Im Kino

Kein Ausgang

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
30.05.2007. David Fincher rekonstruiert so kühl wie obsessiv die wahre Geschichte des nie überführten Serienkillers "Zodiac". Bettina Blümner erkundet in "Prinzessinnenbad", was es heißt, heute in Kreuzberg 15 Jahre alt zu sein.
Ein Auto gleitet durch Straßen mit freundlichen Einfamilienhäusern bei Nacht. Feuerwerk im Hintergrund. Es ist der 4. Juli, Nationalfeiertag der USA. Das Jahr ist 1969. Das Gleiten des Autos verschmilzt mit dem Gleiten von Harry Savides' Kamera, die hier, in den ersten Bildern des Films schon, Licht und Dunkelheit in die feinkörnigsten Valenzen auflöst. Der Eindruck des Unwirklichen von Anfang an, ich denke nicht an Filme der späten sechziger, der frühen siebziger Jahre, sondern an Videokunst-Installationen oder die Fotografien von Gregory Crewdson, der in seinen Tableaus Hollywood - oder die Anmutung Hollywoods - nachahmt, ohne sich je auf klar erkennbare Vorbilder zu beziehen. Man sieht etwa ein Auto, quer auf der Straße abgestellt, die Beifahrertür offen, auf der Straße im Vordergrund eine derangierte Frau, im Hintergrund gleißend und unnatürlich das Licht der Nacht. Es ist unklar, was passiert ist, es wird nie eine Auflösung geben, alles verbleibt im Status des andeutenden Ausschnitts und ist gerade dadurch suggestiv aufgeladen.



Aber natürlich ist "Zodiac" keine Fotografie, sondern als Film immer schon in Bewegung, durch den Raum, durch die Zeit. Das reine, von einem festen Ort und identifizierbaren Figuren anfangs noch ganz freie Gleiten muss Gestalt gewinnen, sich verfestigen, oder jedenfalls: hinübergleiten in eine Erzählung. Nicht Tableau, nicht Installation, sondern Narration. Etwas ereignet sich und setzt sich fort. Eine Geschichte gerät in Bewegung, und zwar gerade, als das Auto in einer schummrigen Ecke eines verlassenen Parkplatzes vor der Stadt zum Halten kommt. Drin sitzt ein junges Liebespaar, das ein einsames Eckchen im Freien sucht fürs Tete-a-tete. Dann nähert sich von hinten ein Auto, es verschwindet, dann kehrt es zurück. Ein Mann steigt aus, richtet seine Waffe auf die Frau und den Mann und feuert ab. Im Radio läuft "Hurdy Gurdy Man" des Hippie-Barden Donovan. Als die Schüsse fallen, dreht Fincher im Soundtrack die Lautstärke hoch - es ist just der Moment, in dem im Song selbst die E-Gitarre in den Vordergrund drängt. Der Sommer der Liebe ist abrupt vorbei, aber die Musik ist nicht, wie man erst denkt, allein des Kontrasts wegen gewählt. Das Sanfte wird selbst aggressiv in diesem Moment, am späten Abend des Nationalfeiertags im Jahr 1969.



Der Mord ist der Beginn einer Serie. Der Killer, der sich selbst "Zodiac" nennt und verrätselte Botschaften schickt, wird berühmt, ist als "Scorpio" in Don Siegels "Dirty Harry" popkulturell verewigt. (Finchers Film nimmt darauf kurz Bezug.) Die Polizei ermittelt, es gibt Zeugen, es gibt Indizien, es gibt Verdächtige, aber nie wird einer von ihnen schlüssig als Täter überführt. Für den Polizisten Dave Toschi (Mark Ruffalo), den Reporter Paul Avery (Robert Downey Jr.) und den Cartoonisten Robert Graysmith (Jake Gyllenhaal) wird der Fall zur Obsession. Auf Graysmiths detailversessenen Büchern beruht dieser Film, der kein Serienkillerfilm ist. Er zeigt Gewalt, er zeichnet ein kriminalistisches Rätsel nach, aber er ist nicht spekulativ. Worum es ihm geht, ist einzig Rekonstruktion, genaue Verortung, "true crime", die Wahrheit von Bewegungen in Raum und Zeit. Überaus genau ist - oder wirkt - "Zodiac" in den Details der Zeiten und Räume, die er rekonstruiert. Die Ausstattung ist ihm jedoch stets Mittel, nicht Zweck.

Nur ein Detail: In der Zeitungsredaktion, die einer der Hauptschauplätze ist, hängt ein Fernseher, der, wie es scheint, immer läuft und an dessen unterem Rand ein Metallplättchen befestigt ist mit der Aufschrift: "Die Lautstärke darf nicht verändert werden." Mehrfach zeigt die Kamera diesen Fernseher mit dem so auffällig unauffällig angebrachten Schildchen, das nichts weiter bedeutet, aus dem für den Zusammenhang des komplexen Films gar nichts folgt. Es ist nichts als das, was es ist, und verbürgt genau durch diese Art, einfach so im Bild zu sein, doch genau das, was Finchers Film ausmacht: die Versessenheit auf die Genauigkeit des Details, die Präzision der Rekonstruktion, den unbedingten Willen, der äußeren Spannung nicht ein Quäntchen von innerer und äußerer Darstellungswahrheit zu opfern.



Mit Authentizität um der Authentizität willen hat das rein gar nichts zu tun. Nicht einmal mit naiver Lust an der Dokumentation eines der rätselhaftesten Serienmordfälle in der an solchen Fällen nicht armen US-Geschichte. Viel eher geht es um die Anverwandlung eines Films an seinen Gegenstand, eine Mimikry, die dazu führt, dass die Darstellung sich in ihrer Form dem anähnelt, was sie darstellt. Anders gesagt: Dieser Film ist selbst obsessiv. Er verfällt diesem Fall und noch mehr verfällt er den handelnden Personen, die selbst ihrem Gegenstand verfallen sind. "Zodiac" verbeißt sich ins Detail und er verbeißt sich ins Verbeißen. Ein Film wie ein Hund, der eine Spur aufgenommen hat und nicht mehr aufgibt. Und er tut dies auf ganz außerordentlich nüchterne, ja unterkühlte Art. Es ist ein Film, wie David Fincher, zu Exzess und Spektakel und Hitze begabt, noch keinen gemacht hat.

"Zodiac" ist auch ein Film über das Vergehen selbst, das Verfallen, aber auch den Verfall. In Paul Avery hat er eine Figur, die zugrunde geht an dieser Geschichte und dem Ausbleiben einer Auflösung. Der Film schlägt sich, der Rekonstruktion verfallen, auf die Seite von Robert Graysmith, der seine Familie verliert, aber nicht den Verstand. Man kann gar nicht sagen, ob für ihn - und den Film - die ganze Sache, der ausbleibenden Lösung zum Trotz, gut ausgeht. Im Grunde geht sie nämlich recht eigentlich gar nicht aus. Sie geht weiter. Der Film, die Geschichte, die er erzählt, gleiten hinüber in unsere Gegenwart, die sich von diesem Fall, dieser Mordserie, die die amerikanische Geschichte an diesem 4. Juli des Jahres 1969 befiel, nicht gelöst hat. "Zodiac" sucht keinen Abschluss - ja, er ist genau an der Unmöglichkeit des Abschließens interessiert. Er ist fasziniert von einer Geschichte, die untergründig sich fortzusetzen nicht aufhört, die bis in die Gegenwart hinein diffundiert. Auf diese Weise ist "Zodiac" ein großer Film, dem, jenseits aller vordergründigen Realismen, die Anverwandlung an die Wirklichkeit gelingt.


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Und dann noch kurz von San Francisco nach Berlin, von Hollywood nach Kreuzberg, von der Vergangenheit, die nicht vergeht, in die Gegenwart. Drei Mädchen, drei junge Frauen, porträtiert Bettina Blümners Dokumentarfilm "Prinzessinnenbad". Sie sind fünfzehn, sie leben rund ums Kottbusser Tor in Berlin, sie sind eng befreundet und sie sind ziemlich verschieden: Klara, Tanutscha und Mina. Bettina Blümner hat sie, über ein Jahr hinweg, mit der Kamera begleitet auf ihren Wegen zwischen dem titelgebenden Prinzenbad, der Schule, den Eltern- bzw. Vater- und Mutterhäusern.

Die drei nehmen kein Blatt vor den Mund. Eine findet türkische Jungs geil und deutsche scheiße. Am Telefon im Gespräch mit durchs "Chathouse" vermittelten Fremden erweist sich Tanutscha als alles andere als auf den Mund gefallen, aber es ist nur ein Spiel. Am Ende wird nach einer beiden Seiten offenbar Freude machenden Beschimpfungssuada einfach aufgelegt. Mina, die Sensible unter den drei Mädchen, hat die Liebe ihres Lebens gefunden, jedenfalls scheint es ihr so, den zwanzigjährigen George, der aber für ein Jahr nach Brasilien will und danach vielleicht Meeresbiologie studieren. Auch Mina will zur Uni gehen, Klara dagegen hat überhaupt keine Lust auf Lernen oder Beruf und auch nicht auf Bowling. Sie geht zur Schwänzerschule, ist selbstbewusst und macht, was sie will, ob nun legal oder nicht. Zukunftsaussichten hat sie keine, unverblümt bekennt sie, danach befragt: "Eigentlich gibt es nichts, das mir Spaß macht." Zwei Regeln hat ihre Mutter aufgestellt: Kein Heroin und nicht schwanger werden. Da bleibt viel Spielraum für Abweichungen vom Tugendpfad.

Regisseurin Bettina Blümner hat die drei Mädchen lange begleitet; sie ist, daran kann, hört man sie vor der Kamera sprechen, nicht gezweifelt werden, zur Vertrauten geworden. Und sie missbraucht dieses Vertrauen nicht. Sie bleibt nah dran, protokolliert die Tonfälle, Gesten, sprachlichen Eigenheiten, sie ist ganz aufmerksam auf Gesichter und Körper und beobachtet liebevoll und ohne Kommentar, wie die Mädchen sich durch die Straßen der Großstadt bewegen, die ihnen Zuhause und Heimat sind. Und je genauer der Film seinen Protagonistinnen dabei zuschaut, desto unentwirrbarer verschränkt er das, was an ihnen Signatur der Gegenwart ist, mit dem individuellen Eigensinn dreier Teenager-Persönlichkeiten, desto überzeugender wird er zur Dokumentation dessen, was es heißt, fünfzehnjährig zu sein: als junge Frau, heute und an diesem Ort.


"Prinzessinnenbad". Regie: Bettina Blümner. Mit Klara, Mina, Tanutscha. Deutschland 2007, 92 Minuten.

"Zodiac". Regie: David Fincher. Mit Jake Gyllenhaal, Mark Ruffalo, Robert Downey Jr., Chloe Sevigny u.a. USA 2006, 157 Minuten.
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