Im Kino

Mehr überall als nirgendwo

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
26.07.2007. Umweltverbrechen, einen tumben Präsidenten Schwarzenegger, Springfield unter einer gläsernen Käseglocke und natürlich jede Menge Homer bietet "Die Simpsons - Der Film". Nicht irritieren lassen sollte man sich vom verschwiemelten Titel von Marion Hänsels "Als der Wind den Sand berührte": Es handelt sich um ein nüchtern erzähltes Drama um eine verdurstende Familie in der afrikanischen Wüste.
Das Städtchen Springfield, in dem die Simpsons leben, liegt genau an der Grenze zwischen Kentucky, Ohio, Nevada und Maine. Das erfahren wir auf einem kleinen Ausflug, den Bart Simpson mit dem spießigen Nachbarn Nate Flanders macht, den er sich den ganzen Simpsons-Film lang als freundliches Vater-Gegenbild zu Homer imaginiert. Mit anderen Worten: Springfield ist ein geografisch absurder Ort, freilich mehr überall als nirgendwo, die all-american-town in Gelb, bevölkert mit mehr oder weniger allen Typen und Stereotypen, die Amerika so zu bieten hat.

Die Lokalisierung von Springfield spielt im ersten Simpsons-Kinofilm, auf den die Welt weiß Gott lange zu warten hatte, keine ganz unwichtige Rolle. Es gibt nämlich ein utopisches Anderswo namens Alaska, und dahin machen die Simpsons sich, vor dem im Heimatort tobenden Lynchmob geflohen, auch auf. Alaska ist so ein bisschen das, was bei Michael Moore Kanada ist, eine Insel der Seligen, direkt an der Grenze zu den Vereinigten Staaten, in denen der politische Irrsinn tobt. Dieser Irrsinn trägt einen Namen, nämlich EPA, es ist der Name der (real existierenden) Umweltbehörde der USA. Deren (so natürlich nicht real existierender) Leiter ist ein Umweltstalinist, der seinen komplett verblödeten Präsidenten mit dem (real existierenden) Namen Schwarzenegger dazu bringt, den Umweltsündenpfuhl Springfield erst unter einer massiven Käseglocke in Quarantäne zu sperren und dann mit einer handlichen kleinen Bombe im Kofferradioformat zu exterminieren.

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Und zwar, schwer zu glauben, in Gestalt Homer Simpsons. Es trifft sich gut, dass er an dem ganzen Umweltschlamassel auch schuld ist, weil er, bedenkenlos wie stets, eine Riesenladung Schweinegülle im See von Springfield verklappt hat. Es ist wie bei den Homöopathen: similia similibus curantur, was die Wunde schlägt, heilt sie auch und Homer ist stets Alpha und Omega der kleinen gelben Gegenwelt, in der er als prinzipienloser Prinzipal regiert. Es ist ja nicht so, dass das, was Homer mal für mal anrichtet, folgenlos wäre und folgenlos bliebe. Vielmehr ist er der Stein des Anstoßes, der unbewegte Beweger, der Kettenreaktionen in Gang setzt, die den Rest des Figurenpersonals in Atem halten. Am Ende dieser Kettenreaktionen wird aber immer nur einer stehen: er selbst. Und am Ende wird alles nichts gewesen sein, weil der Kreis sich schließt, weil Homer Homer bleibt, das gelbe, leere, eiförmige, entwicklungslose transzendentale Signifikat, zu dessen Anbetung die Gläubigen der westlichen Welt sich seit achtzehn Jahren zur Fernsehgemeinde versammeln.

Schon deshalb ist, von der galoppierenden Selbstreflexivität der Serie und nun auch des Films einmal abgesehen, alle Bedeutungsproduktion in den "Simpsons" im wesentlichen implosiv. An Homer hängt, zu Homer drängt doch aller Sinn und Unsinn, zu dem die "Simpsons", die ein einziger Alptraum sind, die Tagesreste der Medienwirklichkeit verarbeiten. Homer ist, gerade weil ihm alles Reflexive fremd ist, die perfekte Reflexionsfigur, ganz Amerika frisst er in sich hinein und ganz Amerika spuckt er wieder aus und nichts davon kriegt er mit. (Also eigentlich wirklich: wie Fernsehen.)

Es sei aber die sträflich naive Frage gestattet: Wie verhalten sich eigentlich die Simpsons zur Wirklichkeit, die sie so ausdrücklich verarbeiten? Welcher Art ist diese Verarbeitung und wie sieht die Realität in dem Spiegel aus, den die Serie und nun der Film ihr vorhalten? "Subversion zur Prime-Time" ist der Titel eines wissenschaftlichen Sammelbands zum "Simpsons"-Phänomen. Was aber genau wird, wenn überhaupt, hier subvertiert? Als subversiv hat man doch, wenn überhaupt irgendwas, eine Darstellung und Haltung verstanden, die die üblichen Vorannahmen zu den Phänomenen der Welt unterlaufen. Oder handelt es sich bei den Simpsons eher um Kritik? Aber hat man als kritisch (im emphatischen Sinne) nicht eine Haltung verstanden, die eine Position sucht und findet, von der aus das, was man zeigt, als falsch und ideologisch erkennbar wird?

Über beides, Subversion und Kritik, waren die Simpsons in Wahrheit immer schon hinaus. Gerade darin hat man einst ja ihre befreiende Kraft erkennen wollen. Sie verzichten auf alle Haltungs- und Positionierungszumutungen und machen doch die ganz offen ins Fremduniversum hineinzitierte Gegenwartswelt als vollständig kontingent und veräppelbar kenntlich. Anders gesagt: Die einzige Zumutung, die in den Simpsons liegt, ist die Zumutung, sich die politische, popkulturelle und Alltagswirklichkeit als total veräppelbar vorzustellen. So wenig ist das nicht, denn es ist immerhin total antifundamentalistisch. Aber so viel ist es auch wieder nicht - schlicht und einfach der große gemeinsame, anti-rockistische Nenner der Popkultur.

Im Film ist das am Thema, das er sich gibt, gut zu verfolgen. Es geht leitmotivisch um Ökologie. Der Film entwickelt keine Position oder Haltung dazu. An deren Stelle stehen 1001 Gag und Homer Simpson, in dessen Figur "Sünde" und "Sühne" in völliger Bewusstlosigkeit zusammenfallen. Von der Sünde zur Sühne führt ein ridikülisierter Heroenplot aus dem Science-Fiction- und Katastrophenfilmrepertoire. Der Rest ist konsequenzlos komischer Umgang mit Reaktionsformen aufs Umweltproblem, das zum Gegenstand wird, weil im Moment halt alle Welt davon redet. Der Rest sind mit Zitaten, Anspielungen, Albernheiten und sehr lustigen Scherzen vollgestopfte knapp neunzig Minuten. Das ist nicht wenig. Aber so viel halt auch wieder nicht.

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Der Titel ist ein Problem. "Als der Wind den Sand berührte", das klingt nach einer verschwiemelten Poesie, von der Marion Hänsels Film denkbar weit entfernt ist. Nur zu Beginn darf man noch Schlimmes befürchten, in einer Szene, die Afrikaner, wie das Klischee es will, bunt gekleidet im Tanz zeigt. Es stellt sich aber bald hinaus, dass es hier um den Kontrast geht. Der Rest des Films ist ein einziger Kontrapunkt zur Fröhlichkeit dieses Anfangs.

"Als der Wind den Sand berührte" erzählt von einer Familie in Ostafrika, von ihrem Dorf, das sie verlassen müssen, weil das Wasser ausgeht, von ihrer Wanderung durch die Wüste, auf der Suche nach einer neuen Heimat, in der nicht der Durst herrscht. Rahne (Issaka Sawadogo), der Vater, und Mouna (Carole Karemera Umulinga), die Mutter, machen sich auf, mit den Söhnen und der nachgeborenen Tochter Shasha (Asma Nouman Aden), zu deren Tötung der Dorfälteste bei der Geburt einst riet. Mit dabei ist das Dromedar Chamelle, das der Romanvorlage von Marc Durin-Valois den sehr viel besseren Titel gab, mit dabei sind ein paar Ziegen, die sich unterwegs als Pfand einsetzen lassen.

Der Film zeigt vor allem eins: den beschwerlichen Weg der fünf durch die Wüste. Sie gelangen an eine Wasserstelle, Soldaten fordern Ziegen im Tausch gegen den Zugang. Die Soldaten geben Hinweise, die in die Irre führen, die Familie entkommt mit Mühe und Not. Der weitere Weg wird zur Passion, Gefährdung folgt auf Gefährdung. Dazwischen immer die oft wie zum Hohn atemberaubend schöne Öde der Wüste. Mouna erkrankt, Shasha wird von marodierenden Soldaten in der unerträglichsten Szene des Films als Sonde für im Boden versteckte Minen missbraucht.

Die Regisseurin Marion Hänsel verzichtet auf falsche Emotionalisierungen, aber gerade das Stoische ihres Blicks, die Nüchternheit, mit der sie den Weg in den Untergang nachzeichnet, machen das Drama umso spürbarer. Sie eröffnet sehr bewusst einen Zwischenraum auf halber Strecke zwischen Realismus und Allegorie; Zeit und Ort des Geschehens werden nie konkret situiert und doch wird das Niemandsland der Wüste zu einem sehr realen, sehr gegenwärtigen Ort. Die Stärke des Films liegt in seiner Bewegung auf diesem schmalen Grat. Er ist weder abstrakte Meditation noch didaktisches Lehrstück; kaum je bedient er sich der Afrika-Klischees, sei es amerikanischer Hollywood- oder europäischer Arthouse-Machart. Es geht vielmehr darum, die Reduktion aufs bloße Leben fassbar zu machen, die sich in dieser Zone fundamental bedrohter Existenz vollzieht. Vielleicht weiß der Film zu wenig von der Unfassbarkeit dessen, was er da zeigt. Und doch liegt etwas Bewundernswertes darin, wie beharrlich Marion Hänsel jeden allzu einfachen Zugriff unserer Urteile und Blicke auf dieses existenzielle Drama verweigert.


Die Simpsons - Der Film. Regie: David Silverman. USA 2007, 87 Minuten

Als der Wind den Sand berührte. Regie: Marion Hänsel. Mit Issaka Sawadogo, Carole Karemera, Asma Nouman Aden, Said Abdallah Mohamed.
Belgien / Frankreich 2006, 96 Minuten
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