicht einigen kann - und dann eben wieder doch -, ist "Louise hires a Contract Killer" ein kleines Meisterwerk der absurd-anarchistischen Kinotradition, zu der beispielsweise "Themroc" gehört. Und zum Brüllen komisch ist er, über weite Strecken, auch.

Thomas Groh

PS: Geduldige Abspannsitzenbleiber werden mit einem Bonbon belohnt. Es lohnt sich!

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Der Film beginnt mit einem Zahnarztbesuch im Jahr 1987. Die Hauptfigur Quian Yehong (Yan Bingyan ist in ihrer ersten Kinorolle eine echte Entdeckung) öffnet den Mund, der Bohrer macht sich an ihren Zähnen zu schaffen. Der Bohrer bohrt sich in dieser ersten Szene in die Vergangenheit, bohrt durch zehn Jahre persönlicher wie kollektiver Geschichte. Die Rückkehr in die Vergangenheit ist schmerzhaft, aber wie der Zahnarztbesuch notwendig und alternativlos. Vermittelt wird sie über körperliche Erfahrung - und zwar eine, der ein masochistisches Moment nicht abzusprechen ist.

1977 setzt der Film nach diesem Mini-Prolog noch einmal an. Quian Yehong geht zur Schule. In Opposition zum Regelbuch des Arthauskinos ist sie nicht der schüchterne Neuankömmling, der ganz am Rand des Klassenzimmers Platz nimmt und versucht, Kontakt mit den Mitschülern aufzunehmen, sondern ganz im Gegenteil ein klassischer Rüpel, die Anführerin einer Mädchenbande, die eben jenen Neuankömmling tyrannisiert. Zum ersten, aber nicht zum letzten Mal unterläuft Zhuang Yuxin in seinem Debütfilm "Liebeswunden" geschickt die Erwartungshaltung eines arthausgeschulten Publikums.

Solche strategischen Verunsicherungen sind umso wichtiger, als der Film eben dieser Erwartungshaltung ansonsten doch etwas weit entgegen kommt. Zu viele seiner Bilder hat man, wenn man sich fürs asiatische Kino interessiert, in den letzten Jahren so oder so ähnlich schon gesehen: ruhige bis lethargische, immer etwas zu piktorialistisch anmutende Einstellungen in sanften Farben, eine statische oder sanft in Bodennähe durch den Raum gleitende Kamera, dazu ab und an ein wenig Klaviermusik. Das panasiatische Kunstkino, allen voran das seines Maestros Wong Kar-Wai, erstarrt inzwischen viel zu oft in den eigenen Klischees, auch Zhuangs Film setzt diesem Erstarren nicht immer genug Widerstände entgegen.



Noch dazu ist "Liebeswunden" ein Film, dessen inhaltliches Programm auf den ersten Blick ebenfalls so außergewöhnlich nicht erscheint, schon gar nicht im chinesischen Kino, das spätestens seit den 90er-Jahren auf die Geschichte des eigenen Staates fixiert ist wie kaum eine andere Nationalkinematografie: Kollektiv erlebte Zeitgeschichte wird in einer individuellen, fiktionalen Biografie gespiegelt und verhandelt. In diesem Fall geht es um den sozioökonomischen Umbruch Chinas, der in die Zeit zwischen den beiden historischen Traumata der jüngeren Vergangenheit, der Kulturrevolution 1966-1976 und der brutalen Niederschlagung studentischer Protestbewegungen auf dem Platz des himmlischen Friedens am 3. und 4. Juni 1989 fällt. Dieses spezielle Zeitfenster ist dann doch interessant: Einerseits bleiben die beiden Traumata außerhalb der Reichweite des Films, andererseits aber sind sie als unsichtbare Ursprungs- und Zielpunkte strukturierende Abwesenheiten und immerzu gegenwärtig.

Drei ausgedehnte Episoden erzählt der Film, drei Episoden über drei Männer in Quians Leben. Zunächst eine Jugendliebe in Schuluniform und auf Fahrrädern, eine Miniatur über den Corpsgeist der Kulturrevolution und seine Desintegration. Dann eine Affäre mit einem verheirateten Mann, Schwangerschaft und - grausig intim - die Abtreibung. Dann eine Ehe, gezeichnet durch die neuen ökonomischen Realitäten, er ist Wanderarbeiter und hat zwei Wochen Jahresurlaub, der Film überspringt die Einsamkeit dazwischen, aber das hilft Quian auch nicht viel.

Die Rechnung, die sich ähnliche Filme gewöhnlich auf die Geschichte und die Möglichkeiten ihrer filmischen Aufbereitung machen, geht auf der Seite des Individuums nicht auf. Zu erratisch gestaltet sich die Biografie Quians, als dass das Private zur unproblematischen Projektionsfläche fürs Politische taugen würde. Politik ist das unsichtbare Störfeuer, eine Kraft der Dezentrierung und des Chaos. Und dann gibt es noch eine sonderbare autoaggressive Note. Vielleicht beginnt die schon mit den "Rotblenden", die im Film immer mal wieder auftauchen: Erzählerisch völlig unmotiviert färbt sich der Bildschirm am Ende einiger Szenen rot, als ob das Blut der Geschichte für einen Moment aus den Fugen des Erzählkinos austreten und die Fiktion überschwemmen möchte. Auch sonst scheint der Film nach Ersatzobjekten für die Gewalt zu suchen, die als historische nicht ins Bild finden kann und sich deshalb konsequent nach innen wendet. Der erste Mann wirft sich mit voller Absicht und voller Wucht einen Backstein auf den Fuß, der zweite greift zur Glasscherbe, der dritte nimmt noch weniger Rücksicht auf den eigenen Körper. Die Zähne der Liebe - "Teeth of Love" heißt der englische Titel des Films - wollen allesamt gezogen werden. Und das tut weh.

Lukas Foerster

Louise hires a contract killer. Regie: Gustave de Kervern, Benoit Delepine. Darsteller: Yolande Moreau, Bouli Lanners, Benoit Poelvoorde, Mathieu Kassovitz, Albert Dupontel, Jean-Luc Ormieres. Frankreich 2008, 94 Minuten.

Liebeswunden. Regie: Zhuang Yuxin. Darsteller: Yan Bingyan, Li Hongtao, Li Naiwen, Chi Jia. China 2006, 110 Minuten.