Im Kino

Der wahre Kowalski

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Ekkehard Knörer
03.03.2009. In seinem wohl letzten Film als Darsteller zeigt Clint Eastwood in "Gran Torino", was Worte vermögen - und wann ein Mann zur Tat schreiten muss. Zack Snyder bleibt in seiner mit Spannung erwarteten "Watchmen"-Verfilmung von Alan Moores Comicvorlage oberflächlich sehr nah, und verfehlt sie doch um Längen.

Walt Kowalski knurrt. Wie einen bösartigen Hund, der einem gleich an die Gurgel springt, filmt Regisseur Eastwood den Darsteller Eastwood als Kowalski und also sich selbst. Kowalski knurrt, nicht nur einmal: in der Kirche bei der Zeremonie zum Tod seiner Frau, weil Nichte und Neffe sich nicht benehmen, wie es sich gehört; und er knurrt später aus immer demselben Grund: Er ist mit der Lage der Dinge zutiefst und von Herzen uneinverstanden. Er liebt auf der ganzen Welt, wie es scheint, nur seinen Hund. So sehr, dass ihm die Worte fehlen, so sehr, dass mit den Worten, die er dennoch findet, etwas nicht stimmt.

Die Lage der Dinge ist diese: Nichts ist wie früher. Jahrzehnte hat Kowalski bei Ford in Detroit gearbeitet. Als Erinnerungsstück und Trophäe versteckt er einen prachtvollen Ford Gran Torino, Baujahr 1972, in seiner Garage und putzt ihn. wiewohl er nicht damit fährt, regelmäßig auf Hochglanz. Kowalski, in dessen Namen die polnische Herkunft nachklingt, lebt in Suburbia, aber Suburbia ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Wo einst Menschen wie er wohnten, weiße Arbeiterklassenamerikaner, machen sich nun asiatische Mitbürger breit, bei deren Anblick der Koreakriegs-Veteran Kowalski zu knurren und fluchen beginnt und auf der Veranda rasch sein Gewehr entsichert, sobald sich ein Schlitzauge nähert. (Das ist noch eine der freundlicheren Bezeichnungen Kowalskis für die Nachbarn.)

Mit wenigen Strichen zeichnet "Gran Torino" in den ersten Minuten diese Figur. Sie ist zu ungefähr gleichen Teilen Apotheose all der hoch ambivalenten Einzelgänger aus Eastwoods Filmografie - also nicht zuletzt Dirty Harry - und deren Parodie. (Ganz fremd war der Zug ins Parodistische diesen Figuren allerdings ohnehin nie.) Diese selbst wieder ambivalente Haltung zur ambivalenten Figur macht den Film sofort sehr interessant. Schließlich bekommt man hier auf einen Schlag die variantenreiche Eastwood-Helden-Persona in der Version als bösartig knurrender fremdenfeindlicher Hund. Wieder einmal überlebensgroß, aber entschieden nicht ohne Ironie.

Wollte man beschreiben, wie es Eastwood mit diesem Kowalski hält: Distanz wäre nicht das richtige Wort. Identifikation auch nicht. Natürlich affirmiert der Film nicht die rassistischen Äußerungen, die sein Held gegen die neu zugezogenen asiatischen Nachbarn schleudert. Was er aber teilt, ist seine Haltung zur Sprache - eine Haltung, in der die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung vom eigenen Vorurteil bereits vorgezeichnet ist. Es besteht immer die Möglichkeit, sagt "Gran Torino", dass die Hate Speech, eine Sprache also, die an beleidigender Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, nur die rauhe Schale ist, unter der ein weicherer Kern liegt.

Nichts ist dem Film zunächst so wichtig wie diese Differenz. Walt Kowalski ist der, der er scheint; ist der, als der er sich in seiner Sprache zu erkennen gibt, aber er ist es nicht ganz und nicht ein- für allemal. Darauf, den wahren Kowalski vom äußeren Kowalski unterscheidbar zu halten, darauf, dass da ein Spielraum ist, den übersieht, wer Beleidigungen beim Wort nimmt, beharrt dieser Film."Gran Torino" ist deshalb, und zwar sehr direkt an der Oberfläche seines Sprachmaterials, zuallererst eine Meditation über Sprechakte. Das Charakterdrama ist ein Sprachdrama und als Sprachdrama stellt es die Frage danach, welche Sorte Handlung die Worte sind, die man an andere richtet. Etwa, wenn sie dermaßen unverschämt klingen, wie sie es hier tun.


Was in der Grantorinoschen Sprachphilosophie auch heißt: Es kommt sehr darauf an, wie man nimmt, was einer zu einem sagt. Wer Walt Kowalski richtig zu nehmen weiß, wird erkennen: Er ist gar kein Rassist. Man darf ihn dafür aber nicht beim Knurren nehmen und auch nicht beim Wort, das verlässlich beleidigend ist. Man darf ihm dafür auch nicht mit allzu wohlfeiler Menschenfreundlichkeit kommen, wie der junge Priester, der Kowalski beharrlich auf die Nerven fällt. Wobei der Priester allerdings das Gegenexempel ist: An seinen Taten, seiner Beharrlichkeit nämlich, erkennt Kowalski ihn zu guter letzt doch als Mann. Wie man Kowalski, um seinen Respekt zu gewinnen, kommen muss, führt "Gran Torino" am exemplarischsten allerdings an einer Tochter der neuen asiatischen Nachbarn vor. Sie ist als Studentin mit allen Wassern aktueller Theorie- und sonstiger Diskurse gewaschen und weil sie in ihrer Haltung zu Kowalski von Witz und Ironie nie ganz frei ist, erkennt sie auch den Ironiker im knurrenden Walt selbst. ("Lass meinen Hund in Ruhe." "Keine Angst, wir Hmong essen nur Katzen.")

Indem sie der rassistisches Beschimpfung zwar widerspricht, sich die rassistische Bezeichnung aber zur Not auch als Ehrennamen anzueignen versteht, schlägt sie Kowalski die Waffe, die seine Worte sind, aus der Hand. Das wiederum kann Walt nur bewundern. Seine Haltung zur Sprache führt der Film an anderer Stelle als Ritual vor. Mit seinem Friseur irischer Abstammung nämlich liefert sich Kowalski habitualisierte Beleidigungsgefechte, in denen sich als Mann erweist, wer sprachlich am schärfsten und kunstvollsten zuzustechen versteht. Nichts ist gemeint, wie es klingt. Sprache, so die These, ist nicht - wie es die political correctness behauptet - schon die eigentliche Tat.

Jedes Wort, und sei es noch so beleidigend und scharf, muss, soll Miteinander möglich werden, auf die Intention dessen befragt werden, der es äußert. Anders gesagt: Souverän ist, wer den Sprechakt nicht zum Nennwert nimmt. So treffen sich, dies ist das anti-politisch-korrekte quasi-utopische Moment des Films, der ironiefähige Rassist und die postrassistische Ironikerin auf einer sprachlichen Ebene, die jenseits des scheinbar Gesagten liegt. (Man trifft sich auch, das wäre die undialektisch-materialistische Wendung, bei der Zuneigung zur fremden, aber wohlschmeckenden Küche.)

An die Sprachaushandlungen, die zwei Drittel des Films bestimmen, schließt sich ein Kapitel an, das die Ironie dann ins Pathos wendet. Hier geht es nämlich um Handlungen, die keine sprachlichen sind. Hier wird tatsächlich Gewalt angewendet. Tödliche Waffen und Körper als Waffen versehren und verletzen schwache Körper. Im letzten Drittel von "Gran Torino" wandelt sich deshalb spürbar der Ton. Statt sprachironischer Leichtigkeit nun der brutale Ernstfall. Man mag im übrigen die bis dahin entwickelte Sprachtheorie überzeugend finden oder nicht - sie ist wohl vor allem eines: von arg begrenzter Reichweite -, sehr zugute zu halten ist es dem Film und vor allem Nick Schenks Drehbuch, dass der nun eintretende Ernstfall die zuvor utopisch entwickelte Aushandlungsnormalität keineswegs ungültig macht.

Für den Ausnahmezustand bedarf es einer Ausnahmetat. Nichts ist mit Worten mehr einzurenken und einzurichten. Für den Ernstfall, der nun eintritt, und der auf den ersten Blick von so vielen Ernstfällen, die man aus Eastwoods Filmografie kennt, nicht zu unterscheiden ist, für diesen Ernstfall gelten nun andere Regeln. Oder gar keine mehr. Das Ende des Films ist eine scharfe und überdeutliche, nun, nicht Revision, sondern Inversion der Selbstjustiz-Ideen, mit denen die Eastwood-Figuren immer flirteten. Kowalski wird zum Vigilante, nun aber nicht mehr a la Callahan, sondern eher a la Jesus Christus. Wie in diesen letzten Wendungen die Komödie allen Ernstes auf eine Tragödie hinausläuft; wie dabei alles Tragödien-Pathos in einer letzten verblüffenden Pointe nun nicht ironisch, sondern ganz und gar allegorisch gewendet wird, das gehört zu den ganz großen Momenten der jüngeren Kinogeschichte.

Ekkehard Knörer

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Seit Robert Rodriguez' Filmversion von Frank Millers Noir-Comic "Sin City" (2005) hält sich hartnäckig das Gerücht, eine Comicadaption sei dann gelungen, wenn sie die emblematischen Momente der Vorlage möglichst genau nachstellt. Oder, ließe sich auch sagen, einfach abpaust. Als sei das gleiche Bild hier und dort doch irgendwie dasselbe, als spielten unterschiedliche mediale oder Rezeptionsbedingungen dabei keine Rolle.

Ein solcher Abpauser ist auch Zack Snyder, der mit einem als Genrereißer gelungenen Remake des Zombie-Klassikers "Dawn of the Dead" (2004) debütierte, um mit "300" (2006) Frank Millers gleichnamigen Comic über 300 spartanische Muskelprotze, die einer Perserflotte Einhalt gebieten, im Computer Ikon für Ikon nachzustellen. Was bei Millers stark vom Film beeinflussten Stil zur Not noch zu rechtfertigen sein mag, wird spätestens bei Alan Moores und Dave Gibbons "Watchmen"-Saga heikel, deren komplexe Storyarchitektur auch eine Meditation über die Potenziale des Comics als Form darstellt.

"Watchmen", der Comic, steckt voller versteckter Spuren, arbeitet mit fein konstruierten Strukturen und entfaltet seine Geschichte mittels apokrypher Schriften in Anhängen (Autobiografien, Zeitungsausschnitte, usw.) quasi krossmedial. Der Leser wird zum Detektiv, der zurückblättert, Spuren und Anspielungen aufdeckt, Vergleiche anstellt und selbst die Zeitspanne wählt, für die er sich einem Panel oder einer Seite widmet. Das Kino, zumal das auf Klarheit und instantane Reize bedachte Blockbusterkino, unterliegt freilich ganz anderen Bedingungen. Schon deshalb, aber auch auf Grund seines komplexen Plots, galt "Watchmen" jahrelang als unverfilmbar, selbst ein Meister des skurril-verqueren Kinos wie Terry Gilliam ließ von dem Stoff bald wieder ab.

So erstaunt es zunächst, mit wie wenig Abweichungen Snyder Moores Geschichte für die Leinwand übernimmt: "Watchmen" spielt in einer alternativen geschichtlichen Wirklichkeit, in der die USA den Vietnamkrieg gewonnen haben, Nixon nie über Watergate gestolpert ist und sich seitdem einer Präsidentschaft auf Lebenszeit erfreut Es ist auch eine Welt, in der Superhelden, hinter deren Masken sich ganz gewöhnliche Bürger verbergen, seit den späten 40er Jahren tatsächlich existieren. Nach blutigen Aufständen in den späten 70er Jahren wurden sie zwar kriminalisiert und fristen nun, in den 80ern, ein Schattendasein als psychische Wracks, operieren weiter illegal auf eigene Faust oder vermarkten ihre einstige Identität mit hohem Gewinn. Unterdessen rückt eine sich zuspitzende Krise zwischen USA und UdSSR die Welt an den nuklearen Abgrund, während der einzige Held mit wirklichen Superkräften, der bei einem Unfall molekular desintegrierte Dr. Manhattan, als gottgleiches Überwesen auf dem Mars über den Beitragswert menschlichen Lebens zum Ablauf der Dinge im Universum philosophiert.


Mit viel abgründigem Witz reflektiert Alan Moore darüber, was es auch historisch heißen mag, wenn ganz gewöhnliche Bürger ihre Neurosen in Form von Masken veräußerlichen und gnadenlose Selbstjustiz üben, wenn der amerikanische Traum gärt, aufplatzt und seine psychotischen Albtraumdimensionen offenbart. Dieser Traum, verkörpert im zynischen Superhelden "Comedian", dessen Biografie mit all ihren Abgründen die Handlung von "Watchmen" in Rückblenden maßgeblich strukturiert, fliegt anfangs im hohen Bogen aus einem oberen Stockwerk eines Wolkenkratzers. Der faschistoide Vigilante "Rorschach" nimmt im Glauben, ein Killer mache Jagd auf die längst pensionierten Superhelden, die Ermittlungen auf, nur um auf eine Wahrheit zu stoßen, die dieses bloße Crime-Mystery um ein vielfaches übersteigt.

Snyder ist versessen aufs Nachstellen. Das meiste, und noch bis im Detail, was man aus der Vorlage kennt, steckt auch im Film, der wie kein zweiter seiner Art darauf bedacht ist, sein Publikum permanent zu bestricken und zu verführen. Als fast dreistündiges düsteres Superhelden-Metaepos ist "Watchmen" deshalb nicht direkt schlecht - vieles daran funktioniert, manches beeindruckt, jedenfalls solange man es als bloßes Unterhaltungskino betrachtet.

Nur ist eben alles, was gut ist am Film, nicht Produkt eigener Reflektionsleistung, sondern abgepaust. Das wenige Eigene - Snyder pflegt auch hier seinen Fetisch für Zeitlupendynamik im Scharmützel - wirkt eher unerheblich, mt einer Ausnahme: der herrlich geglückten Vorspannsequenz, die in zahlreichen tableaux vivants das alternate history setting ausbuchstabiert. Es ist ein ständiges Apropos, ein ständiges Nicken in Richtung Comicheft: Schaut her, schaut hier, sehet dies, sehet das - ein Fabulieren in Bildern, denen, und dies eben ganz im Gegensatz zur Vorlage, jedes Rätsel, jede Anspielung zugunsten der bloßen Präsenz des Erwartbaren gründlich ausgetrieben wurde.

Während Moore und Gibbons mit ihren Paneldetails ein ganzes Szenario evozierten, werden dieselben Details bei Snyder zu bloßen Signaturen einer fragwürdigen Werktreue, Ausdruck eines Oberflächenfetischismus: Moore und Gibbons konstruierten Verstrebungen, Scharniere und Türen, wohingegen Snyder gerade solche Verbindungen ästhetisch zumauert und betoniert. Indem Snyder eben keinen medial äquivalenten Reflexionsraum eröffnet oder überhaupt erst sucht, geht ihm in seiner Plotmanie auch ein wesentlicher Aspekt der Vorlage verloren.

Thomas Groh

Gran Torino. USA 2008 - Regie: Clint Eastwood - Darsteller: Clint Eastwood, Bee Vang, Ahney Her, Christopher Carley, Brian Haley, Geraldine Hughes, Dreama Walker, Brian Howe, John Carroll Lynch

Watchmen - Die Wächter. Großbritannien / USA 2009 - Originaltitel: Watchmen - Regie: Zack Snyder - Darsteller: Jackie Earle Haley, Malin Akerman, Billy Crudup, Matthew Goode, Carla Gugino, Jeffrey Dean Morgan, Patrick Wilson