Im Kino

Killerinstinkt

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
17.09.2008. Ben Stillers Film "Tropic Thunder" ist eine Hollywood-Big-Budget-Komödie, die sich als Satire auf Hollywood-Satire versteht - und leider auch missversteht. Der Schwulen-Zombie "Otto; or, Up With Dead People" von Kult-Regisseur Bruce LaBruce ist blutig und unappetitlich, aber nur auf den ersten Blick.

Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Der britische Regisseur Damien Cockburn (Steve Coogan) tut es und ein ganzer Landstrich in Vietnam tut es auch. Alles im Dienst des Special Effects, der hier Formen des Method Acting umfasst, bei denen nicht nur die Unterscheidung von Spiel und Ernst draufgeht. Soll heißen: Die Schauspieler, die hier glauben, sie seien im Film im Film, sind in Wahrheit in der Realität im Film, die ein Dschungel ist, aus dem keiner sie rausholt. Die dramatis personae: ein dreckiges Nichtmalhalbdutzend durch Vietnam schwadronierender Klischees. Jack Black hat als Jeff Portnoy ein Drogenproblem. Ben Stiller ist als Ex-Action-Superstar Tugg Speedman auf dem absteigenden Ast. Brandon T. Jackson ist mit dem Rollennamen Alpa Chino geschlagen und sieht sich als Schwarzer mit seinem von Robert Downey Jr. gespielten Kollegen Kirk Lazarus konfrontiert, der sich für die Rolle zum Blackface hat umoperieren lassen. Jeder für sich sind sie schlagbar, gemeinsam erst recht.

Wir sehen die Truppe an der Front, unterstützt von einem virtuosen Sprengmeister und dem kurz angebundenen Vietnam-Veteranen (Nick Nolte), von dem die Drehbuchvorlage stammt. Wir sehen aber auch die Truppe an der Heimatfront: in Hollywood. Auch hier wird mit harten Bandagen gekämpft, um Gage und technisches Gerät und anderes mehr. Auch hier schwadronieren Klischees - ein antisemitisches (Tom Cruise) ist unsäglicherweise darunter - und manchmal tanzen sie auch. "Tropic Thunder" wechselt zwischen den Fronten, bringt in L.A. einen Agenten und in den Tropen drogenproduzierende Asiaten ins Spiel, die keinen Spaß - dafür aber dümmliche Hollywooddramen - verstehen, und das so entstehende Durcheinander hat sehr wohl Methode.

Jedenfalls im Prinzip. Und in letzter Konsequenz auch ganz anders, als ursprünglich gemeint. "Tropic Thunder" feuert aus allen Rohren, Salve um Salve gegen Hollywood und seine Bosse, gegen das Starsystem und das method acting, gegen Genrekonventionen und Fernsehserien wie "Lost", gegen Gagenwahnsinn und verwöhnte Schauspieler und auch gegen das Kalkulieren mit Sentimentalität und gegen dümmlichen Kriegs-Machismo inklusive Feier wahren Dabeigewesenseins. "Tropic Thunder" feuert also, kurz gesagt, gegen das, was er im Grunde selbst ist: ein Big-Budget-Hollywoodfilm.


Der Film ist deshalb ein Gradmesser dafür, wie weit Hollywood sich heute im Umgang mit der Kritik an sich selbst immunisiert. Das System quittiert noch die auf den ersten Blick bösartigsten Beschreibungen mit einem müden Lächeln und wendet die Kritik an der eigenen Verlogenheit auch, nein, gerade da, wo sie zutrifft, zur harmlosen Parodie. Explosion um Explosion wird der Ernst der Vorwürfe entschärft. Insofern ist der Film ein riesiges Einverleibungsunternehmen. Er frisst ein Riesen-Budget (mehr als hundert Millionen Dollar), einen zur Erkennbarkeit entstellten Superstar, die Kritik an der zynischen Durchschaubarkeit der Methoden heutiger Unterhaltungsindustrie, die Drogen der Stars, die Toten des Kriegs, Schwarze, die wie Weiße heißen, und Weiße, die wie Schwarze aussehen, geistig Behinderte und alles, was sonst noch so auf dem Weg liegt. Er frisst sich voll und voller, bis er, wie Mister Creosote in Monty Pythons "Sinn des Lebens", explodiert. Der Zuschauer hat, vorsichtig ausgedrückt, den Salat.

Das klingt jetzt natürlich schrecklich humorlos. Der Punkt ist aber, dass die Ideologiekritik nur die Rückseite jener Medaille ist, auf deren Vorderseite die Humorkritik liegt. "Tropic Thunder" ist nämlich genau deshalb nicht wirklich komisch, weil er, was er mit der einen Hand scharf macht, mit der anderen sofort wieder entschärft. Was als Tiger der Satire losfliegt, landet stets als Bettvorleger der Parodie. Dem Film fehlt, was den Witz erst wirksam macht: der Killerinstinkt. (Man sieht das schon daran, dass nicht jeder, der tot schien in "Tropic Thunder", auch wirklich tot ist.) Alles war letztlich nie so gemeint und alles nur halb so schlimm. Und alles noch dazu dermaßen ungenau gezielt, dass der Film reichlich Ärger mit den Vertretern von Minderheitenverbänden bekam, die im Blackface die Schwarzen und in der Verwendung der Beleidigung "retard" geistig Behinderte verunglimpft sahen. Nicht ganz zu unrecht, denn "Tropic Thunder" missachtet das erste Komödiengrundgesetz: Je weiter du gehen willst, desto präziser musst du den Ton treffen. Der Film liegt aber bei dem ganzen Krach, den er macht, sehr viel mehr, als ihm guttut, daneben.

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Alle, die im Kino auf den Anblick eines männlichen Glieds, das beim Sex eine Bauchhöhle penetriert, lieber verzichten; alle, die am blutigen Vertilgen schwabbliger Eingeweide keinen Spaß haben; und all jene, die auf eine Mischung aus Schwulen-Softporno, Zombie-Film, Antikapitalismus-Traktat, schlechtem Englisch von Laiendarstellern, auch auf Experimental- und Undergroundkino mit musikalisch bzw. klanglich hoch diversem Soundtrack von Throbbing Gristle bis Antony and the Johnsons nicht neugierig sind, können an dieser Stelle die Lektüre beenden.

Den zwei oder drei LeserInnen, die jetzt noch übrig sind (na hören Sie mal, wie sind Sie denn drauf?), kann ich aber versichern: Der jüngste Streich des kanadischen Kultregisseurs Bruce LaBruce mit dem Titel "Otto; or Up With Dead People" ist ein sehr sehens- und auch hörenswerter Film. Sein Held ist ein schwuler Zombie mit Namen Otto (sehr charismatisch: Jey Crisfar), der erst auf dem Land in Brandenburg, dann mitten in Berlin unterwegs ist. Als schwuler Zombie ist er eine Metapher für allerlei, aber das sollte einen vielleicht gar nicht erst weiter kümmern. Es genügt jedenfalls, einfach nur zuzusehen, wie Otto im Kapuzenmantel und mit Krawatte unterm Ringelpullover, mit Blut im Gesicht und Zombie-Kontaktlinsen in den Augen über die Straßen schwankt und wie er einmal am Schlesischen Tor in die U-Bahn steigt. Früh im Film gerät er auch an eine Regisseurin namens Medea (Katharina Klewinghaus) in den Blick, die gerade - das trifft sich - einen Schwulen-Zombiefilm mit dem Titel "Up With Dead People" dreht und außerdem, noch perverser, sehr gerne Herbert Marcuse zitiert.


Medea hat eine Freundin mit Namen Hella und die ist schwarz-weiß. Im Ernst. "Otto; or Up With Dead People" ist nämlich ein sehr verspielter Film, der Schnipsel und Schnitzel und Materialien der unterschiedlichsten Art sammelt und zusammenschneidet nach Herzens- und Verstandeslust. Und wann immer Hella im Bild ist, wird das Bild schwarz-weiß. Mal die Hälfte der Leinwand, mal nur ein Streifen im Bild. Außerdem ist Hella auch stumm und darum sieht man, was sie sagt, in Zwischentiteln. Etwas drastischer ausgedrückt, in einem Vergleich, der gewiss hinkt: Wie die Bauchhöhle beim Sex vom männlichen Glied wird Bruce LaBruces Tonfilm vom Stummfilm penetriert.

Penetrationen anderer Art gibt es auch: So verschneidet LaBruce die Zombie-Gegenwart Ottos mit Erinnerungsflashbacks. Die bestehen einerseits aus idyllischer Zweisamkeit, andererseits aus einem Messer, das - ganz buchstäblich - Fleisch schnetzelt. In "Otto; or Up With Dead People" wird, irgendwann akzeptiert man das, einfach viel penetriert und geschnetzelt und Menschen-Fleisch wird verspeist. Man sieht falsche Zombies und echte, nur ist die Unterscheidung weder ganz leicht noch letztlich auch wichtig. Es wird viel geschwankt und gegangen und auf der Linie zwischen Film und Film im Film wird auch balanciert. Das alles klingt womöglich ein kleines bisschen schwer verdaulich, irgendwie ist das aber eigentlich ein melancholischer und sogar sanfter Film. Somnambul und verträumt und in eine Soundwolke aus freundlichem Un-, jedenfalls Nicht-ganz-Ernst gehüllt, von der man sich als Zuschauer nach einer Weile auch ganz gern einhüllen lässt.

Der Regisseur versichert, "Otto; or Up With Dead People" sei der erste Schwulen-Zombie-Film überhaupt. Das ist natürlich ein schönes Alleinstellungsmerkmal, aber seine Stärken liegen gar nicht in extremis. Eher darin, wie einem Bruce LaBruce diesen starken Tobak auf so unaufgeregte Weise serviert. In einer Szene gegen Ende, wenn Otto attackiert wird und Antony dazu das wahnsinnig traurige "Atrocities" singt, dann bricht einem der Film, was man wirklich nicht gedacht hätte, sogar beinahe das Herz.


Tropic Thunder. USA 2008 - Regie: Ben Stiller - Darsteller: Ben Stiller, Jack Black, Robert Downey Jr., Steve Coogan, Jay Baruchel, Danny McBride, Brandon T. Jackson, Bill Hader, Nick Nolte, Brandon Soo Hoo, Reggie Lee, Matthew McConaughey

Otto; or, Up With Dead People. Deutschland / Kanada 2008 - Regie: Bruce LaBruce - Darsteller: Jey Crisfar, Katharina Klewinghaus, Susanne Sachsse, Christophe Chemin, Marcel Schlutt, Guido Sommer, Gio Black Peter, Jürgen Seipel, Stefan Kuschner