Im Kino

Mega-Wunscherfüllungsmaschine

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Ekkehard Knörer
20.08.2008. Fulminant finster erzählt Christopher Nolan in seinem zweiten Batman-Film "The Dark Knight" von der unauflösbaren Verschränkung von Gut und Böse. Nur auf den ersten Blick unbeschwert ausgefallen ist Christophe Honores Musical "Chanson der Liebe", unter dessen Oberfläche sich filmhistorisch mancherlei tut.
Mit "Batman Begins" setzte der bis dahin für Noir-Thriller mit Indie-Touch bekannte Christopher Nolan vor drei Jahren das Batman-Franchise fulminant zurück auf Null. Dieses war zuvor nach quietschbunten Filmen in die Sackgasse des infantilen Comickitsches geraten; mit erdig-dunkler Farbgebung und elegischem Grundton präsentierte Nolans Reset nun einen gebrochenen Titelhelden (Christian Bale), dessen Traumatisierung er mit weit ausholender Geste in verschachtelter Erzählweise - eine Spezialität Nolans - fokussierte.


Da Batman hier, dem Titel entsprechend, lediglich seinen Anfang fand, hatte die eigentliche, hastig ans Ende gesetzte Konfrontation mit den Superschurken Scarecrow und Ra's al Ghul fast den Anschein einer bloßen Konzession an die Logik des Blockbusters - und eines vertröstenden Versprechens, das erst mit "The Dark Knight" seine Erfüllung findet. Diese aber von erster Minute an mit Nachdruck : Ein im gleißenden Tageslicht so atemberaubend in Szene gesetzter wie durchgeführter Banküberfall führt den Joker (Heath Ledger) als aasig-sardonischen, an Geld- oder Machtzugewinn schmerzlich desinteressierten Superverbrecher ein und gibt zugleich den Takt des Filmes vor.

Rasant sind nicht nur die technisch schwer auftrumpfenden, erstmals in der Geschichte des Spielfilms im kuppelfüllenden IMAX-Verfahren gedrehten Actionorgien mitten im Zentrum des Drehortes Chicago. Auch der Plot hechtet atemlos von einer Etappe zur nächsten und verkettet dieses Übermaß an Storydichte, im Gegensatz zum diffusen "Spider-Man 3", doch zu einem funktionierenden Gebilde. Wenn Bruce Wayne, Batmans Alter Ego (oder, eben, umgekehrt), eine Sinn- und Liebeskrise durchlebt, mit dem Staatsanwalt Harvey Dent (Aaron Eckhardt) gemeinsame Sache macht, die Machenschaften eines mafiösen Wirtschaftskriminellen nach Hongkong führen, der Joker in Gothams Unterwelt derweil Bambule macht, während die Abteilung für Innovation bei Wayne Enterprises neueste technologische Gadgets ausspuckt und die ganze Stadt zusehends zur Geisel des Jokers gerät, und wenn sich all dies - und vieles mehr - ein ums andere Mal in einen klar definierten Gesamtbogen fügt, so scheint der alte Vorwurf der Comic-Nerds, ein einfacher Spielfilm könne grundsätzlich nicht die Plottiefe ambitionierter Comics entwickeln, endgültig vom Tisch. Um den Preis allerdings, dass die Montage hier noch bei Spieldauer von prall gefüllten zweieinhalb Stunden die Ortswechsel häufig erratisch, oft genug irritierend vollzieht.

Doch mag dies auch der Thematik des Films geschuldet sein: Unberechenbarkeit. Stiftete Batman sich im ersten Teil noch als Symbol zur Stärkung des Guten, verhält sich der Joker dazu schlicht als Antithese: Mit einfachsten Mitteln und ohne Rücksicht auf Verluste und sich am allerwenigsten stiftet er Chaos und Massenpanik, um die verkommensten Seiten des Menschen zum Vorschein zu bringen und dies allein zum Zweck der Erosion jeder gesellschaftlicher Ordnung. Das Superverbrechen, wie einst bei Mabuse, als makabres Spiel: Wetten, dass die Stadt im Chaos versinkt?

Diese dialektische Verwobenheit von Batman mit seinen Gegenspielern ist nicht neu. Schon im ersten Batmanfilm von Tim Burton brachten sich Joker, damals noch Jack Nicholson, und Batman gegenseitig hervor. Burton lehnte sich damit an den Comicautor Frank Miller an, dessen Meisterwerk "The Dark Knight Returns" 1986 die Frage durchspielte, ob nicht gerade der Superheld überhaupt erst den Superschurken spiegelbildlich hervorbringt.


Neu in "The Dark Knight" ist allerdings die völlige Kompromisslosigkeit, mit der diese Relation nun auch im Film umgesetzt wird. An das naive Konzept des Superhelden, der für simpelste Traumabewältigung Straßengauner zur Strecke bringt, erinnert hier nichts; das Auftreten des Jokers - sowohl als Figur, als auch hinsichtlich seines Habitus - erklärt sich hier mit nichts außer dem bloßen Auftreten Batmans als Etappe einer eskalierenden Spirale. Eine origin story bleibt ihm gleich völlig vorenthalten: Der Joker - vom kurz nach den Dreharbeiten verstorbenen Heath Ledger mit unglaublicher Präsenz verkörpert- ist so frei von persönlichen Interessen, wie von einer Herkunft oder biografischen Erzählung, getrieben allein von einer ausufernden Lust an der Destruktion, vulgär-nietzscheanischer Nihilismus in Person. Ein Geist, der stets verneint, in seinem eigentlichen Element.

Die Konsequenz, mit der "The Dark Knight" diesen Willen zur Zerstörung auf die Leinwand bringt, ist schlicht beeindruckend. Selbst noch auf dem Feld des Blockbusters ist dieser ein Mega-Vetreter seiner Zunft, eine Art Mega-Wunscherfüllungsmaschine, deren Sog selten gesehene mitreißende Qualitäten aufweist: So rasant, so elegant, so diskursiv aufgeladen, so kompromisslos düster bis noch ins kaum als solches bezeichenbare Happy End war zuletzt kaum ein Beitrag zur kostspieligsten aller Unterhaltungsformen. Die grimmige Ernsthaftigkeit, die jüngst im Horrorkino um sich griff, scheint nun auch im Popcorn-Kino als Ausdruck gegenwärtiger Befindlichkeiten angekommen.

Thomas Groh

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Ismael (Louis Garrel) und Julie (Ludivine Sagnier) sind ein Paar; mit Ismaels Arbeitskollegin Alice (Clotilde Hesme) versuchen sie der Abwechslung halber die Liebe zu dritt. Wir sehen sie gar nicht beim Sex, sondern zum Beispiel: Sie liegen im Bett und sie lesen jede/r ein Buch. Die Kamera schwenkt in recht naher Einstellung von links nach rechts. Julie, Alice, Ismael: lesend. Man erkennt die Titel der Bücher: James Salters "Un bonheur parfait" (also: "Ein perfektes Glück", deutscher Titel: "Lichtjahre" - wobei es in dem Eheroman um ein Glück geht, das endet), A.L. Kennedys "Volupte singuliere" (zu deutsch: "Gleißendes Glück", die Geschichte einer wiedererlangten Liebesfähigkeit), Adam Thirlwells "Politique" (deutsch: "Strategie", Roman einer Dreiecksbeziehung). Am Ende stellt Isamel fest, dass die Reihenfolge nicht stimmt. Der Bücher und ihrer Titel oder der drei Personen, das bleibt unklar. Man tauscht die Plätze. Julie, Ismael, Alice: lesend. "Ein perfektes Glück", "Strategie", "Gleißendes Glück". Arrangement der Körper, der Bücher, der Titel. Eine schwierige Konstellation und all das verheißt Dinge, die dann nicht eintreten. Oder jedenfalls: anders als man denkt.

"Chanson der Liebe" ist ein mutiger, vielleicht sogar dreister Film. Mit seiner Dreiecks-Liebesgeschichte, die in Schnitt, Kamerabewegung und auch erzählerisch von Abruptheit zu Abruptheit eilt, dabei albern ist und verspielt, stellt sich Christophe Honore überdeutlich hinein in die Nachgeschichte der "Nouvelle Vague". Er reklamiert, mit anderen Worten, ein Erbe. Das beginnt, aber endet nicht mit der unablässigen Reflexivität der Bücher und Gesten und auch nicht damit, dass sein Hauptdarsteller Louis Garrel sehr überzeugend allerlei darstellerische Marotten und Arten und Weisen des jungen Jean-Pierre Leaud imitiert. (Vielleicht ist er auch einfach die Reinkarnation von Leaud. Der natürlich noch lebt - aber auch die "Nouvelle Vague" ist ja nicht tot. Reinkarnation zu Lebzeiten, dreistes Hineinstellen in Traditionen, das sind alles sehr schwierige Erbangelegenheiten.)

Es ist aber auch mit dem Bezug auf die "Nouvelle Vague" - in erster Linie Truffaut, Godard - nicht getan. Honore borgt sich zu alledem noch Flügel des Gesangs. Und zwar nimmt er sie sich - und macht kein Geheimnis daraus - von Jacques Demy. Wie dessen Musikfilm "Die Regenschirme von Cherbourg" teilt sich "Chanson der Liebe" in die drei Kapitel "Abschied", "Abwesenheit" und "Rückkehr". Honores Film sieht allerdings anders aus. Der Raum, durch den er sich bewegt, ist das 10. Arondissement von Paris und dieses Paris ist recht eng und recht kühl (es ist Winter) und die Farben sind eher gedeckt. Und dann geht, was das wichtigste ist, durch den Film ein tonaler Riss von einiger Radikalität. Auf den Abschied, den der Titel des ersten Teils so unzweideutig verheißt, ist man dennoch nicht gefasst. Die unbeschwerte Komödie, als die "Chanson der Liebe" beginnt, nimmt man zum Nennwert - schließlich klingt schon der Titel generisch genug. Dann trifft eine Figur und den Film und auch seinen Betrachter der Schlag.


Schwierig wird spätestens jetzt auch das Verhältnis von Prosa der Handlung zu ihrer Stillstellung durch Musik. Es ist nicht wirklich so, dass das eine ins andere gleitet, auch wenn Honore ganz ausdrücklich keine Umstände macht beim Übergang von hier nach da und wieder zurück. Da ist und bleibt immer ein kleiner Ruck und ein Riss. Wie eben der ganze Film ein Film der Rucke und Risse ist und deshalb bei Gelegenheit auch vom Realen ins Irrealen springt. Sind aber so kleine Sprünge, man sieht sie kaum. Und manchmal, an zwei der schönsten Stellen, verkleiden sie sich auch als ein Gleiten. Julie gleitet davon und gleitet heran, ein Abschied, eine Rückkehr, real, irreal, dazwischen ein Riss, eine Kluft, eine Abwesenheit.

Julie kehrt, kurz und irreal genug, in eine andere Konstellation zurück als die, die sie verließ. Nicht nur ist inzwischen auch ihre Schwester Jeanne (Chiara Mastroianni) mit im Spiel. Sondern auch Erwann (Gregoire Leprince-Ringuet), ein junger Mann mit bretonischem Namen. Erwann hat sich in Ismael verliebt. Er ist der Bruder von Gwendall (Yannick Renier), mit dem Alice, mit der Ismael nichts mehr hat, eine Affäre beginnt und rasch wieder beendet. Das klingt kompliziert und ist es auch. Wichtig dabei vor allem: die ständigen Verschiebungen und Wechsel der Konstellationen.


Rearrangements der Körper und auch der Referenzen. Die "Nouvelle Vague", Jacques Demy - und zuletzt: Jean-Claude Guiguet. Diesem schmählich unterschätzten und viel zu früh verstorbenen französischen Regisseur ist der Film gewidmet. Wer will, kann der Meinung sein, dies sei die entscheidende Drehung des Kaleidoskops, das "Chanson der Liebe" ist: Von der (oft genug schrecklich heterosexuellen) "Nouvelle Vague" zur schwulen Schönheit der Filme Guiguets (der einer filmhistorischen Parallelbewegung namens "Diagonale" angehört), das alles via Jacques Demy. Ein Rucken und Gleiten und Drehen auf Flügeln des Gesangs. Eine Umwertung der Werte, eine entschiedene Wendung zur Homosexualität. Am Ende liebt Ismael Erwann und Erwann Ismael. Was zurückkehrt, ist die Liebe, aber nicht ihr Objekt. Das hat zwischendurch das Geschlecht gewechselt, und zwar im schönsten Song der von Alex Beaupain geschriebenen eigentlich ziemlich konventionellen Pop-Chansons des Films. Der Song heißt "Beaute du geste" und es fragt der eine den anderen darin, ob er schon einmal nur um der Schönheit der Liebe selbst wegen geliebt hat: "As-tu deja aime pour la beaute du geste?" Das ist, wie der ganze Film, eine filmhistorisch gewitzte, programmatisch polymorphe Liebeserklärung an die Liebe.

P.S.: Die Frage, wie genau der Text dieses Songs zu verstehen ist, vor allem: welche Rolle das Objekt dabei spielt, wird mit poetischer Genauigkeit ausgerechnet in einem nüchternen englischen Übersetzungsforum diskutiert: das ist unbedingt lesenswert.

Ekkehard Knörer

The Dark Knight. USA 2008 - Regie: Christopher Nolan - Darsteller: Christian Bale, Michael Caine, Heath Ledger, Gary Oldman, Aaron Eckhart, Maggie Gyllenhaal, Morgan Freeman, Eric Roberts, Cillian Murphy, Joshua Harto, Colin McFarlane

Chanson der Liebe. Frankreich 2007 - Originaltitel: Les Chansons d'amour - Regie: Christophe Honore - Darsteller: Louis Garrel, Ludivine Sagnier, Clotilde Hesme, Chiara Mastroianni, Gregoire Leprince-Ringuet. Länge: 100 min.