Im Kino

Vorläufig agnostisch

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
08.04.2009. Dreimal fast derselbe alte Mann als Don Juan: Das ist "Bis später, Max!", Jan Schüttes Verfilmung dreier Kurzgeschichten von Isaac Bashevis Singer. Hundertmal derselbe Gesichtsausdruck, Aliens, Weltuntergang, solche Sachen: Das ist "Knowing" von Alex Proyas mit Nicolas Cage.

Drei Geschichten, drei Figuren und die Wand, die die eine von den anderen trennt, ist hier wie da dünn. Drei alte Männer, alle gespielt von Otto Tausig, Jahrgang 1922. Max Kohn ist die Rahmenfigur, ein erfolgreicher Schriftsteller, wenngleich sein Publikum, das sieht man bei zwei Auftritten, tendenziell eher grauhaarig ist. Simon, die erste der von Max Kohn erzählten Figuren, reist nach Miami und wird mit dem Tod konfrontiert. Harry, die zweite, hat ein Rendezvous mit einer Frau und die bringt sich dann um.

Der Tod ist präsent auf seltsame Weise in diesem Film. Die Menschen sterben wie die Fliegen um Max/Simon/Harry herum. Den aber kümmert es kaum. Auch den Film kümmert es, denkt man, seltsam wenig. Er schiebt die Todesfälle ins hors cadre und macht immer nur weiter mit seiner mal leicht heranbrausend heiteren, mal leise melancholischen Streichermusik, mit seinen elegant ins Dunkle abblendenden Bildern, mit seinen Geschichten von alten Männern, denen Frauen in Betten begegnen, auf erfreuliche und unerfreuliche Weise. Die erfreuliche Weise ist jene, auf die eine Ex-Studentin, von Barbara Hershey gespielt, den alten Mann in ihr Apartment und im Apartment ins Bett bittet. Diese wäre, der Logik des Films folgend, kein Traum, sondern Wirklichkeit. Man wird aber, im guten wie im bösen, zugestehen müssen, dass "Bis später, Max!" stimmungsmalerisch an der Unterminierung dieser logischen Eindeutigkeit arbeitet.


Max Kohn ist besessen von Sex. Jan Schütte erzählt in "Bis später, Max" die zugrunde liegenden Geschichten von Isaac Bashevis Singer so, als kreuzten sich Woody Allen und Philip Roth darin, aber beide mit gezogenem Zahn. Gerade das erweist sich als hoch problematisch. Denn dieser wechselweise als Ausgeburt seiner eigenen Wunsch- und Alpträume daherkommende, leicht verwirrte alte Mann ist monoman, ja, er ist egozentrisch bis zur Maßlosigkeit. Das Monströse dieser Figur jedoch kehrt Schütte einfach unter den Teppich. Er lässt Max Kohn und seine Fantasievariationen einen harmlosen alten Mann sein, den die Prostata drückt und das Weibliche lockt bzw., in einer der Variationen, auch bedroht: In der Film-Version von Singers Kurzgeschichte "Alone" sind die Vorzeichen des Don-Juanismus umgekehrt: Der Protagonist Simon ist ein nach Florida gereister älterer Herr, der sich einer lustigen Witwe sowie einer sexlüsternen Reinemachefrau im Motel zu erwehren hat.

Zuerst entstanden, nämlich als Kurzfilm im Jahr 2001, ist die Verfilmung von "Old Love", die Schütte nun einigermaßen nahtlos in seinen Langfilm integriert. Anders als in den anderen Episoden ist hier Singers/Tausigs Erzählerstimme fast durchweg zu hören, was allerdings deutlich macht, dass in der Sprache von Singer eine andere Musik drin ist als in den gemütlich dahinzockelnden Bildern dieses Films. Wo Singer trocken ist, ist Schütte warm und weich. Man geht durch diesen Film wie durch Nebel. Die Konturen verschwimmen und irgendwo spielt ziemlich aufdringlich Streichermusik.

***


Prolog. Eine Klasse von High-School-Kinder soll Zukunftsvisionen entwerfen. Es ist das Jahr 1959. Ein Mädchen malt, anders als alle anderen, kein Bild. Mabusehaft obsessiv schreibt vielmehr Zahlenreihen um Zahlenreihen auf ihr Papier. Die Zukunftsvisionen werden in einer Eröffnungszeremonie zum High-School-Neubau versenkt. Fünfzig Jahre später, so die Idee, sollen die Menschen der Zukunft entscheiden, wie prophetisch die dann wieder auszubuddelnden Visionen waren.

Sprung in die Gegenwart. John Koestler (Nicolas Cage) ist Professor am MIT und philosphiert in einer Vorlesung dummes Zeug über Zufall und Determinismus daher. Er wird uns präsentiert als Mann, der sich übers Leben keine religiösen oder sonstigen Illusionen macht, als einer, dem nichts über seinen Naturwissenschaftlerverstand geht. Was auch mit einem schrecklichen Schicksalsschlag zu tun hat, den das Drehbuch, an dem eine ganze Volleyballmannschaft von Autoren gesessen hat, ihm aufbürdet: Er hat seine Frau verloren und ist seinem neunmalklugen Sohn Caleb (Chandler Canterbury) nunmehr ein vorläufig agnostischer, aber guter alleinerziehender Vater.

An Koestler gelangt, über den neunmalklugen Sohn, die ausgebuddelte Zahlenreihe, mit der er zunächst einmal nichts anfangen kann. Aber dann! Koestler kapiert, dass die Zahlen sich ganz grausigen Sinn ergeben, wenn man sie auf zwischen Niederschrift und Ausgrabung eingetretene Unglücke zu beziehen versteht: Längen- und Breitengrad, Datum und Zahl der Toten, voila. Heraussticht zunächst 9/11, aber auch alles weitere entüllt rasch seine Bezüge. Koestler erklärt die Sache der Tochter der unterdes leider verstorbenen High-School-Visionärin, auch seinem besten Naturwissenschaftler-Freund. Sie haben erst ihre Skepsis zu überwinden, was aber schnell gelingt, sobald die Zahlen die Wahrheit zu sprechen beginnen für das, was in der Film-Gegenwart eben noch in der Zukunft lag.


Alex Proyas, der in den Neunziger Jahren den überzeugenden SciFi-Film "Dark City" gedreht hat, nutzt die Gelegenheit, die das Drehbuch ihm bietet, immerhin zu apokalyptischen Unglücks-Bildern. Ein Flugzeug stürzt mit Karacho zur Erde und macht Menschen zu Feuerbällen. Eine U-Bahn entgleist und macht Menschen zu Matsch. Koestler immer mittenmang, kommt aber mit dem Leben davon. Aller katastrophischen Bildwut zum Trotz darf von einem Inferno nicht reden, wer bereits aufs Ende des Films gesehen hat und das, was da ein paar prominenten Gebäuden, Städten, Landstrichen, Weltgegenden bzw. einem ganzen Planeten widerfährt.

Das große Unglück von "Knowing" - neben dem törichten Drehbuch, der Triefäugigkeit von Nicolas Cage, der Unerträglichkeit der meisten Figuren, dem New-Age-Unfug, der verbreitet wird, und den abstrusen Wendungen, die die Geschichte nimmt, ohne dabei ein Jota ihrer entsetzlichen Ödnis zu verlieren - das große Unglück von "Knowing" also ist, dass Alex Proyas den Humbug ganz Ernst meint oder jedenfalls überzeugend so tut. Die ganze niederschmetternde Atmosphäre kommt von Anfang bis Ende in einem Stimmungs-Finsternis Fortissimo daher, in dem auch die eigentlich sehr schönen Spezialeffekte ertrinken. "Knowing" schlingert zwischen SciFi und Horror und tut immerzu so, als ob gleich die Welt untergeht. Naja, tut sie auch, not with a whimper but a fireball. Aber das ist doch kein Grund, gleich so seltsam religiös und humorlos zu werden.

Bis später, Max! Deutschland / Österreich / USA 2007 - Originaltitel: Love Comes Lately - Regie: Jan Schütte - Darsteller: Otto Tausig, Rhea Perlman, Barbara Hershey, Tovah Feldshuh, Elisabeth Pena, Caroline Aaron, Olivia Thirlby

Knowing. USA 2009 - Regie: Alex Proyas - Darsteller: Nicolas Cage, Rose Byrne, Chandler Canterbury, Lara Robinson, Ben Mendelsohn, Nadia Townsend, Alan Hopgood, Danielle Carter, Adrienne Pickering, Terry Camilleri